Samstag, 13. April 2024

Mein Mix: Abba


 

Okay, ich probiere nach langer Zeit mal wieder was neues auf diesem Format aus. Beziehungsweise ist das, was ich mit diesem Post hier versuche nur der Überrest von meiner eigentlichen Idee von irgendwann, einen Diskografie-Guide über den Katalog von Abba zu schreiben. Denn eigentlich hätten sie sich perfekt für diese Sorte Artikel geeignet. Abba fielen zumindest bis zu ihrem Comeback 2021 unter die von mir gestellte Maßgabe, dass ihr Oeuvre als Band abgeschlossen ist und ich tatsächlich alle Platten gehört hatte, die zum offiziellen Studiokatalog gehören. Nicht nur machte mir dann aber besagtes neues Album vor zwei Jahren einen Strich durch die Rechnung, viel mehr fand ich es im Zusammenhang mit Abba irgendwie unpassend, über Longplayer zu sprechen. Denn wenn es etwas gibt, als das die Schweden meiner Ansicht nach nie funktioniert haben, dann als eine Albumband. Hätte ich den Artikel über sie so oder so ähnlich gemacht wie 2020 bei the Prodigy, hätte ich vielleicht zwei ganze Langspieler gehabt, die ich wirklich hätte empfehlen können und es wäre womöglich der Eindruck entstanden, dass ich Abba gar nicht so gut finde. Das wäre aber total falsch gewesen, da Abba eine meiner absoluten Lieblingsbands sind und für mich persönlich sogar die erste, die ich in meinem Leben als solche bezeichnete. Nur ist das Problem bei ihnen schon immer gewesen, dass ihre besten Songs auch die erfolgreichsten Singles waren und sie die meisten ihrer Alben mit austauschbaren Deep Cuts vollmachten, die wirklich kein Mensch braucht. Ausnahmen werden wir in dieser Liste sehen, die bestätigen aber wie immer eher die Regel. Um also einen für meine Eindrücke representativen Überblick ihrer Diskografie zu geben, sollte man sich eher die Einzeltracks ansehen. Wobei ich mir folgendes überlegt habe: "Mein Mix" soll eine Aufstellung von Songs sein, die ich als meine persönliche Playlist zu einem jeweiligen Act (oder vielleicht auch mal zu einem bestimmten Thema) definiere, stellt also kein Ranking dar und setzt den Fokus darauf, dass die Abfolge der Tracks eine gewisse Dramaturgie hat. Im Optimalfall bietet sie dabei einen gewissen Querschnitt des Oeuvres von besagtem Act, ich werde allerdings nicht pedantisch darauf achten, dass jedes Album oder jede Phase repräsentiert ist. Kurzgesagt will ich in dieser Rubrik einfach Lieblingssongs vorstellen und euch dabei die praktische Handhabe einer kuratierten Playlist mitgeben. Und da sich nun bald auch zum fünfzigsten Mal ihr Durchbruch mit dem Grand Prix-Sieg 1974 jährt, könnte der Zeitpunkt ja auch nicht besser sein.



1. Dancing Queen
aus dem Album Arrival (1976)
Klassische Eröffnung mit dem vielleicht größten Hit der SchwedInnen, der für mich der perfekte Moodsetter für eine Playlist wie diese ist. Ganz abgesehen davon, dass dieser Track wahrscheinlich niemandem unbekannt sein wird, bringt er zu Anfang auch die komplette Basisformel von Abba zu ihren besten Zeiten an den Start: Eingängiges Discopop-Songwriting mit kreativem Synth-Einschlag, einer unschlagbaren Hook und der gesanglichen Harmonie von Anni-Frid Lyngstad und Agneta Fältskog im Zentrum. Braucht man als Einstiegsdroge, ehe man mit den Deep Cuts anfangen kann.
 



2. Does Your Mother Know
aus dem Album Voulez-Vous (1979)
Does Your Mother Know war im Frühjahr 1979 zwar auch eine Singleauskopplung des in meinen Augen besten Abba-Albums Voulez-Vous, insgesamt zählt es aber zu den unbekannteren Nummern dieser Zeit. Das kann daran liegen, dass es mit Björn Ulvaeus am Leadgesang und einer eher im Glamrock angesiedelten Komposition nicht den typischen Abba-Sound repräsentiert, gerade das macht den Song für mich aber so interessant. Es gibt nicht viele (verhältnismäßig) rockige Nummern, die der Band in ihrer Karriere so easy von der Hand gegangen sind und sieht man mal von den etwas pädagogisch-moralisierenden Lyrics ab (wobei ich die Message nichtsdestotrotz irgendwie wertvoll finde) ist das hier eines der dicksten Bretter der SchwedInnen.





