Sonntag, 14. Oktober 2018

Magical Mystery Tour





















Wenn es um diejenigen Künstler*innen, vor allem im Hiphop, geht, die in einer langen Karriere stets ein konsequentes intellektuelles Niveau aufrecht erhielten, die inhaltlich wandelbar waren, die große Themen ansprachen und die sich musikalisch nie zu weit aus dem Fenster lehnten, sind Cypress Hill sicher nicht unbedingt der erste Name, der einem einfallen würde. In den inzwischen 30 Jahren ihrer Aktivität waren sie selten wirklich stilsicher, ließen sich über lange Zeit auf viele äußerst fragwürdige Crossover-Ideen ein und beschränkten ihren textlichen Output zu locker achtzig Prozent auf die ausführliche Beschäftigung mit diversen indizierten Betäubungsmitteln. Über 18 Millionen Tonträger haben sie damit verkauft, ein richtiger Klassiker ist darunter allerdings nicht wirklich. Sicher, es gab lustige Meme-Tracks wie Hits From the Bong oder Insane in the Brain, die die Dekaden in zahlreichen Kiffer-Playlisten überdauerten, aber wirklich honorabel ist der Ruf der Kalifornier heutzutage nicht. Dabei sind sie durchaus eine Band, die in meinen Augen jede Menge Beachtung verdient. Denn wenn es ein Mainstream-kompatibles Hiphop-Kollektiv gibt, dass über seine gesamte Karriere hinweg nie müde war, neues zu probieren und sich damit durchaus auch sehr weit aus dem Fenster zu lehnen, dann sind sie das. Das führte einerseits zu grauenvollen Peinlichkeiten wie einer Kollabo-EP mit Dubsteb-Produzent Rusko vor sieben Jahren oder erst kürzlich zu ihrer Beteiligung an der Supergroup Prophets of Rage, aber eben auch zu teilweise unterschätzten Highlights wie dem ziemlich guten Album Till Death Do Us Part von 2004. Und dass sie noch immer eine Band sind, der man diesbezüglich eine Chance geben sollte, zeigt ihre jüngste LP Elephants On Acid ganz besonders beeindruckend. Denn nach fast einem Jahrzehnt künstlerischer Durststrecke erfinden sie sich hier zu einem gewissen Teil nochmal komplett neu. Na gut, vielleicht auch nur zu einem Bruchteil. Also zumindest geht es diesmal schon wieder nur um Drogen. Aber das, was Cypress Hill dazu klanglich veranstalten, hat zumindest mich dazu veranlasst, mein der Platte vorangegangenes Desinteresse für ihre neuen Sachen erstmal wieder an den Nagel zu hängen. Ganz einfach, weil das hier sicherlich eines der buntesten, verrücktesten und kreativsten Projekte ihrer gesamten Karriere sein dürfte, das es sich wirklich lohnt zu hören. Wie Artwork und Titel, die auch zu einem Goa-Mix passen würden, bereits richtig suggerieren, ist Elephants On Acid der lange überfällige Ausflug der Kalifornier in die Gefilde der psychedelischen Musik, wobei dieser Begriff mit Vorsicht zu genießen ist. Cypress Hill sind erfahrungemäß nicht die Band, die sich für so ein Vorhaben ausgiebig mit transzendentaler Meditation beschäftigt, Im Studio ein Oujia-Brett aufbaut und ein halbes Jahr nur noch Gamelan-Musik hört. Cypress Hills Ansatz ist eher der, dass es schon passt, wenn ein fetter Beat draus wird. Was in der Umsetzung hier dazu führt, dass von der Sitar über Hammond-Orgeln bis zur Balkan-Blaskapelle hier alles mit verwurstet wird, was irgendwie zu einem gescheiten Instrumental gemacht werden kann. Zwar versuchen die drei, mithilfe zahlreicher Interludes, komischen Soundeffekten und verzerrten Vocals, das ganze auch ein bisschen verquer und experimentell wirken zu lassen, das sind aber in Wirklichkeit nur Gimmicks. Viel wichtiger ist, dass unterm Strich wieder ein paar echte Cypress Hill-Trademark-Banger am Start sind, wie man sie von ihnen echt lange nicht mehr gehört hat. Tracks wie Put Em in the Ground, Crazy, Stairway to Heaven und allen voran der Opener Band of Gypsies sind Hits, die die Kalifornier wieder auf voller Power zeigen und die nicht nur wieder fett, sondern auch neu klingen. Die Einflüsse mittelasiatischer Folkmusik, der starke Fokus auf Bläser, die vielen vielen analogen Drumloops, das alles sind tolle Ideen, die ich so noch nie von ihnen gehört habe. Und allein die Tatsache, dass sie die Motivation aufbringen, diese Innovationen zu suchen, zeigt sie als herausragendes Kollektiv. Viele andere Künstler*innen ihrer Generation geben sich inzwischen damit zufrieden, die bewährten alten Tricks nur noch zu wiederholen, was bei ihnen okay ist, weil der Sound ja "klassisch" ist (Ja, ich rede mit dir, Ghostface Killah!). Und obwohl auch Cypress Hill hier viele Elemente beibehalten, die schon seit 1991 funktioniert haben, verlassen sie sich wenigstens nicht darauf und bleiben dadurch spannend. Außerdem zeigen sie, dass man auch 2018 ein cooles Album machen kann, auf dem es nicht einen einzigen Trap-Beat gibt. Womit sie vom altbackenen Guilty Pleasure hier zum echten Geheimtipp für alle werden, die es mögen, wenn Rapmusik auch mal musikalisch eine dicke Lippe riskiert. Und da sagen noch alle, vom Kiffen würde man hirntot werden.






Persönliche Highlights: Tusko (Intro) / Band of Gypsies / Put Em in the Ground / Pass the Knife / Holy Mountain / Locos / Warlord / Reefer Man / Crazy / Blood On My Hands Again / Stairway to Heaven

Nicht mein Fall: LSD / the 5th Angel

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