Mittwoch, 13. Juli 2022

Die unendliche Geschichte

Coheed and Cambria - Vaxis II: A Window of the Waking Mind
COHEED & CAMBRIA
Vaxis II: A Window of the Waking Mind
Roadrunner
2022

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ pathetisch | großkotzig | rockoperatisch ]

Keine Ahnung, wie genau ursprünglich eigentlich der Plan war, als Claudio Sanchez vor nunmehr über 20 Jahren Coheed & Cambria gründete, doch scheint es inzwischen schon mehrfach nicht mehr ganz so praktikabel gewesen zu sein, dass die Band, deren einziger Existenzzweck ja die musikalische Ausgestaltung von Sanchez' Sci-Fi-Konzeptepos the Amory Wars zu sein scheint, seitdem so lange durchgehalten hat. Denn nachdem die eigentliche Hauptstory, für die die New Yorker immerhin stattliche fünf Alben brauchten, nach 2010 praktisch auserzählt war und es mit der Afterman-Serie 2012/13 sogar noch eine Art Spinoff gab, gab es danach schon eine kurze Phase der Orientierungslosigkeit. 2015 resultierte diese mit the Color Before the Sun erstmal in einem gänzlich konzeptlosen Longplayer, der in meinen Augen auch nach wie vor ihr musikalisch bester ist, doch war auch damals schon irgendwie klar, das diese Art von Platten für sie eher eine Ausnahme bleiben sollten. Was die Band Stand 2022 zum inzwischen zweiten Album ihrer neuen Serie Vaxis bringt, die sich irgendwie bemüht, die ursprüngliche Amory-Serie als eine Art Sequel weiterzuerzählen, die darin meiner Ansicht nach allerdings bisher eher durchwachsene Ergebnisse zeigte. Deren erster Teil, the Unheavenly Creatures von 2018, war nach der positiven Überraschung, die drei Jahre zuvor das formfremde the Color Before the Sun verursachte, ein denkbar uninspirierter und statischer Neuanfang, der sich nach kreativ bankrotter Anbiederung an die Fans anfühlte, die eben weiter Zeug von Amory hören wollten. Und etwas vorschnell hatte ich damals wohl gedacht, dass der spannende Teil der Diskografie von Coheed & Cambria damit vorbei wäre. Doch ist das, wie ich an diesem zweiten Teil der Saga sehe, anscheinend noch nicht ganz der Fall. Denn obwohl Vaxis II: A Window of the Waking Mind keineswegs ein neues Meisterwerk der New Yorker ist und an vielen Stellen nichtmal wirklich den Mist rehabilitiert, den einige Vorgänger musikalisch verbrochen haben, zeigt es doch wenigstens, dass in der alten Amory-Kiste auch auf dem inzwischen siebten Album noch immer Potenzial steckt und die Band vor allem auch immer noch selbst Bock hat, an diesem Material zu arbeiten. Den Umständen der Corona-Pandemie geschuldet an separaten Locations aufgenommen und komponiert (wobei letzteres ja eh schon immer hauptsächlich Sanchez' Job war), fühlt sich das hier musikalisch trotzdem wie ein sehr tight performtes und stimmiges Gruppenprojekt an und profitiert darüber hinaus von der professionellen Hilfe, die sich der Bandchef hier angeblich bei verschiendenen Broadway-Produzent*innen eingeholt hatte. Nicht das Coheed & Cambria vorher das Problem gehabt hätten, nicht episch und theatralisch genug zu klingen, doch schadet es ihnen hier überraschenderweise nicht, dafür auch mal einen ganzen Happen ihrer Frickeligkeit und Härte zu opfern, oder diese zumindest ein ganzes Stück in den Hintergrund zu verfrachten. Was hier im Mittelpunkt steht, ist stattdessen fast immer Sanchez' Songwriting, das hier vor allem auch durch sehr persönliche und intime Texte auffällt, die das ganze Album durchziehen. Und obwohl diese durchaus nicht immer ganz cringefrei sind und ich auch nach wie vor Probleme mit Sanchez als Sänger habe, sorgen sie zumindest dafür, dass hier nichts dem zentralen Narrativ im Weg steht, das dann auch dementsprechend ausgeschmückt wird. Dass ich mit der bisherigen Lore der Amory-Geschichte nur sehr wenig vertraut bin, bereure ich deshalb spätestens hier, wo es auch wirklich mal möglich ist, Ideen und Emotionen der Geschichte wirklich gut vermittelt zu kriegen. Vor allem in den letzten drei Tracks der Platte, die ich als epochales Finale Furioso so nur durch ihre musikalischen Qualitäten schätzen kann, von denen ich aber sicher bin, dass sie als Abrundung der hier erzählten Story für viele Fans sehr befriedigend sein werden. Und obwohl vieles davor im Vergleich dazu nachträglich eher verblasst und es im ersten Teil auch definitiv Tiefschläger wie Beautiful Losers gibt, bauen diese Songs trotzdem wahnsinnig gut die emotionale Dichte und das klangliche Setting auf, das besagten letzten Teil erst so richtig cool macht. Ich bin mir an diesem Punkt nicht sicher, ob und wie Coheed & Cambria von hier aus das Vaxis-Spinoff ihrer Saga fortsetzen, doch wäre das hier bereits deren Ende, dann wäre es definitiv ein würdiges. Dass dem jedoch so ist, schenke ich aktuell wenig glauben. Nicht nur deshalb, weil the Amory Wars nun mal Claudio Sanchez' schreiberisches wie musikalischens Lebenswerk ist, das er sehr wahrscheinlich auch noch unendlich weiterführen könnte, sondern auch deshalb, weil die Band dahinter ja immer noch was zu tun braucht, solange sie so gut als Einheit funktioniert wie jetzt. Man kann also nur das beste für sie hoffen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11


Persönliche Höhepunkte
Shoulders | Blood | Our Love | Ladders of Supremacy | Rise, Naianasha (Cut the Cord) | Window of the Waking Mind

Nicht mein Fall
Beautiful Losers


Hat was von
My Chemical Romance
the Black Parade

the Dear Hunter
Act IV: Rebirth in Reprise


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