Donnerstag, 17. Februar 2022

Was zum Teufel

Zeal and Ardor - Zeal & Ardor
ZEAL & ARDOR
Zeal & Ardor
MVKA
2022
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ vielschichtig | populistisch | hymnisch ]
 
Wenn sich die Karriere des Manuel Gagneux alias Zeal & Ardor jetzt schon für irgendeine Sache gelohnt hat, dann definitiv die poetische Gerechtigkeit der Tatsache, dass dieser Typ für ein Projekt, das einst im wesentlichen das Ergebnis eines Userpolls auf 4Chan war, inzwischen ganz schön linke und woke Musik macht. Eine Entwicklung, über die sich die Nazitrolle, die ihn einst erfunden hatten, hoffentlich so richtig schwarz ärgern. Was anders sollte aber auch dabei rauskommen, wenn man auf diese Weise die rauhe Energie des Black Metal mit der spirituellen und emanzipatorischen Message von Gospelmusik kreuzt und als ausführende Kraft noch dazu jemanden wie Gagneux nimmt, der sowohl stilistisch als auch inhaltlich keiner ist, der sich gerne Scheuklappen aufsetzt. Mit den Platten Stranger Fruit und Wake of A Nation, die Ende der letzten Dekade seinem ursprünglichen Gimmick-Überraschungserfolg Devil is Fine folgten, schuf er sich deshalb nicht nur klanglich eine ganz persönliche Nische in den Überlappungsbereichen von Metal, Folk, Blues, Gospel und Hardcore, er nahm auf diesen Alben auch ein ganz klar antirassistisch motiviertes und beeindruckend geschichtsbewusstes Narrativ ein, das ihn in meinen Augen sogar zu einem besseren popkulturellen Pendant zur Black Lives Matter-Bewegung der letzten Jahre machte als die meisten Rapper*innen, die dafür oft die Lorbeeren ernteten. So schön und wichtig das aber auch alles war, mit seinem inzwischen vierten Album unter der Zeal & Ardor-Flagge entscheidet sich Gagneux nun letztlich doch erstmal, die ganze politische Kante ruhen zu lassen und hier ein Album aufzunehmen, das sich wieder stärker typischen Metal-Themen, vor allem mythischen und religiösen, widmet und auch musikalisch wieder freier denken will. Und obwohl ich das grundsätzlich begrüße und auch definitiv der Meinung bin, dass ihm diese Art von Weiterentwicklung gut tut, muss ich doch gleich an dieser Stelle sagen, dass ich die vorliegende LP als die bis dato schwächste von Zeal & Ardor empfinde. Ganz einfach deshalb, weil sie den kritischen (und von mir eigentlich schon immer heimlich befürchteten) Punkt in der Diskografie des Schweizers erreicht, in dem der Bogen der ganzen Genremischerei und des Balanceakts zwischen Untergrund und Charterfolg überspannt ist. Statt wie auf früheren Platten geschickt ineinander verwebt und an den Grenzen genau richtig verschwommen, wirken viele Elemente dieser LP wesentlich grober und stückiger zusammengesetzt und nicht wenige stilistische Exkurse erscheinen hier etwas an den Haaren herbeigezogen und forciert. So ist ein Song wie Emersion, der keifigen Black Metal-Screamo mit elektronischen Pluckereien der Marke Porter Robinson verbindet, an sich eine ebenso coole Idee wie das jazzig angehauchte Groove Metal-Werkstück J-M-B, im Gesamtsound der Platte machen diese Tracks aber leider so überhaupt keinen Sinn und bringen mich beim Hören eher ziemlich aus dem Konzept. Wobei nicht wenige Momente der Platte zusätzlich dazu neigen, schon immer subtile Schwächen des Songwritings von Zeal & Ardor nochmal so richtig aufzubauschen, allen voran der Hang der Band zu furchtbaren Stadionrock-Refrains der Marke Imagine Dragons und Awolnation, die hier viele eigentlich gute Songs komplett ruinieren. Nicht weniger nervig finde ich oft die etwas klobige Metal-Attitüde der Lyrics, die mir in den Äther gebrüllte Phrasen über Dämonen und Geister tatsächlich noch als edgy verkaufen will und obwohl es mich prinzipiell freut, dass mit Götterdämmerung nochmal ein deutschsprachiger Titel dabei ist, klingt ebendieser auch von allen am schlimmsten nach mittelaltermarktigem WGT-Budenzauber. Klar sind auf diesem Album letztlich auch nicht alle Sachen total schlimm und gerade im letzten Drittel wird nochmal viel Schadensbegrenzung betrieben, am Ende gibt es aber trotzdem kaum einen Song, an dem ich nichts zu meckern habe. Und obgleich das gerade ob der so gelungenen letzten Platten von Zeal & Ardor schade ist, könnte ich doch definitiv nicht sagen, dass es überraschend kommt. Ehrlich gesagt erstaunt es mich im Nachhinein sogar ein bisschen, dass mit den mehr oder weniger gleichen Elementen bisher so wenig schief ging bei dieser Band und ihre Platten so gut waren. Wobei das letztlich auch nicht unwesentlich daran lag, dass diese eben ein Thema und einen inhaltlichen Fokus hatten, an dem sie sich entlanghangeln konnten und der die ganze Unternehmung zumindest ein bisschen im Zaum hielt. Mit seiner neuen konzeptuellen Freiheit muss Manuel Gagneux also erstmal noch umgehen lernen und besser die Spots erfühlen, wo vielleicht auch mal Schluss ist mit aberwitzigen Crossover-Eskapaden. Dass er es hinkriegt, daran glaube ich aber schon irgendwie. Denn das hat er immerhin unter schwierigeren Voraussetzungen schon mal und vielleicht findet er beim nächsten Mal ja auch einen Weg, diese ganzen Stilclashs besser harmonisieren zu lassen. Damit wir dieses Album hoffentlich schnell wieder vergessen können.

🔴🔴🔴🟠🟠⚫⚫⚫⚫⚫⚫ 05/11

Persönliche Höhepunkte
Emersion | I Caught You | Götterdämmerung

Nicht mein Fall
Zeal & Ardor | Golden Liar | Bow | A-H-I-L


Hat was von
Awolnation
Run

Thy Catafalque
Vadak


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen