Sonntag, 9. April 2017

Die göttliche Komödie

Man kann auf jeden Fall argumentieren, dass die Welt 2017 dieses Album braucht. Ein gewisser Donald Trump ist seit November der Präsident der USA, sogenannte Fake News sind erfolgreicher als echte und seit einigen Wochen hat die britische Regierung sich sozusagen selbst die wirtschaftliche Schlinge um den Hals gelegt. Je nachdem, wie man das ganze sieht, ist das schon Pure Comedy. Humor ist 2017, wenn man trotzdem lacht. Und jemand wie Josh Tillman aka Father John Misty ist definitiv einer, der dafür die nötigen Pointen liefern kann. Allein dafür wurde er in den letzten Jahren allerorten von der gesamten Musikpresse gefeiert und sein letzter Longplayer I Love You, Honeybear steht dafür noch immer als starker Beweis. Wie Tillman sich hier mit dem Thema Ehe, einem sonst musikalisch eher negativ betrachteten Thema, auseinandersetzte, war buchreif. Man wollte diesen Typen unbedingt als Lebensratgeber und am besten als Pastor bei der eigenen Hochzeit haben. Ganz nebenbei erschuf er sich mit dieser Platte auch musikalisch eine völlig neue Identität, die er nach seinem Ausstieg bei den Fleet Foxes unbedingt nötig hatte. Und in den letzten zwei Jahren dürfte er damit einer der beliebtesten Musiker überhaupt geworden sein. Weshalb ich zuerst auch keine Bedenken hatte, als sich mit Pure Comedy als Nachfolger ein sehr umfangreiches und schwieriges Projekt anbahnte. Dass Tillman so etwas wie ein über einstündiges Doppelalbum über die gesellschaftliche Gegenwart des Menschen im Allgemeinen schaffen konnte, daran zweifelte ich keine Sekunde. Zumindest bis dann mit dem Titeltrack die erste Single kam und mir klar wurde, was der Songwriter sich hier tatsächlich vorgenommen hatte: Besagter Song ist ein fast siebenminütiger, zutiefst zynischer Monolog über Evolution, Politik, Geschlechterrollen und Psychologie, der zwar in den besten Momenten genial, aber als großes Ganzes einfach nur ziemlich anstrengend ist. Dabei liegt das Problem nicht in den Dingen, die hier erzählt werden. Die sind wie schon auf Honeybear das große Ass im Ärmel von Tillman. Es liegt daran, dass er hier unbedingt Musik daraus machen musste. Hätte man das Album Pure Comedy als lyrisches Programm mit Songs zwischendurch inszeniert, wie es in der Comedy-Szene üblich ist, wäre das ganze wahrscheinlich ein Brüller geworden. Mit einem tierisch bissigen Unterton erzählt Father John Misty hier Stories aus allen Lebenslagen, schwadroniert über die Entertainmentindustrie, preist die Hässlichkeit der Welt an, stellt große philosophische Fragen und weiß am Ende trotzdem, das ganze in einer herrlich tragikomischen Weise zu inszenieren. Weil er sowas eben kann. Was er jedoch nicht kann, ist für solche Inhalte die passenden klanglichen Akzente zu setzen. Ganz sicher wären die verkitschten, schmalzigen Melodien des Vorgängers hier nicht wirklich passend gewesen, also nimmt das Album eher eine sporadische Instrumentierung vor. Zwar gibt es auch diesmal viele Streicher-Passagen und aufwändige Arrangements, doch sind diese hier eher Untermalung als episches Schmuckwerk. Und genau hier liegt der Hund begraben: Father John Misty versucht hier, im Stil von Sun Kil Moon oder Patti Smith eine textlastige Platte zu machen, weiß aber nicht, wie er das richtig anstellt. Folglich hört man auf Pure Comedy 75 Minuten lang einen Typen, der über furchtbar langweilige Backing-Musik vom Leiden der Meschheit erzählt und wirklich unterhaltsam ist das irgendwann nicht mehr. Tracks wie das fast viertelstündige Leaving L.A. sind sprachlich fantastisch, aber musikalisch grauenvoll öde und man fragt sich, ob das in diesem Umfang wirklich nötig gewesen wäre. Sicherlich ist ein großer Teil meines Unverständnisses auch der Sprachbarriere geschuldet, die ja irgendwie trotzdem immer noch besteht, allerdings kann ich auch Mark Kozelek oder Mount Eerie gut hören, ohne dass so etwas ein Thema wäre. Also schein Josh Tillman doch irgendwas falsch zu machen. Und es gibt ja auch Stücke, in denen das Konzept aufgeht, so wie Ballad of the Dying Man oder Birdie, die ihre Handlungsstränge eben ein wenig ausschmücken. Leider sind diese in der so umfangreichen Tracklist mehr oder weniger nur Spotlights und die längsten Tracks sind meistens auch die langweiligsten. Pure Comedy ist deshalb noch lange kein schlechtes Album, es ist nur sehr viel Luft nach oben. Und wenn man mal ehrlich ist, hat sich Josh Tillman hier vielleicht ein kleines bisschen übernommen. Zwar rechne ich nach wie vor damit, dass diese LP überdurchschnittlich gute Kritiken bekommen wird, ich für meinen Teil würde sie aber lieber lesen als hören. Dafür bin ich aber nicht Musikblogger geworden.





Persönliche Highlights: Ballad of the Dying Man / Birdie / the Memo / So I'm Growing Old On Magic Mountain

Nicht mein Fall: Total Entertainment Forever / When the God of Love Returns, There'll Be Hell to Pay / Two Wildly Different Perspectives

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