Mittwoch, 6. Juli 2022

Formstark und inhaltlich konsequent

Lupe Fiasco - Drill Music in Zion
LUPE FIASCO
Drill Music in Zion
1st & 15th Too
2022
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ intellektuell | kulturtheoretisch | nerdig ]
 
Ich bin sicher nicht der einzige unter den musikinteressierten Menschen dieser Welt, die von sich behaupten würden, während der letzten zehn Jahre mit dem Output von Lupe Fiasco kein einfaches Verhältnis und in manchen Momenten auch das Problem gehabt zu haben, nicht immer ganz zu wissen, was dieser Typ jetzt eigentlich genau von sich selbst und seiner Musik will. Wobei ich es in dieser sogar noch relativ einfach habe, da meine Erfahrungswerte mit seinen Platten immerhin nicht so weit zurück gehen, dass ich 2011 Sachen wie Lasers live miterleben musste oder mich in den Zwotausendern an eine Phase erinnere, in der dieser Typ wirklich mal als das nächste große Ding im Conscious Rap gehandelt wurde. Dass ich lediglich eine Welt kenne, in der Lupe Fiasco zwar als überdurchschnittlich talentierter und cleverer Künstler gilt, allerdings auch als ziemlich unberechenbarer und inkonsistenter, sehe ich daher inzwischen als Vorteil. Denn nur so halte ich es aus, von ihm alle Nase lang wieder Platten wie Drogas Light oder Tetsuo & Youth zu hören, auf denen faszinierend geniale und unfassbar peinliche Momente direkt nebeneinander existieren und die irgendwie gleichzeitig fantastisch und enttäuschend sind. Wobei ich es an diesem Punkt eigentlich fast schon ein bisschen aufgegeben hatte, von ihm irgendwann nochmal eine durchweg stilvolle und mehr oder weniger fettnäpfchenfreie LP zu bekommen. Eine LP, die letztendlich auch Drill Music in Zion wieder nicht vollständig ist, wenn ich ehrlich bin. Als jemand jedoch, der von Lupe Fiasco inzwischen so einiges gewohnt ist und seinem Output gegenüber tendenziell eher misstrauisch eingestellt ist, muss ich trotzdem sagen, dass das hier eine positive Überraschung ist. Vor allem in der Hinsicht, dass es hier tatsächlich mal wieder ein relativ kohärentes und auch klanglich ausformuliertes Album von ihm gibt, das zumindest keine unfassbar bösen Stolperfallen bereit hält. Soll heißen: Das größte Manko an Drill Music ist für mich im Endeffekt, dass es manchmal etwas cheesy und/oder langweilig ist. Ein Ergebnis, das für mich im Kontext der Diskografie dieses Typen echt verschmerzbar ist und für das ich es auch ohne zu Murren in Kauf nehme, dass es inhaltlich nicht unbedingt sein allercleverstes ist. Denn obwohl Lupe sich auch in den meisten Songs hier mit sehr komplexen Themen schwarzer Geschichte, sozialen Ungerechtigkeiten und der Segregationspolitik seiner Heimatstadt Chicago beschäftigt, gehen diese Traktate doch in keinem Moment so weit wie teilweise auf dem letzten Drogas-Album oder Tetsuo & Youth, wo die ganze Leier auch unter 80 Minuten nicht zu stemmen war. Und ich finde es an vielen Punkten tatsächlich sogar schön, dass ich den Abhandlungen einiger Songs auch mal ohne nebenbei geöffneten Genius-Tab folgen kann. Da geht es Precious Things um das Machtgefälle zwischen Sozialsytemen und derer, die von ihnen abhängig sind, in Ms. Mural um das schwierige Verhältnis von Kunst und Kunstmarkt und im Titeltrack um Themen von Diaspora und der amerikanischen BIPOC-Kultur als Ergebnis jahrhundertelanger Unterdrückung. Besonders gelungen finde ich dabei diesmal auch den Introtrack Lion's Deen mit Lupes Schwester Ayesha Jaco, deren Features auf diesen Platten inzwischen lange Tradition sind und die es hier wahnsinnig gut hinbekommt, all diese verschiedenen Inhalte am Anfang sehr poetisch zu verbinden und damit einen Track zu schaffen, der sich wirklich wie ein eröffnendes Abstract in Gedichtform anfühlt und alles auch nochmal effektiver verschnürt. Wobei für mich persönlich die Kohärenz der Platte ihre wichtigste Veränderung im Vergleich zu ihren Vorgängern ist, die auch vieles entscheidend besser macht. Bei jemandem wie Lupe Fiasco, der gerne Mal tausend Gedanken gleichzeitig hat und dabei auch nicht selten zwischen Genres und Ideen springt, ist es in meinen Augen besonders wichtig, zumindest auf klanglicher Ebene einen gewissen roten Faden zu haben und Drill Music in Zion ist in meinen Augen die erste Platte seit circa Tetsuo & Youth, die das einigermaßen konsequent schafft. Und vor allem das ist letztlich ausschlaggebend dafür, dass ich diese LP gerade eine ganze Ecke besser finde als die meisten ihrer Vorgänger und als einen wichtigen Fortschritt für diesen Künstler sehe. Zwar auch nicht unbedingt einen, der in meinen Augen lange vorhalten wird, doch ist es tatsächlich endlich mal wieder ein Maßstab. Und das zum Glück im positiven Sinne.
 
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11


Persönliche Höhepunkte
the Lion's Deen | Ghoti | Autoboto | Ms. Mural | Naomi

Nicht mein Fall
Kiosk


Hat was von
Joey Bada$$
All Amerikkkan Bada$$

Royce Da 5'9"
the Allegory


1000kilosonar bei last.fm  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen