Sonntag, 13. März 2022

Maestro

Stromae - Multitude
STROMAE
Multitude
Universal | Polydor
2022
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ farbenfroh | ambitioniert | nachhaltig ]
 
Es fällt mit ehrlich gesagt auch 2022 noch schwer, das Phänomen Stromae gedanklich so wirklich zu erfassen und für einen Teil von mir wird er wohl auch immer das deplatzierte One Hit-Wonder Alors On Danse bleiben, als das er 2010 die Weltbühne betrat. Dass er mittlerweile wesentlich mehr ist als das, sollte aber inzwischen definitiv klar sein. Spätestens mit seiner zweiten Platte Racine Carée von 2013, mit der zwar in Europa weniger erfolgreich war als mit der ersten, dafür aber plötzlich auf der anderen Seite des Atlantik ziemlich gut ankam, machte er sich nachhaltig einen Namen als ernstzunehmender Popmusiker, zumal er dort auch ganz klar bei einem cooleren Publikum ankam als hierzulande. Denn wo ihm ursprünglich gerade in Deutschland etwas zu Unrecht der Ruf eines schrulligen Hitproduzenten zukam, der er eigentlich schon auf seinem Debüt eigentlich kein bisschen war, nimmt man ihn mittlerweile schon eher als den inhaltlich ambitionierten, musikalisch vielfältigen und auch äußerlich zunehmend extrovertierten Künstler wahr, zu dem er seitdem gewachsen ist. Wobei besonders sein neuestes Album Multitude - sein erstes seit fast zehn Jahren - das nochmal sehr deutlich unterstreichen will. Weg von Dancepop-Schema F und den radiotauglichen Quotenhits seiner Frühphase setzt LP Nummer drei des Belgiers zum ersten Mal ganz deutlich auf einen vielschichtigen und intelligenten Sophistipop-Sound, der in nicht wenigen Punkten schon fast kunstig daherkommt und vor allem in seiner instrumentalen Ausgestaltung ziemlich beeindruckt. Schon im Opener Invaincu hört man exotische und extravagante Elemente wie Dudelsäcke und großzügig arrangierte Chöre, in späteren Songs kommen dazu noch spanische Gitarren, vertrackte Drums und akustische Percussion, Kalimba, orientalische Streicher und Ukulelen, um jetzt nur mal die auffälligsten Ausreißer zu nennen. Stilistisch greift Stromae sich dabei Einflüsse aus allen möglichen Stilrichtung - vor allem folkloristischen - heraus und bringt den soften Afrobeat von Mon Amour in seinen cleveren arrangierten Sound genauso unter wie die ostasiatischen Flavours in La Solassitude oder die Latin- und Cumbia-Anklänge in C'est Que du Bonheur. Dass Multitude bei alledem trotzdem noch ein krass eingängiges Pop-Werkstück ist und auch viel besser als Backdrop für die ebenfalls ziemlich ambitionierten Lyrics funktioniert, spricht dabei Bände über die künstlerische Arbeit an dieser LP und ist vielleicht auch ein guter Hinweis darauf, warum ihre Fertigstellung so lange gebraucht hat. Gerade weil ich die Leidenschaft im Songwriting und die kreative Großzügigkeit an dieser Platte aber so schätze, fällt es mir umso schwerer zu sagen, dass ich mit ihr nach wie vor so einige Probleme habe, die in vielen Punkten auch mit dem künstlerischen Selbstverständnis von Stromae zu tun haben. So mag ich zwar grundsätzlich die Art, wie viele Songs hier etwas softer formuliert sind als in seinen Dancepop-Zeiten, in Sachen Produktion und Mastering ist vieles aber immer noch nicht besser geworden und bräuchte in meinen Augen vielleicht doch ein bisschen mehr Dynamik. Auch bin ich leider noch immer nur bedingt ein Freund seiner lyrischen Arbeit, die zwar in vielen Momenten echt hochwertig sein kann und das auch nicht erst seit gestern ist, an anderen aber auch auf billige Plattitüden zurückfällt und mir persönlich manchmal zu weltheilerisch-bonoesk wird. So mag ich hier beispielsweise einen Song wie Pas Vraiment, auf dem ein weiteres Mal auf eindringliche und sehr reale Weise eine brüchige Beziehung beschrieben wird, ein Stück wie Santé, das von ausbeuterischen Verhältnissen im Niedriglohnsektor handelt (und damit eigentlich ein echt relevantes Thema anspricht), geht in meinen Augen aber zu sehr den Weg des schlagerigen Tralala, um mich wirklich auch inhaltlich mitzunehmen. Wenn man dabei noch dazunimmt, dass ich mich in all den Jahren noch immer nicht wirklich mit Stromae als Sänger warmgehört habe, scheitern leider einige Songs hier an einer nicht ganz idealen Umsetzung. Weshalb das anberaumte und das tatsächliche Ergebnis am Ende doch ziemlich auseinanderklaffen. Geht es hier allein darum, was dieses Album zu sein versucht und was für Arbeit es in diese Richtung investiert, ist es ein absoluter Hingucker und verdient allen Respekt, den ich für schlau gemachte Popmusik aufbringen kann. Im Bereich der stilistischen Vorlieben sind Stromae und ich aber hier nach wie vor nicht ganz auf einer Wellenlänge und ich glaube an diesem Punkt auch nicht wirklich daran, dass sich das irgendwann nochmal ändert. Wo ich objektiv also definitiv sagen muss, dass ich Multitude sehr empfehlen kann und das hier ohne Frage die bisher beste Platte des Belgiers ist, heißt das für mich wohl eher, dass sie zumindestens sehr okay ist. Wobei auch das tausendmal besser ist als zwölf Jahre später immer noch Alors On Danse cool zu finden.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
La Solassitude | Fils de Joie | L'Enfer | C'est Que Du Bonheur | Pas Vraiment | Mon Amour

Nicht mein Fall
Santé


Hat was von
Klô Pelgag
Notre-Dame-des-Sept-Douleurs
 
Jain
Zanaka


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