Donnerstag, 17. März 2022

Take A Second Look

Nilüfer Yanya - PAINLESS
NILÜFER YANYA
Painless
ATO
2022

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ abenteuerlich | selbstbewusst | intelligent ]

Dass es 2022 einigermaßen schwierig geworden ist, den künstlerischen Limbus adäquat zu beschreiben, in dem sich Nilüfer Yanya karrieretechnisch befindet, ist letztlich auch nur eine eloquentere Version der Aussage, dass ich zum Zeitpunkt ihres zweiten Longplayers noch immer nicht so richtig weiß, was ich jetzt eigentlich von ihr halten soll. Und wenn ich ganz ehrlich bin hätte ich an diesem Punkt eigentlich schon nicht mehr erwartet, dass ich mich überhaupt nochmal so ausführlich mit ihrer Musik beschäftigen muss. Denn bis zum Release von Painless verlief ihrer Karriere während der letzten halben Dekade eigentlich mehr oder weniger so wie die vieler junger Indiepop-Hoffnungsträger*innen und bedeutete damit vor allem, dass sie einigermaßen vernachlässigbar war. Zwar wurde die Britin nach ihren ersten EPs und dem schwergewichtigen ATO-Singning um etwa 2016 von vielen Publikationen als relevante Newcomerin gehandelt und frühzeitig mit viel prominentem Backing gesegnet (Yanyas Verbindungen in die Musikindustrie kamen dabei auch durchaus ein bisschen durch ein gut vernetztes Elternhaus), trotzdem vergingen danach erstmal lange Jahre bis zu einem eher okayen Debütalbum vor drei Jahren und der weitgehenden Einsicht, dass die Nummer am Ende wohl halb so heiß gegessen wie gekocht wurde. Und weil das zweite Album ja bekanntlich auch bei vielen nicht so gut wird wie das erste wäre die Sache an dieser Stelle eigentlich erledigt gewesen. Nur dass Nilüfer Yanya eben nicht viele ist und es mit dieser zweiten LP eine ganze Weile später nun doch irgendwie geschafft hat, sich einen künstlerischen Charakter zuzulegen und zumindest mich damit einigermaßen zu überraschen. Denn obwohl Painless mit seiner grantigen Mischung aus Alt-R'n'B und neunzigerigem Indierock keineswegs irgendwelche Räder neu erfindet und klangliche Andockpunkte wie 070 Shake, Yves Tumor oder Radiohead meistens ziemlich offensichtlich sind, finde ich es doch erstaunlich, welchen umfassenden Reifeprozess Yanya hier im Vergleich zu ihrem Vorgänger vollzieht. Denn wo der an vielen Stellen noch klang wie eine chaotische Mischpoke aus Einflüssen und ästhetischen Ideen ist der mehr oder weniger gleiche Sound hier nicht nur besser in Form gegossen, sondern an vielen Stellen auch wesentlich spannender aufgenommen und umgesetzt. Wenn Painless sich durch eine Sache eindeutig vom Indiepop vieler Zeitgenoss*innen abhebt, dann durch seine ziemlich extravagante und nicht selten auch rauhbeinige Produktion, die in vielen Momenten wunderbare Kontraste schafft und dabei auch nie den einfachsten Weg geht. Da gibt es Songs wie das komplett skelettale midnight sun, das fast komplett von einer einzigen Melodie getragen wird, die dann aber wenigstens auch richtig großartig ist oder den rockigen Opener the dealer mit seiner unschlagbaren Bassline, die hier für eine herrliche Tiefe sorgt. Und klar reden wir dabei größtenteils von Kleinigkeiten, die diesen Sound hier besonders und ansprechend machen, es ist aber auch das sicherlich schönste an Painless, diese Stück für Stück für sich zu entdecken. Als ich die Platte vor etwa einer Woche das erste Mal hörte, wusste ich erstmal gar nicht so richtig, warum ich sie eigentlich so cool fand und was es war, das mich an diesem minimalistischen und ausgemergelten Songwriting so ansprach. Und für eine Weile war ich deshalb fast geneigt, dieses positive Gefühl nicht ernst zu nehmen. Dass es gerade diese Ambivalenz ist, die Yanya hier so herrlich gelingt und die mich dazu motiviert, mich wirklich mit dieser Musik zu beschäftigen, sehe ich mittlerweile aber als seine größte Stärke, und das nicht nur bezogen auf dieses Album, sondern auch mittelfristig auf die Künstlerin dahinter. Denn auch wenn das hier definitiv nicht die beste Platte der Welt ist, schreibt solche Songs niemand, der einfach nur playlistfreundlichen Indiepop machen und sonst seine Ruhe haben will. So jemand war vielleicht die Nilüfer Yanya vom Debüt, diese neue Nilüfer Yanya hat einen Anspruch an sich selbst und ist hier womöglich gerade erst am Anfang einer Entdeckungsreise, die über kurz oder lang auch noch richtig spannend werden könnte. Nachdem ich vor diesem Album also lange dachte, dass mit dieser Frau nichts anzufangen sei, hat sie mich hier dann doch noch neugierig gemacht. So sehr sogar, dass ich hoffe, dass es mit LP Nummer drei diesmal nicht so lange dauert und ich sehr bald nochmal über sie sprechen kann.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11

Persönliche Höhepunkte
the dealer | L/R | shameless | chase me | midnight sun | trouble | try | belong with you

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Yves Tumor
Heaven to A Tortured Mind

070 Shake
Modus Vivendi


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