Mittwoch, 16. Februar 2022

Das Strokes-Problem

alt-J - The Dream
ALT-J
The Dream
Infectious
2022

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ routiniert | ruhig | bemüht ]

Es gibt im Frühjahr 2022 mit Sicherheit tausend Bands und Künstler*innen, die mich um ein vielfaches mehr interessieren als Alt-J und ich kann an dieser Stelle auch ohne jegliche Umschweife sagen, dass The Dream, ihr inzwischen vierter offizieller Longplayer, mal wieder nicht das Album ist, das ihre Karriere aus dem andauernden Formtief herausholt, das mittlerweile auch schon etliche Jahre andauert. Trotzdem hatte ich ob dieses Releases irgendwie das Bedürfnis, die Briten in diesem Zusammenhang nochmal ganz ausführlich zu behandeln. Und sei es auch nur, um aus der stattlichen Dekade, die ihr einstmaliger Durchbruch mit An Awesome Wave von 2012 inzwischen schon her ist, irgendwie ausführlich Bilanz zu ziehen und an diesem kritischen Punkt die Frage zu stellen, wo die Formation mit den drei Platten seitdem denn eigentlich angekommen ist. Wobei das Problem, das sie in dieser Zeit im wesentlichen plagte, ebenso offensichtlich wie tückisch ist und im Ursprung damit zu tun hat, wie unglaublich einzigartig und potenziell visionär damals besagtes Debüt war. Den klanglichen und kompositorischen Entwurf, den die Londoner auf dieser LP vorlegten, war so insular und schlau konzipiert, dass Alt-J damit schnell eine sehr klare musikalische Identität entwickelten, die auch von Anfang an ziemlich ausperfektioniert wirkte. Das war ziemlich beeindruckend und sorgte mehr als alles andere dafür, dass die Band von Kritik und Fans so hoch gehandelt wurde, ließ aber auch nur wenig Platz für kreatives Wachstum und verortete das Kollektiv ziemlich unmittelbar in einer stilistischen Nische, die sie in den Jahren danach nie wirklich verließen. Der direkte Nachfolger This is All Yours von 2014 setzte dabei noch irgendwie ganz stabil das fort, was An Awesome Wave an Ideen vorlebte und hatte zumindest ein paar echte Highlights, in der Weiterentwicklung dieses Sounds stockten die Briten aber schon dort ziemlich und vergriffen sich in vielen Momenten zusehends. Ein Trend, den ihre dritte LP Relaxer 2017 anschließend noch verschlimmerte und die mit diesem Album nun irgendwie in einem fruchtlosen Déjà-Vu-Loop gefangen ist, aus dem Alt-J anscheinend nicht mehr so einfach rauskommen. Auch The Dream ist dabei wieder nicht die schlimmste Platte der Welt und hat definitiv nicht wenige clevere Passagen wie die vielen kleinen kompositorischen Jumpscares in Bane, die barockesken Streicher in Philadelphia oder die pluckerigen Synths in Chicago, im großen und ganzen sackt die LP aber leider immer wieder in einer sehr frustrierenden Mittelmäßigkeit ab, die unfreiwillig immer noch von dem Gedanken umgeistert wird, wie viel besser diese Band das an anderer Stelle gemacht hat. Was Alt-J haben, ist also ein bisschen ein Strokes-Problem: Ihre erste Platte war damals der Hammer und das Problem in den Jahren danach war auch nicht mal, dass sie sich auf nicht bemüht hätten, musikalisch von diesem Einstand loszukommen und sich klanglich zu emanzipieren. Leider gelang das aber eher mäßig und letztendlich klingt es auch auf the Dream wieder irgendwie so, als könnte es sich nicht so richtig entscheiden. Einerseits erinnert es zu sehr an das alte Zeug, als dass man dieses wirklich vergessen könnte, andererseits nimmt es aber zu viel Abstand davon, dass es nochmal genauso gut wäre und wirklich noch ein wirkmächtiges Erbe antreten könnte. Wobei es zumindest für mich mittlerweile effektiv Elemente dieser Band gibt, die mich nur noch nerven, weil sie solche Klischees sind. Dinge wie die auf einem Ton hängenbleibenden Staccato-Builds vor vielen Refrains, der Fakt dass viele dieser besagten Refrains am Ende doch ziemlich lame sind und allen voran die Art wie Joe Newman nach drei Alben und zehn Jahren immer noch singt wie ein schlecht gepitchter Robin Pecknold. Immerhin versuchen Alt-J hier ja schon nicht mehr krampfige Bluessongs zu schreiben, ein Hard Drive Gold oder Walk A Mile sind trotzdem in vielen Punkten schnarchigere Versionen ihrer alten, besseren Stücke. Dass die Briten dabei eigentlich auf einem okayen Niveau stagnieren und zumindest nicht effektiv schlechter werden, mag dabei ein kleiner Trost sein, als einstiger Liebhaber dieser Band und Zeuge der großen Genialität, die diese Mal hatte, kann ich das aber beim besten Willen nicht als Erfolg verkaufen. Und wenn ich nach zehn Jahren einwas über die Zukunft der ganzen Unternehmung sagen kann, dann dass ich im Moment keine Hoffnung habe, dass es mittelfristig besser wird. Dafür haben sie mich inzwischen ein paar Mal zu oft enttäuscht.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
Bane | Happier When You're Gone | Philadelphia

Nicht mein Fall
Hard Drive Gold | Walk A Mile | Losing My Mind


Hat was von
Bon Iver
22, A Million

Woodkid
the Golden Age


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