Samstag, 19. August 2017

Der Gemütlichkeits-Knick

Man konnte die Musik von Grizzly Bear bisher als sehr vieles beschreiben, aber als langweilig ganz bestimmt nicht. Das Quartett aus Brooklyn gehört zu der Sorte Indiefolk-Bands, bei denen man sich eigentlich nie so richtig sicher war, ob Indiefolk überhaupt der passende Begriff für ihre Platten war. Seit ihrer Gründung vor fast 20 Jahren haben diese Jungs Prog, Elektro, Krautrock, Psychedelica und Jazz ausprobiert und dabei immer irgendwie alles gleichzeitig gemacht, was ihnen mehr als einmal den Ruf von Pop-Genies einbrachte. Alben wie Veckatimest und Shields gelten heutzutage als Indiepop für Feinschmecker und Grizzly Bear selbst als absolute Experten für stilvolle Crossover-Musik. Dementsprechend seltsam war es, sie im Vorfeld ihres neuen Longplayers so schüchtern wie selten zuvor zu erleben. Unter der ganzen Reihe an Singles, die es in den letzten Monaten gab, war keine einzige dabei, die so nach vorne ging wie die letzten Platten, und irgendwie wirkten die New Yorker hier das erste Mal so, als hätten sie auf sich selbst keine Lust mehr. Das ist natürlich wieder mal ein bisschen übertrieben von mir. In Wahrheit haben sich Grizzly Bear auf Painted Ruins einfach dazu entschlossen, ein etwas zurückhaltenderes Album aufzunehmen, was in ihrer jetzigen Phase auch gar keine blöde Idee ist. Nach vier guten LPs schaffen sie es somit, noch einmal eine neue Facette ihrer Kunst aufzuzeigen und mal etwas anderes zu machen als hibbeligen Indiepop. Das ist per se eine schöne Sache und es ist dabei auf keinen Fall so, dass die Band nicht die nötige Motivation dafür aufbringt, doch so stark wie zuletzt ist das Ergebnis am Ende eben doch nicht. Das liegt weniger an der Entscheidung, es hier gediegener anzugehen, als an der, die neuen Songs auch in Sachen Songwriting offener anzugehen. Im Gegensatz zu den vollgestopften, unglaublich melodischen Indie-Hits, die es gerade auf Veckatimest gab, lässt Painted Ruins große Stellen frei, skizziert große Melodiebögen nur an oder lässt sich lange Zeit, um Strukturen aufzubauen. Und das funktioniert als ästhetisches Mittel eben nur manchmal. Stücke wie Mourning Sound oder Four Cypresses sind gut geworden, könnten aber auch besser sein. Und im Kontext des gesamten Albums fehlt mitunter eben doch der ein oder andere Paukenschlag, der ein bisschen Bums in die Sache bringt. Losing All Sense versucht das mit seinem peppigen Uptempo-Songwriting zwar einigermaßen erfolgreich, doch versandet am Ende doch wieder in Gefälligkeit. Das geht leider auch vielen anderen Tracks so. Im Gesamteindruck bedeutet das folglich, dass es auf Painted Ruins zwar keinen wirklich schwachen Song gibt und Grizzly Bear durchweg sehr vernünftige und kreative Musik spielen, es aber auch an Überraschungen und Zäsuren fehlt, die mich aufhorchen lassen. So plätschert die Platte eben 50 Minuten vor sich her, ohne dass man sich besonders viel davon mitnimmt. Das ist zwar alles Jammern auf hohem Niveau, bei einer Band wie dieser kann man sich das aber auch durchaus erlauben. Schließlich gelten sie inzwischen als Experten auf ihrem Gebiet und haben bisher gezeigt, dass sie so etwas besser können. Wenn ich ihnen hier also zum ersten Mal nur eine Zwei Plus geben kann, ist das für niemanden ein Grund, weinend zu Mutti zu rennen. Denn wer einmal ein Streber ist, wird es höchstwahrscheinlich auch immer bleiben.





Persönliche Highlights: Wasted Acres / Four Cypresses / Losing All Sense / Cut-Out / Glass Hillside / Neighbors / Sky Took Hold

Nicht mein Fall: Systole

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