Dienstag, 15. Februar 2022

Ohne Cringe

Korn - Requiem
KOЯN
Requiem
Loma Vista
2022
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ melodisch | poprockig | klassisch ]
 
Hätte ich im Winter 2012, als ich dieses ganze Musikkritik-Ding erstmal anpackte und anfing über Platten zu schreiben gewusst, dass ich ganze zehn Jahre später immer noch über eine Band wie Korn lamentieren würde, ich hätte mir das ganze wahrscheinlich zweimal überlegt, beziehungsweise gar nicht erst damit angefangen. Denn wenn ich auf den Großteil der letzten Dekade zurückschaue, wünschte ich mir teilweise nichts sehnlicher als den ja sicherlich bald anstehenden Moment, in dem endlich niemand mehr über diese unsägliche Gruppe sprechen würde und sie zur Erleichterung aller den Weg der Festival-Nachmittagsslots und One Hit-Wonder gehen würden, den damals glücklicherweise schon die meisten ihrer Zeitgenoss*innen wie Papa Roach oder die Guano Apes gegangen waren. Nicht nur jedoch waren die Kalifornier als schon immer hartnäckigste und klettigste Band ihrer Generation auch durch komplette Katastrophen wie Path of Totality oder the Serenety of Suffering nicht aus der Fassung zu kriegen, Stand 2022 muss ich im Bezug auf sie sogar feststellen, dass sie sich künstlerisch erholt haben und seit ein paar Jahren wieder bessere Platten machen. Und das ist am Ende gar nicht mal so unlogisch. Mit der ebenso vorhersehbaren wie unmöglich erscheinenden Rückkehr des New Metal in die Jugendzimmer der Welt haben auch Korn stilistisch wieder Aufwind erfahren und sind inzwischen - ganz im Stil ihrer schon immer unverschämten Zeckigkeit - eine der wenigen Bands der ersten Generation, die erstaunlich erfolgreich auf ihrer eigenen Retrowelle mitreitet. Schon ihr letztes Album the Nothing von 2019 machte das mit seinem deftigen Wir-wollen-jetzt-nochmal-richtig-Brettern-Sound überraschend deutlich und war mit seinem ausgereiften Entwurf von Edgyness wahrscheinlich ihr bestes Projekt seit den Zwotausendern. Requiem setzt drei Jahre später nun noch eine Schippe drauf und zeigt nun tatsächlich eine Band, die ihr Revival dafür zu nutzen versteht, klanglich einigermaßen in Würde zu altern. Ähnlich wie Marylin Manson vor zwei Jahren mit We Are Chaos und Haarscharf vor dem Missbrauchsskandal, der alle damit verdienten Pluspunkte wieder annulierte, schafft diese LP hier das Kunststück, gleichzeitig nah genug am typischen Adoleszenz-Sound der Band zu bleiben, diesen aber auch das entscheidende bisschen erwachsener und weniger angsty klingen zu lassen, um nicht mehr komplett zu wirken wie ein paar Sechzehnjährige mit zuviel Red Bull im Tank. Zwar sind die Gitarrenriffs hier immer noch ordentlich deftig und die Texte handeln nach wie vor von Selbstmitleid und den Traumata der Gesellschaft, beides fühlt sich inzwischen aber nach Stilmitteln an, die ein sehr viel fortgeschritteneres Erwachsenwerden illustrieren und zeigen, dass Coming of Age und mentales Wachstum manchmal eben auch jenseits der Vierzig noch kein abgeschlossenes Thema sind. Musikalisch finde ich es dabei cool, dass auf Requiem nicht mehr in jeder Hinsicht komplett die Schwarte krachen muss und es neben vielen melodischen Refrains, Synth-Passagen und mehr Altrock- als Metal-Orientierung vor allem die Produktion einen bewussten Schritt zurück geht. Dass Gitarren, Bass und Drums eher nach hinten gemischt sind und alles ein bisschen polierter klingt ist zwar für Korn nichts unbedingt neues und besonderes, hier fühlt es sich aber erstmals nach einer bewussten Entscheidung an, insbesondere nachdem the Nothing zuletzt doch wieder ziemlich ruppig am Start war. Wobei totz allem auch nichts schöner ist als der Moment, in dem Jonathan Davis ganz zum Schluss der Platte in Worst is On Its Way nochmal die bräsigen Höllenscats aus Freak On A Leash auspackt und damit einen unmissverständlichen Nostalgiemagneten zum Finale der LP macht. Und an diesem Punkt bin ich dann tatsächlich der Meinung bin, dass Korn sich so einen Move inzwischen redlich verdient haben. Denn bei aller Mittelmäßigkeit, die viele ihrer Platten zwischendurch hatten und auch eingedenk ihres mittlerweile kolossalen Cringe-Faktors stehen sie, was New Metal angeht, nicht nur felsenfest am Anfang der Geschichte, sondern halten sich Tapfer nach wie vor aufrecht und haben dabei gerade eines ihrer besten Alben überhaupt gemacht. Und das schaffen in ihrem Metier nun wirklich die allerwenigsten.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11

Persönliche Höhepunkte
Forgotten | Let the Dark Do the Rest | Lost in the Grandeur | Penance to Sorrow | Worst is On Its Way

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Marylin Manson
We Are Chaos

Deftones
Koi No Yokan


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