Sonntag, 20. März 2022

Bitte ernst bleiben

Lil Durk - 7220
LIL DURK
7220
Alamo
2022

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ erzählerisch | biografisch | zahm ]

Dafür, wie lange Lil Durk an diesem Zeitpunkt bereits Musik macht und wie sehr sein Name in der Diskurswelt des Rap nun schon einigermaßen heiß gehandelt wird, hat es relativ lange gedauert, bis er in Sachen Output diesen Leumund auch rechtfertigen konnte. Lange hatte das mit zahleichen juristischen Verstrickungen und persönlichen Dramen zu tun, die Durk ein bisschen vom Pech verfolgt erscheinen ließen, mit Beginn der neuen Dekade schienen die Wogen nun aber langsam geglättet zu sein und sich langsam eine gewisse Sicherheit in seinem Output breitzumachen. Fünf Jahre nach seinem Debüt von 2015 war the Voice 2020 der erneute Durchbruch in die Schlagzeilen der Rapmedien und spätestens auf seinem überraschend starken Schulterschluss mit Lil Baby Voice of the Heroes eine Saison später folgte auch für mich der Moment, in dem ich endlich Aufwind in seinem Material spürte. Stand 2022 ist Durk nämlich nicht nur ein Rapper mit viralem Hitpotenzial und internationalen Chartplatzierungen, sondern langsam auch ein Typ, der inhaltlich sehr starke Musik schreibt und dann und wann sogar eine richtig gute Geschichte erzählen kann. Schon Voice of the Heroes zeigte das letztes Jahr auf beeindruckende Weise und nachdem das jetzt auch irgendwie zu einem Teil seiner Marke geworden ist, ist 7220 die erste Soloplatte, die sich exklusiv dieser Art von Storytelling annimmt. Wobei Durk als Ausgangsmaterial auf geschickte Weise das ganze Unglück und die Dramen nutzt, die ihn seit seiner Kindheit begleiten und die er hier auf gewisse Weise auch verarbeitet. Da geht es um die Beziehung zu einem Vater in lebenslänglicher Haft, um die teils tödlichen Attentate auf zahlreiche Begleiter und Familienmitglieder während seiner frühen Karriere, um den steinigen Weg in die Musikindustrie und den schwierigen Abschluss mit der Vergangenheit. Das alles ist sehr harter Stoff und verschafft mit schon vor der Auseinandersetzung mit der eigentlichen Musik jede Menge Respekt für den Leidensweg von Lil Durk und wie dieser sich jetzt doch noch irgendwie zum positiven gewendet hat. Und dass er das alles pietätvoll und klanglich adäquat umsetzen würde, bezweifelte ich eigentlich auch in keinem Moment, da er das ja auf seinem Vorgänger schon einmal toll gemacht hatte. Was es angesichts dessen schon ein bisschen überraschend macht, wie sehr er dieses Konzept auf 7220 an die Wand fährt und hier ein Album aufnimmt, dass trotz seiner emotionalen Prämisse und dem guten Ausgangsmaterial ziemlich stumpf und ausgebrannt klingt. Wobei die Musik an vielen Stellen sicherlich das erste große Problem sein dürfte, die sich in meinen Augen oft ein bisschen zu sehr in die Tränendrüsigkeit dieser Songs hereinsteigert. Klar wäre es für viele Tracks hier unangebracht, bratzige Bangerbeats zu produzieren und hedonistische Adlibs zu performen, doch erinnern mich viele der schmonzigen Piano-Instrumentals und Midtempo-Nummern unangenehm an Trap-Versionen furchtbarer Deutschrap-Balladen aus den Zwotausendern, an die sich zum Glück inzwischen niemand mehr erinnert. Wobei es auch wenig hilft, dass es zwischendrin eben doch oft knalligere Nummern wie Ahhh Ha und Pissed Me Off gibt, die im Kontext zwar zu den besseren Cuts des Albums gehören, in vielen Punkten aber auch den Flow und das Narrativ der Platte stören. Und Durk selbst? Ist irgendwie auch nicht mehr ganz so fokussiert und on point wie an vielen Stellen zuletzt und weiß ab und zu nicht genau, in welche Richtung er mit diesem Projekt gehen soll. Dass er direkt mit den beiden ersten Songs maximal ins balladige geht und wirklich Storytelling probiert, wirkt spätestens ab dem albernen und hedonistischen Ahhh Ha an dritter Stelle irgendwie unaufrichtig und auch später wechseln sich ehrlich gemeinte Emotionsmomente immer wieder mit angeberischen Parts über Percs und Pussy ab. In den Texten selbst wirkt Durk dabei oft unfokussiert und gibt sich flowtechnisch sehr freigeistig, was die meisten seiner Strophen letztlich einfach nur einschläfernd wirken lässt und gerade in Verbindung mit den drögen Instrumentals denkbar ungünstig kommt. Und wenn mit dem letzten Song Broadway Girls dann auch noch ein billiges Country-Crossover angehängt wird, kann ich persönlich nur noch mit den Augen rollen. Das Problem dieses Albums ist für mich dabei nicht mal, dass es irgendwie geschmacklos oder den heftigen Stories von Durk gegenüber nicht angemessen wäre, viel eher frustriert mich die Art, wie daraus nicht mehr gemacht wurde. Ein schlechter Texter ist Durk wie wir inzwischen wissen nicht und dass er diese Art von Songs kann, ist auch nichts neues. Weder wurde dem hier aber eine Aufbereitung zuteil, die solche inhaltlichen Brocken auch musikalisch spannend macht, noch hat man die Stärke dieser Ästhetik für sich sprechen lassen und sie stattdessen mit billigen Streaminghits ausstaffiert, die ihre Wirkung schmälern. Was echt schade ist, denn eigentlich hätte diese LP eine sein können, die Lil Durk weiter als eine feste Größe im Traprap etabliert, die auch lyrisch mal an die schmerzhaften Stellen gehen kann und dabei nicht wie ein Clown wirkt. Letztendlich macht sie ihn dann aber doch ein bisschen dazu. Und das ist in Hinblick auf die Inhalte leider das letzte, was der Sache irgendwie zuträglich gewesen wäre.

🔴🔴🔴🟠⚫⚫⚫⚫ 04/11

Persönliche Höhepunkte
Ahhh Ha | Grow Up / Keep It On Speaker | Difference Is | Pissed Me Off

Nicht mein Fall
Started From | Headtaps | Smoking & Thinking | Federal Nightmares | Broadway Girls


Hat was von
Polo G
Hall of Fame

JuiceWRLD
Death Race for Love


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen