Sonntag, 17. Juli 2022

Vielleicht ist es Schicksal

grim104 - Imperium
GRIM104
Imperium
Recycled Earth
2022
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ biografisch | schwermütig | schicksalhaft ]
 
Erst vor ein paar Tagen habe ich wieder Mal festgestellt, wie Das Grauen, das Grauen, die wenn man so möchte letzte richtige Platte von Grim104, langsam zu einem meiner Lieblingsalben der letzten Jahre zu werden scheint. Eine Entwicklung, die ich so zu seinem Release im Herbst 2019 zwar nicht unbedingt vorausgesehen hätte, die für mich jetzt aber auch alles andere als überraschend kommt. Denn schon seit seinen ersten Gehversuchen als Solokünstler (die ja noch vor der Gründung seiner Band Zugezogen Maskulin mit Testo lagen) zeichnete sich der Berliner als einer der lyrisch talentiertesten und inhaltlich stärksten deutschsprachigen Rapper ab, bei dem es eigentlich nur eine Frage der Zeit war, bis er irgendwann einen persönlichen Favoriten von mir veröffentlichen würde. Und obwohl Imperium - sein wenn man so will erster richtiges Longplayer - in meinen Augen vielleicht nicht ganz an das heranreicht, was Das Grauen, das Grauen zuletzt als Messlatte setzte, fühlt es sich gerade doch an wie die Platte, die irgendwie Grims musikalisches Schicksal ist. Das eine definierende LP-Statement, auf dem er alle Fäden seiner bisherigen Solokarriere zusammenschnürt, einsackt und sich im Rückspiegel anschaut, was eigentlich alles so passiert ist. Wobei das Resultat hier nicht nur sein bisher persönlichstes und nachdenklichstes Projekt ist, es greift auch an vielen Punkten wieder Themen auf, die schon seit seiner ersten EP von 2013 dominierend waren und seitdem immer wieder in seinen Songs aufkommen: Sein Verhältnis zu Heimat und Herkunft - im besonderen zur deutschen Geschichte, sein politisches Selbstverständnis als irgendwie intellektueller Linker und irgendwie materialistischer Rap-Protagonist, seinen eigenen Zynismus und im großen und ganzen seinen Platz in der Welt, der immer noch nicht so richtig definiert ist. Wo man Grim dabei aber Anfang der Zwotausendzehner als aufgekratzten und keifigen Nihilisten mit einer ordentlichen Prise morbidem Horrorcore-Einschlag erlebte, ist auf Imperium von dieser Wut nicht mehr viel übrig geblieben. Stattdessen dominiert hier quasi vollumfänglich die Melancholie und Selbstbefremdlichkeit, die schon auf den letzten beiden ZM-Platten immer mal angedeutet wurde und der hier nun ebensoviel Platz geboten wird wie Grims Gruselrap-Tendenzen auf Das Grauen, das Grauen. Viel geht es dabei ums Altern (Grim ist inzwischen 30 geworden, da beginnt man anscheinend über sowas nachzudenken) und über die Unterschiede seines jugendlichen Selbst und dem von heute, wie schon zuletzt gelingt es ihm aber sehr oft, diese Thematik mit einer Analogie über die Vergänglichkeit (oder Unvergänglichkeit) überpersönlicher Konzepte zu verbinden, die hier ein weiteres Mal das Besondere ausmacht. So werden im Titelsong besagte sterbende Imperien behandelt, die Grim hier auch mit dem Ende des Optimismus der Neunzigerkinder verbandelt, in Bam Margera um gefallene Kindheitshelden, in Ü30 Männer im Club (dem einzigen bestenfalls okayen Song hier) um krampfiges Jungseinwollen und in Komm und sieh (dem mit Abstand stärksten Track des Albums) um das suksessive in Vergessenheit geraten der Verbrechen der Nazizeit und um die Verwandlung von Gegenwart zu Vergangenheit. Und obwohl auch nicht alle Songs hier sich so direkt wie auf dem Vorgänger in ein übergreifendes Konzept einordenen lassen (bestes Beispiel: Das Versprechen, ein äußerst ungemütlicher und grausiger Song über häusliche Gewalt, der eigentlich besser auf die letzte Platte gepasst hätte), eint Imperium doch jenes schwermütige Feeling, das man so umfassend bei Grim auch noch nicht gehört hat. Wobei es sich wie schon bei Das Grauen, das Grauen auch hier an vielen Stellen so anfühlt, als müssten diese Themen einfach mal aus dem System dieses Künstlers, weil er mit ihnen auf die ein oder andere Weise schon seit Jahren schwanger läuft. Nur dass es hier eben nicht wirkt wie ein spannendes Gimmick oder lediglich eine Facette von Grim104, sondern wie der gerenalüberholte Komplettentwurf dieses Rappers, mit dem er nach und nach die Haut desjenigen abstreift, der er zu Beginn seiner Karriere war und spätestens hier zu jemandem wird, der noch genauso relevante und düstere Songs schreibt, in dieser Rolle aber deutlich gereift ist. Und da er in dieser Metamorphose bisher auch quasi stetig besser geworden ist, freue ich mich darüber natürlich und bin neugierig, wie diese Entwicklung in Zukunft weitergeht. Denn viel zu klären und durchdenken hat Grim ja anscheinend nach wie vor.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11


Persönliche Höhepunkte
Abrakadabra | Honda Legend '99 | Bam Margera | Numb | Voo Store | Komm und sieh | Das Versprechen | Imperium | Sonnenuntergang

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Casper
XOXO

Kummer
KIOX


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