Montag, 17. Januar 2022

Happier Than Ever

Earl Sweatshirt - Sick!
EARL SWEATSHIRT
Sick!
Tan Cressida | Warner
2022
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ stückig | spontan | abstrakt ]
 
Um an dieser Stelle mal mit der vielleicht einzigen wirklich guten Nachricht anzufangen und auf eine der Fragen zurückzukommen, die ich nach dem Release seiner letzten Platte noch hatte: Es ist schön zu sehen, dass der Earl Sweatshirt von 2022 es anscheinend endlich geschafft hat, eine feste künstlerische Identität aufzubauen und nun inzwischen seit ein paar Jahren die Musik macht, die sowohl seiner Arbeitsweise als auch seiner künstlerischen Vision eingermaßen entspricht. Denn verdient hat er es auf jeden Fall. Wie wir aus der Vergangenheit wissen, war die Sinnsuche des Kaliforniers ja die gesamten Zwotausendzehner über ein bestimmender Konflikt seiner Karriere und nicht selten auch ein Faktor, der seinen Output künstlerisch beschnitt und immer wieder zu Orientierungswechseln zwang. Und dass diese Phase jetzt vorüber zu sein scheint, zeigt sich für mich zumindest darin, dass er den spätestens 2018 auf Some Rap Songs eingeschlagenen Weg über die letzten drei Jahre relativ konsequent weiterverfolgt hat und am Grundkonzept nur noch wenig abändert. Sei das in Form der 2019 veröffentlichten EP Feet of Clay, die inklusive ihrer Deluxe-Version von 2020 ja fast schon ein weiteres Album war oder mit seinen zahlreichen Auftritten als Featuregast, die ebenfalls eine deutliche Tendenz seiner künstlerischen Arbeit aufzeigten. Denn wenn man Earl 2022 einem größeren Trend innerhalb des Hiphop-Kosmos zuordnen kann, dann doch am ehesten der abstrakten Indierap-Bubble um Leute wie Armand Hammer, R.A.P. Ferreira oder Quelle Chris, die mehr denn je in Richtung einer impressiven Kunstigkeit abdriften, die mich persönlich ja auch stark anzieht. Und obwohl ich finde, dass diese ästhetische Richtung für jemanden wie Earl grundsätzlich eine sehr passende ist und auch der immer schon sehr subtilen Angepisstheit seines Materials gerecht wird, habe ich doch nicht erst seit gestern einige Probleme mit den Produkten, die aus dieser Motivation heraus bisher entstanden sind. Schon in meinem Artikel zu Some Rap Songs äußerte ich diese ausführlich und auch wenn ich zwischendurch viele kleinere Sachen von Earl sehr mochte, empfinde ich grundsätzlich immer noch ähnlich. Vor allem auch deshalb, weil sein neuestes Album Sick! eben genau diese Probleme wieder auf den Plan bringt und für mich sehr unmissverständlich klar macht, dass sich seit besagtem Vorgänger wenig geändert hat. Wieder hat Earl Sweathirt hier gute drei Jahre gebraucht, um eine sehr unmotiviert und schludrig klingende Platte von nicht mal einer halben Stunde Länge fertigzustellen, die jetzt angeblich sein großes neues Statement sein soll, in Wahrheit aber eher einer glorifizierte EP gleicht. Und klar: Das alles ist irgendwie Teil seines Konzept und spricht auch für die neu gefundene Freiheit, die er inzwischen als Künstler hat, musikalisch finde ich es aber extrem mittelmäßig und frustrierend, weil es in keinster Weise das Talent abbildet, das dieser Rapper immer noch hat. Wobei wir an dieser Stelle auch wieder an den Grundkonflikt kommen, der schon meine Gedanken zu Some Rap Songs bestimmte: Kann man so eine gurkige Platte verurteilen, wenn sie doch offenkundig aus einem psychischen Setting und einer Arbeitsatmosphäre kommt, die der Künstler selbst als heilsam empfindet? Beziehungsweise: Sind andere, in meinen Augen weitaus bessere Platten wie Doris oder I Don't Like Shit allein dadurch weniger wert, weil sie Produkt einer eher repressiven Atmosphäre waren, die ihr Schöpfer mittlerweile verurteilt? Ich für meinen Teil kann diese Fragen inzwischen ziemlich klar damit beantworten, dass wir hier von zwei getrennten Sachen reden. Dass sich Earl Sweatshirt 2022 von den Fängen der Musikindustrie losgesagt hat und künstlerisch sein Ding macht, finde ich menschlich fair und klasse, seine Musik ist seitdem aber trotzdem um ein vielfaches schlechter geworden. Und alles, was ich über ein Album wie Sick! zu sagen habe ist, dass es diesen Trend zementiert. Was auf eine gewisse Weise okay ist, weil ich wenigstens weiß, dass Earl selber das so will. Und abgesehen von mir scheinen die Leute seine neue Ausrichtung ja auch zu mögen, weshalb es wahrscheinlich objektiv das richtige ist. Wobei ich natürlich auch nicht böse wäre, wenn von diesem Typen irgendwann demnächst nochmal eine richtig gute Platte kommt, die mich tatsächlich so begeistert wie seine alten Sachen. Denn wie gesagt, an seinem eigentlichen Können scheitert es nicht.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠⚫⚫⚫⚫ 06/11

Persönliche Höhepunkte
Old Friend | Vision

Nicht mein Fall
Tabula Rasa


Hat was von
Armand Hammer & the Alchemist
Haram

Milo
So the Flies Don't Come


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen