Dienstag, 5. Februar 2019

Marmor, Stein und Eisen bricht




















[ groovy | sexy | rockig ]

Es wäre in den letzten sechs Jahren einfach gewesen, die Blood Red Shoes irgendwann einfach abzuschreiben. An irgendeinem Punkt waren sicherlich viele Leute so weit, einer Band wie ihnen nicht mehr die Aufmerksamkeit entgegen zu bringen, die sie objektiv gesehen auch nicht verdienten. Schon zu ihren Anfängen Ende der Nullerjahre war das Duo aus Brighton ein lauwarmer Furz der letzten NME-Generation britischer Rock-Acts, die kurze Zeit später von der Dubstep-Welle ertränkt wurden, was ihre Karriere seitdem zu einer pausenlosen Orientierungssuche machte, die über Garagenrock, Post-Grunge und Postpunk früher oder später im Nichts enden musste. Dass es sie 2019 noch gibt, verdanken sie wahrscheinlich nur ihrer extremen Bissigkeit und der ewigen Blutsbrüderschaft zwischen Laura-Mary Carter und Steven Ansell. Und nach fast 15 Jahren gemeinsamer Musik ist das inzwischen definitiv ihre größte Stärke. Nur so konnten sie ein weiteres Mal die Geduld und die Motivation für einen klanglichen Neustart aufbringen. Dass ich für meinen Teil immer noch mit an Bord bin, liegt an einer Mischung aus Glück und der Restliebe für ihr 2012er-Album In Time to Voices, das für die Frühphase dieses Formats seinerseits urwichtig war. Durchhaltevermögen und jede Menge Geduld ist also das Rezept, welches uns jetzt an diesen Punkt gebracht hat. Einen Punkt, an dem wir dafür zumindest ein bisschen belohnt werden. Denn mit Get Tragic haben die Blood Red Shoes ihren mit Sicherheit spannendsten Longplayer seit sieben Jahren aufgenommen. Wobei das so erstmal nicht wie eine große Kunst scheint, denn seit In Time to Voices ist das hier nämlich auch erst die zweite (richtige) LP, die überhaupt erscheint. Neben einer Kompilation mit alten Demos erschien 2014 lediglich ein sehr langweiliges selbstbetiteltes Album, danach war erstmal fünf Jahre Ruhe. Das eigentliche Wunder ist also, dass es Get Tragic jetzt überhaupt noch gibt. Denn gewartet hat darauf weiß Gott niemand. Was schade ist, weil die Briten es ausgerechnet hier wieder so richtig wissen wollen. Sie probieren hier viele neue Dinge aus, erweitern das musikalische Spektrum der Möglichkeiten einer Zwei-Personen-Rockband, vergreifen sich großzügig an Synthesizern und definieren vor allem ihre musikalische Gleichberechtigung noch einmal komplett neu. Es ist klar, dass die Blood Red Shoes frischen Wind brauchten, um wenigstens ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit zu bekommen, aber es ist beeindruckend, wie sie hier an allen Fronten daran arbeiten. Den meisten Leuten werden dabei sicherlich die eher oberflächlichen Veränderungen auffallen: Ein spürbar synthetisch unterfütterter Sound, eine tightere Produktion und die Gastauftritte von Ed Harcourt, Clarence Clarity und den Wytches auf drei Songs, die im Mittelteil ein bisschen exotisches Flair einbringen. Das alles sind sicherlich wichtige Sachen, die nicht grundlos auffallen, doch in meinen Augen bilden sie nicht das Wesen dieser LP. Denn den Puls und die Energie von Get Tragic bestimmt hier mehr den je die hervorragende Chemie der beiden HauptmusikerInnen. Carter und Ansell spielten schon immer sehr gut zusammen, doch hier findet das nochmal auf einem komplett neuen Level statt. In den besten Momenten finden die beiden einen Groove, der absolut unfickbar ist, wobei vor allem Ansell am Schlagzeug abliefert wie nie zuvor. Und wo man vorher immer noch ein bisschen das Gefühl hatte, die Blood Red Shoes wären primär Lauras musikalischer Spielplatz, verschmelzen die Zwei hier zu einer klanglichen Einheit, die zu hundert Prozent gleichberechtigt ist (obwohl Laura in meinen Augen noch immer die bessere Sängerin ist). Wenn Get Tragic also für eines ein Denkmal geworden ist, dann für die Unerschütterlichkeit dieser Band, die nicht nur zusammenhält, sondern im wahrsten Sinne des Wortes zusammenwächst und nach einer Karriere voller Enttäuschungen und schlechter Platten noch immer besser werden will. Auch hier gelingt ihnen das nicht immer, aber immerhin öfter, als ich erwartet hätte. Und rein performativ haben sie hier an vielen Stellen nochmal das Niveau erreicht, das In Time to Voices damals so gut machte. Nicht nur ein Lebenszeichen, sondern ein Signalfeuer. Hoffentlich eines, das die beiden in Zukuft zu einer gewissen Konsistenz motiviert.


Klingt ein bisschen wie:
Broken Bells
Broken Bells

the Joy Formidable
Hitch


Persönliche Highlights: Eye to Eye | Mexican Dress | Bangsar | Howl | Vertigo | Elijah

Nicht mein Fall: Anxiety

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