Montag, 10. Juli 2023

Die Wochenschau (01.07.-09.07.2023): Lil Uzi Vert, Kim Petras, Portugal. the Man, Swans und und und...


 
 
 
 
 
 
 
Portugal. The Man - Chris Black Changed My LifePORTUGAL. THE MAN
Chris Black Changed My Life
Atlantic

Nach dem dem doch ziemlich überraschenden Riesenerfolg ihres letzten Albums Woodstock, das Portugal. the Man vor sechs Jahren als gestandene Indie-Veteranen via Quotenhit doch noch in den Pop-Mainstream katapultierte, brauchte es anscheinend erstmal eine künstlerische Neujustierung bei der Gruppe aus Portland. Das lässt sich schon daran erkennen, dass der Nachfolger des Durchbruchs schon wieder so lange gebraucht hat, aber auch musikalisch ist Chris Black Changed My Life kein logischer nächster Schritt nach Woodstock. In nicht wenigen Momenten klingen Portugal. the Man hier wieder so quirky und psychedelisch wie zuletzt Anfang der Zwotausendzehner, an anderen stößt das Quintett stilistisch in komplett neues Territorium vor. Eine Tendenz, zu der auch eine Gästeliste passt, die mit Leuten wie Natalia Lafourcade, Black Thought, Unknown Mortal Orchestra und Edgar Winter einige echt weirde Gestalten versammelt. Und obwohl es am Ende trotzdem noch Popsongs wie Ghost Town oder Summer of Luv gibt, die das Erbe des Vorgängers zumindest ein bisschen antreten, sind diese mit Abstand die schwächsten Stücke der Platte. Einen kohärenten Eindruck von Chris Black zu bekommen, machen diese vielen unterschiedlichen Marschrichtungen nicht immer einfach und an manchen Stellen ist die Platte auch wirklich nicht besser als mittelmäßig. Spannend ist sie, vor allem als Reaktion auf Woodstock, aber auf jeden Fall. 

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11






Swans - The BeggarSWANS
the Beggar
Young God | Mute


Auf über zwei Stunden Spielzeit und mindestens einen Song über 30 Minuten kommen Swans mit ihrem neuesten Koloss von einem Album immer noch, das Dauerfeuer ihrer letzten klassischen Phase in den Zwotausendzehnern ist aber merklich runtergebrannt. Schon Leaving Meaning von 2019 ging stark in diese Richtung und präsentierte einen etwas gedimmteren Sound, dort war das aber noch ein Manko. Vier Jahre später auf the Beggar schafft die Band es, diese Ästhetik mit einem stärkeren Songwriting und größerer klanglicher Vielfalt zu vereinen und wieder ein Album zu schaffen, dass an ihre Mammut-Trilogie zwischen 2012 und 2016 erinnert. Auffällig ist dabei, wie viel sie bei Komposition und Sound bei the Velvet Underground und den Stooges abgeschaut haben, schlecht muss das aber nicht sein. Und mit Songs wie Ebbing, Michael is Done, Los Angeles: City of Death und vor allem dem 44-minütigen Epochalklopper the Beggar Lover (Three) gelingen der Formation auch mal wieder ein paar echte Einzeltrack-Highlights. Damit ist the Beggar in meinen Augen vielleicht ihre beste Platte seit the Glowing Man und zeigt mir, dass das ziemlich eingefahrene Konzept ihres ja nun schon eine Weile andauernden zweiten Bandfrühlings immer noch zieht, wenn man nur an den richtigen Schrauben dreht. Bei all den guten Nachrichten aber nicht vergessen: Gegen Michael Gira existieren nach wie vor Missbrauchsvorwürfe, die viele Fans der Band leider konsequent ignorieren.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11



Kim Petras - Feed the BeastKIM PETRAS
Feed the Beast
Republic
 
 
Kim Petras ist allerspätestens 2023 die Sorte Popstar, die das neue Jahrzehnt verdient hat und Feed the Beast in diesem Sinne auch endlich das Album, das dieses Prädikat mit voller Größe ausfällt. Vom lange angehängten Hyperpop-Etikett, das an ihrer Musik ohnehin schon immer mäßig gut haften blieb, kann man spätestens hier die erste Silbe streichen, weil die meisten Songs hier eher Dua Lipa als Charli XCX sind und die Übergänge sowieso fließend. So gibt es zwar auf der einen Seite hibbelige Kaugummi-Beats in Castle in the Sky und die nächste überflüssige Alice Deejay-Hommage auf Alone, dann aber auch wieder klassisch-elegante Dancepop-Momente wie Revelations (vielleicht mein liebster Song hier) oder Sex Talk, die auf ganz herkömmliche Weise eingängig sind. Die herausstehenden Hitmomente wie Alone oder den Titelsong, die am Anfang von den wirklich guten Songs im Mittelteil ablenken, finde ich zwar nicht so ideal, ebenso wie die Tatsache, dass Dr. Luke hier weiterhin als Producer angestellt ist und der nölige Sam Smith-Quotenhit Unholy nochmal sein musste. Abgesehen davon ist Feed the Beast aber ein durchweg gelungenes Album, das vor allem auf Seiten der Produktion Maßarbeit leistet. Für mich persönlich ist es damit das vorläufige Referenzwerk des Mainstream für diese Saison, an dem alle anderen jetzt erstmal vorbei müssen. Wobei es definitiv zum Status des ganzen dazugehört, dass es von einer Transfrau kommt.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11





M. WARD
Supernatural Thing
Anti-

M. Ward - Supernatural ThingBisher hatte mich die Musik eines M. Ward, dessen fluffiger Countryfolk schon seit Dekaden für die eher übergemütliche und Kulturradio-mäßige Seite des Indierock steht, in keinster Weise tangiert und dass ich hier auf den Geschmack komme, ist auch eher glücklicher Zufall. Die Art und Weise jedoch, wie er auf Supernatural Thing die besten Eigenschaften von Father John Misty und Kurt Vile kombiniert, hat mir schon ziemlich imponiert. Denn obwohl vieles an diesem Album noch immer sehr gefällig und glatt zurechtgemacht ist, ist das starke Songwriting an vielen Stellen zu ansteckend, um dafür keine Ausnahme zu machen und die zahlreichen Features von Leuten wie First Aid Kit, Jim James oder Neko Case - mit denen ich sonst ähnliche Probleme hatte wie bisher mit Ward - zu gekonnt inszeniert, um falsche Coolness vorzutäuschen. Eine der definitiv stärksten Singer-Songwriter-Platten des bisherigen Jahres und für mich sicherlich auch eine, über die ich hier nicht das letzte Wort verloren habe.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11






Lil Uzi Vert - Pink TapeLIL UZI VERT
Pink Tape
Generation Now


Die gute Nachricht zuerst: Mit Pink Tape kann man Lil Uzi Vert definitiv nicht mehr vorwerfen, den üblichen monotonen Traprap-Mist als großen Wurf zu verkaufen. Und wenn ich eines mit ziemlicher Sicherheit sagen kann, dann dass ich bisher keines der Alben dieses Acts so spannend fand. Der Streit darüber, ob das nun wirklich ein positives Urteil ist, ist aber mindestens genauso sicher und Pink Tape in sich so polarisierend wie wenige Platten, die ich in den letzten Jahren gehört habe. Und vor allem der erste Hördurchlauf wurde für mich in diesem Sinne zur Achterbahn der Gefühle, die an jeder Ecke die wildesten Überraschungen zu bieten hatte. So dachte ich zunächst eigentlich, dass das hier ein fantastisches Album wäre, da das komplette erste Drittel der LP zwischen Flooded the Face und x2 mit dem Übergang zum rotzigen Ragerap der Marke Playboi Carti wirklich erste Sahne ist und einige Songs echte Highlights in Uzis Karriere sein dürften. Nur wurde es danach doch sehr schnell sehr eigenartig. Da wäre zunächst das komplett überflüssige Endless Fashion mit Nicki Minaj, das schon der zweite Song innerhalb eines Jahres ist, der sich am kultigen Neunziger One-Hit-Wonder Eiffel 65 vergeht, später folgen mit Mama I'm Sorry und Nakamura zwei grauenvolle Trap-Balladen, von denen vor allem die letzte zu den bisher schlimmsten Momenten in Uzis Katalog gehört. Den Vogel schießt die Platte aber mit CS ab, für das ausgerechnet System of A Downs Chop Suey als Remix-Grundlage herhalten muss und das wahrscheinlich selbst vom miesesten Karaoke-Knilch nicht so grauenvoll gecovert wurde wie es hier passiert. Und weil man an diesem Punkt schon alle Höhen und Tiefen mit dieser LP durchhatte, wundern einen im letzten Drittel auch himmelschreiende Schrägheiten wie das metalcorige Werewolf (das von Featuregast Bring Me the Horizon quasi komplett vereinnahmt wird) oder die wüste J-Rock-Anarchie von the End nicht mehr, für die Uzi zum Schluss noch Babymetal und Powerviolence-Anleihen aus dem Hut zaubert. Gute Songs wie Pluto to Mars, Just Wanna Rock oder Fire Alarm gibt es zwischendrin auch noch, die verfliegen irgendwann aber auch im Fieberwahn, den dieses Album in seinen 86 Minuten Spielzeit an gewissen Punkten definitiv verursacht. Hat man seine Fassung irgendwann wieder, lässt sich konstatieren, dass Pink Tape gleichzeitig Uzis bestes und schlechtestes Werkstück bisher ist und auf gewisse Weise einen Ruf ruinieren wird, der eh schon fragwürdig war, nach dem Mistjahr 2020 und der Flaute danach ist es aber auch irgendwie ein wichtiges Ausrufezeichen, dass die Fanbase wieder zu beschäftigen weiß. Und eine Sache kann man jetzt ohne jeden Zweifel sagen: Bei dieser Person kann man Stand jetzt mit allem rechnen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠⚫⚫⚫⚫ 06/11




Geese - 3D CountryGEESE
3D Country
Partisan | [PIAS]


Innerhalb der vergangenen zwei Wochen wurde 3D Country, das zweite Album der New Yorker Gruppe Geese, an ziemlich vielen Orten im Internet an die Oberfläche gespült und dabei fast von allen als das große neue Indierock-Aha-Erlebnis des Sommers gefeiert. Und woher diese Aufmerksamkeit kommt, lässt sich auf jeden Fall leicht nachvollziehen: Geese klingen hier wie die weirdest mögliche Vermählung aus Black Midi, den Viagra Boys und Battles, die man sich vorstellen kann und ihr Sänger auch manchmal wie eine geisteskranke Mischung aus Mick Jagger, Arthur Brown und Josh Homme. Außerdem kann man sich bei einem Artwork wie diesem ja vorstellen, dass die Band ein bisschen einen Clown gefrühstückt haben muss. 3D Country ist aber nicht nur herrlich schräg, es ist songwriterisch auch durchweg klasse gemacht, klanglich detailverliebt und für ein Rockalbum mit diesen Referenzen maximal zeitgenössisch, was es über die Wirkung eines spontanen Hinguckers hinausbringt. Überhaupt braucht es in meinen Augen erstmal ein paar Durchläufe, um wirklich seine volle Wirkung zu entfalten und die besten Songs der Tracklist befinden sich erst in der zweiten Hälfte. Wer also 2023 noch eine Rockplatte gesucht hat, die tatsächlich nach 2023 klingt, sollte hier definitiv mal vorbeischauen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11


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