Samstag, 22. Juli 2023

Die Wochenschau (10.07.-21.07.2023): PJ Harvey, Little Dragon, Anohni & the Johnsons und und und...


 
 
 
 
 
GRIAN CHATTEN

Chaos for the Fly
Partisan

Grian Chatten war im Vorfeld dieses Albums nicht wirklich der Typ Musiker, von dem ich ein Soloprojekt erwartbar oder gar wünschenswert gefunden hätte und gemessen an meiner doch recht skeptischen Haltung zum Output seiner Band Fontaines D.C. ist es doch zumindest eine mittelgroße Überraschung, wie gut ich das hier finde. Sehr wahrscheinlich liegt das aber daran, dass Chatten hier mehr oder weniger vollumfänglich aus dem meiner Ansicht nach sehr eingefahrenen Postpunk-Entwurf der Bandplatten aussteigt und sich stattdessen einer Art süßlichem Edelfolkpop widmet, der auch vor üppigen Streicher- und Bläsereinsätzen nicht zurückschreckt. Ein bisschen erinnert mich das vom Move her an Iceage-Frontmann Elias Bender Rønnenfelt und dessen unterschätztes Solo-Schrägstrich-Supergroup-Projekt Marching Church, nur dass Chatten nicht so viel gothige Nick Cave-Düsternis braucht, um trotzdem richtig gut zu sein. Songs wie Fairlies, the Score oder Bob's Casino sind teilweise sogar richtiggehend farbenfroh und profitieren davon immens. Und wenn es wie in All of the People dann doch mal ein bisschen gedrückter wird, ist die Attitüde eher im souligen Songwriterpop zu verorten als im kantigen Achtzigerjahre-Postpunk. Vor allem sorgt es aber dafür, dass Chatten sich kompositorisch mal wieder so richtig von seiner Schokoladenseite zeigt und ganz nebenbei vielleicht sogar ein bisschen eingängiger wird.
 
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11
 
 
 
 
 
PJ Harvey - I Inside the Old Year DyingPJ HARVEY
I Inside the Old Year Dying
Partisan

Nach ihren zwei sehr explizit politisch verorteten Alben Anfang bis Mitte der Zwotausendzehner und einer ausgedehnten Phase danach, in denen sie vornehmlich Soundtracks für Filme und Serien komponierte, ist I Inside the Old Year Dying zum ersten Mal seit langem wieder eine verhältnismäßig "konventionelle" PJ Harvey-Platte, die mit bewährten Attributen punktet und deren Existenz hauptsächlich darin besteht, ihren 2022 erschienenen Gedichtband Orlam musikalisch zu vertonen. Unterstützung findet sie dabei einmal mehr in ihren beiden bewährten Langzeit-Kollaborateuren Flood und John Parish, deren gemeinsam angelegter Sound hier behutsam rustikale Folk-Elemente mit experimentellen Electronica-Einschüben austariert. Wichtigster Referenzpunkt ist dabei stets PJ Harvey selbst, die mit ihrem einnehmenden Gesang innerhalb der recht kargen Soundkulissen nicht nur durchweg die Ästhetik der Platte dominiert, sondern nach sieben Jahren ohne richtiges neues Material auch eine angenehme Vertrautheit ausstrahlt. Und wenn ihre Songs manchmal an andere Sachen erinnern, dann auf spannende Weise zum Beispiel an Neil Young (Lwonesome Tonight), Portishead (Prayer at the Gate) oder Thom Yorke (All Souls). Ein wirklich kohärentes Albums ist I Inside the Old Year Dying abgesehen von seinen vielen lyrischen Querverweisen dabei nicht und stilistisch oft sehr breit gefächert, schlimm ist das aber in keinem Moment. Denn nicht nur gibt es unter dem Dutzend Songs dieser Platte keinen einzigen schwachen, die Präsenz von Harvey als Sängerin dient auch dazu, dass die Stücke sich trotz ihrer Vielschichtigkeit ganz gut zusammenbinden. Womit diese LP zumindest für mich persönlich wahrscheinlich ein bisschen diejenige ist, in denen nicht mehr nur sie selbst, sondern auch langsam ihr eigener Mythos zu spüren ist. Ein Mythos, den sie sich nicht zuletzt auch mit diesen Songs redlich verdient hat.
 
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11
 




LITTLE DRAGON
Slugs of Love
Ninja Tune
 

Yukimi Nagano hat beim Schreiben der Songs fürs neue Album anscheinend festgestellt, dass sie mit dem richtigen instrumentalen Backing mehr als nur ein bisschen wie Kali Uchis klingen kann und das als Anlass genommen, hier einige der smoothesten und coolsten Pop-Nummern ihrer gesamten Karriere zu schreiben. Dass sie sich am Ende trotzdem dagegen entschieden hat, eine R'n'B-Platte zu machen, war aber eine gute Entscheidung. Denn durch die Symbiose, die die fluffigen Einschübe aus Neo-Soul und Funk hier mit dem typischen Elektropop der SchwedInnen eingehen, entstehen mal wieder einige der besten Songs, die Little Dragon in den letzten Jahren komponiert haben. Nach dem etwas ausgerutschten New Me, Same Us vor drei Jahren ist Slugs of Love damit die konsequente Fortsetzung einer der stärksten Karrierphasen der Band aus Göteborg und mal wieder ein starkes Argument dafür, dass man sie keineswegs abschreiben sollte.
 
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11
 



ANOHNI and the Johnsons - My Back Was a Bridge for You to CrossANOHNI & THE JOHNSONS
My Back Was A Bridge for You to Cross
Rough Trade


Nach einem Album als Solokünstlerin vor mittlerweile auch schon wieder sieben Jahren schart Anohni Hegarty nun doch wieder ihre Backingband um sich und kehrt damit ein bisschen zurück zum eingesessenen Sound, mit dem sie in den Zwotausendern bekannt wurde, kann aber auch nicht komplett die neuen Wege verleugnen, die sie 2016 auf Hopelessness gefunden hat. Wobei das glücklicherweise nicht heißt, dass My Back Was A Bridge die dort begangenen Fehler wiederholt. Viel eher setzen die Johnsons ihre (im Vergleich zu Anohni solo) sehr viel rustikalere und organischere Kompositionsweise ein, um auf diesem Album eine Ästhetik zu schaffen, die sehr von klassischer Soulmusik aus den Siebzigern inspiriert ist und in vielen Momenten etwas vollkommen neues darstellt. Nicht immer ist das so deutlich wie im Opener It Must Change, der nicht nur klanglich den Vibe von Marvin Gaye und Curtis Mayfield atmet, immer jedoch findet sich - vor allem in der Gitarrenarbeit vieler Songs - eine leichte Groovigkeit, zu der Anohnis klagendes und sich windendes Timbre auch erstaunlich gut passt. Überhaupt ist My Back Was A Bridge nach dem recht dürftigen Hopelessness und selbst dem mittlerweile schon über eine Dekade alten, aber ebenfalls minderbemittelten letzten Johnsons-Album Swanlights wieder ein echtes Ausrufezeichen der Band, das mich positiv überrascht hat. 
 
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11
 




Chepang - SwattaCHEPANG
Swatta
Gurkha Commando Blast Team


Nachdem die New Yorker von Chepang mich 2020 auf Chatta mit einem der kreativsten und spannendsten Grindcore-Alben der letzten paar Jahre überrascht hatten, waren meine Erwartungen für diesen Nachfolger, der in vielen Belangen auch als geistige Fortsetzung der letzten Platte gedacht zu sein scheint, einigermaßen hoch. Und man kann definitiv sagen, dass Swatta dessen Spirit auch opulent erweitert. Auf ganzen 29 Songs in knapp 50 Minuten präsentieren Chepang hier eine grob in drei Teile aufgesplittete Grind-Achterbahnfahrt, die sämtliche Register zieht und vor allem haufenweise szenerelevante Hardcore-Prominenz dazuholt. Dass sie dem Hype damit gerecht werden, kann man aber leider trotzdem nicht sagen. Denn oftmals will die Band hier zu viel und macht trotzdem zu wenig und hat in einer XL-Variante ein bisschen das gleiche Problem wie letztes Jahr schon Wormrot: Im Bestreben, eine möglichst kreative und vielschichtige Fusion von Grind-Elementen zu erzeugen, verlieren sie völlig den Blick fürs Songwriting und die Kohärenz. Wobei es in diesem Fall auch erstaunlich ist, wie monoton und eingeschlafen Swatta an einigen Stellen trotzdem klingt. Über ein Grindcore-Album kritisieren zu müssen, dass es seine Längen hat, zeigt definitiv profunde Probleme auf, ist hier aber leider der Fall. Da hilft auch die an sich nette Idee mit der thematischen Aufteilung nicht wirklich viel: Wo Chepang in den Tracks eins bis zehn noch relativ klassisch losmetern und ein paar zünftige Bretter vernageln (wobei zumindest die beiden Drummer Topleistungen abrufen können), geht Teil Zwei (etwa Track 11 bis 24) mit seinen vielen Features schon deutlich mehr aus dem Leim und spätestens der Schluss der LP (25 bis 29) verwurstelt sich nur noch in avantgardistischen Noise-Gewittern, die den letzten guten Eindruck ruinieren, den der Vorgänger vor drei Jahren machte. Swatta ist dabei definitiv eine besondere Platte geworden, die einmal mehr Chepangs Status als Querulanten im sonst recht hölzernen Grindcore-Zirkus hervorhebt. Diesmal ist das Ergebnis aber definitiv ein bisschen zu viel des Guten.
 
🔴🔴🔴🟠🟠⚫⚫⚫⚫ 05/11
 
 
 
 
 
 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen