Sonntag, 7. April 2024

Die Wochenschau (02.04.-07.04.2024): Adrianne Lenker, Gossip, Kacey Musgraves und und und...


 

 
 
ABORTED
Vault of Horrors
Nuclear Blast
 
Die aktuellste Entdeckung meiner Streifzüge durch die Welt des Death Metal ist diese belgische Brutal Death-Institution, die in der Szene bereits seit Ewigkeiten auch weit über die Grenzen ihrer Heimat bekannt ist, mir aber völlig neu war. Ihr neuester Streich Vault of Horrors ist dabei ein sehr dichtes und technisch verklausuliertes Album, das noch dazu in jedem seiner zehn Songs tolle Gastmusiker*innen dazuholt. Das ist als Idee cool, aber auch einigermaßen sensationell in der Umsetzung. Denn mit so viel Technik und so vielen Köchen, die potenziell den Brei verderben können, leisten die Belgier hier gute Arbeit dabei, den Laden klanglich zusammenzuhalten. Außerdem bin ich großer Fan ihrer Detailverliebtheit auf diesem Album, die echt einen Unterschied macht und über die ganze Spieldauer für die Abwechslung sorgt, die bei einem so verdichteten Sound dringend notwendig ist. 

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11







KACEY MUSGRAVES
Deeper Well
Interscope

Man könnte es Kacey Musgraves zum Vorwurf machen, dass sie mit Deeper Well immer noch ein bisschen versucht, die neue Taylor Swift zu werden und sich mit ihrer Metamorphose vom Country- zum Songwriter-Pop-Sternchen an ein größeres Publikum heranwanzt. Aber sehen wir es mal so: Für diejenigen, die in Swifts Musik zuletzt die Vibes der Folklore- und Evermore-Periode vermissten, ist diese LP vielleicht ein richtig guter Anschlusspunkt. Denn Musgraves hat hier maximal noch einen halben Fuß im modernen Country und geht songwriterisch eher den Weg einer beflissenen Folk-Künstlerin, der auch weg von den deutlichen Pop-Ambitionen ihrer letzten beiden Platten führt. Gleichzeitig sind die Songs hier trotzdem noch eingängig und haben jede Menge Charakter, der sich nicht zuletzt auf lyrischer Seite zeigt. Viel geht es darin um das Finden von Hoffnung und eine optimistsche Lebenseinstellung, was man Musgraves hier wirklich glaubt. Ab und zu hat das dann auch mit Religion zu tun, aber selbst das ist hier echt geschmackvoll inszeniert. The Architect, der mit Abstand spirituellste Song des Albums, wäre in meinen Augen sogar der bessere Closer gewesen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11




GOSSIP
Real Power
Sony | Columbia

Sind wir ehrlich, das Comeback von Gossip ist eines von denen, die die Welt nicht wirklich gebraucht hat. Die offizielle Auflösung des Trios ist gerade Mal acht Jahre her und ihre neue Platte hätte klanglich gesehen auch direkt nach A Joyful Noise, dem Vorgänger von 2012, herauskommen können. Schlecht ist Real Power deshalb aber bei weitem nicht, sondern in meinen Augen sogar eines ihrer bisher stärksten Alben. Das Präsikat ist dabei zwar eher das einer soliden Überzeugungsarbeit als das eines großen Aha-Erlebnisses und in wenigen Momenten werden hier Erwartungen übererfüllt, selten klang ihr Sound aber so in sich ruhend, geordnet und ausdefiniert wie hier. Die Marschrichtung ist softer Funk-Pop, der seine Punk-Bestandteile höchstens noch inhaltlich durchblitzen lässt, gerade in seiner Gediegenheit findet die Band aber eine große Stärke. Auf eine seltsame Weise erinnert mich Real Power dabei an die jüngeren Arbeiten der Red Hot Chili Peppers, mit denen sie ja durchaus einige Gemeinsamkeiten haben: Auch sie versuchten irgendwann mal, Funk und Punk auf einen Nenner zu bringen und auch sie haben in Rick Rubin inzwischen einen verlässlichen Kreativpartner gefunden, der immer wieder ran darf. Ebenso wie bei den Peppers würde ich aber auch hier sagen: Im Moment ist der entschleunigte und klare Sound eine Bereicherung, zu gemütlich darf es sich die Band aber nicht machen. Denn dann wird es belanglos.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11




JULIA HOLTER
Something in the Room She Moves
Domino

Nach ihrem letzten "richtigen" Album Aviary von 2018, das seinerzeit meine Platte des Jahres wurde, hatte ich ein bisschen die Befürchtung, dass Julia Holter die darauf erforschte kreative Freiheit dazu nutzt, um jetzt komplett in die Welt der Sinfonik umzusteigen. Denn was sie seitdem veröffentlichte, waren vor allem experimentelle klassische Kompositionen, die zwar alle irgendwie cool waren, aber die verspielte Art von Kunstigkeit, die ihre Alben davor hatten, auch irgendwie vermissen ließen. Something in the Room She Moves ist nun fünfeinhalb Jahre nach Aviary die Rückkehr zum Pop (im weitesten Sinne) und für jemanden wie mich quasi Fanservice: Den dekonstruierten Artpop von damals setzt Holter inzwischen vielleicht etwas weniger freigeistig und schrill um, die Elemente sind aber alle da: Melodische Song-Momente in Tracks wie Sun Girl, strukturell experimentelle Avantgarde-Brocken wie Meyou und große, flächige Fast-Ambient-Stücke wie Ocean. Das ist in erster Linie eine gute Nachricht, da es zeigt, dass die Welt, die Aviary damals betrat, wohl noch nicht ganz zu Ende erforscht ist. Als Fan von deren songwriterischen Prozessen muss ich aber auch sagen, dass die neue Platte in der Hinsicht nicht ansatzweise das gleiche ist. War der Vorgänger ein über 90 Minuten ausgedehntes Kreativ-Monstrum, das in die Grenzbereiche kompositorischer Tätigkeiten vordrang, ist die neue Platte eher wieder ergebnisorientiert und deutlich weniger ausladend. In etwas mehr als 50 Minuten kratzt Holter hier nochmal an der Oberfläche dessen, woran sie zuvor Kernbohrungen durchführte. Das ist im Resultat dann immer noch ein schickes Album, aber nicht mehr ganz so bemerkenswert.
 
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11
 
 
 
 
ADRIANNE LENKER
Bright Future
4AD

Vor ziemlich genau zwei Jahren erschien mit dem sanften Giganten Dragon New Warm Mountain I Believe in You von Big Thief das letzte Album, an dem Adrianne Lenker umfassend beteiligt war und das in zweierlei Hinsicht eine längere Pause für die Musikerin rechtfertigte. Einmal war es einfach ein sehr langes Stück Musik mit vielen Songs, das der Band viel Produktivität abverlangte, zu anderen ist es seitdem auch ziemlich schnell die Platte geworden, an dem sich von nun an der Katalog von Big Thief messen lassen müssen und wirft daher einen ziemlich großen Schatten. Und weil Lenkers Solo-Arbeiten kreativ immer schon sehr nah an den Sachen ihrer Band stattfanden, liegt dieser Schatten indirekt auch darauf. Für mich hat die Zeit seit Dragon New Warm Mountain immerhin genügt, um den Überdruss mit der Musik von Big Thief und Lenker, den ich zuletzt ein bisschen hatte, langsam abzubauen und das Setting zu entwickeln, 2024 wieder komplett geflasht von einer Platte zu sein, mit der die New Yorkerin eigentlich das gleiche macht wie immer. Auf Bright Future gibt zwar es einige Versuche, sich von den typischen Parametern ihres Sounds abzuheben (mit dem Opener Real House schreibt Lenker einen Mark Kozelek-artigen, sehr narrativen Song, außerdem spielt sie mehr Klavier als vorher), der größte Teil des Albums ist aber die altbewährte Indiefolk-Schöngeistigkeit, die die Songwriterin inzwischen mit blinder Sicherheit fährt. Und es braucht auch nicht lange, um bei Songs wie Vampire Empire und Free Treasure wieder komplett auf ihre Masche reinzufallen und völlig hin und weg zu sein. Zwar bin ich inzwischen schlauer als vorher und weiß, dass sich langfristig oft mein Verhältnis zu ihrer Musik ändert und ich dem Album einfach etwas Zeit geben muss, um sich gegebenenfalls zu entzaubern, für den Moment kann ich aber mal wieder nichts schlechtes sagen. Eines der besten Alben, das sie je gemacht hat.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11





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