Mittwoch, 18. Mai 2022

Zurückgeschmust

Warpaint - Radiate Like This
WARPAINT
Radiate Like This
Virgin
2022
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ atmosphärisch | verträumt | zeitgenössisch ]

Eigentlich waren Warpaint bis vor einer Woche noch eine Band, von der ich glaubte, ich hätte sie schon endgültig abgeschrieben. Und wenn ich ehrlich bin, war ich ob der Ankündigung eines neuen Albums von ihnen auch in erster Linie erstaunt, dass es sie überhaupt noch gibt. Denn nachdem schon von ihrer letzten LP Heads Up von 2016 kaum noch jemand Notiz nahm, gab es während der sechs Jahre seitdem auch keine weiteren Signale der Kalifornierinnen, die irgendetwas anderes angedeutet hätten. Und was mein Interesse an ihnen anging, so war das sowieso schon lange zuvor versiegt. Sowohl besagte letzte Platte als auch deren selbstbetitelten Vorgänger von 2014 fand ich in vielen Punkten ziemlich lahm und reibungsarm, weshalb ich meine Beschäftigung mit der Band wahrscheinlich auch dann eingeschränkt hätte, hätte es weiterhin regelmäßig Musik von ihnen gegeben. Und dass ich mich vergangene Woche auf Radiate Like This dann doch wieder dazu entschied, mal in ein paar Songs reinzuhören, hatte tatsächlich eher mit schadenfreudiger Neugier zu tun als mit echtem Interesse. Angesichts dessen war der Schock dann aber auch entsprechend groß, als sich viele dieser Nummern dann wider Erwarten als ziemliche Bringer herausstellten und es sogar sehr danach aussah, als hätten Warpaint ihr Songwriting nun endlich doch mal geöffnet und diversifiziert. Mit dem Resultat, dass Radiate Like This es mit sehr einfachen Mitteln schafft, das beste Album der Kalifornierinnen seit gut und gerne zwölf Jahren zu werden. Womit ich vor allem meine, dass sich die Band hier an ein einem vorsichtigen stilistischen Crossover probiert, der in vielen Momenten aber super aufgeht und ihren eh schon immer sehr smoothen und wärmenden Dreampop-Sound mit leichten R'n'B- und Bedroompop-Einflüssen um einen Faktor erweitert, der diesen perfekt ergänzt und umschmeichelt. Champion hat als Opener dabei zwar noch eine ziemlich eindeutige Shoegaze-Note und ist rein strukturell unter allen hier vielleicht der 'rockigste' Song, schon hier haben Warpaint aber kompositorisch eine Ruhe weg, die mit der Ästhetik dieser Stilbegriffe nichts zu tun hat und in die träumerische Atmo des Albums mit einem gezielten Kopfsprung eintaucht wie in warmes Wachs. Wobei sich auch hier bereits sehr deutlich zeigt, wie sehr der Sound der Band in dieser Inkarnation von den gemeinsamen Gesangsharmonien ihrer drei Sängerinnen getragen wird, die in so gut wie jedem Track der entscheidende Faktor sind, der den Song erst richtig genial macht. Ganz auf sich allein gestellt ist dieser am Ende allerdings auch nie und was Warpaint in vielen Momenten drumherum zaubern, ist ebenfalls spannend zu entdecken. Da gibt es in Champion vorsichtige Dub-Einspielungen, Hips und Proof haben herrliche Pianoparts, Trouble gönnt sich genau für den richtigen Augenblick ein paar opulente Streicher und was Stella Mozgawa am Schlagzeug in Altar und Melting zurechtzaubert, ist einfach eine helle Freude. Fantastisch produziert ist Radiate Like This obendrein und obwohl es zwischen Hard to Tell und Stevie gefühlt auch eine kleine Durststrecke gibt, sind die meisten Songs hier doch durchweg klasse gemacht und meistens auch noch übergreifend kohärent. Wobei diese letzte Eigenschaft am Ende wahrscheinlich das tollste an dieser neuen Ausgabe von Warpaint ist, denn wo ihre sehr gemütliche und leisetreterische Ästhetik früher manchmal sehr dafür sorgte, dass sie einschläfernd klangen, ist sie hier eher einlullend. Das allerdings auf die bestmögliche Art und so, dass unterm Strich trotzdem noch Hits dabei rauskommen. Und das ist letztendlich ja sowas wie die Lehrbuchdefinition von gut gemachtem Dreampop, oder?

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11

Persönliche Höhepunkte
Champion | Hips | Like Sweetness | Trouble | Proof | Altar | Melting

Nicht mein Fall
Hard to Tell


Hat was von
Emíliana Torrini
Me & Armini

Tirzah
Devotion


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