Montag, 15. Oktober 2018

Meister der vergessenen Kunst





















Dass die zunehmende Konkurrenz aus China die heimischen Märkte langsam aber sicher übernimmt, gilt in der globalen Wirtschaft als eine lange bekannte Tatsache, dass diese Aussage allerdings auch für Postrock gilt, ist mit persönlich neu. Zumindest im Falle von Wang Wen dürfte das eine realistische Perpektive sein, denn während die meisten hierzulande bekannten Künstler*innen und Bands der Szene mit den Jahren immer langweiliger, ausgelutschter und formelhafter geworden sind, scheint diese Formation aus Dalian in den fast zwei Dekaden ihres Bestehens kontinuierlich weiter auf dem europäischen Musikmarkt Fuß zu fassen. Dass sie in ihrer Heimat schon seit Ewigkeiten als einer der beliebtesten Indie-Acts und als Klassiker der ostasiatischen Alternative-Welle der Zwotausender gelten, ist die eine Sache, doch gerade in den letzten fünf Jahren kam man auch als europäischer Postrock-Fan zusehends schwerer um das Kollektiv herum. Vor sechs Jahren erschien mit 0.7 ihr erster internationaler Longplayer, seitdem gelten sie schon langsam nicht mehr als Geheimtipp. Auch mein Erstkontakt mit ihrem Output erfolgte wenig später auf ihrem achten Album Eight Horses. Dass ich bisher nie über sie schrieb, ist dabei eigentlich ein Frevel, zumal es in den letzten vier Jahren fast in jeder Saison eine neue LP von ihnen gab, und die Neugier meinerseits war eigentlich immer da. Am Ende lag es wahrscheinlich daran, dass die Platten selbst immer eher so mittelprächtig waren und ich mich deshalb zugunsten anderer Besprechungen dagegen entschied. Nun ist aber auch Invisible City eigentlich keine solche Platte. Weder ist sie wirklich besser als ihre Vorgänger noch großartig anders und hat auch sonst nichts strukturelles, was sie vom bisherigen Output von Wang Wen unterscheidet. Viel mehr ist es ihr Umfeld, welches mich dazu bringt, mein Schweigen über die Band plötzlich doch zu brechen. Denn obwohl sie insgesamt nur ziemlich gut gelungen ist, klanglich etwas überproduziert daherkommt und kompositorsich auch einige echt langweilige Passagen aufweist, ist sie doch eines der besten Instrumentalrock-Projekte, die ich dieses Jahr gehört habe. In Zeiten wie den jetzigen, die vom steten Verfall einer Stilrichtung geprägt sind, gibt man sich als Postrock-Fan ja wirklich mit viel zufrieden: Einem halbwegs gescheiten Soundtrack, einer Band, die elektronische Einflüsse noch immer als krasse Innovation verkaufen will oder ein Album, das wenigstens alles so macht wie früher. Aber diese fünf Chinesen geben mir gerade für einen Moment die Hoffnung wieder. Und das nicht, weil ihre letztendliche Umsetzung so gut ist, sondern weil sie am Fundament dieses Genres rütteln und die Neuerungen vor allem in der Struktur suchen. Invisible City ist das erste Postrock-Album, das ich seit Ewigkeiten höre, welches komplett ohne Crescendi auskommt. Das muss man sich mal vorstellen! Stattdessen arbeiten Wang Wen hier insbesondere mit klanglichen Details, improvisierten, jazzigen Gitarrenlines und einem sehr bunten und üppigen Instrumentarium. Sicher, manchmal muss man dabei auch an Bands wie Mogwai, Krobak oder Toe denken, aber das sind eher kurze Aufblitzer. Im Kern ist das hier das Werk von Musikern, die über lange Zeit ihren sehr eigenen Stil entwickelt haben. Und dieser ist im Moment so kreativ wie nur wenige ihn momentan spielen und deshalb eine kleine Sensation. Er ist dabei weitaus nicht perfekt und manchmal vielleicht ein bisschen albern, aber er tut etwas, was sich viele andere gar nicht mehr trauen: Eine originelle Substanz schaffen, die auch scheinbar festgestellte Regeln anzweifelt. Und dabei ist Invisible City nicht irgendein zufällig sehr gelungenes Spätwerk, Wang Wen befinden sich gerade auf dem Zenit ihres Schaffens. Es ist also zu erwarten, dass das hier nicht das letzte richtig gute Album von ihnen bleibt. Scheinbar habe ich also genau im richtigen Moment damit angefangen, mich für sie zu interessieren.






Persönliche Highlights: Daybreak / Stone Scissors / Lost in Train Station / Solo Dance / Bamboo Crane / Silenced Dalian / Outro

Nicht mein Fall: -

CWTE auf Facebook

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen