Dienstag, 26. Juli 2022

Der Grind ist nicht Alles

Wormrot - Hiss
WORMROT
Hiss
Earache
2022

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ krachig | räudig | progressiv ]

Es gibt wohl kaum ein Genre in der bunten und vielfältigen Welt der Popmusik, das von der wohlwollenden Aufmerksamkeit intellektuell versnobter Musiknerds weiter entfernt sein könnte als Grindcore. Und glaubt man der Community von Leuten, die sich um diese maximal siffige und auf Krawall gebürstete Ausgeburt von Punkrock-Antihaltung und Gegenkultur in der öffentlichen Debatte versammelt hat, dann ist das auch irgendwie gut so. Dass es hin und wieder eine Band gibt, die den verfeindeten, angepassten Mainstream-Musikmedien dann doch positiv auffällt, lässt sich aber trotzdem nicht vermeiden und wann immer es passiert, sind das irgendwie auch die Namen, die mir relativ geläufig sind. Napalm Death als sowas wie die Metallica der Szene gehören inzwischen für jeden ernstzunehmenden Metalhead zum guten Ton, Shirts mit Nails-Aufdruck sieht man mittlerweile in jeder zweiten Burgerbude und spätestens seit ihrem Gig mit Noise-Legende Merzbow sind auch die Jungs von Full of Hell sowas wie angesehene Posterchilds des Genres. Eine Band, über die man derweil nicht so viel redet, die für mich aber definitiv auch zu den Crossover-tauglicheren Gruppen der Grind-Welt gehört, sind Wormrot aus Singapur, die nun schon seit etwa zehn Jahren auch bei Leuten außerhalb des inneren Kreises der Szene Anklang finden. Und wo der Grund für ihre relative Unbekanntheit in meinen Augen vordergründig daran liegt, dass es nur in etwa alle fünf bis sechs Jahre neues Material von ihnen gibt (ihre letzte LP Voices erschien 2016), liegt ihre relative Beliebtheit sicherlich daran, dass sie wie wenige Bands innerhalb der Bewgung auch durchaus bereit dazu sind, eine bestimmte Sorte von Crossover auch gezielt anzupeilen. Schon seit ihrem letzten Album findet man in ihrer Musik sowohl deutliche Einflüsse aus Post- und Black Metal als auch eine ziemlich variable instrumentale Palette, die sich vor allem im (verhältnismäßig) großzügigen Einsatz von Streichern und Field Recordings zeigt. Und wo bereits Voices ein Album war, das eine sehr progressive Variante von Grindcore andeutete, die das übliche Highspeed-Gerotze traditioneller Acts weit hinter sich ließ, ist spätestens Hiss ein Album, auf dem diese Zuschreibung allein schon nicht mehr ganz reicht. So gibt es hier Songs wie Grieve oder den Closer Glass Shards, die als instrumental gespielte (und in letzterem Fall auch skandalös vierminütige!) Songs fast schon postrockig anmuten, noisige Interludes wie the Darkest Burden, dicke Black Metal-Brecher wie Desolate Landscapes oder sehr oldschoolig-punkige Nummern wie Behind Closed Doors, die Grindcore als Soundkonzept darüber hinaus fast gänzlich ausklammern. Und obwohl man dabei zugeben muss, dass nicht alle diese Entwürfe zu hundert Prozent gelungen sind und das größte Problem von Hiss definitiv ist, dass einfach zu viel verschiedenes in zu kurzer Zeit passiert, habe ich doch auf jeden Fall Respekt vor der experimentellen Energie, die Wormrot hier aufbringen. Zumal hartkantige Grind-Wellen wie Your Dystopian Hell oder Shattered Faith (sensationelle 19 Sekunden lang) zwischendurch trotzdem noch richtig gut funktionieren. Womit das hier am Ende auf zwei Weisen ziemlich cool ist: Einserseits als energische und brutale Infusion für Leute wie mich, die alle anderthalb Jahre mal ein Grindcore-Album gut finden, andererseits als progressive Werkschau einer Band, die eigentlich so viel mehr kann und auch in diesen vielen experimentellen Schienen nicht selten richtig gut ist. Weshalb das hier sicherlich auch das Album der Gruppe sein wird, das mir mittelfristig am meisten in Erinnerung bleibt. Und mich gespannt auf das macht, was mit dieser Ausgangslage anzufangen ist. Also in fünf bis sechs Jahren dann.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11


Persönliche Höhepunkte
the Darkest Burden | When Taking Fails, It's Time For Violence | Your Dystopian Hell | Grieve | Shattered Faith | Desolate Landscapes | Vicious Circle | Weeping Willow | Glass Shards

Nicht mein Fall
Broken Maze


Hat was von
Chepang 
Chattta

Napalm Death
Apex Predator: Easy Meat


1000kilosonar bei last.fm  

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