Dienstag, 23. Oktober 2018

Kleinigkeiten





















Folk-Platten, die sich auf nicht wesentlich mehr verlassen als den Klang einer Stimme, die Melodie einer Gitarre und die Magie, die im Optimalfall zwischen diesen beiden Polen stattfindet, haben es nicht immer leicht. Nicht jede*r, der sich diesem Konzept annimmt, ist automatisch ein Art Garfunkel oder eine Joni Mitchell und gerade in Zeiten, in denen sich selbst der größte Idiot mit einer Ukulele vor die Webcam setzen und die ohne großen Aufwand die ureigene Version von La Vie En Rose trällern kann, hat das Songwriter*innen-Genre viel von seiner Besonderheit verloren. Dennoch gibt es ohne Zweifel immer noch, diese zauberhaften Platten, die ohne viel Zinnober schaffen, große Gefühle zu wecken und das Vinyl wert zu sein, auf das sie gepresst werden. Platten wie Bon Ivers For Emma, Forever Ago, Sun Kil Moons Benji, Emíliana Torrinis Fisherman's Wife oder Arch Garrisons I Will Be A Pilgrim sind für mich gänzlich oder zumindest zum Teil solche Beispiele. Und auch wenn ich damit jetzt nicht sagen will, dass Adrianne Lenker mit Abysskiss direkt in diese noble Liga geadelt wird, so denke ich doch, dass sie prinzipiell das Potenzial dazu hat. Von den drei Mini-Alben, die sie bis dato unter eigenem Namen veröffentlicht hat (hauptberuflich ist sie ja eigentlich Sängerin von Big Thief) ist jedes vor allem durch seine kahlschlagende Intimität auffällig. Lenker ist eine dieser Künstler*innen, die für diese Art Musik die perfekte Stimmlage schon in den Erbanlagen hat, einer akustischen Gitarre jeden noch so kleinen Ton wirkungsvoll entlocken kann und darüber hinaus ein fabelhaftes Ohr für minimalistisches Songwriting hat. Und auf Abysskiss, ihrem mit 33 Minuten bisher umfangreichsten Projekt, kommt dieses Talent noch einmal ein kleines bisschen besser zur Geltung. Denn nicht nur ist die Auswahl der zehn Tracks hier unglaublich erlesen, es gibt auch abseits vom eigentlichen Songwriting einiges zu entdecken: Kleine Details wie die ganz subtile Drum-Machine in Symbol oder das Klavier am Ende von Terminal Paradise sind Dinge, für die viele andere Künstler*innen sicherlich gar nicht die Mühe verschwendet hätten, weil sie am Ende eh nur mit Kopfhörer überhaupt vernehmbar sind. Wären sie allerdings als vollwertige Elemente Teil des Songs, hätten sie diese vielleicht auseinander gerissen. Adrianne Lenker weiß hier also schon sehr genau, was sie tut. Und das unterscheidet Abysskiss letztendlich von eben jenen Leuten vor der Webcam: Dieses Album ist nicht das Projekt einer Sängerin, die sich eines Tages mit ihrer Gitarre hinsetzt, eine Handvoll Stücke schreibt und diese nicht weiter entwickelt. Es sind zu hundert Prozent Songs, die genau auf diese Weise performt gehören und in denen jede Nuance, jedes Schnarren der Stahlsaiten und jede Atempause eine Bedeutung hat. Womit Lenker am Ende doch viel gemeinsam hat mit den großen Held*innen des Akustik-Folk, die ich eingangs nannte. Ob Abysskiss für mich eines Tages ein solches Meisterwerk sein wird, kann letztendlich nur die Zeit entscheiden, für den Moment jedoch ist es ein sanfter Monolith, der mich erstmal für eine Weile beschäftigen wird. Und damit hat diese Sängerin bei mir schonmal mehr erreicht als die meisten anderen Singer-Songwriter*innen.






Persönliche Highlights: From / Out of Your Mind / Cradle / Symbol / Blue & Red Horses / Abysskiss

Nicht mein Fall: -

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