Dienstag, 22. Februar 2022

Schmerzende Stellen

Alice Glass - PREY // IV
ALICE GLASS
Prey // IV
Eating Glass Records
2022
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ aufarbeitend | schrill | ungemütlich ]
 
Achtung! Achtung! Der hier folgende Text behandelt ein Album, das sich inhaltlich stark mit den Themen Gewalt und Missbrauch auseinandersetzt, wobei auch der Text selbst einige dieser Themen anspricht. Ich habe versucht, den Sprachgebrauch diesbezüglich so weit wie möglich zu entschärfen, möchte der LP allerdings auch inhaltlich gerecht werden, weshalb es womöglich einige Passagen gibt, die verstörend oder triggernd sein könnten. Wenn du solche Dinge also lieber nicht riskieren willst, solltest du ab hier nicht weiterlesen.
 
Man könnte an dieser Stelle sicherlich an vielen Punkten mit der inhaltlichen Zersetzung der vielschichtigen Symboliken beginnen, die ein Album wie dieses thematisch durchziehen und die es als biografisches Statement für Alice Glass manifestieren, für mich persönlich steckt die größte Kraft dieser Platte aber letztendlich in einer Zahl. IV nennt die Kandadierin ihr erstes Album nach dem Abgang von den Crystal Castles und allem damit verbundenen Ungemach und macht damit gleich im Titel klar, dass sie es ist, die das Vermächtnis der Band im Herzen weiterführen wird, selbst wenn die offizielle Marke rechtlich bei Exkollege Ethan Kath verbleibt. Eine Entscheidung, die sicherlich viele alte Fans der Band mittragen werden, auch wenn inzwischen eine ganze Dekade seit der letzten LP des ursprünglichen Duos vergangen sind. Und in vielerlei Hinsicht ist Prey // IV dabei auch irgendwie ein Crystal Castles-Album auf Metaebene, das sich inhaltlich sehr abrechnend und ausführlich mit allem auseinandersetzt, was diese Band für Glass im Nachhinein bedeutet: Der jahrelange Missbrauch, die hässliche mediale Schlammschlacht nach der Auflösung 2014 und vor allem die inneren Leidenprozesse, die die Musikerin seitdem durchlaufen hat. Was auf jeden Fall schonmal bedeutet, dass das hier alles andere als einfach zu verdauende Musik ist. Zwar ist Prey // IV in den wenigsten Momenten wirklich explizit in seinen Beschreibungen und bedient sich eher starker Metaphern von Jägern und Beute oder sehr allgemeinen lyrischen Figuren, im Wissen um die tatsächlichen Hintergründe der Songs entfalten aber auch diese eine ziemlich brutale Wirkung. Und Obwohl dieser Umstand dabei definitiv ein Grund ist, warum Prey // IV für mich ein schwierig zu hörendes Album war, ist es doch keineswegs der Ursprung meiner Unzufriedenheit damit. Um ehrlich zu sein ist es mir in Anbetracht seiner thematischen Stärke und der spürbaren Kraft, die es von Glass dafür brauchte, sogar sehr unangenehm, es abseits von seiner Funktion als wichtiges Statement für diese Künstlerin zu bewerten. Doch sieht man sich mal nur die Musik an sich an und stellt diese Unabhängig von Lyrcis und Kontext zur Disposition, ist vieles hier leider eher unterdurchschnittlich und weit unter dem Niveau, das Glass einst bei den Crystal Castles abrufen konnte. Dass die Kanadierin sich stilistisch stark an gängigen Hyperpop- und Post-Industrial-Trends bedient, ist dabei trotz einer gewissen Ahnbarkeit noch ganz cool, da sie als eine der Vordenkerinnen dieses Sounds nun erneut mit der Szene aufschließt, in seiner Umsetzung muss man aber sagen, dass sie das Potenzial dieser Idee in den wenigsten Momenten ausnutzt. Oft kann sich Glass hier nicht so richtig entscheiden, ob sie nun lieber ein melancholisch-agonisches Slowcore-Projekt aufnehmen will oder ein dämonisches Porträt emotionaler Folter, weshalb sie am Ende irgendwie beides nicht so richtig macht und dazwischen leider oft in einem diffusen Mittelfeld versandet, das einfach nur langweilig wirkt. Auch klingen viele Stellen, an denen die Platte versucht edgy und rabiat zu sein, eher nach billigen Horrorklischees mit Spieluhren und Monstergeräuschen, die man nur bedingt ernst nehmen kann und die daher eher das Gegenteil des erwünschten Effekts erzeugen. Viele dieser Probleme werden zusätzlich durch eine sehr stromlinienförmige und unspektakuläre Produktion verschlimmert, die große Teile der thematischen und klanglichen Härte abstumpft und klare Kanten oft im Hintergrund verwischen lässt. Das führt dazu, dass Prey // IV in den meisten Momenten klingt wie ein in seiner Urfassung ziemlich brutal angedachter Thriller, der vom Studio aber für bessere Quoten zu einer FSK 12-Kinoversion zusammengeschnitten wurde und jetzt einfach jeglichen Biss verloren hat. Und wo ich das an inhaltlicher Front sehr okay finde, da ich mich auch definitiv nicht an expliziten Stories aus einem Missbrauchsverhältnis aufgeilen will, hätte musikalisch doch mehr Härte gut getan. Denn wo die Thematik hier Black Dresses sagt, ist das Ergebnis dann doch eher eine radiofreundlichere Version von Grimes geworden. Und um das zu tolerieren, schätze ich Alice Glass am Ende doch einfach zu sehr als Musikerin, die an vielen Punkten ganz klar schonmal bessere Songs geschrieben hat. Nicht wenige davon auch ohne Ethan Kath.

🔴🔴🔴🟠🟠⚫⚫⚫⚫⚫⚫ 05/11

Persönliche Höhepunkte
Prey | Love is Violence

Nicht mein Fall
Pinned Benath Limbs | I Trusted You


Hat was von
Grimes
Miss Anthropocene

Ela Minus
Acts of Rebellion


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen