Die Saison 2013: Verpennte Zeitenwende
Es ist in der Geschichte der Popmusik ja immer eine spannende Frage, zu welchen Zeitpunkten in selbiger bestimmte Trendwenden einsetzten und ob man Punkte festlegen kann, an denen sich diese Veränderung verdeutlichen lässt. Warum ist 1977 rückblickend universell als das prägende Jahr des Punkrock anerkannt? Warum veränderte die sogenannte Alternative Nation 1991 scheinbar die Welt der Rockmusik über Nacht? Warum gilt ausgerechnet 2001 als die letzte richtig fette Zeit der Plattenindustrie? Die Antworten darauf können mitunter simpel sein, manchmal muss man aber auch genauer hinsehen. Und letzteres ist wahrscheinlich auch der Fall, wenn ich hier an den Anfang meiner Abhandlung über Popmusik im Jahr 2013 die These stelle, dass genau in dieser Saison die entscheidende musikalische Zeitenwende der Zwotausendzehner stattfand. Denn ein definitives Ereignis oder eine Zahl habe ich nicht, um das zu untermauern. Und ein bisschen ist diese Empfindung vielleicht auch subjektiv. Dennoch möchte ich eingangs zwei Maßpunkte anführen, an denen sich vielleicht ein bisschen festmachen lässt, wieso 2013 einiges anders wurde. Einer ist dabei die Verbreitung von Streamingdiensten als wesentliches Medium zum Konsum von Musik und der andere der Durchbruch von Hiphop als wichtiger Trend-Motor im Mainstream. Wobei vor allem die Sache mit dem Streaming eine war, die ich damals auch mehr oder weniger live mitbekam. Schon 2012, als ich mich erstmals auf Spotify anmeldete (was man ja damals schon so mit Facebook verbinden konnte, das man sah, was die eigene Bekanntschaft so hörte), waren eine handvoll entfernte Freund*innen dort angemeldet. Witzigerweise war es aber gerade dieses Feature, das mich mittelfristig wieder von Spotify weglockte (Teile meines Musikgeschmacks empfand ich damals als ziemliche Privatsache) und zu einem anderen Dienst umziehen ließ, bei dem ich bis heute den Großteil meines Musikkonsums vornehme. Insofern ist das Jahr 2013 auch für mich ganz persönlich mit der Annäherung ans Streaming verbunden. Über Punkt Nummer Zwei in meiner Argumentation kann man das leider nicht wirklich sagen, wobei hier letztlich auch das Attribut an dieser Liste zu finden ist, das mich immer noch ein bisschen ärgert: Als Rock- und Indie-sozialisierter weißer Typ aus Südsachsen war Hiphop - vor allem von der anderen Seite des Atlantik - für mich 2013 noch immer ziemliches Neuland. Sicher hatte ich über Peter Fox, Marteria und Casper schon in den Vorjahren irgendwie einen Einstieg in das Genre geschafft und 2012 auch schon mal ein Album von Aesop Rock cool gefunden, insgesamt kratzte ich damit aber viel zu sehr an der Oberfläche, um die weitreichenden Umwälzungen zu verstehen, die vor allem in der USA plötzlich stattfanden. Um eine LP wie Trap Lord von A$ap Ferg richtig einzuordnen, die ich damals tatsächlich auch besprach, fehlte mir ganz einfach der umfassende Eindruck einer Szene, die gerade drauf und dran war, den Mainstream zu erobern. Und entsprechend unqualifiziert waren auch meine ersten Eindrücke von Platten wie Yeezus, Doris oder dem ersten Run the Jewels-Album, über die am Ende des Jahres alle redeten. Ganz zu schweigen von Sachen wie Acid Rap von Chance the Rapper oder Nothing Was the Same von Drake, die ich gar nicht erst hörte. Folgende Liste ist ein bisschen also auch der Versuch, dorthin nochmal zurückzukehren und einige dieser Projekte im Licht der nachfolgenden Entwicklungen zu sehen. Nicht nur kulturell, sondern auch für mich persönlich. Es bedeutet aber auch, dass die hier behandelten Alben vordergründig welche aus verschiedenen Rock-Bereichen sein werden, die zu dieser Zeit eben die Sachen waren, die mich interessierten.
Because the Internet: Das habe ich 2013 gehört
Wenn für die Entwicklung meines Musikgeschmacks eine Sache ganz entscheidend war, dann die neue Vielfalt der Quellen, aus denen ich meine Anregungen für neue Musik bekam. War das vorläufig am ehesten durch physische Magazine oder auch effektiv Empfehlungen von Freund*innen passiert, begann ab 2013 das Internet eine stärkere Rolle zu spielen. Zum einen eben durch Streamingportale, die schon damals rudimentäre Release-Radare und ähnliches hatten, zum anderen durch Youtube, wo sich langsam eine etwas lebhaftere Musiknerd-Szene zu entwickeln begann. Ausschlaggebend war dabei natürlich - wie sicherlich für alle Pop-Geeks meiner Generation - der Output von Anthony Fantano, der sich in den Jahren danach ja auch zu einer Art Kritikpabst entwickeln sollte, aber auch Seiten wie Pitchfork. Das trug auf jeden Fall zur Diversifizierung meines Musikgeschmacks bei, war aber sicherlich auch für die Ausprägung einer gewissen Subjektivität beim Hören nicht unwichtig. Und vor allem für eine Sache begann ich mich 2013 wirklich zu interessieren: Metal. Nicht dass ich nicht schon lange vorher meine ersten positiven Berührungspunkte mit Bands wie Rage Against the Machine, Machine Head, Metallica und sogar heftigeren Sachen wie Liturgy hatte, die mir irgendwie zeigten, dass ich diese Musik mögen könnte, erst 2013 kam aber wirklich der Punkt, an dem sich bei mir ein Verständnis dafür durchsetzte, wie diese Musik funktioniert. Immens wichtig waren dafür die Bands und Künstler*innen, die damals beim Label Deathwish unterwegs waren (allen voran natürlich Deafheaven), aber auch Gruppen wie Retox oder Kvelertak, die die Brücke zum Metal aus der Perspektive des Hardcorepunk schlugen, der mir zu dieser Zeit schon wesentlich vertrauter war. Abgesehen davon begann damals auch das erste Revival des Neunziger-Emorock um Labels wie Topshelf Records und Saddle Creek, das wurde für mich aber erst zum Ende der Saison (und ganz wesentlich ein Jahr später) wichtig. Insgesamt würde ich die wichtigste Phase meiner musikalischen Sozialisierung als Teenager hier auch als abgeschlossen bezeichnen, wobei es natürlich dort erst richtig interessant wird. Und vieles, was in den folgenden Texten steht, ist für mich immer noch ziemlich wichtige Musik.
1.
Diese Liste ist zu 100 Prozent subjektiv und reflektiert nicht mehr und
nicht weniger als meine eigene Auffassung. Wenn etwas hier nicht
auftaucht, kenne ich es entweder nicht oder ich fand es nicht so
nennenswert, dass es hier auftaucht
2. Diese Liste ist nicht endgültig. Es kann vorkommen, dass ich meine Meinung zu Einträgen hier ändere oder hinterfrage.
Reflektor
Merge
Es
wirkt aus heutiger Zeit schon ein bisschen seltsam, sich zu erinnern, was für
eine Riesensache Arcade Fire mal waren und dass es eine Zeit gab, in denen ein
neues Album von ihnen als eines der größten Release-Events einer ganzen Saison gehandelt wurde.
Wobei wahrscheinlich keine Platte diese Wahrnehmung so effektiv unterstreicht
wie Reflektor, deren Existenz zwischen der überkandidelten
Selbstgeilheit ihrer Promotion und der Tatsache, dass sie mittelfristig für die
Ermüdung vieler Fans mit dieser Band verantwortlich war, noch immer eine Art ulkige
Parabel im Werdegang der Kanadier ist. Dabei war das 2013 schon einigermaßen
logisch: 2011 hatten Arcade Fire für ihre letzte LP the Suburbs den
Grammy für das beste Album bekommen, was ihnen ein komplett neues Publikum im
Mainstream zugänglich machte und dafür sorgte, dass ihre Plattenfirmen zwei Jahre
später zu großen Zugeständnissen bereit waren, was Vorlauf und PR anging. Und
so wurden demnach auch alle Register gezogen: Eine Schnitzeljagd mit
Guerilla-Street Art, eine Vorab-EP zum Record Store Day unter falschem Namen,
Produktion von James Murphy, ein Gastauftritt von David Bowie und zum
Releasetag ein Fernsehspecial mit haufenweise prominenten Cameos. Nicht zu
vergessen die Tatsache, dass Reflektor das erste Doppelalbum der
Kanadier war. Die Sensation von the Suburbs wiederholte es mit alledem
nicht, sondern wurde nach seinem Release viel eher schnell vergessen und fühlt
sich heute als das erste Album dieser Band an, das trotz all seiner Größe und
Opulenz musikalisch nicht mehr essenziell ist. In meinen Augen steht es damit
sogar sinnbildlich für den besagten Umschwung um 2013 herum, der die große
Indie-Welle der frühen Zwotausendzehner langsam aber sicher abbranden ließ und
Platz machte für die simpleren Entwürfe von Popmusik, die EDM und Hiphop zu
bieten hatten. In vielerlei Hinsicht ist Reflektor also das, was Queen
oder Yes in einem Jahr wie 1977 waren und das künstlerisch vielleicht nicht
schlecht war, mit seiner trägen Opulenz aber zwischen flotteren, jüngeren Acts
unterging. Und das am Ende sicherlich auch irgendwie verdient.
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Wenn
man mich persönlich fragt (und vielen anderen geht es da anscheinend ähnlich), dann ist AM von den Arctic Monkeys wahrscheinlich
das letzte große Ereignisalbum des Rock'n'Roll. Also zumindest im Sinne eines Albums, das in
der öffentlichen Wahrnehmung wirklich groß war und eine spürbare kulturelle Prägung besaß. Es stieg in diversen Ländern
auf Platz eins der Charts ein, heimste etliche Preise ein, sorgte für
nachhaltige Hits und war vor allem im Internet ein hartnäckiges Phänomen, das auch abseits der Musik ein gewisses Eigenleben entwickelte. Ich
kann mich gut an meine damalige Zeit auf Tumblr erinnern, in der zeitweise
alles voll war von schmalzlockigen Alex Turner-GIFs, schwarzweißen Sinuswellen
und emotionsgeladenen Postings der Lyrics von Do I Wanna Know oder Why'd You Only Call Me When You're High. Womit AM an einem seltsamen Moment der Karriere der Arctic Monkeys doch noch die
Platte war, die sie in den Mainstream brachte. Und wären es die Neunziger
gewesen, wäre es sicherlich auch diejenige gewesen, mit der von allen Seiten
die Vorwürfe des Sellouts auf die Briten eingedonnert wären. Denn obwohl
weniges an AM effektiv anbiedernd ist und viele Songs auch ein bisschen
anachronistisch klingen, wird das Songwriting und vor allem die Textarbeit der letzten beiden Platten Humbug
und Suck It and See hier doch entscheidend vereinfacht und aufpoliert,
was es im Ergebnis durchaus ein bisschen abgestumpft wirken lässt. Und zwar
gibt es mit Songs wie Arabella, R U Mine oder dem besagten Do
I Wanna Know durchaus noch ein paar echte Banger, für mich persönlich
ist es aber auch das erste Album dieser Band, zu dem ich schon damals ein
schwieriges Verhältnis hatte. Und leider würde ich dabei inzwischen auch sagen,
dass es eher ihr erstes mittelmäßiges als ihr letztes gutes ist. Dafür ist es
am Ende doch zu schlecht gealtert.
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ARMAND HAMMER
Race Music
Backwoodz
Armand
Hammer sind mittlerweile eine meiner absoluten Lieblingsbands im Bereich des
experimentellen Hiphop geworden und mit fast jeder ihrer Platten unter meinen Jahresavoriten vertreten. Was es umso schöner macht, dass sich das nicht erst
sukzessive entwickelt hat, sondern von Anfang an ein Vertrauensverhältnis war.
Billy Woods kannte und mochte ich ja schon von History Will Absolve Me
aus dem Vorjahr, bei einem gemeinsamen Unterfangen mit ihm und einem so großen
Talent wie Elucid wollte ich also von Beginn an dabei sein. Und mit diesem
Debüt lohnt sich das auch vollumfänglich, da ihr großartiger lyrischer und
musikalischer Stil hier nicht nur sehr früh durchdefiniert wird, sondern auch
bis heute einige seiner größten Highlights hat. Schön zu sehen also, dass sich
das bei mir auch in zehn Jahren nicht geändert hat.
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Das
erste Mal hörte ich Beyoncés selbstbetiteltes Album auf einer nächtlichen
Autofahrt von Berlin nach Hause auf einem schlechten MP3-Player und schon
damals hatte ich eine Ahnung, dass das hier eine neue Liga für die Sängerin
war. Denn auch wenn die ganze Sache mit dem visuellen LP-Konzept und dem
unangekündigten Anti-PR-Release des ganzen mich schon seinerzeit nicht ganz so
juckte wie anscheinend viele andere, ging damit doch auch ein musikalisches
Umdenken bei Beyoncé einher, das für einen kurzen Moment softere Sounds und
diffusere Kanten zeichnete, die ihre Musik in Richtung eines leicht
experimentellen R'n'B-Ansatzes driften ließ. Natürlich nicht ohne Queen Bey
immer noch Queen Bey sein zu lassen. Und ich für meinen Teil hätte mir
gewünscht, dass sie mittelfristig mehr aus dieser Platte gemacht hätte. Wäre
Beyoncé am diesem songwriterischen Konzept drangeblieben, hätte sie vielleicht
die Künstlerin sein können, die heute Kelela oder ihre Schwester Solange sind.
Stattdessen kam mit Lemonade drei Jahre später wieder eine gewollt
soulröhrige Stiernacken-LP, die in meinen Augen oft die falschen Schlüsse aus
seinem Vorgänger zog. Wobei weder Beyoncé selbst noch ihre Fans sich groß
darüber zu beschweren scheinen.
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BLACK SABBATH
13
Vertigo
13 wird - soviel kann man inzwischen mit einiger
Sicherheit sagen - wahrscheinlich das letzte Album bleiben, das Black Sabbath
jemals gemacht haben und wenn man sich den fragilen Zustand der meisten
Mitglieder der Band ansieht, möchte man ihnen das irgendwie auch wünschen.
Zumal diese LP als Schwanengesang der Metal-Pioniere auch super funktionieren
würde und eben nicht den gleichen Fehler macht wie Frontmann Ozzy und so manchandere Genre-Legende, nach dem perfekten Schlussakkord unbedingt noch drei mittelmäßige
Platten nachlegen zu müssen. Also zumindest bis jetzt. Für ihre letzte
gemeinsame Reise gehen Sabbath hier zu den Ursprüngen ihres Sounds zurück und
machen ein sehr nostalgisches Album, das sich diesen verklärten Blick aber auch
irgendwie verdient hat und trotz altersbedingten Abzügen und einigen
Schrulligkeiten an vielen Stellen das beste daraus macht. Eines der wirklich
wenigen vorbildhaften Spätwerke des Metal, das mir mittlerweile sogar noch ein
bisschen besser gefällt als vor zehn Jahren.
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Tereza
Suárez und Omar Rodriguez-López waren für mich im Herbst 2012 kurze Zeit ein bisschen so etwas wie
das Traumpaar des Untergrund-Rock. So wie John Lennon und Yoko Ono oder
Brangelina, wenn beide nur obsessiven Indie-Nerds mit einer Vorliebe für
lateinamerikanischen Prog und Punk bekannt gewesen wären. Sie, die miltant-feministische
Frontfrau der Riot-Grrrl-Hoffnungsträger*innen Le Butcherettes und er, der
weithin erfahrene Gitarrenvirtuose, gerade frisch getrennt von seinem letzten
großen Langzeitprojekt Mars Volta und BFF Cedric Bixler-Zavala. Und für eine
ganze Weile sah es zu dieser Zeit so aus, als würden die Bosnian Rainbows, die
gemeinsame Band des Pärchens mit ein paar weiteren renommierten Studiomusikern,
Rodriguez' nächste große Unternehmung werden. Das selbstbetitelte Debütalbum
entstand in den Clouds Hill Studios bei Hamburg und war auch klanglich ein
bewusster Schritt weg vom ADHS-Prog, den er in den Zwotausendern für sich kultiviert hatte. Bosnian Rainbows waren
psychedelischer Indie-Postpunk, nicht unähnlich den frühen Sachen der Yeah YeahYeahs oder Bat for Lashes, mit deutlich weniger Fokus auf Technik und
Mystizismus. Doch obwohl die neue Poppigkeit im Fall des resultierenden Albums
nicht zwangsweise in die spannendsten Songs von Rodriguez mündete, bleibt diese
LP doch eine, für dich ich mir immer noch ein bisschen einen Nachfolger wünsche.
Ganz einfach weil die Chemie in dieser Band eine ziemlich tolle war und vor
allem Suárez als Sängerin hier wesentlich besser funktionierte als bei den
Butcherettes. War aber auch irgendwie klar, dass der Weg von Rodriguez
letztendlich eben doch wieder zu seinem eigentlichen Seelenverwandten Zavala
und damit zu Antemasque und den Reunions von At the Drive-In und the Mars Volta
zurückführen würde, was grundsätzlich ja auch eine gute Sache ist. Dass diese
Band als Kollateralschaden nicht fortgeführt würde, finde ich trotzdem schade.
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DANNY BROWN
old
Fool's GoldDie
Sache mit dem Album in zwei Teilen und den sehr unterschiedlichen Stimmungen
und Narrativen hatte Danny Brown ja schon auf XXX zwei Jahre zuvor gut
angefangen, Old ist in meinen Augen (und womöglich ist das ein bisschen
ein Hot Take) aber die Platte, auf der er dieses Konzept perfektioniert.
Einfach dadurch, dass er hier nochmal die deutlich besseren Songs schreibt und
davon immerhin auch gleich 19 Stück, von denen nur ganz wenige nicht super
sind. Und wo auf XXX teilweise noch nicht immer herausgefunden wurde, welche
Produktion am besten zu einer exzentrischen Performance wie der von Danny
passt, sind viele der Instrumentals hier wesentlich souveräner unterwegs und
unterstützen die Ästhetik des Rappers optimal. Zwar könnte man im gleichen
Atemzug auch sagen, dass Atrocity Exhibition in dieser Hinsicht nochmal
einen Zahn zulegte, da war Brown dann aber performativ nicht mehr ganz so auf der
Höhe wie hier. Stand jetzt ist das hier für mich also sein bestes Album und
wird es vermutlich auch noch eine Weile bleiben.
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Dass Hinterland
am Ende des Jahres 2013 zu meinen Lieblingsplatten der Saison gehörte, hielt
ich lange für eine Entscheidung, den ich damals verkürzt fällte und die nur daraus
resultierte, dass es eben der Nachfolger eines so wichtigen Albums wie XOXO
war. Ich war also tatsächlich überrascht, als ich die Platte dann vor ein paar
Monaten zum ersten Mal seit Jahren wieder hörte und immer noch in vielen
Punkten klasse fand. Sicher, ein bisschen will die Platte zu viel auf einmal,
ein paar weniger spektakuläre Songs gibt es durchaus und thematisch behandeln
ein paar zu viele Momente Caspers Durchbruch und den darauf folgenden Hype,
doch ist vieles davon auch irgendwie berechtigt. Vor allem der Anspruch, hier
eine große Pop-Platte zu machen und aus allen Kanonen zu schießen, kann ich
nach XOXO durchaus verstehen und gerade musikalisch resultiert daraus
mit der üppigen Instrumentierung und der opulenten Produktion von Konstantin
Gropper auch ein echter Hingucker. Wobei Casper selbst das neue Andlitz des
Pop-Zampano mindestens genausogut steht wie das des aufgekratzen
Emorap-Maskottchens und Hinterland somit schon Mal besser gealtert ist
als das unstete Lang lebe der Tod von 2017.
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Candelilla
Heart mutter
ZickZackEin
spannendes (zumindest zum Teil) deutschsprachiges Postpunk-Juwel, dessen
Existenz auch ich gerne Mal vergesse und das ein weiterer Beweis dafür ist,
dass die Riot-Grrrl Klangästhetik von Sleater-Kinney für mich funktionieren
kann, wenn sie von einer anderen Band als Sleater-Kinney gemacht wird. Die
Musik der vier Münchnerinnen auf dieser LP ist maximal kantig und
minimalistisch, die zwischen deutsch und englisch changierenden Lyrics ziemlich
avantgardistisch und dabei trotzdem irgendwie aussagekräftig und rebellisch.
Empfehlung für alle, die es schade finden, dass es sowas wie Le Tigre nicht
auch aus der eigenen Homezone gibt.
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In die
Musik von Sonic Youth hatte ich mich 2012 blöderweise kurz nach deren
offizieller Auflösung verliebt und war folglich zu spät dran, um ihrem nächsten
Release entgegenzufiebern. Spannend war das aber auch, weil es von da ab eine
ganze Reihe neuer Bands, Projekte und Soloplatten gab, mit denen sich die ja
schon immer notorisch umtriebigen Ex-Mitglieder nun beschäftigten. Und Chelsea
Light Moving, die damals neue Gruppe von Gitarrist Thurston Moore, war darunter
das erste echte Ausrufezeichen. Zwar gibt es bis heute nur dieses eine Album
des Quartetts und Moore verlagerte die Weiterentwicklung des hier erdachten
Sounds (der seiner alten Band zugegebenermaßen nicht unähnlich ist) im Wesentlichen
auf seine Soloarbeiten, trotzdem ist die LP für mich nach wie vor das
konkurrenzlos beste Post-Sonic Youth-Konservenprodukt irgendeines ehemaligen
Mitglieds. Und dafür leider immer noch sträflich unterschätzt.
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Als
einer der wahrscheinlich sehr wenigen, deren Zugang zum Output von Donald Glover nicht
seine Vergangenheit als Schauspieler war, sondern sein heutzutage verdrängtes
bis belächeltes Solodebüt Camp von 2011, war Because the Internet
zwei Jahre später eine Platte, für die ich zumindest potenziell einige
Erwartungen hatte. Potenziell deshalb, weil es mit seinem Release Mitte
Dezember und einer recht wirren Promophase gar nicht beizeiten zu mir
hervordrang. Und als ich es schlussendlich noch hörte (und es immerhin zu meiner damaligen
LP des Monats machte), war ich ob der Kombi aus Drehbuch-Tie-In, Glovers
Entwicklung als Musiker und meinem nach wie vor recht awkwarden Verhältnis zu
Hiphop doch ziemlich überfordert. Und noch lange danach verblieb das Album in
meiner Erinnerung als eines, von dem ich nicht so recht wusste, wie ich es
einordnen sollte. Erst wenn man irgendwann in dieses Frühjahr vorspult, als ich
die Platte für diesen Post noch einmal ausführlicher hörte, kann man eine
wirklich sattelfeste Reaktion ausmachen. Und diese fällt überraschenderweise so
aus, dass Because the Internet für mich inzwischen das eine echte
Meisterwerk der musikalischen Laufbahn von Childish Gambino ist. Ein bisschen
hat das auch damit zu tun, dass sein weißes Album von 2020 langfristig nicht
der Rede wert und Awaken, My Love, sein eigentlich bekanntestes Projekt, schlechter als erwartet gealtert ist,
aber nicht nur. Um ihrer selbst willen ist Glovers zweite LP noch immer ein
extrem kompetent gemachtes Hiphop-Werkstück, das die richtige Balance aus
Bangern und Ruhemomenten findet, narrativ vieles gut einbindet, super
produziert klingt, Gambino als starken Performer mit Persönlichkeit
manifestiert und durch den ganzen erzählerischen Überbau eben noch ein
aufregendes Extra mitbringt, dass es zu mehr als nur einem starken
Rap-Musikstück macht. Auf der Welle an Einflüssen, die 2013 über den Mainstream
hereinbrach, ist es für mich damit eines der Alben, die nach wie vor am
hellsten Strahlen und die im Bild der Szene vielleicht ein bisschen aus der
Reihe fallen, aber gerade dadurch umso mehr in Erinnerung bleiben.
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Es war
rückblickend eine ziemlich kuriose Sache, als Chvrches Anfang der
Zwotausendzehner das Licht der Welt erblickten, denn bekanntestes Gesicht der
Band war damals noch nicht Sängerin Lauren Mayberry, sondern Hauptsongwriter
Iain Cook, den man bis dahin eigentlich eher aus leisetreterischen
Postrock-Projekten wie Aereogramme oder the Unwinding Hours kannte. Ihn hier
nun mit flashigem Elektro-Synth-Indiepop zu hören, war also schon eine
Überraschung. Nicht zuletzt deshalb, weil dieser ohne jeden Hehl auch eine
gewisse Kommerzialität im Visier hatte. Als jedoch 2012 die ersten Singles und
EPs erschienen (die Leadsingle the Mother We Share wurde vor allem durch
ihre Verwendung in einer Fernsehwerbung bekannt) und kurze Zeit später auch
vorliegendes Debüt, war die Szenepolizei sehr schnell wieder still,
da die präsentierten Ergebnisse bei aller Kommerzialität wirklich Hand und Fuß
hatten. Cooks eingängige Synth-Arbeit war nicht nur catchy, sondern auch
klanglich extrem hochwertig, das Songwriting auf der Platte durchweg stark und
mit Lauren Mayberry hatten Chvrches eine der stärksten Pop-Sängerinnen der
gesamten Zwotausendzehner aufgetan, die auch lyrisch was auf dem Kasten hatte.
Und the Bones of What You Believe war bei alledem auch alles andere als
eine einmalige Sache: Zehn Jahre später warte ich persönlich immer noch auf ein
Album der SchottInnen, das nicht großartig ist und während der gesamten letzten
Dekade hat diese Band einen der sicherlich stärksten Kataloge abgeliefert, die
ich überhaupt je von irgendwem gehört habe. The Bones of What You Believe bleibt dabei aber
wahrscheinlich trotzdem ihre beste Platte.
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Ich
kann rückblickend nicht so richtig sagen, was ich eigentlich von Random
Access Memories erwartete, als es im Frühjahr 2013 erschien. Denn obwohl
ich mich durchaus erinnern kann, dass Get Lucky nicht lange brauchte, um
einer meiner Lieblingssongs des damaligen Jahres zu werden und ich schon
wusste, was ein neues Album vom Daft Punk für ein historisches Ereignis war,
fehlte mir zum Zeitpunkt der Veröffentlich ganz einfach ein ausreichendes Wissen
um ihren Katalog, um wirklich einzuschätzen, welchen Weg die Franzosen mit
dieser LP gingen. Weshalb ich auch nicht so richtig weiß, weshalb ich vom
Endergebnis am Anfang so bitter enttäuscht war. In den zehn Jahren seit dem
Release habe ich Random Access Memories vielleicht ein oder zweimal
ernsthaft gehört und es jetzt quasi nochmal komplett neu zu entdecken, hat
diese Frage nochmal eindeutig aufgeworfen. Denn obwohl ich noch immer kein
Riesenfan dieser Platte bin, sie an manchen Stellen etwas zahnlos finde und
gerade die längeren Tracks nicht immer ihre Spielzeit rechtfertigen, ist das
hier inzwischen doch ziemlich sicher ein Stück Musik, dem ich ohne Zögern das
Attribut "gutes Album" zuschreiben kann. Vor allem dadurch, wie fantastisch es
ein sehr vielschichtiges Raster an Gästen einbezieht, Stilistiken miteinander
verbindet und dabei einwandfrei als große Einheit funktioniert. Weshalb ich es
aus heutiger Sicht zwar nicht als absolutes Meisterwerk sehen würde, aber
durchaus als eines der stärkeren Projekte von Daft Punk. Und im Sinne einer
Liebeserklärung ans Musikmachen auch als den perfekten Schwanengesang ihrer
Karriere.
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Zu diesem Album gibt es von mir schon eine ausführliche Besprechung, die hier zu finden ist.
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Nachdem
die Death Grips in der Saison zuvor mit gleich zwei gigantischen Alben die
Szene aufgewühlt hatten und im Internet von sich reden machten, sollte die
Veröffentlichung von Government Plates im Sommer 2013 für viele die nächste
Sensation werden und den unglaublichen Lauf der Kalifornier, die bis dahin
quasi unfehlbar schienen, weiter fortsetzen. Rückblickend indes gilt es als das
erste eher okaye Übergangsalbum der Band, das bei vielen Fans nach wie vor
einiges an Skepsis hervorruft. Effektiv schlecht ist es dabei nicht, nach drei
sehr innovativen und/oder stilprägenden Platten ist es aber das erste, das ein
bisschen ideenlos und sich selbst wiederholend wirkt. Und das ist
bedauerlicherweise auch noch zehn Jahre später der Fall. Die Hits wie You Might Think He Loves You for Your Money oder Anne
Bonny ballern immer noch, abgesehen davon erlebt der Sound von Death Grips
hier aber einen Abfall des Aha-Effektes, der sich erst mit Jenny Death
von 2015 wirklich erholen sollte.
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Schon
seit dem Anbeginn seiner Karriere ist Earl Sweatshirt ein Künstler, über dessen
Erfolg im Musikbusiness irgendwie ein böses Omen zu liegen scheint. Eines, das ihn nicht nur vom
einstigen Rap-Wunderkind zum schrägen Außenseiter machte, der er heute ist, sondern bei dem auch sein kommerzielles Debütalbum Doris letztlich eine
Schlüsselrolle spielt. Denn eigentlich war ursprünglich er derjenige, dem man
in seinem Dunstkreis bei Odd Future die Zukunft vorraussagte, die später seinem
Kollegen Tyler, the Creator vergönnt war. Mit seinem ersten Mixtape Earl
erzielte er um 2010 herum die ersten Achtungserfolge für das Label, wurde aber kurze Zeit später erstmal von seiner
Mutter – er selbst war damals noch minderjährig – in ein Erziehungscamp für
aufmüpfige Jugendliche gesteckt. Das behinderte seine Avancen als Rapper zwar
zunächst deutlich, dank des Erfolgs von Odd Future durch Tyler und später auch
Frank Ocean in den Jahren danach, die in Abwesenheit immer wieder seinen Namen
pushten (das Label fuhr eine Weile lang eine Online-Kampagne namens #FreeEarl,
die ziemlichen Buzz erzeugte) hatte er im Moment seiner Entlassung ordentlich
Hype hinter seinem Namen. Als Doris dann aber endlich erschien, stieß es
viele Fans des Kollektivs dann doch vor den Kopf. Noch mehr als Tyler, the
Creator war Earl ein unbequemer und düsterer Rapper, der sich auf dieser LP mit
allerhand gruseligen Schummerbeats umgibt und in seinen Lyrics nicht zum
letzten Mal deprimiert und fast schon nihilistisch wirkt. Als fulminanter
Karriereanfang war die Platte also ein ziemlicher Downer und ergab damals
erstmal nicht viel Sinn. Erst im Verlauf seiner weiteren Karriere und Platten
wie I Don’t Like Shit oder Some Rap Songs, in denen er offener über
seinen mentalen Zustand sprach, fügte sich nachträglich das Bild von Dorisals das Werk eines hoffnungsvollen Newcomers, der eigentlich nicht wirklich viel Hoffnung
in sich trug und keinen Bock darauf hatte, ein Popstar zu sein. Wobei das
spannende ist, dass er auf diesem Album trotzdem mal kurz so klingt, als wäre
er einer. Bei seinen jüngeren Projekten hatte ich irgendwie immer das Problem,
dass sie zwar lyrisch profund waren, in Sachen Produktion und Aufmachung aber
irgendwie halbfertig klangen. Hier hingegen trifft Earls Null-Bock-Attitüde und
zornige Lethargie auf den Produktionswert eines Major-Releases, der vielen
Songs dann eben doch einen gewissen Mehrwert entlockt, den man heute nicht mehr
bei ihm findet. Wo diese Platte für ihren Schöpfer rückblickend also eine
ziemliche Tortur gewesen sein muss, sehe ich sie nach wie vor als das beste
Stück Musik des Kaliforniers, das er wahrscheinlich auch so schnell nicht
erreicht.
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Die
Zwotausendzehner waren – angefangen beim grauslig-anbiedernden Recovery
von 2010 bishin zum misslungenen Horrorcore-Revival von Music to Be MurderedBy zehn Jahre später – keine von großem Ruhm gesegnete Phase für Eminem und ein Großteil des
Sympathieverlustes für den Rapper auch definitiv selbstverschuldet. Was das
Sequel zu seiner vielleicht wichtigsten Platte the Marshall Mathers LP
von 2013 vielleicht zum einzigen echten Lichtblick während dieser Periode
macht, mit der er zumindest an einem Zeitpunkt Reste seiner Credibility
retten konnte, als diese noch nicht komplett vor die Hunde gegangen war.
Oberflächlich wirkt die Berufung auf den Klassiker während einer schwierigen
Karrierephase dabei zwar irgendwie verzweifelt und zu ihrer Veröffentlichung
fand ich MMLP2 auch erstmal richtig doof, gerade im Angesicht seines
neueren Outputs habe ich jedoch mehr und mehr ihre Qualitäten zu schätzen
gelernt. Zum einen ist es das letzte Mal, dass Eminems grob angespitzer
Edgelord-Humor, mit dem er später auch oft den falschen Ton traf, nochmal
richtig gut funktioniert, zum anderen hat er hier das letzte Mal wirklich
effektive Hit-Momente in Form von Songs wie Berzerk, Bad Guy oder dem
memetisch-legendären Rap God. Auch schwächelt MMLP2 nicht an
seiner fehlenden musikalischen Kohärenz, weil Eminem das ganze narrativ ganz
gut zusammenschnürt und als Erzähler nochmal richtig stark auftritt. Weshalb es
für mich im Nachhinein umso erstaunlicher ist, wo er all diese Talente auf
seinen folgenden Alben gelassen hat.
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Mittlerweile
hört man ja nicht mehr so viel spannendes von Jonathan Rado und Sam France, was
vielleicht daran liegt, dass sie älter und zahmer geworden sind. 201e
sah das aber noch anders aus und das Duo aus Los Angeles war unter Kenner*innen
psychedelischen Indiepops einigermaßen berüchtigt für seine rockstarhaften Eskapaden und seine
flamboyante Arroganz. Wie die besten solcher Bands hatten aber auch Foxygen
damals jenes Gallagher-Gen, das einem viel von jeglichem Unsinn verzeihen ließ,
weil die Musik bei alledem so fantastisch war. Wobei kein anderes Album diesen
Claim in meinen Augen so wirkungsvoll unterstreicht wie Peace & Magic, das ich
noch heute als ihr einziges wirkliches Meisterwerk sehe. Zwischen softem
Garagenpunk und schonungslos kitschiger Sunshine Pop-Pastiche finden die
Kalifornier hier einen Sweet Spot ihres Sounds, den sie so nie wieder erreichen würden und dem ich seitdem auch ein bisschen hinterher weine. Wobei meine persönliche Sahnehaube auf dieser durchweg sehr gelungenen
Hochzeitstorte von einem Album das fast schon obszön zuckrige San Francisco
bleibt, mit dem Foxygen einmal in ihrem Leben den perfekten Popsong geschrieben
haben.
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Es ist
nachvollziehbar, warum Twelve Reasons to Die im Frühjahr 2013 eines der
ersten Alben eines klassischen Amirap-Künstlers war, für die ich wirklich eine
ernsthafte Leidenschaft aufbauen konnte, denn vieles an diesem Album ist
verhältnismäßig einstiegsfreundlich für Leute wie mich, die bis dahin mit
Hiphop von der anderen Seite des Atlantiks noch immer ein bisschen fremdelten.
Zum einen weil es hier mit Adrian Younge einen Produzenten gibt (wobei
„Komponist“ sicherlich der treffendere Begriff wäre), der die gesamten
Instrumentals der LP beisteuert und als versierter Soundtrackmusiker den Geist
des retrofisierten Spaghettiwestern-Revivals anzapft, das damals ein bisschen
grassierte. Zum anderen, weil Hauptakteur Ghostface Killah in seinen Lyrics
tatsächlich ein sehr akribisches Storytelling betreibt, das über das gesamte
Album hinweg als kohärente Erzählung gedacht ist und einen düsteren Revenge Ark
unter zwei Gangsterbossen beschreibt, zu dem gleichzeitig auch ein Comicbuch
erschien. Das alles war irgendwie zugänglich für jemanden wie mich, der Ennio
Morricone und die ersten zwei Der Pate-Teile zumindest periphär
wahrgenommen hatte, blieb aber auch tief genug in den Traditionen des
amerikanischen Ostküsten-Rap verwurzelt, um nicht anbiedernd zu sein. Und
allein deshalb war dieses Album für mich schon irgendwie wichtig. Nehme ich es
allerdings aus dieser Rolle heraus und schaue darauf aus der Perspektive eines
Typen, der mittlerweile Künstler*innen wie Ka oder Billy Woods für sich
entdeckt hat, wirkt Twelve Reasons doch ein kleines bisschen campy und zahm.
Damit meine ich nicht, dass es effektiv schlecht wäre und vor allem im
Vergleich zu der handvoll Platten, mit denen Ghostface in den Jahren danach
versuchte, ein ähnliches Konzept weiterzudenken steht es immer noch gut da. Für
eine der coolsten Hiphop-Platten der letzten Dekade halte ich es aber ganz sicher nicht
mehr.
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2023
ist Grim104 aus meinem persönlichen Kanon der absoluten Lieblingsrapper*innen nicht mehr
wegzudenken und untermauert diesen Status auch alle paar Jahre zuverlässig,
entweder mit einem gewohnt starken Zugezogen Maskulin-Projekt oder einer seiner
stilistisch stets erfrischenden Soloplatten. Seine selbstbetitelte EP von 2013
(die ähnlich wie Das Grauen, das Grauen von 2019 nur formell eine solche
ist und für mich eher wie ein Album klingt) ist davon noch einige entscheidende Schritte
entfernt. Denn obwohl der Berliner bereits vier Jahre zuvor einige großartige
Freetracks veröffentlichte und ZM mit Kauft nicht bei Zugezogenen 2012
ein souveränes erstes Zeichen auf Albumlänge setzten, steht die
künstlerische Identität des Moritz Wilken hier noch ein wenig auf tönernen
Füßen. In Ansätzen starke Songs wie Frosch, Sternstunden der
Bedeutungslosigkeit und vor allem Ich töte Anders Breivik gibt es
durchaus, diese wirken aber noch äußerst unfrisiert und lassen an manchen
Stellen (besonders in den Hooks) durchaus den Wunsch nach sorgfältigerer
Produktion und ein paar mehr Takes in der Gesangskabine aufkommen. Ganz zu
schweigen von Sachen wie Am 2. Mai oder Dreck, Scheiße, Pisse,
die aus heutiger Sicht einfach wie Füllmaterial wirken. 2013 machte das diese
EP vor allem zu einem Material, das der Welt diesen aufregenden neuen Rapper
vorstellte, den ich ja auch irgendwie interessant fand, erst mit dem zweiten
ZM-Album war die Metamorphose aber vollständig.
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Immer
wieder hatte ich in vergangenen zehn Jahren gedacht, dass Wolf’s Law
eines dieser Rockalben wäre, über die ich mittlerweile lange
hinweg bin und das ich rückblickend wohl ziemlich basic finden würde. Doch
immer wieder haben mich the Joy Formidable hier eines Besseren belehrt und
faszinieren mich nach wie vor mit einer Platte, die die besten Eigenschaften
ihres Sounds und ihres Songwritings optimal aufarbeitet. Oftmals bedeutet das
hier sehr energische und offenherzige Indierockmusik mit leichtem
Shoegaze-Einschlag, die ich durchaus als stadionhaft bezeichnen würde, wäre sie
nicht so wunderbar entrückt und krachig. Der Opener This Ladder is Ours
mit seinem epochalen Orchesterintro und dem kaskadischen Mega-Riff ist mittlerweile definitiv ein Lieblingssong von mir, ähnlich verhält es sich
bei feingeistigen Nackenbrechern wie dem furiosen Maw Maw Song oder dem
rustikal groovenden Forest Serenade. Dass den Songs dabei viel Raum
gegeben wird – klanglich ebenso wie in Sachen Spieldauer – ist dabei in meinen
Augen die wichtigste Tugend dieser Platte, die Band auf späteren Alben leider
wieder ein bisschen vernachlässigte. Dass diese hier existiert, erinnert mich
aber immer mal wieder daran, was the Joy Formidable für eine besondere Rockgruppe
sein können, wenn sie selbst das auch wollen.
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Um das
peinlichste direkt vorwegzunehmen: Dieses Album war tatsächlich mal sehr
wichtig für mich und umfasste für eine unangenehm lange Zeit mehr oder weniger
meine Idee davon, was intelligente deutsche Rapmusik sein konnte und war. Denn
bevor ich als weißer Mittelstands-Jugendlicher des höheren Bildungswegs meine
lange und beschwerliche Sozialisierung mit dem Medium Deutschrap auf mich nahm,
gab es da Käptn Peng. Einen Rapper im weitesten Sinne des Begriffs, der eigentlich
Filmschauspieler war, mit einer Backingband aus Fasstrommlern und
Waldorfschul-Postpunkern durch die Weltgeschichte tingelte und dabei Musik
machte, die genau den Sweet Spot intellektueller Auseinandersetzung traf, den
man als 15-jähriger Dauerkiffer für angebracht hielt. Seine
Pseudo-philosophischen Texte handelten von spiritueller und mentaler
Entfesslungskunst und wirkten profund, ohne es letztendlich zu sein, vor allem
waren sie aber auch irgendwie spaßig und selbstironisch, was im besten Fall zu
dem lümmeligem Dada-Quatsch mit denkerischem Unterbau führte, der sein
Debütalbum von 2010 streckenweise echt gut machte. 2013 sollte Expedition
ins O mit Band im Rücken und größerem Produktionsaufwand das nochmal
aufbauschen und wurde tatsächlich auch zum ersten Achtungserfolg der Berliner.
Wo dem Vorgänger aber noch irgendwie ein experimenteller Charme innewohnte und Peng
tatsächlich manchmal was zu sagen hatte, verkommt O vielerorts zur Pose
dessen, was davon inhaltlich und stilistisch noch übrigblieb. Das instrumentale
Backing ist dabei noch das beste, denn hier zeigt sich wirklich der Schritt
nach vorne, den das Konglomerat kompositorisch gemacht hat. That said: Nach
spätestens der Hälfte nervt das konstante Gekloppe und Geklapper des
Sperrmüll-Instrumentariums schon ganz schön und ist nicht halb so
actiongeladen, wie es sich gerne gibt. Und dann ist da der Hauptakteur des
ganzen, der sich ebenfalls ein bisschen zu sehr abfeiert, um wirklich gut zu
sein. Das fängt bei den grauenvollen Zweckreimen und dämlichen Plattitüden
schon an, zeigt sich aber vor allem darin, dass Peng auf dem ganzen Album nie
wirklich einen Punkt macht und tatsächlich eine Botschaft vermittelt. Selbst in Songs
wie Sockosophie oder Liebes Leben, die beide auf ihre Art große
Fragen verhandeln wollen, steigt man nie wirklich durch den wirren lyrischen
Dschungel hindurch und bleibt am Ende bei diffusen "Alles hinterfragen!" und "benutze deinen Verstand"-Messages hängen, die aus heutiger Sicht auch etwas
unangenehm esoterisch-querdenkerisches haben (nicht, dass ich Peng das tatsächlich vorwerfen würde). In dieser Hinsicht hat sich meine
Auffassung dieser LP in den letzten zehn Jahren radikal geändert und nur
manches davon hat damit zu tun, dass ich mich inzwischen besser mit der
deutschen Rap-Landschaft auskenne. Nennen wir es stattdessen einfach geistige Reife.
🟣🟣🟣🟣⚫⚫⚫⚫⚫⚫⚫ 04/11
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2013
waren die Kings of Leon in ihrer bisher vielleicht größten Krisenphase, in der
sie nach dem Megaerfolg der letzten zwei Platten Only By the Night und Come
Around Sundown mit ihrem Status als Stadionrocker zunehmend überfordert
waren und auch mehr und mehr haderten. Die anwachsende Zahl an Fans aus der
Radio-Laufkundschaft, stressigen Tourterminen und hochprozentigen
Backstage-Getränken machte das Familienunternehmen aus Kentucky in dieser Zeit
zu einer wackeligen Angelegenheit, die den Bandmitgliedern bald selbst zu bunt
wurde. Und wo Mechanical Bull passend dazu für mich lange das typische
Krisenalbum war, auf dem die Kings of Leon uninspiriert und Fame-verkatert
ihrem eigenen Mythos hinterherstolperten, muss ich meinen Eindruck jetzt
insofern revidieren, dass diese LP vielleicht das einzige war, was bei dieser
Band 2013 funktionierte. Klar ist es kein so packender Stadionrock mehr wie auf
Only By the Night und die klangliche Entschlackung eines Walls
ist hier auch noch nicht zu hören, den Umständen entsprechend halten sich die
Kings hier aber wacker und veröffentlichen ein durchweg solides Album, das mit Supersoaker
sogar die obligatorisch fetzige Leadsingle mitliefert. Aus meiner lange
gefügten Behauptung, die Kings of Leon wären außer auf diesem Album nie scheiße
gewesen, kann ich mit dieser Überzeugung also den nervigen Qualifier streichen:
Die Kings of Leon sind nie scheiße gewesen. Punkt.
