Mittwoch, 2. August 2017

Stayin' Alive

Es ist 2017 eine völlig normale Reaktion, ein bisschen Angst vor Arcade Fire zu haben. Die Band aus Kanada hat sich in den letzten Jahren sehr große Mühe gegeben, ihre alten Fans zu verstören, sich im Internet seltsam zu benehmen und sich als ein groß aufgezogenes Kunstprojekt zu verkaufen, das sie zu keinem Zeitpunkt waren. Dass es nach the Suburbs scheinbar nicht mehr reichte, die größte Indieband einer Generation zu sein, hat bei vielen alten Anhänger*innen für Unmut gesorgt. Reflektor war vor vier Jahren schwer zu verdauen und vielleicht das erste Mal, dass man nicht vom Fleck weg begeistert war. Es ist heute nicht mehr so leicht, diese Musik zu mögen, wie es 2004 war. Dennoch: Ich bin bisher in keinem Moment der Meinung gewesen, dass Arcade Fire jetzt total ihren Shit geloost haben. Im Gegenteil: Ich bin von ihrer Wandlungsfähigkeit zusehends begeistert. Die Band ist mittlerweile erfahren genug, ihre künstlerischen Vorstellungen vernünftig umzusetzen, verliert nie den Bezug zum energischen Songwriting von früher und mal ganz ehrlich: Ist es eine Überraschung, dass sie jetzt Discopop machen, wo sie doch nie einen Hehl daraus gemacht haben, wie geil sie David Byrne und Abba finden? Klar muss man sich an Songs wie Chemistry, Signs of Life oder den Titeltrack erstmal gewöhnen, aber wenn man diese nicht gleich als riesengroße Albernheit abtut, erkennt man unter dem ganzen Pailettenglitzer und Karibik-Vibe die gleichen Strukturen, die Funeral und Suburbs einst so genial machten. Und es ist ehrlich gesagt hochspannend, wie sie diese jetzt auf ein ganz anderes Klangkonzept ausrichten. Sicher, dieses Klangkonzept gab es auf Reflektor auch schon, doch auf Everything Now funktioniert es um ein Vielfaches besser. Die Songs haben mehr Power, trauen sich stilistisch weiter und machen eben auch mal komische Sachen. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Künstler*innen wissen Arcade Fire, was sie mit diesen klanglichen Risiken anfangen sollen und erschaffen im Endeffekt doch wieder großartige Stücke daraus. Fast jeder Track hier ist ein Hit und auch im Kontext der Platte passt alles irgendwie. Statt des prophezeiten Verfalls erstarken die Kanadier*innen auf Everything Now erneut und werden wieder zu der starken Albumband, die sie nur mal ganz kurz nicht waren. Damit will ich nicht sagen, dass diese LP frei von Schwächen wäre: Viele der Texte hier sind mal wieder äußerst plakativ und flach, was aber schon immer eine Anomalie dieser Band war. Ferner sackt die Platte in den letzten zehn bis fünfzehn Minuten dramaturgisch etwas ab. Dafür besteht die erste Hälfte fast ausschließlich aus genialen Songs und die Produzenten, zu denen unter anderem Thomas Bangalter von Daft Punk und Geoff Barrow gehören, leisten durchgängig Maßarbeit. Kurzum ist mir der Hass, der Arcade Fire für Everything Now in den letzten Tagen entgegen geschlagen ist, ziemlich unbegreiflich. Ich finde, dass die Band nach dem etwas schwammigen Vorgänger hier wieder die Zügel anzieht und zeigt, dass sie das, was sie 2013 schon vorhatte, auch ordentlich kann. Der neue Sound ist gewöhnungsbedürftig, ja, aber mehr auch nicht. Und wem vier Jahre nicht reichen, um sich daran zu gewöhnen, der heult vielleicht einfach nur den alten Platten hinterher. Aber das hier ist die Gegenwart, ihr Opas! Kommt mal klar...





Persönliche Highlights: Everything Now / Signs of Life / Creature Comfort / Peter Pan / Chemistry / Infinite Content / Electric Blue / Put Your Money On Me

Nicht mein Fall: Infinite_Content / Good God Damn

CWTE auf Facebook

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen