Sonntag, 3. April 2022

Denkender Denzel

Denzel Curry - Melt My Eyez See Your Future
DENZEL CURRY
Melt My Eyez See Your Future
Loma Vista
2022

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ biografisch | nachdenklich | klassisch ]

Ich habe in den letzten Jahren immer mal wieder moniert, wie unübersichtlich und vor allem unberechenbar die Diskografie von Denzel Curry mitunter sein kann und dass man bei ihm oft nicht weiß, was bei ihm jetzt eigentlich Mixtape, was EP und was Album ist. Auf eine Sache konnte man sich bei ihm aber bisher immer verlassen: Wenn er alle paar Jubilare dann doch mal das Großformat bemühnte und ein Release ankündigte, das wirklich als solches Gedacht war, wurde das auch unmissverständlich klar. Dreimal war das in der während der letzten Dekade der Fall, einmal auf seinem offiziellen Debüt Nostalgic 64 von 2013, einmal auf Imperial drei Jahre später und zum bisher letzten Mal auf seinem ambitionierten Konzept-Doppelprojekt Ta13oo von 2018. Vier Jahre sind seitdem vergangen, in denen Curry mit lose formulierten Platten wie Zuu oder Unlocked jede Menge verschiedene Sachen ausprobierte, im Frühjahr 2022 ist es aber mal wieder soweit: Der Kalifornier droppt mit Melt My Eyez See Your Future ein neues Album-Album und dementsprechend auch mal wieder ein gehörig ambitioniertes Werkstück. Wobei man in vielen Punkten schon sagen könnte, dass es seine inhaltlich bisher potenteste LP mit dem größten Anteil an lyrischem Hirnschmalz und künstlerischer Reife ist. Im Sinne eines ziemlich klassisch orientierten Consciousrap-Projekts, von dem ich mir im Vorfeld tatsächlich nicht sicher war, ob Curry in diesem Feld bestehen würde. Zwar hatte er gerade mit Ta13oo zum letzten Mal schon gezeigt, dass denkerische Motive und eine gewisse sozialkritische Draufsicht (die er hier auch an vielen Stellen wieder einnimmt) durchaus sein Ding sind, allerdings war das dort auch noch in einer radikalen Edgyness verpackt, die meinem bisherigen Bild von ihm besser zu Gesicht stand und außerdem eindeutig seine eigene Marke war. Hier hingegen wendet er sich nicht nur an sehr traditionelle klangliche Motive und eine eher jazzrappige Ästhetik (Keine Angst, rappelige Hihats gibt es hier trotzdem noch mehr als genug), er macht mit diesen Stilmitteln auch eines dieser kopfig-sozialbewussten Mental-Health-Alben, wie sie seit 2015 eigentlich schon jede*r einmal gemacht hat, was sich natürlich auf seine Originalität auswirkt. Die gute Nachricht dabei: Melt My Eyez klingt am Ende trotzdem nicht wie eine Platte, die sich einfach nur in diese Post-To Pimp A Butterfly-Pipeline einreiht, auch wenn es oberflächlich erstmal so wirkt. Was bei Curry den entscheidende Unterschied ausmacht ist seine Kraft, das hier zu einer sehr persönlichen LP zu machen, die an vielen Stellen unmissverständlich seine Story erzählt und damit auch nicht verwechselbar mit irgendeinem anderen Act ist. Zwar muss man für diese Einsicht hier auch erstmals genauer hinhören und es gibt durchaus einige Elemente an Melt My Eyez, die ein bisschen basic sind, in keinem Moment jedoch werden Songs dadurch effektiv schlechter. Und wenn es um die reine Qualität der Tracks geht, kann man Curry sowieso keinen Vorwurf machen. Ob es nun die sanft-biografische Exposition von Walkin ist, das mit Breakbeats zugehackte Zatoichi oder ein Trapbanger wie Sanjuro: Melt My Eyez schafft es sowohl, trotz vieler verschiedener stilistischer Einflüsse einen sehr kohärenten Flow zu managen, hat andererseits aber auch diverse tolle Einzeltrack-Highlights mit Hitpotenzial, die bei diesem Typen ja auch immer wichtig sind. Und sowas wie einen schwachen Song gibt es diesmal außerdem nicht. Wenn ich mir an vielen Punkten eine Sache von dieser LP gewünscht hätte, die sie nicht erüllt, dann ist das eine etwas gewagtere Produktion und Beatarbeit, die nicht so oft auf sehr auf abgekaute Neunziger-Klischees zurückgreifen würde. Und ja, mein liebstes Album von Curry wird das hier sicherlich nicht werden. Zu oft opfert es in meinen Augen noch die Energie starker Aha-Momente für einen sehr sicheren Gesamtsound, was dann eben doch ein bisschen out of character für diesen Rapper ist und sein Talent tendenziell auch leicht unter Wert verkauft. Vergleicht man das ganze aber mal mit den vielen anderen Platten, die in den letzten Jahren ähnliche Ideen ausarbeiteten und intelligenten Rap machen wollten, ist es doch echt in Ordnung und blamiert sich zumindest nicht so wie manch anderer in dem Bereich. Vielleicht ist es dabei nicht bemerkenswert, aber defintiv in Ordnung. Und auch das ist bei Denzel Curry ja nicht immer eine Selbstverständlichkeit.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11

Persönliche Höhepunkte
Walkin | the Last | Ain't No Way | the Smell of Death | Sanjuro | the Ills

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Joey Bada$$
All-Amerikkkan Bada$$

Kendrick Lamar
Untitled.Unmastered.


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