Samstag, 20. Oktober 2018

Jan Frisch wundert sich über die Popmusik





















In einer Welt, die aus gutem Grund voll ist mit Leuten, die sich als "Singer-Songwriter*innen", "Produzent*innen" und dergleichen bezeichnen, packt ausgerechnet der Leipziger Jan Frisch, einer der coolsten und unkonventionellsten von ihnen, die plumpe Vergangenheit aus. Als "Liedermacher" bezeichnet er sich jüngst, ein Begriff der anbiedernd nach dem Hawaiihemd tragenden Jürgen von der Lippe oder dem moralapostolischen Gerhard Gundermann klingt und meiner Meinung nach nicht umsonst aus dem Vokabular der deutschen Popkultur verschwunden war. Aber es ergibt Sinn, denn die Musik, die Frisch zuletzt vom Stapel gelassen hat, wird dieser Bezeichung in ihrer eigentlichen Etymologie durchaus gerecht. Dieser Typ macht Lieder, er schreibt sie nicht. Er plant sie nicht. Er arrangiert sie nicht. Und gerade auf dem Debüt seiner neuesten Band Aua Aua wird das so deutlich wie nie zuvor. Gemeinsam mit Philipp Martin und Johannes Döpping hat der Leipziger hier ein Projekt geschaffen, dass versucht, Popmusik in polyperspektivische Bestandteile aufzulösen und klassisches Songwriting mit einer Art Decollage-Prinzip zu verfremden. Der Ansatz ist dabei durchaus ein sehr experimenteller und er führt dazu, dass diese zehn Tracks auf keinen Fall unkompliziert sind, dennoch ist Alles gut auch weit davon entfernt, ein völlig bezugsloses Klangkunstprojekt zu sein. Das bestimmende Element hier sind tatsächlich Melodien, wiederkehrende Motive und bisweilen sogar klassische Strophe-Refrain-Strukturen. Doch wo diese sonst gerne als gegeben hingenommen werden, sorgen Aua Aua hier dafür, dass man aufmerksam bleibt: Hier und da ein arythmisches Drumfill, dort die Mantra-artige Wiederholung einer Songphrase, ungewöhnlich metrierte Texte und plötzliche Tempowechsel sind die Waffen dieser Band, die dieses Album zu einer kleinen Entdeckungsreise machen. Diese kann mitunter stressig sein, wie im ewig monoton rotierenden Titelsong, und täuscht bisweilen ziemlich clever Easy Listening an, es belohnt geduldiges Hören aber auf, wie beispielsweise im herrlichen Outro von Die Party, in dem sogar eine Querflöte zum Einsatz kommt. Und wo immer Jan Frisch seine sehr grob gefeilten und brockigen Texte zum besten gibt, tut er dasselbe auch mit den lyrischen Mitteln dieser Musik. Man könnte jetzt sagen, dass das Dada ist, aber tatsächlich bin ich eher der Meinung, dass hinter diesen verhackstückten Experimental-Songs durchaus ein Plan steckt. Indem Aua Aua die Popmusik erst auseinandernehmen und dann ohne Anleitung neu verschrauben, lassen sie ein Bewusstsein für das Geschaffene entstehen, das sonst vielleicht nicht da gewesen wäre. Wären das hier "ganz normale" Stücke, hätte ich deren Komposition vielleicht keines Wortes gewürdigt und nur über Jan Frischs Texte geredet oder so. Indem das ganze Album nach Baustelle klingt, muss man auch das reflektieren. Und zu meinem Erstaunen sorgt genau diese Arbeitsweise am Ende sogar für den ein oder anderen Ohrwurm: Ein Track wie Mein Freund bohrt sich penetrant in jedes Trommelfell, Spät tut das auf etwas subtilere Weise und mit dem ersten Teil von Fahren & Spielen gelingt der Band hier fast so etwas wie eine kleine Stadion-Hymne. Dass dabei noch nicht jede Idee wirklich aufgeht und manche Momente dann doch etwas dämlich rüberkommen ist schade, aber man hat nicht das Gefühl, dass das ein prinzipielles Problem von Aua Aua ist. Viel eher ist das hier eben ein Debütalbum dreier Musiker, die sich vielleicht in einigen Dingen noch nicht hundertprozentig eingegroovt haben. Trotzdem würde es sich sicher lohnen, gerade dieses Projekt als eines der vielen von Jan Frisch weiter zu verfolgen, denn hier habe ich das Gefühl, dass es mehr ist als die Summe seiner Teile und allein vom Ansatz her unglaublich spannend arbeitet. Ich kann mir gut vorstellen, noch viele Songs dieser Band hören zu wollen und würde mich freuen, wenn man das hier nicht gleich wieder an den Nagel hängt. Auch wenn das Bedeutet, dass wir ab jetzt wieder "Liedermacher" dazu sagen müssen.






Persönliche Highlights: Spät / Was solls / Die Party / Aua 7 / Chaos / Fahren & Spielen / Ganz am Schluss

Nicht mein Fall: Alles gut

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