Donnerstag, 21. April 2022

Swings Both Ways

Father John Misty - Chloë and the Next 20th Century
FATHER JOHN MISTY
Chloë & the Next 20th Century
Bella Union
2022
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ orchestral | opulent | verspielt ]
 
Zuallererst Mal eine Feststellung meinerseits: Es ist eine gute Sache, dass uns die Corona-Pandemie bisher einen zweiten Teil des satirisch-politischen Pure Comedy-Josh Tillman erspart hat, denn das hätte ich vermutlich nicht ausgehalten. Sicher, es wäre wahrscheinlich ein sehr treffendes und auf seine Weise auch echt witziges Album geworden, das ein weiteres Mal einen gewissen Zeitgeist perfekt eingefasst hätte, doch gehörte ich schon beim ersten Mal vor inzwischen fünf Jahren nicht zu denen, die davon die größten Fans waren. Und wenn man mich fragt, leitete es seitdem auch eine der nervigeren Karrierephasen von Father John Misty ein, in der die Musik des Kaliforniers zwar inhaltlich und lyrisch immer cleverer und cooler wurde, dabei aber mit einer zunehmenden klanglichen Verkitschung einherging, die Tillman zeitweise gefährlich nahe ans loungige Softpop-Territorium eines Michael Bublé oder Eels heranführte, für das er dann doch eindeutig zu gut ist. Und wenn ich ehrlich bin, ist sein neues Album Chloë & the Next 20th Century auch keines, das diesem grundsätzlichen Trend Einhalt gebietet. Aber immerhin schien es im Vorfeld so, als hätte Father John Misty gelernt, diese schwulstige Aura gescheit zu verpacken und eine neue Bühne dafür gefunden, die spannende Neuerungen versprach. So erwischte mich Anfang Januar die Leadsingle Funny Girl mit ihren deftigen Sinatra-Streichern ziemlich aus der kalten und wurde mit ihrer Kombination aus pompösem Glamour und gewohnt schwarzhumorigem Lyrizismus sehr schnell zur ersten Tillman-Nummer seit I Love You, Honeybear von 2015, die mich wirklich begeisterte. Dass ich auf das folgende Album im positiven Sinne gespannt war, konnte man also auf jeden Fall sagen. Und wenn man es mal ganz technisch betrachtet, dann hat die fertige Platte auch alle von mir gestellten Erwartungen erfüllt. Die instrumentale Palette hier ist durchweg von der orchestralen Big Band-Ästhetik geprägt, die ich an Funny Girl so mochte, kompositorisch ist sie die bisher edelste und großkotzigste Version von Father John Misty (was in meinen Augen ein match made in heaven ist) und was die Textarbeit angeht, reicht es mir persönlich einfach, dass er hier das Niveau der letzten Platten hält (auch wenn er diesmal im Vergleich dazu weniger konzeptuell ist). Und mit Songs wie Goodbye Mr. Blue, Buddy's Rendevous und natürlich der besagten Leadsingle gelingen ihm hier tatsächlich einige seiner besten Songs seit etlichen Jahren, die mich optimistisch stimmen. Der Haken dabei: Trotz vieler toller Einzelmomente und einer grundsätzlich coolen klanglichen Grundidee ist Chloë als Gesamtarbeit doch ein ziemlich chaotischer Haufen von Ansätzen und Ästhetiken, die hier sehr viele lose Enden bilden und dadurch leider auch in einigen der schwächsten Songs von Tillman resultieren. Wobei vieles davon in meinen Augen mit den neuen instrumentalen Möglichkeiten zu tun hat, die der Songwriter hier hat und die er entsprechend auch so umfangreich wie möglich ausschöpfen will. Da gibt es mit dem eröffnenden Titelsong einen fluffigen Vaudeville-Song, mit Goodbye Mr. Blue eine schmonzige Countryballade, mit Q4 sechzigerigen Barockpop und mit Olvidado (Otro Momento) seichten Bossa Nova. Dass die Platte zwischen all diesen sehr konträren Stilen sehr schnell den roten Faden verliert, riecht man da fünf Meilen gegen den Wind und gerade mit einigen der stilistisch etwas exotischeren Ausflügen begibt sich Misty an vielen Stellen auch in Territorium, das seinem Schreibstil und seinem stimmlichen Timbre nicht wirklich schmeichelt. Viele Songs retten sich dabei am Ende durch ihre sehr detailverliebte Komposition und die wirklich klasse aufbereitete Orchestrierung, dass im Kern oft etwas fehlt, können sie aber kaum übertünchen. Und über kurz oder lang bringt mich das letztlich doch wieder dazu, von einem Album des Father John Misty ernsthaft enttäuscht zu sein und zu resümieren, dass der Kalifornier hier sein immenses Talent verschwendet. Wie bereits auf den letzten Platten gibt es zwar auch hier Einzelmomente (in diesem Fall vor allem Funny Girl), die wirklich überzeugen und sicherlich langzeitige Favoriten werden können, vom Projekt als Gesamtheit bin ich hier aber noch weniger überzeugt als auf den schon sehr durchwachsenen letzten Sachen, einfach weil es besagte Gesamtheit hier nicht mal wirklich gibt. Und selbst wenn ich finde, dass Tillman mit dieser swingigen Retro-Ästhetik durchaus einen klanglichen Sweet Spot getroffen hat, der ihm sehr gut steht, bin ich doch nicht länger optimistisch, dass er aus diesem in naher Zukunft noch ein wirklich rundes Album herausholt. Denn dafür hat er mich inzwischen doch ein paar Mal zu oft hängen lassen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
Goodbye Mr. Blue | Buddy's Rendevous | Funny Girl

Nicht mein Fall
Q4 | Olvidado (Otro Momento)


Hat was von
Frank Sinatra
Ring-A-Ding-Ding!

Micheal Bublé
Christmas


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