Montag, 10. Januar 2022

In the Wee Small Hours

THE WEEKND
Dawn FM
X♥O | Republic
2022
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ achtzigerig | apathisch | verkatert ]

Es ist fast ein bisschen schwer zu glauben, dass es nun fast schon wieder zwei Jahre her sein soll, dass mit After Hours das letzte Album von the Weeknd erschien, ganz einfach weil vieles daran noch immer noch so frisch und aktuell anmutet, als wäre es gerade erst letzte Woche herausgekommen. Und eines sollte dabei ganz klar sein: Dass ich und viele Andere so empfinden ist mit ziemlicher Sicherheit eine Auswirkung der unfassbaren Mächtigkeit, die diese LP in den letzten zwei Jahren hatte und der Art, wie sie Abel Tesfaye spätestens jetzt zu einem der größten Popstars der Welt gemacht hat. Ich würde mich an dieser Stelle sogar so weit aus dem Fenster lehnen zu sagen, dass es seit Beginn der neuen Dekade noch keine zweite Platte gab, die sowohl kommerziell als auch in Sachen Einfluss eine größere Strahlkraft hatte als After Hours und damit inzwischen auch mich als anfänglichen Skeptiker in die Knie gezwungen hat. Wobei das vielleicht sogar das Beste an ihr ist: Sie ist als popkulturelles Medium in den letzten zwei Jahren nicht nur höllisch erfolgreich und prägend gewesen, sie ist auch noch verdammt gut. Vor allem dann, wenn man sich das audiovisuelle und performative Konzept ansieht, das Abel Tesfaye so akribisch damit verbunden hat und das von Videos über Liveauftritte bishin zu Outfits bei Preisverleihungen und Kurzfilmen bei Youtube reichte. Das After Hours ein faszinierendes Gesamtkunstwerk ist, überzeugt mich also ebenfalls, wobei all diese tollen Eigenschaften des Albums natürlich einen langen Schatten werfen. Und dass Dawn FM nochmal die Schau abzieht, die ebendieser Vorgänger aufs Parkett legte, war deshalb ja auch von Anfang an eher nicht zu erwarten. Die Ankündigung für die Platte kam letzten Dezember noch zwischen Tür und Angel des Jahreswechsels, das erste Video erschien erst nach dem Release der eigentlichen LP und mit Sacrifice gab es zwar eine fetzige Leadsingle, der wurde aber wesentlich weniger Vorlauf gegeben, um das fertige Gesamtergebnis anzuheizen. Dass es in den paar Tagen, die es nun draußen ist, trotzdem unfassbare Streamingzahlen einfuhr, versteht sich dabei aber genauso von selbst wie dass Abel es hier natürlich nicht mehr dabei belässt, ein paar Songs aneinanderzureihen und es ein Album zu nennen. Ehrlich gesagt fühlt sich Dawn FM in vielen Punkten sogar noch mehr an wie eine Platte mit Grundkonzept, das über die 51 Minuten Laufzeit immer wieder aufgenommen wird und in meinen Augen sogar das von After Hours weiterspinnt. Und damit meine ich gar nicht mal unbedingt die immer wieder eingestreuten Moderationsschnipsel und Jingles, die dem ganzen den Eindruck einer spätnächtlichen Radiosendung vermitteln sollen, sondern eher die Musik im allgemeinen. Denn wo das letzte Album sich mit seinen ekstatischen Bangern und deftigen Synthpop-Peitschen sich oft anfühlte wie ein verkokster Wahn in den Stunden nach Mitternacht, klingt Dawn FM ganz im Sinne des Titels sehr nach dem Downer im Morgengrauen nach einer durchgemachten Nacht, in denen man sich bei laufendem Autoradio noch irgendwie wach hält, weil an Schlaf einfach nicht zu denken ist. Und obwohl klanglich vieles auf dieser LP sehr ähnlich klingt wie auf After Hours ist die Stimmung hier doch öfters etwas melancholischer und gebrochener, was zu dieser Wirkung nicht selten beiträgt. So muss ich in Sachen Referenzen hier neben Daft Punk und Michael Jackson auch öfters mal an Leute wie Kavinsky oder M83 denken, die diese Art von achtzigerigem Synthpop gerne ein bisschen drückender und weniger euphorisch formulieren. Und auch wenn es auf Dawn FM durchaus ein paar klare Hits wie Sacrifice, Gasoline oder How Do I Make You Love Me? gibt, fühlt sich vieles hier dann doch das entscheidende bisschen subtiler an als auf dem Vorgänger. Und wenn Tesfaye schon Motive von After Hours kopiert, dann sind das wenigstens welche, die sich künstlerisch auch ausgezahlt haben und strukturell funktionieren. So ist Less Than Zero streng genommen ein ziemlich offensichtlicher Abklatsch von Save Your Tears vom letzten Mal, dabei aber trotzdem einer der besten Songs der Platte. Und dass the Weeknd jetzt regelmäßig Banger macht ist sowieso eine der besten Entscheidungen seiner Karriere. Ganz ohne ein paar grobe Schnitzer kommt am Ende allerdings auch Dawn FM nicht aus, wobei diese weniger an konkreten Punkten liegen als an allgemeinen Problemen wie zum Beispiel einer doch recht lahmarschigen zweiten Hälfte oder den beiden leider sehr grottigen Features von Tyler, the Creator und Lil Wayne, die vom Gesamteindruck eher subtrahieren als dazu beizutragen. Auch finde ich das seltsame Interlude A Tale by Quincy trotz all seines inhaltlichen Tiefgangs und des thematischen Bezugs auf Tod und Religion, der auf dieser LP immer mal wieder auftaucht, eher unpassend, weil es eine komplett andere Stimmung fährt als die meisten von Tesfayes Songs. Klasse wiederum finde ich an vielen Stellen Jim Carrey als Radiomoderator des fiktiven Senders Dawn FM, der immer wieder eine Art chorisches Gewissen darstellt und damit der optimale Gegenpol zu den hedonistischen Lyrics des Protagonisten ist. Und Ideen wie diese sind es ja letztendlich auch, die dieses Album hier zu mehr machen als nur einem ziemlich guten Nachfolger zu einem großen Vorgänger. Denn was hier passiert, zeigt the Weeknd vielleicht nicht so sehr als besseren Songwriter, sehr wohl aber als talentierten Erzähler, der es hier erneut schafft, seine eigenen Geschichten weiter zu verknüpfen und zu einem Gesamtnarrativ zu machen, das ich echt spannend finde. Wenngleich Dawn FM also sicherlich nicht sein musikalisch bestes Album ist, ist es doch sein bisheriges Highlight in konzeptueller Hinsicht. Wobei ich an dieser Stelle ja sogar fast argumentieren würde, dass man es auch nur dann versteht, wenn man schon After Hours verstanden hat.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
Gasoline | How Do I Make You Love Me? | Sacrifice | Every Angel is Terrifying | Don't Break My Heart | Less Than Zero | Phantom Regret By Jim

Nicht mein Fall
A Tale By Quincy | Here We Go...Again


Hat was von
Daft Punk
Tron: Legacy

Kavinsky
Outrun


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen