Montag, 7. März 2022

WTF Indeed

Edgar Wasser - WTF IRL
EDGAR WASSER
WTF IRL
Die-Ai-Wei
2022
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ plakativ | verkürzt | dilletantisch ]
 
Glaubt man der offiziellen Zählweise der Diskografie von Edgar Wasser, die der Künstler selbst seit etlichen Jahren führt, dann ist WTF IRL dieser Tage tatsächlich sein Solodebüt. Über eine Dekade nach seinen ersten Schritten als Rapper und ein paar echten Achtungserfolgen im Deutschrap-Kosmos der Zwotausendzehner hatte ich mir das immer irgendwie feierlicher vorgestellt, aber da wären wir nun. Das beruhigende dabei: wer sich ein bisschen im Katalog des Münchners auskennt und diesen die letzten zehn Jahre über zumindest zu einem Teil verfolgt hat, weiß auch, dass diese ganze Zuordnung eigentlich Blödsinn ist. Denn selbst wenn Wasser sich bisher strategisch immer um die offizielle Benennung eines solchen Großformats herumgedrückt hat und sich zumindest der Titulierung nach nicht auf diese Königsdisziplin des Musikformats einließ, gibt es praktisch gesehen schon diverse Platten aus seinem Katalog, die ohne jeden Zweifel das Prädikat eines Albums erfüllen. Da gäbe es seine von 2011 bis 2014 regelmäßig veröffentlichten und überaus reichhaltigen Freetrack Collections, diverse EPs mit weit über 30 Minuten Material, das Mixtape ETKA VASSA von 2019 und mit dem offiziell ebenfalls als EP gehandelten Tourette Syndrom von 2014 das Debüt der Herzen vieler Fans, das in vielen Punkten den bisherigen Höhepunkt der Wasser-Diskografie markierte. Dass jene Platte damals eigentlich so aussah wie die Vorhut eines richtigen Erstlingswerks, letztlich aber vor allem das finale große Release vor einer langen Durststrecke des Rappers markierte, spricht aus heutiger Sicht aber ebenfalls Bände. Vor allem darüber, dass Edgar Wasser diesen Schritt eben ganz bewusst vermeiden wollte und seine Karriere da kleinhielt, wo andere zum großen Sprung ansetzen. Zusätzlich zu seiner mehr oder weniger kompletten Sendepause zwischen 2015 und 2019 gab der Rapper in dieser Zeit nämlich auch keine Konzerte mehr, trat in Videos nur noch inkognito auf und war höchstens noch mal in einem Feature auf einer der vielen Platten von Fatoni oder Juse Ju zu hören, mit denen er zum Teil auch ganze Alben machte. Dinge wie Labelverträge oder Interviews hatten ihn ja ohnehin noch nie interessiert, weshalb diese zunehmende Isolation für ihn auch irgendwie on brand war. Und als er 2019 schließlich mit ETKA VASSA zurückkehrte, war es sicherlich auch ein bisschen Absicht, dass im ersten Moment so gut wie niemand von seinem Comeback mitbekam und das ganze eher wenig professionell stattfand. Edgar Wasser ist Stand 2022 ein Künstler, der Musik anscheinend nur noch als Selbstzweck betreibt und von lästigen Publikumserwartungen und Szeneverbindungen nicht mehr behelligt werden will. Dass es jetzt trotzdem nochmal ein offizielles LP-Format geworden ist und im Vorfeld sogar einige Singles daraus erschienen, mag da erstmal widersprüchlich wirken, entmystifiziert sich aber spätestens dann, wenn man die Platte erstmal gehört hat. Denn die ist mit 15 kurzen Tracks in 28 Minuten nicht nur wesentlich knapper als einige zuvor als EP veröffentlichte Projekte des Münchners, sie ist auch in gewohnter Edgar Wasser-Manier eher eine Zusammenstellung von Einzeltracks als wirklich ein geschlossenes Statement. Zumindest wenn man die Aneinanderreihung verschiedender sozialkritischer Themen (über die Wasser ja schon immer irgendwie schrieb) nicht gleich als inhaltliches Konzept deuten will. Wo das aber eigentlich alles eine gute Nachricht sein sollte und ich von der Verheißung, jetzt irgendwie doch noch ein Album-Album dieses Typen zu bekommen, direkt ein bisschen hyped war, muss ich nach Sichtung des Ergebnisses doch vor allem sagen, wie ernsthaft bestürzt ich vom Resultat letztlich bin. Denn WFT IRL ist, und so deutlich muss ich an dieser Stelle einfach mal sein, ein absolut dillettantisches und peinliches Stück Rapmusik, das meilenweit unter dem Niveau liegt, das ich bei Edgar Wasser eigentlich gewohnt bin. Einem Musiker, den ich für eine gewisse Zeit während der letzten Dekade für den mit Abstand talentiertesten und cleversten deutschsprachigen Rapper hielt und der in einem wahnsinnigen Tempo Songs schrieb, die mit so viel Charakter und doppeltem Boden arbeiteten, dass immer wieder ins Staunen kam. Klar waren seine Platten musikalisch schon immer etwas hölzern und der Typ für Gesamtkunstwerke war er definitiv nicht, doch war er stattdessen eben inhaltlich stark. So stark, dass ich an vielen Punkten einfach nicht glauben kann, wie unfassbar tief er hier absackt und wie sehr es ihm an vielen Stellen schwer fällt, die simpelsten Eckpfeiler seines künstlerischen Charaters zu stützen. Vor allem auch deshalb, weil dieser Bruch hier so absolut unverhofft kommt. Hört man sich Songs von ihm an, die er noch letztes Jahr auf seiner gemeinsamen LP mit Fatoni schrieb, war er vielleicht nicht mehr ganz so on fire wie 2013, allerdings immer noch extrem stark und wortgewandt. Hier hingegen baut er auf dem lyrischen Niveau eines Battlerap-Frischlings Tracks mit extrem platten Anspielungen auf gesellschaftliche Themen, deren Beobachtung meistens nicht mehr als verkürzt formulierte, meistens auf schockierende Weise konservative Allgemeinplätze auf dem diskursiven Level eines Schultheaterstücks sind. Da gibt es beispielsweise Songs wie 5 Uhr in der früh oder Lady Diana, die mentale Gesundheit als Motiv aufgreifen wollen, dabei aber in keinem Moment eine tiefere Beschäftigung damit finden als dass diese grundsätzlich existieren und ein Protagonist in irgendeiner Form darunter leidet. Und obwohl Wasser solche Nummern schon früher schrieb und die manchmal auch eher beobachtender Natur waren, wirkten sie doch nie so unglaublich stumpf und apathisch wie hier. Wobei solche Patzer im Kontext des Albums noch zu den harmloseren zählen und wenigstens nur ein bisschen langweiligere Versionen alter Stücke des Rappers sind. Sieht man sich hingegen ein Tanz, tanz oder ein Selfie an, muss man sich schon ernsthaft fragen, wie Wasser inhaltlich an diesen Punkt gekommen ist, an dem er mediale Aufmerkamkeitsloops und Selbstdarstellung im Internet auf ein miefiges Die-Kinder-werden-immer-blöder-Narrativ herunterbricht und sich dabei selbst für selten dämliche und klischeehafte Zeilen wie "tanz zum Algorithmus" nicht zu schade ist. Andere Songs wenden ein ähnlich vereinfachtes Schema auf Themen wie Sucht, Poltical Correctness, Klima, Polizeigewalt und Krieg an, was sich in nicht wenigen Momenten auch effektiv unsensibel anfühlt und im Kontext der gesamten Karriere von Wasser auch absolut unerklärlich ist. Denn wenn man früher Stücke wie Aliens, Faust oder Bad Boy gehört hat, weiß man ja eigentlich, dass komplexe politische Ausführungen kein Problem für diesen Typen sind, sondern an vielen Punkten sogar seine großen Talente. Hier jedoch wirkt so gut wie alles extrem stumpf, plattitüdig und peinlich, sodass ich mich immer wieder fragen muss, was zwischendurch eigentlich schief gelaufen ist. Vor allem dann, wenn sogar die wenigen Lichtblicke der LP im Vergleich zu Wassers alten Sachen kläglich verblassen. Woke und Toxisch behalten dabei zumindest ein Minimum der sarkastischen Cleverness von früher, um pseudowoke Twitter-Narrative an der eigenen Logik herumzudrehen und sind damit zumindest theoretisch ok (auch wenn die Umsetzung maximal billig ist) und mit Das ist Krieg und Die Erde Die schreibt Wasser immerhin noch zwei ganz okaye ironisch belegte Kommentare mit apokalyptischen Untertönen, die in vielen Punkten aber auch schonmal besser von Zugezogen Maskulin gemacht wurden. Mit dem Resultat, dass WTF IRL am Ende mit ziemlich wenig übrig lässt, das irgendwie künstlerisch verwertbar oder auch nur minimal interessant wäre. Klar ist strukturell gesehen hier alles beim Alten und wäre es nicht um die Inhaltliche Seite, wäre vieles hier auch nicht schlechter als die meisten Vorgänger von Wasser. Weil gerade in diesem Bereich aber so große Teile der Qualität dieses Rappers verloren gehen (und wie gesagt, abgesehen von seinen Texten war da noch nie viel), fühlt sich diese Platte einfach nur an wie eine Farce, die vor allem für mich als Fan bitter enttäuschend ist. Mehrmals habe ich beim Hören dieser Songs tatsächlich überlegt, ob diese ganze Holzigkeit vielleicht einfach nur Fassade ist und dieses Album am Ende nur existiert, um uns alle zu verarschen, letztlich deutet aber nichts darauf hin, dass dem so wäre. Was die traurige Einsicht für mich übrig lässt, dass Edgar Wasser hier einfach nicht mehr derjenige ist, der er mal war und zumindest für dieses Release auf ein Niveau abgesunken ist, bei dem ich mir ernsthaft Gedanken machen muss, ob er die Sache mit der Musik überhaupt noch kann und will. Denn wenn es so bleibt wie hier, könnte zumindest ich gut darauf verzichten. Und dann wäre die Welt vielleicht eine bessere, wenn ein Solodebüt von Edgar Wasser nie existiert hätte.

🔴 01/11

Persönliche Höhepunkte
Die Erde Die

Nicht mein Fall
Lady Diana | Woke | 5 Uhr in der Früh | Keine Angst | Selfie | Tanz, tanz | Auseinander | KDSZ | Sex On the Beach | Toxisch | Hotline | IRL


Hat was von
Fatoni
Solange früher alles besser war

Juse Ju
Übertreib nicht deine Rolle


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