Samstag, 9. Februar 2019

You Want It Darker




















[ melancholisch | getragen | altehrwürdig ]

Dass Paul Webb ein wesentlich bekannterer Musiker sein könnte, darauf können sich sicherlich die meisten, die ihn kennen, einigen. Seit inzwischen über 40 Jahren ist der Schotte nun aktiv, die meiste Zeit davon jedoch als eher unterschätzte Randfigur anderer Bands und Teilzeitprojekte von Leuten, deren Namen in der Pop-Welt schon eher Gewicht haben. Als Bassist von Talk Talk war er neben Mark Hollis stets nur der zweitwichtigste Mann hinter Platten wie Spirit of Eden oder the Colour of Spring und was seinen Output nach dem Austritt 1988 angeht, war seine Arbeit nicht nur äußerst rar gesät, sondern auch wahnsinnig exklusiv. Obgleich einige tolle Künstler*innen wie Beth Gibbons, Lee Harris und James Yorkston über die Jahre mit ihm zusammen arbeiteten, ihn als Produzenten engagierten und er selbst in diversen Bands spielte, ist Webb bis heute ein bisschen ein Phantom, das lediglich in den Liner Notes einflussreicher Musiker*innen auftaucht. Was sein Solo-Debüt nach so langer Zeit und mit fast 60 Jahren zu einem ziemlichen Kuriosum macht. Zwar benutzt der Schotte das Pseudonym Rustin Man schon seit den frühen Zweitausendern und gemeinsam mit Beth Gibbons veröffentlichte er 2002 sogar mal eine LP unter diesem Namen, doch ganz ohne andere Menschen stand er bis dato nicht auf dem Plattencover. Und was man im letzten Jahr an Vorboten von Drift Code hörte, lies für dieses Erstlingswerk auf einiges hoffen. Die beiden Promo-Tracks Vanishing Heart und the World's in Town waren einer wie der andere großartig ausformulierte und vielschichtige Slowburner, die irgendwo zwischen Euro-Folk, Jazz, Classic Rock, Siebziger-Prog und dem experimentellen Spätwerk von David Bowie pendelten. Songs wie ordentlich abgestandener Portwein, die einen Musiker zeigten, in dessen klangliche DNA das lange Profidasein jede Menge Charakter geschliffen hatte und der trotzdem noch unglaublich kreativ war. Drift Code schien ein Debüt zu werden, das die ganze aufgestaute kompositorische Kraft dieses Pop-Veterans kraftvoll entladen sollte und dementsprechend kreativ und faszinierend klingen würde. Es ist einigermaßen tragisch zu hören, wie weit die Platte letztendlich hinter diesen Erwartungen zurückbleibt. Es war in meinen Augen keinesfalls übereuphorisch, viel von dieser LP zu wollen, denn das, was man zuvor hörte, war wirklich überaus reichhaltig. Letztendlich wurden die besagten beiden Stücke allerdings auch nicht von ungefähr als Promos veröffentlicht, denn sie sind ohne Frage die potentesten Kompositionen hier. Gerade Vanishing Heart, der hier als Opener fungiert, sticht mit seiner bleiernen Schwere und dem Anflug von Neil Young im Refrain als unwillkürlicher "Hit" heraus, an den in den restlichen 30 Minuten der LP leider nichts mehr so richtig herankommt. Klar zeigt sich Webb hier als kreativer Songwriter, der auch gerne in Genres herummischt, haufenweise exotische Instrumente einbindet und seine gegärbte Stimme für sich arbeiten lässt, doch sind seine Ansätze an vielen Stellen doch eher skizzenhaft und oberflächlich. Vor allem fehlt zum größten Teil die dichte und tief greifende Atmosphäre, die mich am Anfang so neugierig machte. Stattdessen gibt es Vesuche von verhuschter Psychedelik (Light the Light), proggige Vokalpolyphonie (Martian Garden), ambiente Zwischenrufe (Euphonium Dream) und fast choralige Passagen (Brings Me Joy). Einige dieser Bemühungen gehen durchaus auf und sind tatsächlich positive Überraschungen, wieder andere fühlen sich einfach an wie Platzhalter und schinden sehr viel Zeit auf einem Album, das ohnehin keine 40 Minuten auf die Uhr bringt. Insgesamt macht das Drift Code leider zu einem sehr durchwachsenen Album mit sehr viel Luft nach oben. Denn dass Paul Webb großartige Songs schreiben kann, wissen wir inzwischen mit Sicherheit und mit knapp 40 Jahren Vorlaufzeit ist es nur wenig verständlich, hier ein so halbgares Etwas vorgesetzt zu bekommen, das klingt, als wäre es unter viel Zeitdruck entstanden. Vor allem hätte ich jemandem wie diesem Typen aber eine Platte gewünscht, die zum ersten Mal nur sein eigenes Projekt ist und dann auch noch richtig gut wird. Verdient gehabt hätte er es ja.


Klingt ein bisschen wie:
David Bowie
Blackstar

Neil Young
Peace Trail


Persönliche Highlights: Vanishing Heart | Our Tomorrows | Euphonium Dream | the World's in Town | Light the Light

Nicht mein Fall: Brings Me Joy

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen