Samstag, 26. März 2022

Auf der falschen Seite der Geschichte

CHARLI XCX
Crash
Asylum | Atlantic
2022

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ optimistisch | catchy | cool ]

Ich will an dieser Stelle gar nicht erst so tun, als hätte mich die Musik von Charli XCX bis hierhin ernsthaft interessiert und dass ich bei selbiger sowieso schon immer ein bisschen late to the party war, war in den letzten Jahren eigentlich eine Sache, die mich nicht besonders störte. Bis heute habe mit Pop 2 und Vroom Vroom zwei ihrer sicherlich prägensten Releases nicht gehört und als ich im September 2019 auf Charli zumindest mal ernsthafte Bemühungen in diese Richtung unternahm, geschah das eher aus Gruppenzwang als aus intrinsischer Leidenschaft. Selbst wenn man sich die wenige Dinge ansieht, die ich in den fünf Jahren seit Beginn dieses Formats über die Britin geschrieben habe, hat sich daran für mich auch nicht viel geändert und auch wenn ich inzwischen durchaus ihren immensen Einfluss auf die Popmusik der Gegenwart anerkenne, hat diese Tatsache doch keineswegs meine Skepsis ihr gegenüber zertreut. Sowohl Charli als auch ihr letztes Album How I'm Feeling Now (das Stand jetzt wohl das einzige Pandemiealbum ist, das pophistorisch wirklich einen Unterschied machen könnte) fand ich zwar auf der einen Seite songwriterisch ambitioniert und auf ihre Weise durchaus visionär, in vielen Punkten aber auch sehr chaotisch und inkonsistent, sodass ich sie nur punktuell wirklich feiern konnte. Und auch in Bezug auf Crash, das erste 'richtige' Album der Britin seit 2019, war meine Vorfreude in den vergangenen Monaten eher verhalten. Verantwortlich dafür war war in diesem Fall ausnhamsweise mal nicht die Musik (die war eigentlich sogar echt okay), sondern die langwierige und dämlich überzogene PR-Dramödie, die sich im Vorfeld des Releases zwischen Künstlerin und Label abspielte und die leider unangenehm viel Platz im musikalischen Diskurs der letzten Monate einnahm. Ich persönlich weiß an diesem Punkt noch immer nicht genau, ob es jetzt die Absicht von Atlantic Records oder die von Charli selbst war, hier die ganze Hyperpop-Schiene der letzten Alben erstmal ruhen zu lassen und ein eher "kommerzielles" Release anzustreben, es ist mir aber auch ziemlich egal. Viel eher interessiert mich bei der ganzen Sache, warum diese Unterscheidung überhaupt notwenig war und worin sie letztlich besteht. Denn wo man einerseits durchaus argumentieren könnte, dass die Künstlerin gerade mit diesem - ja angeblich so unkommerziellen - Sound einen echten Unterschied machte und mit ihren Platten nicht unwesentlich den Weg für die Popmusik von heute pflasterte, waren Platten wie Charli ja auch keine krass experimentellen und stilistisch abgefahrenen Grenzerfahrungen, sondern durchaus sehr kommerzielle Alben. Und als ausgewiesenen "Pop"-Entwurf für Charli XCX hier ein Album zu hören, dass wie eine Mischung der aktuellen Sounds von the Weeknd, Rina Sawyama und Dua Lipa klingt, wirkt für mich persönlich dahingehend schon ein bisschen überkompensiert. Aber hey, einen entscheidenden Vorteil hat das ganze zumindest für mich, denn zum ersten Mal in der Karriere dieser Künstlerin bin ich hier wirklich begeistert von einem ihrer Alben. Und das nicht etwa deswegen, weil es im Vergleich zu seinen Vorgängern eher konservativ ist (ich habe nichts gegen Hyperpop, einige meiner besten Freunde hören Hyperpop), sondern vor allem deshalb, weil es auch mal eine Sache durchzieht und nicht zu viel gleichzeitig macht. Der knallige und leicht discoeske Synth-Schrägstrich-Dancepop dieser zwölf neuen Songs ist sicherlich bei weitem nicht so spannend und visionär wie vieles aus den letzten fünf Jahren, er funktioniert aber auch auf den kompletten 33 Minuten dieser LP statt nur auf Einzeltracks zwischendurch und schneidet nicht hundert Ästhetiken an, die es dann nach drei Minuten wieder aufgibt. Und das ist gut so, denn diese Art von Strukturierung scheint dem Soundkonzept von Charli ziemlich gut zu stehen. Wo Andere für so ein Ergebnis mitunter das Bangerpotenzial einiger Songs für besser ausgearbeitete Deep Cuts opfern würden, ist an Crash ganz einfach alles unglaublich catchy und lässt mit spielender Leichtigkeit einen Hit nach dem anderen vom Stapel. In Lightning klingt das dabei ein bisschen nach ganz frühem New Wave aus den Achtzigern, Baby ist der glamouröse Matratzenjam für zwischendurch, Used to Know Me hat was von der clubbiger Ellie Goulding aus den späten Nullern und auf New Shapes formiert Charli mit Christine & the Queens und Caroline Polachek hinterrücks die heilige Dreifaltigkeit der Hyperpop-Königinnen, ohne am Ende wirklich einen Hyperpop-Song zu machen. Und obwohl viele Ideen dieser Platte dabei schon ein bisschen zahmer wirken als zuletzt und Sachen wie c2.0 hier definitiv deplatziert wären, ist Crash doch auch nicht ganz frei von den Schmauchspuren ihrer Hyperpop-Einflüsse und mit A.G. Cook weiterhin der Architekt dieses Sounds mit an Bord. Was in meinen Augen ebenfalls zum besten der LP funktioniert, denn so finden die wirklich tollen Ideen, die diese beiden in den letzten Jahren hatten, an vielen Stellen nochmal eine größere Form und werden so Teil eines wirklich durchdachten Albums. Wobei in dieser Hinsicht der größte Gewinn von Crash in seinem Mixing und Mastering liegt, dass einerseits die Catchiness der Songs wunderbar aufnimmt, diese andererseits aber auch mit einer Prise Überzerrung und Trash-Ästhetik behandelt, die sie erst so richtig cool macht. Und spätestens an dieser Stelle muss ich dann sagen, dass diese Art von Pop-Crossover in meinen Augen genau der Sweet Spot ist, auf dem die Zusammenarbeit von Cook und Charli XCX zum ersten Mal wirklich fruchtet und aus den Talenten beider das beste herausholt. Denn auch wenn sie in den letzten Jahren gerne an abgefahrenen Sachen herumgetüftelt haben und dabei vielleicht auf den Sound der Zukunft gestoßen sind, sind sie für mich am Ende vor allem als PopmusikerInnen gut, die sich auch ruhig mal bestehenden Trends hingeben können und damit trotzdem richtig gute Songs schreiben. Natürlich weiß ich dabei sehr genau, dass mich ich mit dieser Einstellung direkt wieder ins argumentatorische Abseits des Charli XCX-Diskurses katapultiert habe und gerade das Album mag, das alle Fans gerade ziemlich doof zu finden scheinen. Aber ist ja schließlich nicht so, dass ich diese Position nicht aus den letzten Jahren schon gewöhnt wäre.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11

Persönliche Höhepunkte
Crash | New Shapes | Constant Repeat | Beg For You | Baby | Lightning | Used to Know Me | Twice
 
Nicht mein Fall
-
 
 
Hat was von
Dua Lipa
Future Nostalgia
 
Rina Sawayama
Sawayama
 
 

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