Mittwoch, 5. April 2017

Post-dramatische Behandlung (feat. Bekenntnisse eines Postrock-Fanboys)

Als äußerst treuer und leidenschaftlicher Fan der Postrock-Bewegung, der auch während ihrer im Moment andauernden dunklen Zeit den Glauben nicht verliert, finde ich es ziemlich bestürzend, dass auf diesem Format die Anzahl der besprochenen Alben aus diesem Genre so rapide gesunken ist. Noch 2015 redete ich ständig über diverse neue Bands, von denen etliche danach in meinen Top 30 landeten und mir danach auch über lange Zeit ans Herz gewachsen sind (Abschiedskuss für Brontide an dieser Stelle). Doch schon letztes Jahr war das ganze kaum noch ein Thema und obwohl mit Under Summer von Yndi Halda eine Platte sogar auf dem zweiten Platz in meinen Lieblingalben landete, war es auch fast die einzige LP, über die ich in dieser Saison berichtete. Und leider setzt sich dieser unangenehme Trend auch im neuen Jahr fort. Klar gibt es Ankündigungen und große Touren von Leuten wie Mogwai oder Sigur Rós, sogar Do Make Say Think bringen neues Material heraus, aber was mir unbedingt fehlt, ist die Basis der Szene. Was das Fansein für mich stets am meisten bereichert, sind die kleinen Untergrund-Künstler_innen, die in den Kellerclubs der ganzen Welt spielen und die eine Art golabale Postrock-Community bilden, die in Glasgow und Montreal genauso stattfindet wie in Buenos Aires, Teheran oder Freiberg in Sachsen. Deren Platten hier zu besprechen, ist mir eher eine Herzensangelegenheit als die der großen Gruppen, die mittlerweile Arenen füllen. Und mit Antethic scheine ich gerade mal wieder auf ein solches Projekt gestoßen zu sein. Die dreiköpfige Band aus St. Petersburg spielt eine sehr gediegene, moderne Form von Instrumentalrock, der beim ersten Kontakt vielleicht ein wenig an den von Caspian oder Maybeshewill erinnert. Das Wechselspiel aus Synthesizern und Gitarren ist dabei wesentlich und eines der Dinge, die die Russen wirklich großartig beherrschen. Man kann nie mit Sicherheit sagen, welches der beiden Elemente ihr Songwriting dominiert und kein Track hier ordnet eines davon dem anderen unter. Ebenfalls cool finde ich, dass diese Band es tatsächlich mal schafft, kompositorsich nicht ständig die verteufelte Schema F-Crescendo-Struktur des Postrock abzurufen, sondern ihre Stücke eher als ätherische Klangkonstrukte versteht, die mit sehr wenig Dynamik und Effekthascherei funktionieren. Wenn es dann doch mal laut wird, wie zum Schluss in Cascadia, kann man das hier eher mal verzeihen und es wirkt sogar mal nicht total langweilig. Im Prinzip ist Ghost Shirt Society also ein Ambient-Album, das über ziemlich viele gute Melodien verfügt und stellenweise ganz schön lärmig ist. Wer seinen Postrock also mitunter nicht ganz so dramatisch braucht, dem dürfte das hier durchaus gefallen. Mir sagt es vor allem deshalb zu, weil Antethic zu der Sorte Band gehören, die sich vor starken Pop-Einflüssen in ihrer Musik kein bisschen scheut. Sicher wird eine Platte wie diese nicht sofort eine Genre-Renaissance einläuten und die Flaute wird innerhalb dieses Jahres vermutlich noch andauern, aber solange es ab und zu mal ein Projekt wie dieses ist, hält mein Fan-Herz das schon durch. Und im Oktober sehe ich Sigur Rós, spätestens da ist alles wieder gut.





Persönliche Highlights: Ilium / Modulor / Fragments / Cascadia / Tsunami Museum / Sentinel

Nicht mein Fall: Metamachine

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