Sonntag, 23. Januar 2022

Alles offen

Dylan Dylan - Euphoria
DYLAN DYLAN
Euphoria
Lost Palms
2022
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ vielschichtig | clubbig | mystisch ]
 
Ich habe an dieser Stelle anscheinend keine andere Möglichkeit als für das neue Album von Dylan Dylan ins kalte Wasser der kritischen Auseinandersetzung zu springen und allem Anschein nach einer der ersten zu sein, der im Internet überhaupt darüber schreibt. Eine Aufgabe, die ich aufgrund der wenigen Informationen, die ich über die Künstlerin dahinter überhaupt finden kann, eher ungern übernehme und bei der ich erstmal gar nicht so richtig weiß, was ich euch eigentlich erzählen soll. Von den groben Fakten her ist lediglich klar, dass Dylan Dylan (der extrem schlecht googlebare Name erschwert die Recherche zusätzlich) aus Montpellier in Frankreich kommt, vorher bereits unter den Monikern Elize und GVRL aktiv war und Euphoria aktuell nicht nur ihr erstes offizielles Album ist, sondern auch das erste Longplayer-Release des englischen Lost Palms-Labels, auf dem sie dieses veröffentlicht. Dass hier also alles noch ziemlich frisch ist und diese Künstlerin sich strukturell gerade erst selbst findet, sollte also schon anfangs klar werden. Wobei ich in vielen Punkten auch ein bisschen das Gefühl kriege, dass das Blatt hier absichtlich sehr weiß gelassen wurde und Dylan Dylan als Künstlerin gar nicht so präsent sein will. Ob nun aber beabsichtigt oder nicht, eigentlich ist es auf diese Weise sogar ganz cool. Denn so wie die Informationslage über die Person hinter den Songs ist, kann ich an dieser Stelle gar nicht anders, als selbige erstmal für sich sprechen zu lassen und ohne großen Kontext an Euphoria heranzugehen. Was die ganze Sache für mich auch wesentlich leichter macht, denn in dieser Hinsicht gibt es hier auf jeden Fall viel positives zu berichten. Zwar ist die LP als künstlerische Visitenkarte der Französin im Prinzip auch nicht mehr als eines der vielen intelligent-entrückten Deep- und Techhouse-Alben, von denen es die letzten Jahre über schon recht viele gab und das sich nicht durch eine wirklich prägnante kompositorische Handschrift auszeichnet, uninteressant ist es deshalb aber noch lange nicht. Denn indem sich Dylan Dylan hier an einer sehr vielschichtigen und bunten klanglichen Palette bedient, bastelt sie mit so gut wie jedem Song eine andere kleine Expedition in die verfaserte Welt der elektronischen Tanzmusik, bei dem selbst ich als verhältnismäßiger Noob vieles wiederkenne und zuordnen kann. So hat FTA mit seinen stoisch gesampleten Sprachloops einen nicht zu unterschätzenden Footwork-Einschlag, the Walk Through the Park bringt plätschernden Liquid Drum & Bass ins Spiel, Charonne und I Got A Feeling haben jeweils ein paar sehr charakteristische Deep House-Bässe im Mix und You erinnert mit seinen soften Drums und Vokaleinspielungen fast schon an Downtempo oder Triphop. Gemeinsam haben dabei so gut wie alle Songs ein stabiles Gerüst aus fluffigen Techno- beziehungsweise House-Elementen, das Euphoria an vielen Punkten effektiv davon abhält, zum unkoordinierten Werkschau-Projekt zu werden und in seiner eigenen Vielschichtigkeit unterzugehen. Und obwohl die Stimmungen auf den einzelnen Stücken sehr unterschiedlich sind und von rhythmisch-clubbig bis loungig-gechillt quasi alles dabei ist, bleibt der ästhetische rote Faden der Platte doch relativ stetig und wahrnehmbar. Viel wichtiger ist aber eigentlich die Feststellung, dass Dylan Dylan sich an so gut wie keiner ihrer Machenschaften irgendwie verhebt und sämtliche Exkurse dieses Albums erstaunlich nonchalant meistert. Der einzige etwas weniger gelungene Song auf Euphoria ist in meinen Augen ein unscheinbares Interlude, das im großen Sammelsorium von tollen Track kaum ernsthaft stört. Und obwohl es dabei in vielen Momenten ziemlich eindeutig ist, bei welchen Leuten die Französin ihre Notizen gemacht hat, will ich ihr das doch nicht zum Vorwurf machen. Denn weder ist unter diesen elf Tracks ein allzu offensichtlicher Abklatsch eines bestimmten Motivs, noch muss ich mir auf einem so unscheinbaren Debütalbum deswegen sorgen machen. Sicher wäre es spannend mit anzusehen, wie Dylan Dylan auf ihren nächsten Platten eine stärkere künstlerische Signatur entwickelt und mehr ihr eigenes Ding macht, neugierig bin ich darauf aber auch nur deshalb, weil sie es schon hier mächtig drauf hat und ihr nach diesem Einstand stilistisch alle Türen offen stehen. Dann hoffentlich auch mit etwas mehr Kontext.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
Intro | FTA | the Walk Through the Park | Charonne | You | I Got A Feeling | Altered Ego | Where Have You Been? | Lootus

Nicht mein Fall
Interlude #1


Hat was von
Booka Shade
Movements

Project Pablo
I Want to Believe


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