Mittwoch, 20. April 2022

Ein Bett im Kornfeld

BILDERBUCH
Gelb ist das Feld
Maschin Records
2022
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ optimistisch | entschleunigt | urlaubsreif ]

Es ergibt schon irgendwie Sinn, dass Bilderbuch nach dem fulminanten Doppelaufguss von Mea Culpa im Herbst 2018 und Vernissage My Heart nur wenige Monate später beschlossen, erstmal jene ausführliche Schaffenspause einzulegen, aus der sie jetzt gerade zurück sind und in gewisser Weise war gerade sie auch die logische Konsequenz aus der künstlerischen Essenz, die diese beiden Alben bereits propagierten. Denn wenn diese für die Wiener kopfmäßig eines bedeuteten, dann den langen und stringenten Cooldown ihrer kreativen Formel nach dem sensationellen und definierenden Durchbruchserfolg von Schick Schock im Jahr 2015, bei dem die Band sich öffentlich mehr und mehr rar machte, zunehmend verquer-kunstige und absichtlich uneingängige Songs schrieb und sich vor allem in den Texten von Sänger Maurice Ernst zunehmend ein Narrativ von innerer Entschleunigung und der Sehnsucht nach meditativer Einfachheit breitmachte. Womit Bilderbuch Stand 2022 nach konsequenter Distanzierung von den nervigen Erfolgsfans und über vier Jahren ohne Album vielleicht an dem Punkt sind, den sie schon seit einiger Zeit zu erreichen versuchen: Sie sind keine Popstars mehr. Zumindest nicht mehr ansatzweise so sehr, wie sie das noch vor der Pause waren. Das Release von Gelb ist das Feld vor etwas mehr als einer Woche wurde erstmals seit Schick Schock nicht von großem Medien-Trara begleitet und worüber sich die geneigten Fans bei ihnen mittlerweile freuen, sind nicht mehr einzlene Hitsingles wie Maschin oder Bungalow, sondern ganzheitliche Albumerfahrungen, die das stilistische Spektrum der Österreicher konsequent weiter pushen. Und in so gut wie jeder Hinsicht ist Gelb ist das Feld genau so ein Album geworden. Eines, das an der progressiv-abenteuerlichen Ästhetik von Vernissage My Heart ansetzt und diese befreit und sehr organisch weiterdenkt. Soll heißen, dass die Bilderbuch von 2022 die blasierte Coolness ihrer Erfolgsphase nunmehr endgültig abgelegt haben und hier ein sehr organisches, unumwundenes und teilweise schon fast esoterisches Stück Musik aufnehmen. Die Klangpalette ist dabei mehr denn je von soften Gitarrenharmonien geprägt, die Stimmung sommerlich-optimistisch und Stücke wie Nahuel Huapi, Bergauf (der als Opener stattliche sechs Minuten auf die Uhr bringt) oder der Titelsong von einer erfrischenden Urlaubsstimmung geprägt, die grundsätzlich erstmal gute Laune macht. Selbst eigentlich sehr nachdenkliche Passagen wie in Klima oder Schwarzes Karma klingen in dieser Inkarnation von Bilderbuch plötzlich unfassbar leicht und profitieren auch von einer Produktion und Komposition, die  spürbar sorgloser und lockerer ist. Und wo diese in den meisten Fällen deutlich zur Gesamtästhetik beiträgt und die Österreicher hier einige ihrer in meinen Augen besten Songs schreiben, gibt es gerade in der zweiten Hälfte Passagen, in denen die Zügel vielleicht ein bisschen zu locker gehalten sind und die Platte durchaus mal ein bisschen aus dem Leim geht. Nach den extrem tighten ersten sechs Tracks ist Klima im Mittelteil der LP der erste Moment, in dem Gelb ist das Feld ein bisschen abrutscht, was auf den ersten Blick nicht mehr ist als eine kleine Euphoriepause. Doch kehren Bilderbuch ab diesem Punkt eben auch nicht mehr auf das qualitative Level des Anfangs zurück und operieren dabei zwischen mittelprächtig-okayen Songs wie I'm Not Gonna Lie und schon ziemlich peinlichen Rohrkrepierern wie Baby, dass du es weißt. Mit den letzten drei Stücken wird es ganz zum Schluss dann zwar doch nochmal richtig gut, bis dahin hat das Album aber schon große Teile seiner Spielzeit mit unnötigem Füllmaterial und ein bisschen zu freigeistigen Exkursen zugebracht, die ein schicker Schlusspart eben auch nicht ungeschehen macht. Zunehmend stört mich dabei auch ein bisschen die lyrische und performative Arbeit von Maurice Ernst, der sich seit Schick Schock mit jeder Platte mehr zum kolossalen Glücksspiel entwickelt und in seinen Ergüssen zwar oft überraschend ist, dabei aber nicht immer unbedingt auf die gute Weise. Und auch hier finde ich diesbezüglich wieder viele Passagen, in denen er spannende Hakenschläge vornimmt und seine ganz eigene textliche Marke bewusst setzt, zum überwiegenden Teil bestehen diese hier aber eher aus billigen Anglizimen und pseudopoetischen Dada-Lines, die eben nicht mehr den abstrakten Grip hatten, der seine lyrische Arbeit einst so besonders machte. Und würde nicht der Rest der Band an vielen Punkten so großartige Überzeugungarbeit leisten, hätte ich sicherlich schon viel ärger an Bilderbuch zu zweifeln begonnen. Und das ist dann von meiner Warte aus schon ein hartes Urteil, das mir auch ein bisschen Sorgen macht. Wobei in meiner Brust hinsichtlich dieses Albums auch zwei Herzen schlagen. Denn Gelb ist das Feld ist zwar erneut ein spannendes und cooles Album der Wiener geworden, die roten Fahnen sich hier aber auch weitaus deutlicher zu sehen als noch auf den Vorgängern und es gibt Punkte, an denen die Band meiner Meinung nach langsam ein bisschen komisch wird. Die Probleme, die ich hier beispielhaft nenne, sind dabei keinesfalls neu, sie rücken in ihrem Songwriting nur immer weiter in den Vordergrund und bedürfen in meinen Augen definitiv einer kritischen Auseinandersetzung. Denn wenn die Metamorphose von Bilderbuch weiterhin den Trend verfolgt wie in den Jahren seit Schick Schock, könnte das hier vielleicht ihre letzte so einigermaßen stabile LP der Wiener sein. Und um das gutzuheißen, schätze ich ihren bisherigen Output und vor allem ihr einzigartiges Talent dann doch zu sehr. Wäre schade um einen der spannendsten deutschsprachigen Acts der letzten zehn Jahre.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11

Persönliche Höhepunkte
Bergauf | For Rent | Dates | Nahuel Huapi | Daydrinking | Schwarzes Karma | Ab und Auf | Zwischen deiner und meiner Welt | Gelb ist das Feld

Nicht mein Fall
Baby, dass du es weißt


Hat was von
Die Sterne
Die Sterne

Coldplay
Mylo Xyloto


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