Sonntag, 25. Juni 2023

Review: Nur eine Träne

Sinéad O'Connor - I Do Not Want What I Haven't Got
 PRIDEMONTH2023  
SINÉAD O'CONNOR
I Do Not Want What I Haven't Got
Ensign
1990









 
 
[ biografisch | aufgekratzt | rebellisch ]

Unter dem guten Dutzend Alben, die die Irin Sinéad O'Connor in ihrer über 35-jährigen Karriere veröffentlicht hat, ist es manchmal schwer, die wirklich wertvollen und starken Momente herauszufiltern und nachdem ich mehrmals den Versuch dazu gestartet habe, bin ich mittlerweile an dem Punkt, wo ich einsehe, dass sowas eigentlich nicht sein muss. Denn zwischen fragwürdigen Reggae-Covern irischer Folksongs, wüsten Operninterpretationen, musikalischen Bekenntnissen zu so ziemlich jeder größeren Religionsgruppierung des Erdballs und viel diffusem New Age-Kram ist ihr eines großes Meisterwerk letztlich doch die LP, mit der sie auch ihre größte Bekanntheit erlangte. Die LP mit Nothing Compares 2 U, ihrem einzigen richtigen Hit und die mit der ikonischen Träne im Musikvideo. Die LP, für die sie 1991 vier Grammys ablehnte. Und die LP, die ihr für die einen den Ruf als kompromisslose Statement-Künstlerin einbrachten und sie für andere zur Persona non grata machten. I Do Not Haven't Got und seine direkten Nachwirkungen sind paradoxerweise sowohl dafür verantwortlich, dass Sinéad O'Connor nie ein richtiger Popstar wurde, als auch dafür, dass man sich heute überhaupt noch an sie erinnert. Denn was sie hier mit gerade Mal Anfang 20 musikalisch und inhaltlich zusammenbringt, ist zwar keine bekömmliche Musik für die frühen Neunziger, die von einer offen angepissten, bisexuellen Frau mit unmissverständlicher Haltung anscheinend noch immer zu überfordert waren, dafür aber in vielen Punkten wegweisend und rebellisch. Und dafür muss sie nicht mal Punk oder Gangsterrap machen, sondern einfach nur eine etwas definiertere Variante der damals zeitgenössischen Popmusik. Wobei die Feststellung, dass I Do Not Want sehr nach dem Jahr 1990 klingt, in diesem Fall kein Vorwurf ist. Klar klingen manche Songs hier ein bisschen ausgewaschen Linda Perry-mäßig und O'Connors Signature Move mit dem harten Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme haben sich nachher viele nervige Bands abgeschaut, ihr Ansatz ist aber vor allem aus zwei Gründen besser. Erstens: Sie schreibt fantastische Songs. Zweitens: Sie hat darauf auch tatsächlich etwas zu sagen. Und das nicht nur in der Hinsicht, dass sie gute Worte findet und lyrisch spannende Motive findet, I Do Not Want quillt an vielen Stellen über vor tragischen persönlichen und politischen Themen, die O'Connor vor den Augen ihres Publikums verhandelt und mit denen sie hier merklich ringt und die auch alle irgendwie simultan auf sie zukommen. Der unerwartete Riesenerfolg des Debüts mit der Scheidung von ihrem ersten Mann John Reynolds (der gleichzeitig Drummer in ihrer Band war), der schwierigen Beziehung mit ihrer neuen britischen Heimat und der Geburt ihres ersten Kindes. Und als wäre das alles noch nicht genug, überschattet fast alle Songs dieser LP auch noch die Verarbeitung der Traumata um den Tod ihrer Mutter und den von ihr ausgehenden Missbrauch während Sinéads Kindheit. So ist die legendäre Interpretation von Nothing Compares 2 U, die Originalverfasser Prince eigentlich als Lovesong gemeint hatte (und der auch in dieser Version oft als solcher fehlgedeutet wurde), hier als Statement einer trauernden Tochter gedacht und auch You Cause As Much Sorrow oder das polternde I Am Stretched On Your Grave gleichsam bittere wie tragische Abrechnungen mit dem vergifteten Verhältnis der beiden. O'Connor als Sängerin ist dabei trotz allem instrumentalen Pomp immer der Fokuspunkt der Tracks und eben nicht nur technisch brilliant, sondern auch immer mit ganzem Herzblut dabei. Ihre Trauer und Wut in diesen Songs kann betäubt, still, meditativ und entfesselt aggressiv sein, alles davon ist der Wahnsinn. Und das nicht nur in Songs mit diesem thematischen Bezug. Zwei meiner liebsten Stücke auf I Do Not Want sind Black Boys On Mopeds und the Last Day of Our Acquaintance, die ich beide vor allem ihrer vehementen Bissigkeit wegen mag. Ersterer ist dabei einer der galligsten Songs, die jemals über die politischen Verfehlungen von Margaret Thatcher geschrieben wurden und der trotz seiner Bearbeitung als reine Akustikballade fetziger ist als jeder Punkrock-Brecher, letzterer eine resignierte Abrechnung mit O'Connors erster Ehe, die vor allem durch den Break im zweiten Teil erst so richtig giftig wird. Angesichts solcher Momente sollte es eigentlich wenig verwundern, dass die gleiche Künstlerin wenige Zeit später das Singen einer Nationalhymne boykottierte oder im Fernsehen ein Bild des Pabstes zerriss, denn die Kompromisslosigkeit ihrer Haltung ist hier schon vollumfänglich da. Man könnte es auch so sehen, dass dieses Album der Punkt war, an dem sie aufhörte, sich von Institutionen wie Plattenfirmen, Kirchenvertreter*innen, Ehemännern und eigenen Fans zurechtschubsen zu lassen, weil sie damit bisher nur negative Erfahrungen gemacht hatte. Es wäre das verständlichste der Welt. Womit wir zu der Bedeutung kommen, die dieses Album letztlich in ihrer Diskografie gefunden hat und dazu sicherlich als allererstes sagen muss, dass es bis heute das mit Abstand erfolgreichste darin ist. Weil es aber innerlich so brutal und zerrüttet ist und außerdem so viele Skandale nach sich zog, ist es für Sinéad O'Connor quasi gleichzeitig großer Durchbruch und großer Zusammenbruch. Es ist das Album, das wie kein anderes ihr massives Talent zeigt, dieses gleichzeitig aber auch zu bewusst einsetzt, um damit wirklich im Mainstream anzukommen. Denn was dort bleibt ist letztlich nur ein von allen kolossal missverstandenes Prince-Cover und eine verdrückte Träne, die nur einen Bruchteil der ganzen Katastrophe repräsentiert, die hinter dieser LP steht. Ein zweifelhaftes Vermächtnis für so ein mutiges Stück Musik, symbolisch aber vielleicht nicht das schlechteste.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡🟢 10/11


Persönliche Höhepunkte
Feel So Different | I Am Stretched On Your Grave | the Emperor's New Clothes | Black Boys On Mopeds | Nothing Compares 2 U | Jump in the River | You Cause As Much Sorrow | the Last Day of Our Acquaintaince

Nicht mein Fall
I Do Not Want What I Haven't Got


Hat was von
the Cranberries
No Need to Argue

Björk
Debut


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