Donnerstag, 19. März 2015

Retro-Review: Tradition verpflichtet

THE POGUES
Rum, Sodomy & the Lash
Stiff Records
1985















Dies hier ist wieder ein Review eines Albums, welches sich aus der im Januar gehaltenen Umfrage ergeben hat und ich war bei der Auswertung der Werte angenehm überrascht, dass ihr euch unter anderem für diese Platte entschieden habt. Denn so hat nicht nur ein Außensaiter Slayer, den Dead Kennedys und den Talking Heads die meiste Sympathie abgeluchst, sondern auch eine Band, die ich bereits höre, seit ich denken kann. Rum, Sodomy & the Lash lief bei uns zu Hause, wenn ich als Dreikäsehoch im Piratenkostüm durch die Küche berserkerte. Umso schöner ist es, dass das Album auch heute noch hoch in meiner Gunst steht. In vielerlei Hinsicht. Als aller erstes gebührt den Pogues große Anerkennung als eine der Initiatoren des Folk-Punk. Fast jede Band von heute, die sich räudiger Kneipenmusik mit Flöten und Banjos verschrieben hat, klingt nach einer ziemlich peniblen Kopie dieser Platte und dabei meistens noch weniger lebendig. Dabei ist dieses Projekt eigentlich schon Teil des Sellouts der Band. Die 1981 gegründete Formation kommt eigentlich aus dem Punk, war gut mit the Clash befreundet und veröffentlichte auf dem berüchtigten Indie-Label Stiff Records. Besonders machte sie allerdings schon immer ihr Faible für die englische Volksmusik. Schon früh setzten die Pogues zusätzliches Instrumentarium ein und spielten eine Mischung aus eigenen Kompositionen und Traditionals. Die meist vom Leben auf der Straße, von der Seefahrt und vom Alkohol handelnden Texte und Shane MacGowans zermarterte Stimme verschmolzen hier perfekt nostalgische Verehrung der Vergangenheit und No-Future-Gossen-Chic. Über kurz oder lang machte das die Pogues auch einem größeren Publikum bekannt, das nicht mehr in die Vorstadt-Pubs passte. Rum, Sodomy & the Lash ist das Produkt dieser Entwicklung. Das von niemand geringerem als Elvis Costello produzierte Album klingt im Vergleich zu seinen Vorgängern ein ganzes Stück dicker aufgetragen, protzt mit verschwenderischem Einsatz von Instrumenten und wesentlich besseren Kompositionen. Hier sollte 1985 definitiv ein Mainstrem-Publikum angesprochen werden, welches der Band auch schneller als gewollt zu lief. Die vielen unterhaltsamen Songs und ein Haufen gute Kritiken machten the Pogues vom Geheimtipp zum Großereignis. Im Nachhinein gesehen der Anfang vom Ende der Gruppe. Sänger MacGowans schon vorher exorbitanter Alkoholgenuss nahm nach dem Erfolg von Rum, Sodomy & the Lash gefährliche Ausmaße an und aus den romantischen Punks wurde mehr und mehr ein Stadion-Act. All das ändert aber nichts an der tatsächlichen Qualität dieser einen Platte. Die Londoner liefern hier ein Folkrock-Original, das auch nach 30 Jahren noch vorbildlich zeigt, wie Pop und Volksmusik zusammenfinden können. Songs wie the Sick Bed of Cuchulainn, Billy's Bones oder the Gentleman Soldier klingen sowohl nach seliger Pub-Idylle als auch nach dreckiger Sex Pistols-Attitüde. Wobei MacGowans Texte und Kompositionen sich lückenlos in die tatsächlichen Volkslieder und Cover einfügen, ein Talent, das ich sonst noch nirgendwo so beobachtet habe. Außerdem schafft die Band es spielend leicht, im einen Moment einen hedonistischen Gassenhauer zu reißen und im nächsten verwunschen-romantische Balladen zu klimpern, wobei sie auch mit spielerischer Leichtigkeit Klassiker wie Jesse James oder And the Band Plays Waltzing Matilda interpretiert. Und spätestens, wenn im letztgenannten Song und Closer am Ende eben diese legendäre Waltzing Matilda angestimmt wird, weiß man, was the Pogues hier großes leisten. Ob man es nun ein Porträt der britischen Kultur nennt, eine moderne Interpretation von Volksliedgut oder ein Punk-Album, dass den Punk im 19. Jahrhundert sucht. Auf alle Fälle ist es auch heute noch ein wahnsinnig gutes Gesamtwerk und wenn man mich fragt auch die größte Nummer im Folk-Punk überhaupt. Und nicht zuletzt eine Platte, die ich schon mein ganzes Leben lang mag und wahrscheinlich auch noch weiter mögen werde. Ein persönlicher Klassiker.

Beste Songs: the Sick Bed of Cuchulainn / I'm A Man You Don't Meet Every Day / Billy's Bones

Nicht mein Fall: A Pistol for Paddy Garcia

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