Sonntag, 21. August 2022

Die Königin tanzt

BEYONCÉ
Renaissance
Parkwood Entertainment | Columbia
2022

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ dancy | matriarchisch | fließend ]

Ich bin tatsächlich froh, folgendes hier noch nie in dieser Deutlichkeit gesagt haben zu müssen und lange habe ich selbst überlegt, ob das Problem nicht einfach bei mir selbst liegt, doch mittlerweile bin ich mir doch ziemlich sicher, dass ich es so klar formulieren kann: Ich bin nicht wirklich ein besonders großer Fan von Beyoncé Knowles. Zumindest nicht von der Inkarnation von Beyoncé Knowles, die seit ungefähr einer Dekade das Steuer ihrer Karriere übernommen hat und bei der es in meiner Bubble an Musikfans inzwischen seit etlichen Jahren als monumentaler Frevel erschient, sie alles andere als gottgleich zu finden. Und das, obwohl es an so vielen Stellen unglaublich leicht ist, die extrem kalkulierte Motivation hinter der ganzen Fassade zu erkennen: Nämlich die Sorte Disney- und Coca Cola-Wokeness, die sicherlich zu einem gewissen Teil ernst gemeint ist, jedoch vor allem deshalb immer weiter hochstilisiert und gepusht wird, weil sie bei einer bestimmten Fanbase gut ankommt und sich gut verkauft. Mit einer cleveren Businessfrau an der Spitze, die den Trend ganz einfach zeitig genug gewittert hat, um 2022 zu ihrer despotischen Mutterfigur geworden zu sein, die keinen Widerspruch duldet. Und wo ich dabei vor der Marketingperspektive des ganzen auch irgendwie Respekt habe und mit dieser Frau wenigstens jemand mit okayen inhaltlichen Botschaften dahinter steht, waren es gerade auch letztere, die ihre jüngsten Projekte für mich ziemlich ruiniert haben. Ganz einfach weil die politischen Messages und der Empowerment-Charakter darauf so sehr auf billige Grundelemente heruntergebrochen und durchweg mit pädagogischem Zeigefinger formuliert waren, dass ich es bei aller grundsätzlichen Zustimmung doch kollosal anstrengend fand. Und das nun als den Gipfel sozialkritischer Popmusik der Zwotausenzehner abzufeiern, liegt mir persönlich einfach fern. Trotzdem muss ich an dieser Stelle sagen, dass Renaissance für die Verhältnisse dieser Grundeinstellung ein ziemlich gelungenes Album geworden ist, das viele der eben angesprochenen Probleme auch weniger hat als seine Vorgänger. Was in diesem Fall vor allem daran liegt, wie Beyoncé hier musikalisch arbeitet. Dass die neue Platte sich ausführlich den klanglichen Welten des Dancepop, Disco und House annähern würde, war ja spätestens nach der Leadsingle Break My Soul irgendwie klar und was diese Stilistik angeht, ist der strukturelle Ansatz hier auch echt stringent durchgezogen. Ähnlich wie ihre eponyme LP von 2013 verzichtet auch Renaissance größtenteils auf die Formulierung klarer Hit-Momente und baut stattdessen eine Albumerfahrung, die sich tatsächlich ein bisschen wie ein fluffiges DJ-Set anfühlt und eine vielschichtige Entdeckungsreise durch den Kosmos tanzbarer Clubmusik darstellt. Da gibt es prominente Funk-, Disco- und Soulmomente in Virgo's Groove oder Plastic Off the Sofa, klassische Chicago House-Bretter wie Break My Soul, Elemente aus Bounce und Ballroom in Songs wie Move, versteckte Dancehall-Anspielungen in Heated, Trap in Thique und am Ende sogar ein halbes Cover von Donna Summers I Feel Love als Sahnehaube. Die wenigsten Songs sind dabei effektiv tanzbar oder clubbig, als subtil groovende und suggestiv rhythmische wie auf dem letzten Drake-Album (das ja stilistisch eine ähnliche Nummer abzog) funktionieren sie aber trotzdem super. Wider erwarten ist Beyoncé dabei auch eine Künstlerin, die ihren Sound effektiv in eine sleake Playlist-Ästhetik einfügen kann und Stärke in der Zurückhaltung findet. Zumindest im Verhältnis zu vielen früheren Sachen, wo sie die überkandidelte Diva immer noch ein bisschen mehr raushängen ließ. Obwohl die natürlich trotzdem nicht plötzlich weg ist und hier vor allem in den Lyrics und in der Performance für die wenigen Momente sorgt, die mich an Renaissance dann doch stören. Ich bin mir dabei durchaus bewusst, dass eben diese Elemente jene sind, die bei vielen Fans noch immer am meisten den Charakter dieser Künstlerin ausmachen, doch sowohl ihr lyrisches Empowerment-Einmaleins als auch die gezwungene Soul-Muckerei zwischendurch kann ich mir irgendwie nicht schönhören. Auch hier muss ich aber sagen, dass sie seit Lemonade deutlich weniger geworden sind und zumindest nicht mehr ganz so plauzig wirken. Womit ich am Ende immerhin zur Feststellung komme, dass Beyoncé mich trotz kleinerer Unstimmigkeiten mit diesem Album ein bisschen zurückgewonnen hat. Noch nicht so sehr wie zu ihren (wie ich nach wie vor finde) besten Zeiten Ende der Zwotausender, aber immerhin schon mal wieder ein ganzes Stück. Dass mir 2022 eine LP von ihr so gefallen würde, hätte ich ehrlich gesagt nicht gedacht und es freut mich irgendwie, weil ich damit endlich mal nicht der einzige bin, der eine Sache von ihr nicht geil findet. Auch wenn die Ultras wahrscheinlich trotzdem noch sagen werden, dass ich zu hart mit ihr gewesen wäre.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11


Persönliche Höhepunkte
Cozy | Alien Superstar | Break My Soul | Church Girl | Plastic Off the Sofa | Virgo's Groove | Heated | Thique | Pure/Honey

Nicht mein Fall
Energy

Hat was von
Christina Aguilera
Liberation

Drake
Honestly, Nevermind


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