3. Angeleyes
aus dem Album Voulez-Vous (1979)
Gerade im Intro dieses Songs zeigt sich in meinen Augen ganz wunderbar die einzigartige Herangehensweise an Synthpop, die Benny Andersson zu Ende der Siebziger hin entwickelte und auf die ich in dieser Liste sicherlich noch öfter zu sprechen komme. Denn hier geht diese dann eben doch nochmal in einen dieser ganz klassischen Abba-Refrains über, die man auch eher aus der Frühphase der Band kennt, womit das hier einer der Tracks ist, der für mich einen Übergangspunkt in ihrer Stilistik darstellt. Fun Fact: Aus dem selben Jahr gibt es auch einen Song namens Angel Eyes von Roxy Music, der mindestens genauso ein Banger ist.
 



4. Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight)
aus dem Album Voulez-Vous (1979)
Voulez-Vous ist an vielen Punkten das definitive Disco-Album von Abba, an keinem Song jedoch merkt man das so sehr wie an diesem hier. Benny Anderssons Synth-Wände sind darauf nicht zum letzten Mal mehrstufig aufgebaut und der digitale Bass drückt schon fast auf Giorgio Moroder-Niveau, während sich durch all das Gepumpe aber trotzdem noch einige der stärksten Melodieführungen der gesamten Band-Diskografie zieht. Nicht nur in Form des unsterblichen Keyboard-Riffs, das eine ultimative Essenz von Abba-Songwriting ist, sondern auch in der einmal mehr perfekt abgeschmeckten Vokalharmonie im Refrain. Tanzbarer ist wahrscheinlich kein Song ihres kompletten Katalogs.
 



5. Lay All Your Love On Me
aus dem Album Super Trouper (1980)
Ende der Siebziger war Benny Andersson einer von vielleicht zehn Musiker*innen weltweit, die im Besitz des bis heute revolutionären Luxus-Synthesizers Yamaha GX-1 waren, weshalb die Abba-Alben der frühen Achtziger einige der ganz wenigen sind, auf denen man dieses Gerät in vollem Glanz hört. Wobei Andersson als Keyboard-Frickeler der ersten Stunde zum Glück auch jemand ist, der dieses Monstrum spielen konnte, wie man auf Lay All Your Love On Me eindrücklich hört. Die Tiefenschärfe der synthetischen Flächen ist klanglich noch immer ziemlich einzigartig und der Track daher noch immer einer, von dem eine seltsame Magie ausgeht. Ganz abgesehen davon, dass spätestens hier die songwriterische Abba-Inkarnation der Achtziger geboren ist.
 



6. If It Wasn't For the Nights
aus dem Album Voulez-Vous (1979)
Unfassbar, dass dieser Song nach wie vor so ein unscheinbarer Deep Cut im Oeuvre von Abba ist. Klar, er wurde nie als Single veröffentlicht, das hat aber andere Songs der Band auch nicht daran gehindert, zu echten Klassikern zu werden. Und diesen hier hielt ich tatsächlich eine ganze Weile für den besten, den sie Schweden je gemacht hatten. Er vermischt den typischen Disco-Sound von Voulez-Vous mit einem Touch von amerikanischen AOR-Ideen und sogar Country, die oft aber für die entscheidende Würze sorgen. Wie ein Song, den Carly Simon oder Stevie Nicks vielleicht geschrieben hätte, wäre sie zur damaligen Zeit bunter unterwegs gewesen.
 



7. Head Over Heels
vom Album the Visitors (1981)
Die ursprüngliche Schlussphase um Abba rund um das Album the Visitors von 1981 hat allgemein wenige Fanfavoriten produziert, in meinen Augen finden sich hier aber nochmal einige der größten Perlen der Band. Head Over Heels ist einer davon, der Synthesizer deutlich prominenter einsetzt als die meisten Songs von Super Trouper und nach einem Versuch klingt, den Sound von Abba in die Achtziger zu hieven. Lange Zeit war ihnen dabei nicht mehr vergönnt, aber mit seiner vielfältigen Soundpalette und einigen angespitzten Momenten (auch im Gesang) hätten Abba vielleicht noch einen Platz als Trittbrettfahrende der ersten New Wave-Welle gefunden, die kurze Zeit später einschlug. 
 



8. My Mama Said
aus dem Album Waterloo (1974)
Wie dieser Song zeigt, waren Abba schon auf ihrem zweiten Album Waterloo von 1974 am Thema Disco dran, das damals aber allgemein noch ein wesentlich archaischeres und rustikaleres Unterfangen war. Folglich erinnert auch ihr Take auf My Mama Said noch an die Ausläufer des Funk und Leute wie Marvin Gaye und Curtis Mayfield. Inklusive fetziger Bassline und frivolem Schlafzimmer-Keyboard, die das hier vielleicht zu der souligsten Nummer machen, die die Schweden jemals schrieben. Das coole dabei ist, dass sie hier trotzdem unpeinlicher kriegen als die meisten europäischen Bands, die früher oder später weitaus "authentischere" Annäherungsversuche in Richtung Funk unternahmen.
 



9. Knowing Me, Knowing You
aus dem Album Arrival (1976)
Ich hatte die Liste eigentlich schon fertig, als mir dieser Song nochmal in die Hände fiel und ich realisierte, wie großartig er eigentlich ist. Irgendwie ein Klassiker der Band und irgendwie auch ewig vergessen, zählt er in gewisser Weise zu den rockigeren Abba-Nummern und ist auf jeden Fall der Track mit ihrem besten Gitarrensolo. Dabei ist er auch einer der vielen echt ominösen, aber starken Breakup-Songs, die die Band geschrieben hat und in diesem Fall mal ausnahmsweise mal einer ohne toxische Untertöne.
 



10. Kisses of Fire
aus dem Album Voulez-Vous (1979)
Kisses of Fire war 1979 die B-Seite der Single Does Your Mother Know, was in meinen Augen ein Frevel ist. Denn nicht nur ist dieser Song der marginal bessere der beiden, er funktioniert vor allem wesentlich besser als Single. Zwar könnte man argumentieren, dass er anderen Tracks auf Voulez-Vous wie Angeleyes und If It Wasn't For the Nights recht ähnlich ist, die wurden aber auch nicht als Singles (oder zumindest nicht als A-Seiten) veröffentlicht. Wahrscheinlich (und das ist allein meine wilde Spekulation) sollte mit Does Your Mother Know einfach die ansonsten stark vernachlässigste Rock-Community angefüttert werden, die aber ohnehin schon wenig von Abba hielt. Man hätte sich das ganze also sparen und einfach gleich Kisses of Fire auf die A-Seite packen können. Meine Meinung.
 



11. Watch Out
aus dem Album Waterloo (1974)
Wo wir gerade von der Rock-Community sprechen: Das hier ist ein weiterer verhältnismäßig rockiger Song von Abba, der ähnlich wie der Titelsong auf dem gleichen Album viel Inspiration von der britischen Glam-Bewegung mitnimmt. Ein besonderes Kuriosum, dessen Entdeckung ich für mich beanspruche: Drums und Gitarren des Tracks wurden wahrscheinlich in der Aufnahme beschleunigt (was zugegebenermaßen ziemlich offensichtlich ist) und ergeben so einen fetzigeren, rockigeren Sound. Wer es aber genau wissen will, spielt das Ding mal bei Youtube auf 75-prozentiger Geschwindigkeit ab und erhält ein Gitarrenriff, das auch von Tony Iommi hätte stammen können.
 



12. Move On
aus dem Album The Album (1977)
Zugegeben, ein bisschen habe ich mit diesem Song das Problem, dass er zu sehr in Siebzigerpop-Klischees wie verhallten Spoken Word-Intros und käsigem Exotismus verloren geht, dafür ist die Instrumentierung und Produktion hier ein echtes Highlight: Angefangen von der leicht südamerikanisch angehauchten Kombination aus Flöte und Gitarre über den typisch andersson'schen Synth-Touch im Abgang bis zu der respektablen Wall of Sound, die zu 50 Prozent nur aus den Vocals von Fältskog und Lyngstad zu bestehen scheint ist das hier ein echtes Kunststück an tonalem Layering, das nur ein etwas feingeistigeres Songwriting hätte vertragen können.
 



13. Fernando
veröffentlicht als Single (1976)
Fernando ist einer meiner schlagerigsten Abba-Favoriten und hat wie Move On auch ein bisschen das (theoretische) Problem, unnötig exotistisch zu klingen. Hier ist das aber eher schmückendes Beiwerk für einen kompositorischen Kern, der einfach nur ein richtig guter Siebziger-Popsong ist und allein durch seine Hook großartig funktioniert. Und in diesem Fall geben die verkitschten Snares und Flöten auch eher was zur Qualität des Songs hinzu, als davon abzutragen.





14. Super Trouper
aus dem gleichnamigen Album (1980)
Vielen Songs auf dem Album Super Trouper merkt man ein bisschen den Versuch an, den Abba-Sound der Siebziger um neue Elemente zu ergänzen, die vor allem die erweiterten technischen Möglichkeiten channeln, die die Band zu dieser Zeit hatte. So auch im Titelsong, dessen wesentlicher Bestandteil für mich ein kompositorischer Kniff ist, der sicher erst auf den zweiten Blick auffällt: Der prominente Synth-Bass im Refrain. Abgesehen davon ist Super Trouper einer der ganz wenigen von Abba, die ich vordergründig ihrer Lyrics wegen schätze.





15. Under Attack
veröffentlicht als Single (1981)
Man könnte Under Attack als letzte offizielle von Abba vor ihrer Trennung 1982 bezeichnen, erschien danach doch nur eine Neuveröffentlichung von Thank You for the Music, das eigentlich schon 1977 auf the Album zu hören war. Auch auf dem bis dahin letzten Longplayer the Visitors ist der Track nicht enthalten, was ihm ein seltsames Schattendasein verpasst. Sicherlich klingt er von allen Abba-Singles auch am wenigsten nach ihnen selbst, ist er doch einer der ganz wenigen, der im Gesang mit starken Verfremdungseffekten arbeitet und einen großen Schritt in Richtung des Synthpop der Achtziger macht. Ich mag ihn dabei als eigentümliche Wildcard, die allermindestens zeigt, wie die Band sich auch in den letzten Atemzügen ihres damaligen Bestehens noch weiterentwickelte.





16. One of Us
aus dem Album The Visitors (1981)
Wie viele europäische Bands Anfang der Achtziger blieben auch Abba nicht von einem hingeschusterten Reggae-Crossover verschont und obwohl One of Us definitiv ganz weit von den Ursprüngen des Genres stattfindet und extrem weißbrotig klingt, finde ich die Umsetzung hier doch gelungen. Gerade auch deshalb, weil der Song eben nicht wie viele andere aus dieser Zeit versucht, inhaltlich irgendeine Sommer- oder Urlaubsthematik aufzumachen, sondern im Gegenteil sogar einer der vielleicht melancholischsten ist, den Abba je geschrieben haben. 





 
17. Eagle
aus dem Album The Album (1977)
Wenn ich einen Song als meinen definitiv liebsten von Abba wählen müsste, dann wäre es in mindestens neun von zehn Fällen wahrscheinlich Eagle. In seinen mystizistischen Lyrics und der sehr amerikanisch klingenden Kompositionsweise channelt er irgendwie die psychedelische Energie eines Flowerpower-Rocksongs der Marke Steppenwolf oder CSNY, setzt das ganze aber fast komplett mit analogen Synths um, was auch irgendwie wild ist. Am ehesten erinnert er mich damit noch ab obskure Ostblock-Bands wie Karat, die zwei Jahre später ja auch einen bombastischen Synth-Prog-Song machten, bei dem es um einen Vogel geht. Ist vielleicht kein Zufall.
 




18. Happy New Year
aus dem Album Super Trouper (1980)
Keine Ahnung, ob der Plan hier eigentlich war, mit einem Feiertags-Song in eine Marktlücke vorzudringen, aber falls dem so ist, war das Vorhaben erfolglos. Denn nicht nur fehlt Happy New Year weitgehend auf einschlägigen Silvester-Playlisten (falls sowas überhaupt ein Ding ist), er wäre darauf auch fehl am Platz. Denn mit seiner tiefen Melancholie und den wenig optimistischen Ausblicken auf die Zukunft nimmt er eher die Scherbenhaufen-Stimmung von The Visitors vorweg und klingt mit seinem großzügigen Synth-Aufbau auch so. Einer meiner Lieblingssongs von Abba ist es aber gerade deswegen.




 
19. Chiquitita
aus dem Album Voulez-Vous (1979)
Auf dem groovigen und Dancefloor-zugewandten Voulez-Vous ist Chiquitita zweifelsohne einer der konservativsten Songs, der eher noch an die schlagerige Frühphase von Abba erinnert, dabei aber von der fetteren Produktion profitiert, die die Band derweile nutzen konnte. Gerade der Break am Anfang des ersten Refrains und die Reprise am Ende wirken vor allem dadurch, dass hier klanglich nochmal extra Zucker gegeben wird und der Song dadurch eine Dynamik erhält, ohne die er wahrscheinlich nur eine austauschbare Schnulzballade geblieben wäre.





20. Arrival
aus dem gleichnamigen Album (1976)
Das komplett textlose Arrival ist auch auf dem Album, als dessen Titelsong es fungiert, eher ein ästhetischer Appendix, der als solcher aber nicht zu verachten ist. Zum einen, weil es einer der ganz wenigen Tracks ist, in denen Abba auch Folk-Elemente aus ihrer Heimat einfließen lassen (zumindest meine ich, darin solche wiederzuerkennen), zum anderen ist es ein weiteres beeindruckendes Meisterstück der Synth-Künste von Benny Andersson, die hier mal ganz unverhohlen im Vordergrund stehen können. Für eine Playlist wie diese außerdem ein echtes Geschenk, da es perfekt als stimmiges Outro funktioniert.





 

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