Donnerstag, 18. August 2022

Den Blues verlernt

Jack White - Entering Heaven Alive
JACK WHITE
Entering Heaven Alive
Third Man
2022

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ traditionell | songwriterisch | verknallt ]

Zahlreiche Archivplatten und exklusive Reissues aus den heiligen White Stripes-Katalogen der Vergangenheit mögen zuletzt sehr gut darüber hinweggetäuscht haben, doch schaut man sich die Diskografie von Jack White von 2022 aus mal an, ist es schon eine ganze Weile her, dass dieser auf einem vollwertigen und kanonischen Album der klassische Blues- und Folklore-Songwriter war, als den ich ihn irgendwann mal kennen gelernt hatte. Zählt man seine nebenbei bemerkt fantastische Compilation von Akustikaufnahmen von 2016 nicht mit, dann ist es tatsächlich sein Debüt Blunderbuss von vor einer Dekade, auf dem es zum letzten Mal etwas zahmer zuging und das vor allem von soft-emotionalem Rockbardentum geprägt war. Womit ich keinesfalls sagen will, dass das grundsätzlich ein Problem ist. Zwar war der Weg des Jack White in die Arme des experimentellen Freakrock über die vergangenen zehn Jahre ein durchaus holpriger und von vielschichtigen Extremen geprägt, doch spätestens mit seinem jüngsten Album Fear of the Dawn, das ja erst vor wenigen Monaten erschien, hat er ein ernsthaftes Händchen für diese Stilistik gezeigt. Was man in meinen Augen letztendlich auch daran merkt, wie schwachbrüstig und uninspiriert auf Entering Heaven Alive seine Rückkehr zu besagten Wurzeln klingt. Eine Entwicklung, die mich nach allen Ereignissen der letzten Jahre schon ein bisschen überrascht, da eine Platte wie diese für ihn eigentlich nicht mehr als eine Fingerübung sein sollte. Doch verstolpert sich der Maestro hier häufig gerade an den Stellen, die eigentlich am meisten seinen ursprünglichen Kernkompetenzen entsprechen. Wo folkige Akustikballaden wie All Along the Way oder Love is Selfish früher stets die heimlichen Fanfavoriten eines jeden Stripes-Albums waren, sind sie hier höchstens blasse Abziehbilder eines You've Got Her in Your Pocket oder We're Going to Be Friends. Und was White an vielen Stellen drumherum fabriziert, hat ebenfalls weder Hand noch Fuß. Da gibt es das völlig trottelig komponierte Help Me Along mit musikschulhafter Instrumentalbegleitung, das als Opener völlig fehlplatzierte A Tip From You to Me oder was auch immer Queen of the Bees sein soll. Vor allem klingen aber die meisten Songs hier einfach nur nach billigem Füllmaterial, was vorher bei aller Durchwachsenheit nie ein Problem von Jack White gewesen ist und hier sehr überraschend kommt. Wenn ich indes einen Song hier wirklich toll und aufregend finde, dann ist das das grantige I've Got You Surrounded (With My Love), das mit seiner scharfkantigen Gitarrenarbeit und seinem schrabbeligen Charakter aber auch eher wie ein Outtake von einem seiner letzten beiden Alben klingt. Und obwohl es mit A Tree On Fire From Within und If I Die Tomorrow vor allem in der zweiten Hälfte auch durchaus ein paar kleine Highlights gibt, würden diese selbst im direkten Vergleich mit vielen Songs von Blunderbuss sicherlich ziemlich verblassen. Was mich an dieser Stelle in eine seltsame Situation bringt, die so auch ziemlich unverhofft kommt, denn nie zuvor hätte ich mir träumen lassen, ein Album voller lyrischer Akustiksongs aus der Feder dieses Musikers zu verschmähen oder gar abzulehnen. In vielen Momenten der letzten Jahre habe ich mir ja sogar gewünscht, er würde mal wieder eine dieser Platten machen. Nur um jetzt, wo dieser Fall tatsächlich eingetreten ist, ziemlich enttäuscht und indifferent in Bezug darauf zu sein. Wobei darin in meinen Augen auch ein bisschen die gute Nachricht verborgen liegt, dass White dadurch noch mehr das Recht gewinnt, auf all seinen anderen Platten abgefahrenen Blödsinn zu verzapfen und damit wahrscheinlich mittelfristig den Weg des Paul McCartney zu gehen. Wobei ich an diesem Punkt keine Ahnung habe, ob ich das verheißungs- oder unheilvoll finden soll.

🔴🔴🔴🟠🟠⚫⚫⚫⚫ 05/11


Persönliche Höhepunkte
I've Got You Surrounded (With My Love) | A Tree On Fire From Within | If I Die Tomorrow | Please God, Don't Tell Anyone

Nicht mein Fall
A Tip From You to Me | Help Me Along | Queen of the Bees

Hat was von
Bob Dylan
Blonde On Blonde

the Black Keys
Turning Blue


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