Montag, 16. Juli 2018

Erzähl mir von Florence




















Die Karriere von Florence Welch ist 2018 an einem sehr paradoxen Punkt angekommen, an dem ihre Musik zur gleichen Zeit immer spannender wird, aber auch stetig an Lebendigkeit verliert. Schon auf ihrem letzten Album How Big, How Blue, How Beautiful von 2015 war eine Tendenz zu bemerken, in der die Britin zwar inhaltlich größere Schritte wagte und teilweise sogar konzeptuell wurde, sich musikalisch jedoch in Zurückhaltung übte. Ihre Songs waren dort langsam nicht mehr die epochalen Pop-Wunderwerke, die ihre Diskografie bis dahin bestimmten, sondern mehr und mehr Stücke zum hinhören, die Geschichten erzählten. Für eine Künstlerin, deren größtes Gut zu jeder Zeit die Gewalt ihrer Stimme war, auf den ersten Blick nicht gerade ein optimaler Weg. Und so hatte ich auf How Big, How Blue, How Beautiful auch trotz an und für sich guter Performance immer ein wenig das Gefühl, dass sich Florence verschätzte. Steckte in ihr wirklich die Storytellerin, die sich auf diesem Album in sich suchte oder war sie am Ende vielleicht doch nur ein Popstar? Seinerzeit waren meine Zweifel noch groß. Drei Jahre später tritt die Britin jedoch den Beweis an, dass sie diese Aufgabe tatsächlich äußerst ernst nimmt und macht mit High As Hope ein weiteres sehr biografisches Werk, diesmal mit deutlich besserer Bilanz. Schon die Single Hunger vor zwei Monaten hatte mit sehr ergreifenden und intimen Darstellungen aus ihrer Jugend immens viel zu sagen, gleichzeitig gelang es Welch trotzdem, daraus einen packenden Popsong zu machen. Auch im Kontext des restlichen Albums strahlt die Nummer noch unglaublich weit. Womit sie klanglich aber eher die Ausnahme ist, denn wie gesagt geht die Sängerin diesmal deutlich weiter in inhaltliches Territorium. Fast alle Tracks hier behandeln ähnliche Themen wie Hunger, die sich vor allem um Sucht, Hedonismus, Parties und Sehnsucht drehen und dabei stets zwischen Nostalgie und Verbitterung balancieren. So ist mit Patricia hier ein Song über Welchs gute Freundin dabei, der vor allem ihre Partnerschaft in schwierigen Zeiten aufrollt, South London Forever ist eine Abrechung mit einer Partykultur, deren Teil Florence scheinbar einst war und Big God besingt die Sehnsucht nach den größeren Dingen, die es am Ende aber nicht zu geben scheint. Was dabei definitiv auffällt, ist dass man Florence & the Machine so wirklich noch nie gehört hat. Nicht nur sind die großen Instrumental-Bomben hier spärlicher verteilt (es gibt sie in Songs wie 100 Years oder Hunger noch), vor allem erlebt man hier erstmals wirklich ein sehr konkret textliches Album. Die poetische Sprache der Vorgänger ist hier endgültig einer sehr viel härteren und rauheren Erzählform gewichen, die ein deutliches Narrativ hervorbringt. Florence Welch ist dadurch jetzt nicht gleich Mark Kozelek oder Phil Elverum, aber es geht doch schwer in die Richtung. Und man muss hier auch definitiv sagen, dass sie diesen Erzählstil drauf hat. Ob diese Form nun besser ist als ein epochales Pop-Machwerk wie Shake It Out oder You Got the Love will ich an dieser Stelle offen lassen, sicher ist auf jeden Fall, dass hier eine Entwicklung vollzogen wurde, die ich durchaus begrüße. Welch als inhaltliche Songwriterin kann ich mir inzwischen zumindest vorstellen, die wirklich große Platte in diesem Stil muss aber erst noch geschrieben werden. Wobei es an Geschichten ja anscheinend nicht mangelt.






Persönliche Highlights: Hunger / South London Forever / Big God / 100 Years / the End of Love / No Choir

Nicht mein Fall: Sky Full of Song

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