Dienstag, 30. August 2022

So bin ich ohne dich

Kasabian - The Alchemist's Euphoria
KASABIAN
the Alchemist's Euphoria
Columbia | Sony
2022

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ unrockig | melancholisch | fließend ]

Ein Typ wie Tom Meighan war sicherlich noch nie das talentierteste Mitglied von Kasabian und man könnte sogar behaupten, er wäre in einer Band wie dieser eigentlich überflüssig gewesen. Denn dass es mit Sergio Pizzorno in deren Lineup ja bereits einen weiteren ziemlich okayen Sänger gab, der noch dazu deren Gitarrist und Hauptsongwriter war, war immer irgendwie sein Handicap, das zu manchen Zeiten auch ziemlich arg auffiel. Dass sich die Briten Meighan komplett hätten sparen können und damit besser dran gewesen wären, hätte ich trotzdem nie zu behaupten gewwagt. Denn es hätte sich emotional einfach komplett falsch angefühlt. Wie bei einem Ozzy Osbourne, ein Keith Flint oder Liam Gallagher war es auch bei Meighan niemals das Talent oder das musikalische Können, sondern die denkwürdige Performance und die damit einhergehende große Fresse, die ihn irgendwie zur Seele der Band machte und die seinen tatsächlichen Weggang 2020 auch wirklich schmerzhaft machte. Und nachdem 2006 schon der damalige Hauptkomponist Chris Karloff das Handtuch geworfen hatte, lag es nun ein weiteres Mal an Pizzorno, sich den Hut des künstlerischen Chefdenkers aufzusetzen (den er ja eigentlich nie so richtig gewollt hatte) und Kasabian zum zweiten Mal einen Weg in die Zukunft zu zeigen. 2009 hatte er aus dieser Aufgabe mit the West Ryder Pauper Lunatic Asylum eines der besten Alben der Briten kuratiert, mit the Alchemist's Euphoria tut er sich 13 Jahre etwas schwerer. Wobei man ihm fehlende Konsequenz dabei nun wirklich nicht vorwerfen kann. Denn nachdem er bereits die ganzen Zwotausendzehner über einen Drall der Band weg vom Rock und hin zum Elektropop andeutete, ist diese LP nach 48:13 von 2014 der zweite Anlauf, die Metamorphose dahin komplett zu vollziehen. Wie schon beim ersten Mal ist das Ergebnis dabei aber eher durchwachsen. Aber fangen wir mal mit den guten Sachen an, denn davon gibt es einige. Gerade zu Anfang zum Beispiel eine ganze Reihe fantastischer Banger wie Alchemist, Rocket Fuel und Scriptvre, die zwischen the Prodigy, alten El-P-Sachen und einer gehörigen Portion Oasis-Gloria den optimalen Mittelweg zwischen Rockstar-Kitsch und psychedelischer Ekstase finden. Und dass dies hier einmal mehr eher im nostalgischen Big Beat-Gewand passiert als mit dicken Rockbrettern, ist prinzipiell auch nicht verkehrt. Selbst Meighan fehlt da in vielen Momenten erstmal kein Stück. Nur wissen Fans von Kasabian eben auch schon von den letzten paar Alben, was ein kreativ entfesselter Sergio Pizzorno bedeuten kann. Nämlich Sachen wie Strictly Old Skool oder Alygatyr, die sich für so mittelmäßige Songs einfach immer ein kleines bisschen zu ernst nehmen und die Tracklist gerade im Mittelteil ziemlich in die Schnarchzone stürzen. Gerettet wird das ganze dann zwar doch noch durch ein paar coole Slowburner wie the Wall oder T.U.E. und ernsthaft experimentelle Ansätze wie Stargazr, doch lösen die nicht das Problem, das dieses Album in meinen Augen hat: Dass Kasabian hier zum ersten Mal in ihrer Karriere die Energie fehlt. Abgesehen von der kurzen Tempotour am Anfang ist the Alchemists Euphoria das erste Werkstück der Briten seit dem Debüt, das durchweg ein bisschen meditativ und eingeschmust klingt. Und obgleich das nicht immer schlecht sein muss und einige Momente dabei tatsächlich neue Kompetenzen in Pizzornos Songwriting offenbaren, fände ich es doch nicht zu viel verlangt, vielleicht doch noch eine Nummer der Sorte Stuntman oder Fire zum Abschmecken reinzuhauen. Im Anbetracht der Umstände würde mir sogar ein Days Are Forgotten genügen. Doch bekomme ich von the Alchemist's Euphoria auch irgendwie das Gefühl, dass Kasabian solche Sachen eben gerade nicht mehr wollen und das hier tatsächlich ein bisschen als bewusster Stilbruch gedacht ist. Wohin die Reise dabei geht, ist offenkundig noch nicht zu hundert Prozent klar und diese LP in erster Linie eine, die ihre Nase mal überall reinsteckt und vieles ausprobiert. Zumindest aber scheint die Band gerade zu wissen, welche Teile ihres Sounds sie hinter sich lassen brauchen. Und ja, für mich sind da auch einige dabei, die ich an ihnen eigentlich echt gerne mochte. Trotzdem ist the Alchemist's Euphoria insgesamt eine Unternehmung, die mich positiv stimmt. Denn obwohl es hier an manchen Stellen noch etwas schnachig beziehungsweise chaotisch zugeht, das aufregende Knistern von grenzenloser Kreativität liegt hier immer noch ordentlich in der Luft. Und solange das da ist, haben Kasabian auch mit einem Frontmann weniger noch nichts wirklich verloren.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11


Persönliche Höhepunkte
Alchemist | Scriptvre | the Wall | T.U.E. (the ultraview effect) | Stargazr | Chemicals | Letting Go

Nicht mein Fall
Strictly Old Skool | Alygatyr

Hat was von
El-P
Cancer 4 Cure

Enter Shikari
the Spark


1000kilosonar bei last.fm  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen