Samstag, 19. Februar 2022

Viel hilft viel

BIG THIEF
Dragon New Warm Mountain I Believe in You
4AD
2022

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ verspielt | gemütlich | entgrenzt ]

Es mag vielleicht ein bisschen den Anschein haben - und ich habe mich in dieser Hinsicht mehr als einmal dezent selbst verarscht - dass Big Thief in den letzten Jahren zu einer Art Herzensband für mich geworden sind. Oder zumindest sind die Indizien dafür seit einer Weile mehr als deutlich: Ihr vorletztes Album U.F.O.F. war 2019 einer meiner Favoriten der Saison, viele Bands und Künstler*innen mit einem sehr ähnlichen Sound haben bei mir seitdem oft positive Kritiken abbekommen und allein die Art und Weise, wie ich bereits seit 2018 den Solo-Output von Sängerin Adrianne Lenker simpe, kann eigentlich keine zwei Schlussfolgerungen zulassen. Doch auch wenn es ob dieser eben genannten Tatsachen erstmal unlogisch erscheinen mag, so richtig warm bin ich mit dem Sound der New Yorker bis hierhin ehrlich gesagt nicht geworden. Das tolle U.F.O.F. mal ausgenommen waren alle Alben, die ich von ihnen bis hierhin gehört habe (und so viele sind das ja echt noch gar nicht) auch nichts weiter als eine weitere Ausprägung jenes soften und kuscheligen Indiefolk-Entwurfs, den ich auf sehr ähnliche Weise auch bei einer Jessica Pratt oder einem Sufjan Stevens bekomme. Meinstens mit dem dezenten Nachteil, dass bei ihnen Songs krampfig auf eine Bandbearbeitung gestelzt werden, die eigentlich mit solierter Akustikbegleitung viel besser klänge, was man unter anderem auch deshalb weiß, weil nicht wenige dieser Tracks früher oder später eine viel coolere Interpretation auf einem von Lenkers Soloalben gestellt bekommen. Und wo U.F.O.F. 2019 einmal der Beweis war, dass diese Probleme bei ihnen auch kein Automatismus sind, gab es von ihnen noch in der gleichen Saison ein zweites Album namens Two Hands, auf dem diese sehr präsent waren. Einer LP wie dieser hier begegnete ich nach anderthalb Jahren Pause also durchaus mit gemischten Gefühlen, die sich nochmal zusätzlich erschwerten, als ich am Releasetag der Dimensionen des Projekts gewahr wurde. Ganze zwanzig Tracks haben Big Thief auf Dragon New Warm Mountain I Believe in You versammelt, mit denen sie spielzeittechnisch auf eine stattliche Länge von 80 Minuten kommen. Für eine so minimalistisch-folkige Unternehmung wie die ihre ist das eine Menge Musik, bei der ich sicherlich nicht der einzige war, der ernsthafte Befürchtungen hatte, dass das hier vor allem eine sehr monotone und dröge Ansammlung mittelmäßiger Songskizzen werden würde, die auf ihre Art einem dieser furchtbar schnarchigen Cloudrap-Projekte aus den letzten Jahren gleichkam. Und obwohl letzterer Vergleich ob des Ergebnisses durchaus nicht weit hergeholt ist, ist die gute Nachricht dabei, dass Big Thief hier dann doch eher Trippie Redd als Polo G sind und es zumindest verstehen, innerhalb einer solchen Platte die feinen Unterschiede auszunutzen. Wobei man für ihre Verhältnisse sogar fast schon von einem experimentellen Album sprechen kann, so wie darauf mit Aufnahmetechniken und Postproduktions-Tricksereien gespielt wird. Da gibt es Songs wie Heavy Band, die mit ihrer rhythmischen Struktur eine Art Hiphop-Beat nachahmen, an anderer Stelle wird in Spud Infinity unverschämt mit Bluegrass gekuschelt und in Little Things und Flower of Blood klingen Big Thief sogar ein bisschen wie trippige Shoegaze-Platten aus den Neunzigern. Dass das alles trotzdem in einem Rahmen von niedlicher Indiefolk-Ästhetik und skelettaler Instrumentation passiert, macht Dragon New Warm Mountain am Ende allerdings zu einer einigermaßen zusammenhängenden Sache und sorgt gerade genug dafür, dass die LP nach etwas anderem klingt als einem orientierungslosen Werkschauprojekt. Und dass Big Thief hier ausufernd und freiförmig sind, steht ihnen ehrlich gesagt auch gar nicht mal so schlecht. Zwar sind unter den gesamten 20 Tracks hier auch wenige so definitive Highlights wie zuletzt Cattails oder Terminal Paradise, wirkliche Tiefschläge oder Snoozer sind aber auch kaum dabei, was ich bei so viel Material und so wenig kreativer Kontrolle doch bemerkenswert finde. Dass Dragon New Warm Mountain dabei ein bisschen aus dem Leim geht und viel Geduld einfordert, ist dann strukturell gesehen schon ein Nachteil, andererseits sehe ich auch kein Stück der Tracklist als überflüssiges Füllmaterial. Und mehr als ein guter Kompromiss fühlt sich vieles hier auch tatsächlich eher an wie ein neuer kreativer Entwurf der Band, der potenziell viele Probleme lösen könnte, die ich eingangs beschrieben habe. Denn auch wenn das hier noch nicht unbedingt gleich das Erbe von U.F.O.F. antritt (dafür ist es viel zu fahrig und skizzenhaft), läuft es doch wenigstens keine Gefahr mehr, so langweilig und krampfig zu klingen wie so manche andere Platte der New Yorker. Und es sorgt zum ersten Mal dafür, dass ich im Nachhinein immens neugierig bin, welche Wege Big Thief in Zukunft mit dieser Ästhetik gehen werden und wie sie diese weiterentwickeln. Optionen haben sie sich hier auf jeden Fall erstmal genügend geschaffen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11

Persönliche Höhepunkte
Change | Time Escaping | Spud Infinity | Certainty | Dragon New Warm Mountain I Believe in You | Little Things | Blurred View | Red Moon | Dried Roses | No Reason | Wake Me Up to Drive | Promise is A Pendulum | Simulation Swarm

Nicht mein Fall
Love Love Love | Blue Lightning


Hat was von
Frances Quinlan
Likewise

Sharon van Etten
Are We There


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen