Sonntag, 7. Mai 2023

Review: Sternenmann

DAVID BOWIE
The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders From Mars
RCA Victor
1972











[ operatisch | hymnisch | eingängig ]

Ich habe inzwischen genügend Musik von David Bowie gehört um zu wissen, dass aus mir in diesem Leben kein Fan davon mehr wird und wenn ich ehrlich bin, finde ich seine Rolle im gesamten popkulturellen Diskurs auch ganz objektiv ein klein wenig überbewertet. Denn ganz unabhängig davon, wie toll man jetzt persönlich seine Platten findet, was natürlich jede*r selber entscheiden kann, war er in meinen Augen eigentlich nie der große musikalische Visionär, als den viele ihn noch immer darstellen. Mit seiner Art der Komposition bediente er sich Zeit seines Lebens an bereits existierenden, coolen Untergrund-Phänomenen, die er dem Mainstream als innovativ verkaufte und entfaltete seine größte schöpferische Kraft eher als flamboyant-androgyne Rockstar-Persönlichkeit und Stilikone, die mit seinem Schaffen als Songwriter an sich ja wenig zu tun hatte. Dass es trotzdem großartige Musik aus der Feder des Briten gibt, will aber auch ich nicht bestreiten. So mag ich beispielsweise viele Sachen aus seiner Diamond Dogs-Platte, war tief beeindruckt von seinem letzten großen Statement 2016 auf Blackstar und kann von der beklemmenden Dramaturgie eines Heroes nicht die Augen verschließen. Und was mein persönliches Lieblingsalbum von Bowie angeht, bin ich sowieso die totale basic bitch. Denn nichts gleicht meiner Ansicht nach dem operatischen Glamrock-Wunderwerk, das er 1972 mit the Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders From Mars von der Kette ließ. Wobei es für mich nicht mal der narrative Aspekt mit dem ganzen Alien-Rockstar-Zirkus ist, der mich hier so beeindruckt (wie gesagt, für Bowie als Kunstfigur kann ich mich nur in Maßen begeistern), sondern die schiere musikalische Qualität, die dieses Album auch über fünfzig Jahre später noch ausstrahlt. Sachen wie den Erfahrungswert, dass man so gut wie jeden Song hier direkt mitsingen will (und kann), dass es kompositorisch so gut wie keine Deep Cuts gibt, wie charismatisch Bowie als Erzähler des ganzen ist und vor allem, wie die Produktion der Platte immer noch gigantisch klingt. Wobei das schönste an Ziggy Stardust in meinen Augen ist, dass man auch nach wie vor merkt, wie es als Gesamtwerk konstruiert ist, das seine Energie auf die gesamte Länge des Albums verteilt. Wo viele Rockbands in den frühen Siebzigern ihre besten Tracks jeweils an den Anfang von A- und B-Seite packten und damit ihr ganzes Pulver direkt verschossen, braucht Bowie hier ein bisschen, um aus dem Quark zu kommen und spielt seine größten Trümpfe erst relativ spät aus. So ist Five Years mit seinem vertrödelten Intro eigentlich ein untypischer Opener, der erst nach und nach aufblüht und der zweite Song Soul Love vielleicht der einzige, den ich auf dieser LP als einigermaßen füllerhaft bezeichnen würde. Wenn man sich allerdings das Ende der A-Seite angeht, finden sich dort die fettesten Nummern Starman und It Ain't Easy direkt hintereinander. Gleiches Spiel auf Seite B: Lady Stardust ist am Anfang eher lauwarm unterwegs und führt erstmal soft-balladig ins Geschenen ein, richtig fetzig wird es erst danach mit Stücken wie Star, Hang On to Yourself oder dem Titeltrack, den jeder vernünftig verkaufsorientierte Musiker an den Beginn der A-Seite gepackt hat. Ganz zu schweigen von Suffragette City, dem meiner Meinung nach besten und fettesten Track, der hier an vorletzter Stelle kommt und mit dem Bowie mit endgültiger Klarheit das Prädikat -rock in Glamrock hervorhebt. In sich und im Kontext des Albums (nicht nur im inhaltlichen) macht aber das, was jedes Management damals wahrscheinlich als mieses Sequencing verteufelt hääte, total Sinn und klingt verdammt großartig. Zumal auch jedes Detail des Songwritings und der opulenten Instrumentierung optimal ausproduziert ist und perfekt zur Geltung kommt. Sowohl im Original als auch im sehr guten Remaster von 2012, das es inzwischen fast überall zu hören gibt. Mehr als alles andere schätze ich Ziggy Stardust also als ein fantastisch gemachtes Glamrock-Werkstück, das an den richtigen Stellen auch mal ordentlich Tempo macht und auf die bestmögliche Art nach der Zeit klingt, in der es entstand. Und ein Album, das auch ohne das ganze konzeptuelle Drumherum groß klingt. Nicht unbedingt nach Weltraum, aber so als würde es nach den Sternen greifen. Und dabei selbst ein bisschen einer werden.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11


Persönliche Höhepunkte
Five Years | Moonage Daydream | Starman | It Ain't Easy | Lady Stardust | Star | Hang On to Yourself | Ziggy Stardust | Suffragette City | Rock'n'Roll Suicide

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Lou Reed
Transformer

T.Rex
Electric Warrior


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