Dienstag, 26. April 2022

Blau & Schlau

Jack White - Fear of the Dawn
JACK WHITE
Fear of the Dawn
Third Man
2022
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ angesäuert | verspielt | wild ]
 
Dass einige Leute im Internet Fear of the Dawn dieser Tage als "das große Comeback" von Jack White bezeichnen, ist in meinen Augen eine Sache, die reine Aufmerksamkeitshascherei ist und mal wieder sehr deutlich zeigt, dass die meisten Musikfans da draußen einfach nur verwöhnte Heulsusen sind. Denn nicht nur ist das letzte vollwertige Album des blaublütigen Rock'n'Roll-Zampanos stand jetzt gerade Mal etwas mehr als vier Jahre her, auch ist es in der Zeit seitdem nicht so gewesen, als hätte er sich völlig aus dem Rampenlicht zurückgezogen. Sicher, der wenigste Output von White war während dieses Zeitraums eigene Musik in Form von neuen Soloplatten, dafür hatte er aber viele tolle Projekte im Rahmen seines Labels Third Man laufen, machte sich dutzende Male als passionierter Botschafter des Vinylformats verdient und veröffentlichte darüber hinaus zum ersten Mal seit Trennung der legendären White Stripes ausführliche Exzerpte aus deren Archiven. Und für die, die am Ende trotzdem noch meckern: Für 2022 hat er neben diesem neuen Projekt gleich auch noch ein zweites angekündigt, das höchstwahrscheinlich Ende Juli erscheinen wird und über das ich an dieser Stelle zumindest schon mal sagen kann, dass ich darauf unfassbar Bock habe. Denn allein demnach zu urteilen, was bereits auf diesem Album zu hören ist, hat White kreativ gerade einen ziemlichen Lauf und ist kompositorisch vielleicht in der spannendsten Phase seit dem Ende der White Stripes. Wer in den vergangenen Jahren bei ihm ein bisschen aufgepasst hat, weiß inzwischen, dass dieser bereits seit seinem letzten Longplayer Boarding House Reach von 2018 andauert und dort seinen eigentlichen Urknall hatte, für mich persönlich nimmt er hier aber erst so richtig Form an. Denn wo der Sturz in die experimentelle Verschwurbelung dort erstmal ein ziemlicher Schock war und eben nicht nur in songwriterischen Meisterwerken resultierte, schafft White es hier, diese verspielte Energie nochmal gescheiter zu fokussieren und auch in einen entsprechenden klanglichen Kontext zu packen. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass das Ergebnis hier nochmal um Längen besser ist und man tatsächlich einen Longplayer vor sich hat, der die wilde Euphorie und die quirkige Faszination der neuen White-Inkarnation tatsächlich über 40 Minuten aufrechterhält. Zwar muss ich als persönlichen Disclaimer auch dazu sagen, dass ich mich vier Jahre nach Boarding House Reach erstmal wieder in die schrullige Welt eingrooven musste, die die Platte hier aufbaut, schon beim zweiten Hören jedoch offenbarten sich an vielen Stellen die unmissverständlichen Qualitäten dieses Sounds. So hat fast die ganze LP diese großartig schiebende Fuzzrock-Energie, die mich extrem an Ty Segall erinnert und die an vielen Stellen erstmal sehr angesäuert und derbe anmutet. Bei genauerem Hinschauen ist diese aber auch extrem filigran und detailverliebt und gerade in Sachen Aufnahmetechnik und Mixing leistet sich Fear of the Dawn an jeder Ecke herrlich verquere Schmankerl, die man erst Stück für Stück entdeckt und die den herrlich räudige Garagenrock-Schmiss des Songwritings mit haufenweise extrem sorgfälig gearbeiteter Garnitur veredeln. Wobei wir da noch gar nicht von den ganzen sehr offensichtlichen Stilbrüchen wie den cleveren Dub-Einspielungen in Eosophobia oder einem prominenten Feature von niemand geringerem als Q-Tip in Hi-De-Ho gesprochen haben, die natürlich auch alle extrem geil sind. Und obwohl es auch nicht zu beschönigen ist, dass Fear of the Dawn in seiner zweiten Hälfte durchaus ein bisschen an Fahrt verliert und die Sache insgesamt nicht ganz so abenteuerlich und kauzig ist wie ihr direkter Vorgänger, hat mich Jack White am Ende doch ein weiteres Mal überrascht. Weniger damit, dass er hier die gedankliche Arbeit von Boarding House Reach fortsetzt, sondern eher damit, wie er daraus letztlich doch noch ein ansprechendes und einigermaßen kohärentes Album zu Formen versteht. Aber ganz ehrlich: Wer wenn nicht er könnte diese Aufgabe stemmen? Und daran, dass er auch 2022 noch einer der spannenderen Rockmusiker der Gegenwart sein würde, daran hatte ich sowieso nie gezweifelt. Wobei letzteres ja auch nach wie vor die Hauptsache ist.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11

Persönliche Höhepunkte
Taking Me Back | the White Raven | Hi-De-Ho | Eosophobia | What's the Trick?

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Ty Segall
Freedom's Goblin

Paul McCartney
McCartney II


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen