Montag, 8. April 2024

Songs für die Ewigkeit: Hier kommt die Wand

SONGS FÜR DIE EWIGKEIT
THE RONETTES
Be My Baby
aus dem Album Presenting The Fabulous Ronettes Featuring Veronica (1964)
Philles | 1963
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Auf kurze Sicht betrachtet ist die Karriere der Ronettes keine, die mit besonderer Nachhaltigkeit gesegnet war. 1957 gegründet und etwas weniger als zehn Jahre aktiv, gab es von der Band während ihres Bestehens nur ein richtiges Album, die meiste Zeit in ihrer Laufbahn waren sie mehr oder weniger erfolgreich und wenn man allein nach Top Ten-Nummern ginge, könnte man das Argument anführen, dass sie technisch gesehen ein One Hit-Wonder waren. Wenn dies aber der Fall ist, dann sind sie eines von der Sorte, bei denen er eine Hit, den sie tatsächlich produzierten, musikalisch Berge versetzte. Denn nicht nur war der Track seinerzeit mordsmäßig erfolgreich, vor allem war er ein massiver Einfluss auf Bewegungen in der Popmusik, die man bis in die Neunziger weiterverfolgen kann. Wobei im Wesentlichen ein Stichwort die historische Bedeutung dieses Songs entscheidend zusammenfasst: Wall of Sound. Be My Baby ist das Stück, auf das das meiste zurückführt, wenn es um die Entwicklung dieser Produktionstechnik geht, die logischerweise auch direkt mit Sound-Meisterwerker (und verurteiltem Mörder) Phil Spector zusammenhängt. Zwar gab es schon ein Jahr vorher die von ihm produzierte Single He's A Rebel von den Crystals, auf der mit einem ähnlichen Klang experimentiert wurde, erst auf By My Baby fruchtete das Konzept aber wirklich: Wo es bei den Crystals eher eine verdichtete Instrumentierung gibt, die für die Vermischung der Sound-Flächen sorgt, kommt bei den Ronettes nicht nur noch mehr Werkzeug zum Einsatz, Spector nutzt auch wesentlich stärker Studioeffekte und verhallten Klang, um einzelne Spuren ineinander zerfließen zu lassen. Ganz davon zu schweigen, dass auch der Background-Gesang der Band selbst Teil der Klangmauer ist und einzig die Leadstimme von Ronnie Spector (damals, vor ihrer Heirat mit Phil Spector, noch Ronnie Bennett) sich wirklich aus dem Wirbel von Sounds absetzt. Aufgenommen wurden die zweieinhalb Minuten Song in insgesamt 42 Takes gemeinsam mit der legendären Wrecking Crew in den Gold Star Studios in Los Angeles, bei denen unter anderem auch eine komplette Streichersektion und zwei Schlagzeuge aufgenommen wurden. Ein Maximalismus, der sich auszahlte. In den USA und Großbritannien landete der Song in den Top Ten und ist bis heute der größte Hit der Ronettes. Viel entscheidender war aber der Weg, den der Song nach dem Ende der Band ging.
 
 

Einer der ersten großen Musiker, der Fan der Aufnahme war und den Song als Einfluss zitiert, war Brian Wilson von den Beach Boys, der sich für Pet Sounds an vielen Punkten von der Wall of Sound-Technik inspirieren ließ. Auch er nahm große Teile der Platte in den Gold Star Studios gemeinsam mit der Wrecking Crew auf und führte notorisch lange und minutiöse Sessions mit endlosen Takes und maximalistischer Instrumentierung durch, um den perfekten Sound zu erhalten. Dem Ergebnis hört man den Einfluss dann definitiv an und da auch Pet Sounds haufenweise andere Musiker*innen beeinflusste, trug es die Fackel der Wall of Sound im großen Stil weiter. Die Beatles bedienten sich in ihren späteren Jahren immer wieder an vergleichbaren Techniken und ihr Label holte Phil Spector ganz zum Schluss sogar als Produzent von Let It Be dazu, später nahm George Harrison mit ihm sein gefeiertes erstes Album All Things Must Pass auf. Einen immensen Einfluss hatte By My Baby im weiteren Sinne auch auf die erste Shoegaze-Generation der Achtziger, die sich mit wesentlich garagigeren Mitteln dem Aufbau einer Wall of Sound anschickten. Die sicherlich liebevollste Ronettes-Hommage stammt dabei von The Jesus & Mary Chain, die 1985 auf ihrer Durchbruchs-Single Just Like Honey das Schlagzeug-Intro von Be My Baby imitierten. Dieses war in den letzten 60 Jahren auch immer wieder die Grundlage für Samples, unter anderem für Songs von the Kills, Dan Deacon und Amy Winehouse. Von den unzähligen Coverversionen in allen möglichen Sprachen und der Verwendung des Songs in Filmsoundtracks haben wir da noch gar nicht angefangen. Obwohl Be My Baby also nicht innerhalb der großen Karriere einer Band stattfindet, sondern vielleicht eher in der großen Karriere eines Produzenten, ist es doch vor allem die Idee, die es so besonders macht. Und damit definitiv zu einem der besten und einflussreichsten Songs der Sechzigerjahre.




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