Dienstag, 12. Juli 2022

Die Rache der Muttis

Regina Spektor - Home, Before and After
REGINA SPEKTOR
Home, Before and After
Sire
2022

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ pompös | quirky | erwachsen ]

Anfang der Zwotausendzwanziger noch ein Fan von Regina Spektor zu werden, ist ehrlich gesagt gar nicht mal so einfach. Schon allein deshalb nicht, weil es in den letzten Jahren so wenig neue Musik von ihr gibt, mit der man als Teil der Laufkundschaft irgendwie in Berührung kommen könnte. Regelmäßige Albumreleases existieren von der New Yorkerin seit inzwischen gut einer Dekade nicht mehr, und seit deren Ende mit What We Saw From the Cheap Seats von 2012 gab es in Sachen Longplayermaterial vor lediglich das unscheinbare Remember Us to Life 2016, von dem ich seinerzeit auch eher wenig hörte. Und nimmt man dann noch dazu, dass Spektor als Indieikone der Zwotausender inzwischen eine Künstlerin ist, die im wesentlichen mit suburbanen Muttis und einem gediegenem Mittvierziger-Coffeeshop-Publikum assoziiert wird, erscheint es auch nicht gerade attraktiv, sich 2022 noch groß mit ihr zu beschäftigen. Insbesondere für mich, einen Metal- und Punkrock-sozialisierten Mittzwanziger mit zumindest einigermaßen zeitgenössischem Geschmack. Dass Home, Before and After eine tolle Platte ist, finde ich aber trotzdem. Und es beweist mir im wesentlichen ein weiteres Mal, das solche Zuschreibungen über cool und uncool entweder kompletter Blödsinn sind, oder dass ich mich älter fühle als ich bin. Denn ein bisschen muss ich mich schon wundern, warum ich viele der von mir sonst so verhassten Spohistipop-Klischees und Nuller-Indie-Albernheiten, die schon immer wesentlicher Teil der kompositorischen Formel von Regina Spektor waren, hier plötzlich so gut finde. Sachen wie das alberne Karabarett-Piano in What Might Have Been, die forcierte Niedlichkeit und Naivität von Loveology, die kitschige Musicalhaftigkeit von Raindrops und die übergreifende Empfindung, dass das hier alles ein bisschen zu sauber und theatralisch produziert ist und Spektor songwiterisch etwas ausstrahlt, an dem mir einfach die Kante fehlt. Wobei es mir gar nicht mal so sehr darum geht, dass ich mich zu cool dafür fühle, sondern einfach darum, dass das alles sonst Stilmittel sind, die ich ziemlich furchtbar finde. Vielleicht macht es ja aber einen Unterschied, dass Spektor mittlerweile das musikindustrielle Standing hat, sich das ganze von einem pompösen Orchester untermalen zu lassen oder dass man auch ein bisschen merkt (vor allem in ihren Texten), dass diese Songs eben nicht mehr von einer Zwanzigjährigen geschrieben werden. Denn in Sachen Haltung und der gefühlten Tragweite des ganzen ist das hier schon ein ganzes Stück vom schnörkeligen Portlandia-Pop ihrer frühen Sachen entfernt. Vielleicht muss ich mir aber auch ehrlich eingestehen, dass Spektor unter den vielen quirkigen Gestalten des privilegierten Sophistipop schon immer eine derjenigen war, die wirklich gute Musik schreiben konnte und deren Platten eben nicht effektiv doof sind, sondern einfach nur ein bisschen angestaubt. Und was dieses hier angeht: Klar ist es nicht das coolste oder zeitgenössischste Album, über das ich hier reden könnte, doch muss es das auch nicht sein. Denn wenn Regina Spektor eines ist, dann eine Veteranin des Indiepop der Zwotausender, die sich in dieser Zeit das Recht verdient hat, zwei Dekaden später so dermaßen unmoderne und muttihafte Musik zu machen. Besonders dann, wenn sie es so gut und durchdacht macht wie hier. Dann ist es auch für jemanden wie mich nicht völlig unmöglich, sich 2022 noch für ihre Songs zu begeistern.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11


Persönliche Höhepunkte
Becoming All Alone | Raindrops | SugarMan | What Might Have Been | Spacetime Fairytale | Coin | Loveology | Through A Door

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Joanna Newsom
Divers

Kate Bush
the Kick Inside


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