Samstag, 8. Januar 2022

Songs für die Ewigkeit: They Call It Merther

Ini Kamoze - World a Music / Call a Taxi
SONGS FÜR DIE EWIGKEIT
INI KAMOZE
World A Music
aus dem Album Ini Kamoze
1983

 
 
 
 
 
 
 
 
Es gibt ja unter Musikfans und Kenner*innen des gängigen Dub- und Reggaekanons der letzten 50 Jahre durchaus jene Spielverderber, die da behaupten, World A Music wäre erst durch das Zutun von Damian Marley richtig groß geworden und dass dieser Song, hätte selbiger ihn nicht 2005 in seinem ersten richtigen Hit Welcome to Jamrock versamplet, niemals diese Art von Tragweite für die gesamte Szenekultur erreicht hätte. Und obgleich ich finde, dass derlei Behauptungen schon ein wenig die Strahlkraft des Originals schmälern, muss ich ihnen doch in vielen Punkten beipflichten. Denn was Damian Marley in diesem Fall geleistet hat, war schließlich die Art von Bearbeitung des Ursprungsmaterials, die ein gutes Sample eben im besten Fall leistet: Es nimmt die wirklich interessanten Parts des eigentlichen Songs und baut daraus eine neue Grundstruktur, die sich eben ausschließlich auf die Momente darin beziehen, die ultimativ catchy sind. Was im Fall von Welcome to Jamrock bedeutet, dass sich zum einen sehr großzügig an den instrumentalen Strophenparts von World A Music bedient wird, zum anderen - und das ist der eigentlich wichtige Teil des Flips - an einem Gesangssample aus dem Schlussteil der ersten Strophe: "out in the streets, they call it merther" - Ein Exzerpt des Originals, das mittlerweile als eine Art universeller Slogan in die Folklore der Reggaekultur - vor allem in deren technoider Drum & Bass und Jungle-Abteilung - eingegangen ist und inzwischen um einiges mehr an Symbolik mitbringt als irgendein Song, in dem diese Zeile vorkommt. Wobei sie dabei meistens in Verbindung mit der einen Sache gebracht wird, auf die sie sich inhaltlich auch bezieht: das Kiffen. "Merther" bezeichnet als karibischer Slangbegriff sehr direkt die Art von Rauscherfahrung, die das Konsumieren des bösen Brokkoli auslöst und die im kulturellen Kanon des Reggae natürlich immer wieder eine bedeutende Rolle spielt. Die bittere Ironie dabei: Sieht man sich die Lyrics von World A Music mal in ihrer ursprünglichen Bedeutung mal genauer an, ist das hier eigentlich ein Song gegen das Kiffen, in dem die Verbindung der Reggae-Kultur mit einer omnipräsenten Rauschkultur ganz klar verurteilt wird. Vor allem in der ersten Strophe, aus der heraus ja auch unsere berüchtigte Zeile stammt und es darum geht, wie sehr Kamoze auf Parties von haufenweise Kiffern genervt ist, die ihm beim Tanzen auf die Pelle rücken und den Abend vermiesen, was ein sonderbar spießiges Narrativ für einen Song wie diesen zu sein scheint. Nimmt man jedoch den Rest des Songs und vor allem die zweite Strophe dazu, ergibt sich für mich am Ende doch eine sehr ansprechende Message, die tatsächlich ein größeres Bild zeichnet:

Denn wie der Titel des Songs schon mehr als deutlich suggerriert, soll es hier ja vor allem um Musik gehen. Und das tut im großen und ganzen es auch. Wenn man die lyrische Richtung des Tracks mal ganz einfach zusammenfasst, dann drückt diese am ehesten die Überzeugung aus, dass es die Musik selbst ist, von der man high werden sollte und die zur Verbesserung der Welt beiträgt und eben nicht die Drogen, die viele anscheinend als Katalysator dafür benutzen. Eine Haltung, die ich in ihrer Gesamtheit dann irgendwie doch sehr weise finde und die sich im Grundsatz ja auch auf wesentlich mehr bezieht als nur auf Ini Kamozes Plädoyer für Nichtraucherbereiche in Tanzlokalen. Da hier vor allem auch im Mittelpunkt steht, wie wichtig Musik zur gegenseitigen Verständigung sein kann. Wobei diese im eigentlichen Song natürlich auch durchweg großartig und an manchen Punkten sogar sehr bezeichnend für ihre Zeit ist. Denn was Ini Kamoze zusammen mit seinen Producern Robbie Shakespeare und Sly Dunbar auf diesem Stück schafft, ist ein durchaus nicht uninteressantes Mischwesen aus den Roots-Traditionen der frühen Siebziger und einem schlussendlich doch sehr starken Dub-Einschlag, der in der letzten Phase des selben Jahrzehnts der heiße Sound der Stunde war. Wobei man streng genommen sagen muss, dass World A Music an sich bereits eine Art Dub-Bearbeitung darstellt, da es sich ganz wesentlich an Motiven aus dem Song This is Reggae Music von Zap Pow aus dem Jahr 1973 bedient und dabei schon die genretypischen Bass-Booster und Rhythmusverzögerungen anwendet. Wo der Track im ersten Teil aber noch eher unwesentlich anders ist als ein herkömmlicher zeitgemäßer Roots-Track, verdubbt er sich im zweiten Teil nochmal quasi selbst und das auch nicht gerade auf subtile Weise. Im Mittelteil hört man vom Instrumental des Songs fast nur noch Drums und Bass sowie Kamozes mit tausend Layern Echo überschminkte Stimme, die sich auch lyrisch stärker zurücknimmt und damit vollends den Weg für den kosmischen Bombast eines Dubs frei macht. Wobei dieser Ansatz für die Zeit dann doch eher untypisch war. Normalweise war es in den Single-Releases ja eigentlich üblich, die Dub-Bearbeitung eines Stücks erst als eine Art Remix auf dessen B-Seite zu pressen, weil diese Variante meist viel besser auf einem Soundsytem klang. World A Music jedoch macht hier beides in einem Rutsch und gewinnt dadurch nicht zulezt ungemein an Vielseitigkeit. Denn wäre es nicht um dieses eingebaute Stilelement, wäre das Ergebnis hier sicherlich ein ganzes Stück monotoner und einfältiger geworden. Und so ist es zwar auch noch eine Nummer mit Ecken und Kanten, die nicht in allen Momenten zu hundert Prozent harmonisch klingt, die gerade dadurch aber auch klassischen Reggae-Hörgewohnheiten ein Stückweit entwischt und zumindest mich damit lange verstört hat. So oder so ist World A Music aber ein großartiger Song, der auf die eine oder andere Weise auch objektiv seine Spuren in der Historie jamaikanischer Popmusik hinterlassen hat, ob nun durch sich selbst oder durch seinen Einfluss auf Andere. Wobei ich eines zum Abschluss als positive Nachricht sagen kann: Bisher ist mir noch kein Song mit Bezug auf diesen hier untergekommen, den ich nicht zumindest ein bisschen cool fand. Und das ist bei so viel Omnipräsenz schon irgendwie eine Leistung.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen