Mittwoch, 26. Januar 2022

Boris for Enjoyers

Boris - W
BORIS
W
Sacred Bones
2022
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ ätherisch | geisterhaft | verdröhnt ]
 
Ich sage es wie es ist: Das Leben ist eindeutig zu kurz, um bei einer Band wie Boris wirklich den Überblick über ihren kompletten Katalog zu behalten und sich auf eine Weise intensiv mit jeder Veröffentlichung auseinanderzusetzen, wie sie das zum Teil vielleicht verdient hätte. Allein mit dem Zeug, das die JapanerInnen an Material Jahr für Jahr auffahren, könnte ich mitunter wahrscheinlich ein separates Format füllen, das mich ebenfalls ganz gut auslasten würde und gerade zuletzt ist in der Diskografie von Boris nochmal jede Menge passiert. Seit No, dem letzten 'richtigen' Album der Gruppe, das ich ausführlich auf diesem Format besprochen habe, sind inzwischen gute anderthalb Jahre ins Land gegangen und schon in diesem kurzen Zeitraum fällt es mir schwer, jedes ihrer Releases überhaupt so richtig zu erfassen. Das lag zum einen auch ein bisschen daran, dass die JapanerInnen in dieser Zeit ein bisschen ihr Archiv ausmisteten und zahlreiche alte Studiosessions und Schubladenplatten dropten, eine vollwertige Kollaboration mit Merzbow sowie ein komplett neues Livealbum waren aber auch dabei. Und jetzt eben noch der eigentliche Nachfolger zu No, der nach so viel Output seitens der Band schon fast im Rauschen ihres Releasekalenders fast schon unterzugehen droht. Was aber schade wäre, denn betrachtet man tatsächlich mal nur die ganz offiziellen LP-Drops von Boris ohne irgendwelche Anhänge oder Archivsachen, lässt sich seit etwa drei Jahren durchaus ein ziemlicher Lauf bei den JapanerInnen feststellen, der in meinen Augen eine ihrer besten Karrierphasen überhaupt sein könnte. Seinen Anfang hatte selbiger für mich dabei bereits 2019 mit LφVE & EVφL, erst mit dem Nachfolger No kam die ganze Sache aber richtig in die Gänge und setzt sich mit W nun auch weiter auf einem spannenden Niveau fort. Wobei man deshalb natürlich nicht denken darf, dass Boris diese Kontinuität damit erreicht hätten, dass sie beharrlich einen Stil verfolgen würden. Viel eher stehen die letzten Sachen der Band ein bisschen für den erfolgreichen Versuch, alle ihre musikalischen Steckenpferde auf einmal zu reiten und als Zwischensumme das beste aus allem zu präsentieren. Schon No fühlte sich mit seinem Rundumschlag von Noiserock, Hardcore, Crustpunk und diversen Metal-Gattungen eher an wie ein stilistisches Best-Of der JapanerInnen und obwohl W an vielen Stellen klanglich zusammenhängender ist, macht es ebenfalls wesentlich mehr als nur eine Sache. Wobei sich diese Vielfalt hier auch eher in einer schwer zu bezeichnenden Grundästhetik manifestiert, die Boris dafür auf fast allen Songs sehr ähnlich behandeln und die vor allem in sich mysteriös ist. Viele bezeichnen diese in Ermangelung von Zuschreibungsbegriffen gerade als Postrock, was grundsätzlich auch nicht komplett verkehrt ist, der Sache aber auch nicht im mindesten gerecht wird. Denn zu benennen ist die Art, wie auf dieser LP Elemente aus Drone, Shoegaze, Ambient und Noise zusammenfließen, ganz einfach nicht wirklich. Und da reden wir noch gar nicht von Songs wie the Fallen oder Old Projector, die mit ihren fetten Schrammelgitarren eher in eine Sludge-Richtung gehen oder darüber, dass letzterer Song im Mittelteil auch einen ziemlich präsenten Dub-Einschlag hat. Wie auch immer man das hier jedoch nennen will, fantastich gemacht ist es in jedem Moment und überzeugt mich in seiner Gesamtheit gleich noch mehr davon, dass diese Band gerade in einer echt spannenden Phase ist. Nach dem sehr klobigen Brocken, der No vor anderthalb Jahren war, ist das hier zwar eher wieder eine ihrer ruhigeren Sachen und dem Shoegaze-Entwurf von LφVE & EVφL wesentlich ähnlicher, energetisch und klanglich ist es aber nochmal die entscheidende Schippe obendrauf, die es zu einem wirklich tollen Album macht. Wenn man es so will, dem in meinen Augen besten der Gruppe seit Gensho von 2016, das in ihrem offiziellen Kanon ja auch nur halb zählt, weil es eine Kollaboration mit Merzbow war und zudem nur zum Teil aus neuen Songs bestand. Und wenn es in diesem Moment eines geleistet hat, dann mich von einem neugierigen Beobachter des Outputs von Boris zu einem Befürworter des selbigen zu machen, der spätestens jetzt ein bisschen tiefer in die Materie dieser Band eintauchen will. Selbst wenn das in meinem Fall erstmal nur heißt, dass ich von ihrem gesamten Material jetzt vielleicht die Hälfte statt nur einem Drittel hören werde. Aber irgendwo muss man ja schließlich anfangen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
I Want to Go the Side Where You Can Touch... | Icelina | Invitation | the Fallen | Old Projector | You Will Know (Ohayo Version) | Jozan

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Tiny Isles
the Long Seasoned Sleep

Yo La Tengo
We Have Amnesia Sometimes


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