Dienstag, 16. August 2022

Bordsteinkantengeschichten

Slime - Zwei
SLIME
Zwei
Slime Tonträger
2022

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ lebensecht | biografisch | hart ]

Es ist ja in der Geschichte der Popmusik durchaus schon des öfteren passiert, dass eine Band es schaffte, einen etablierten und allseits beliebten scheidenden Frontmann erfolgreich zu ersetzen und dass Slime das mit ihrer neuesten LP auch schaffen, ist ja schonmal eine ganz tolle Sache. Im Falle der Hamburger Punk-Veteranen würde ich aber ganz besonders dafür argumentieren, dass ihnen hier eine einmalige Sensation gelungen ist, die sie in meinen Augen sogar noch von bekannten Fällen wie Black Sabbath oder AC/DC abhebt, die als schnelle Vergleiche zunächst naheliegend erscheinen. Denn nicht nur ersetzt der seit letzter Saison neu eingestiegene Sänger Tex Brasket mit Dirk "Dicken" Jora den Typen, der davor über 40 Jahre lang das Gesicht von Slime war, er schafft es darüber hinaus auch noch aus dem Stand, eine ganze Ecke stärker und präsenter zu sein als dieser es jemals bei dieser Band war. Zumindest meiner Ansicht nach. Dass diese Ansicht unter anderem beinhaltet, dass bei Jora mindestens nach der zweiten Reunion von 2009 ziemlich die Luft raus war und Slime auf ihren letzten drei Alben eigentlich nur noch ein Abziehbild ihrer einstigen Gloria waren, ist dabei nur relativ ein Faktor. Denn selbst wenn ich diese Platten ihrerzeit gemocht hätte, wäre Zwei ein massiver Qualitätssprung für die Hamburger. Ganz einfach deshalb, weil Brasket nicht nur ein verdammt starker Texter und Performer ist, sondern vor allem auch deshalb, weil er auf dieser Platte wirklich was zu sagen hat. Als lange wohnunglos lebender und von diversen Substanzen abhängiger Straßenkünstler hat dieser schon vor seinem Beitritt bei Slime jahrelang über das Leben am Rande der Gesellschaft und außerhalb der sozialen Wahrnehmung geschrieben und damit einen Kanon an Material, der ebenso umfangreich ist wie inhaltlich knallhart und tragisch. Was Zwei eben nicht nur zu einem Slime-Album mit starkem inhaltlichem Konzept und knallharten Texten macht, sondern zu nicht weniger als einem Lebenswerk, auf dem die urtümliche Kreativität dieses Songwriters endlich ein großes Publikum findet. Und das würde mir schon dann jede Menge Respekt einflößen, wenn es musikalisch totaler Mist wäre. Dass es das aber nicht ist und Tex Brasket und die Band hier tatsächlich ihre gefühlt besten Songs seit den Neunzigern schreiben, macht es umso krasser. Und da stört es dann eben auch nicht, dass die ganze musikalisch vielleicht ein bisschen nach Schema F komponiert ist und mit glatten 60 Minuten und 16 Tracks auch definitiv seine Längen hat. Brasket hat eben ein ganzes Leben zu erzählen und hier etwas anderes dazu zu spielen als den rotzigen Pöbelpunk, der ihn seit Jahrzehnten beseelt, wäre einfach ein tonaler Fehlgriff. Und eigentlich ergibt sich dadurch auch eher der gegenteilige Effekt, denn statt durch den unangespitzten Sound des Slime-Backings gemindert zu werden, bringt Braskets Performance diesen wieder zu einer echten Bedeutung und gibt ihr eine inhaltliche Relevanz, die sie auf den letzten Alben einfach nicht mehr hatte. Was das hier in meinen Augen nicht nur zu einer guten Rückkehr für Slime macht, sondern ganz effektiv zur besten Platte, die sie in ihrer gesamten Karriere veröffentlicht haben. Und das passiert tatsächlich den wenigsten Bands nach über 40 Jahren.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11


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