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Dass
Lordes Durchbruchssingle Royals 2013 eine Schlüsselrolle in der
Entwicklung von Popmusik der Zwotausendzehner einnimmt, kann man zehn Jahre
später nicht mehr glaubhaft bestreiten und als das Album, auf dem besagter
Track sich befindet (obwohl die Erstveröffentlichung streng genommen bereits
ein Jahr vorher auf der Love Club-EP stattfand) ist Pure Heroine
natürlich schon irgendwie bedeutsam. Trotzdem würde ich abgesehen davon nicht
sagen, dass die Platte für das Verständnis von Lorde als Künstlerin essenziell
ist. Wenn man Royals schon kennt, sind die restlichen zehn Songs ihres
Debüts ahnbarer Beifang, der damals wie heute trotz seiner kurzen Spieldauer
sehr schnell monoton und trocken wird. Einen eigenen Sound hat die
Neuseeländerin dabei zwar schon irgendwie gefunden, besonders ansprechend ist
der aber nur in den wenigsten Momenten. Gerade wenn man sich anschaut, wie
vielseitig und spannend dieser auf den beiden Nachfolgern noch werden sollte.
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Es ist
im Nachhinein betrachtet ein ziemlich großer Jackpot, dass ich es im Sommer
2013 – zu einer Zeit, als extremer Metal für mich noch immer ein bisschen
Neuland war – über eine Platte wie Tempest stolperte und diese auch mit
meinem Mindframe von damals korrekt als das einschätzte, was sie war und ist:
Ein meisterhaftes Crossover-Werkstück zwischen Death- und Doom Metal, wie es in
den vergangenen zehn Jahren nur äußerst selten vorkam. Sowas muss man als
15-jähriger Genre-Neuling ja auch erstmal zu schätzen wissen. Wie herrlich
Lycus auf diesen drei ausgedehnten und tonnenschweren Songs die erhabene
Trägheit und Epik des Funeral Doom mit der Brutalität und Kaltschnäuzigkeit des
Death Metal verbinden, habe ich erst im Laufe der Zeit so richtig nachzuvollziehen
gelernt und mit steigender Anzahl der mittelmäßigen Platten, die ähnliches
versuchen und daran scheitern, ist diese mir zu einem echten Liebling geworden.
Weshalb ich dem Vergangenheits-Ich in vielen Momenten immer noch für diesen
verdammt guten Riecher danke.
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫ i0/11
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Melt-Banana
Fetch
A-ZapEs war
seinerzeit ebenfalls zehn Jahre her, dass Melt-Banana das großartige Cell-Scape
veröffentlicht hatten, das ich damals gerade entdeckte und bis heute für ihr
vielleicht bestes Album halte. Kurz darauf, am ersten Oktober 2013, kam dann
ziemlich unverhofft ein neues Album der JapenerInnen, das ich natürlich ebenso beherzt
in mich aufsog. Im ersten Moment stand das noch deutlich unter dem Zeichen des
Erdbenens in ihrer Heimat zwei Jahre zuvor, das unter anderem das Studio der
Band zerstört hatte, wobei diese zerstörerische Kraft
dann auch einmal mehr Inspiration für Melt-Banana gewesen sein könnte, die hier zerfahren und
krachig wie eh und je ihre hyperaktive Noise-Kakophonie auffahren. Zehn Jahre
später mag das an sich nichts besonderes sein und im Katalog der Tokyoter
klingt Fetch zugegebenermaßen wie die meisten anderen Alben auch, angesichts
der Tatsache, dass es bish jetzt immer noch ihre aktuellste Platte ist,
nimmt man aber auch ein bisschen, was man kriegt.
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫ 09/11
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Dass
das selbstbetitelte Debütalbum der Londoner Jazzgruppe Melt Yourself Down im
Juni 2013 – also in dem Monat, in dem unter anderem auch Sunbather von
Deafheaven und Kveikur von Sigur Rós erschienen – zu meinem Album des Monats
wurde, sagt einiges darüber aus, was für eine Offenbarung es damals für mich
war. Und dass es mir musikalisch neue Welten eröffnete, konnte man definitiv
sagen. Wo ich den Stilbereich des Jazz bis dahin eher wenig angetastet hatte
und darunter vor allem altmodischen Bebop oder Modalen Jazz verstand, versetzen
mir diese Briten mit ihrem eher bei afrikanischen Subrichtungen abgeguckten
(und mit reichlich Dancepunk, Funk und auch ein bisschen Noise verwobenen)
Songwriting einen Schock. Und vor allem der Opener Fix My Life mit
seinen pushenden Bläsersätzen und seiner unentfliehbaren Tanzbarkeit machte
nachhaltigen Eindruck auf mich. Mittelfristig könnte man auch sagen, dass es
die Eindrücke dieser Band waren (die für mich damals in einem völligen
musikalischen Vakuum stattfanden), deretwegen ich später auf Acts wie Shabaka
& the Ancestors oder Kamasi Washington aufmerksam wurde. Leider auch mit
der Feststellung, dass deren Output über die Zeit spannender wurde, während
mich Melt Yourself Down auf lange Sicht immer weniger beeindruckten. Zum einen
in der Hinsicht, dass keine der Nachfolgeplatten für mich das Mirakel des
Debüts wiederholte, zum anderen in der, dass auch dieses selbst mich inzwischen
nicht mehr ansatzweise so packt wie vor zehn Jahren. Als einen wichtigen
Einfluss auf meine ganz persönliche Jazz-Sozialisation sehe ich es trotzdem
nach wie vor.
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫⚫ 08/11
✨✨✨✨✨✨✨✨✨✨✨✨✨✨✨✨✨✨✨✨✨✨✨✨✨✨
Zu diesem Album gibt es von mir schon eine ausführliche Besprechung, die hier zu finden ist.
Zu diesem Album gibt es von mir schon eine ausführliche Besprechung, die hier zu finden ist.
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Motorpsycho
Still life with eggplant
StickmanLange
habe ich Still Life With Eggplant in der musikalischen Lore von
Motorpsycho als reines Cardio-Album gesehen, das eigentlich nur dafür da war,
nach dem hochkonzeptuellen und detailliert durcharrangierten
Jazz-Prog-Rockoper-Monstrum the Death Defying Unicorn aus dem Vorjahr
auch mal wieder die Rock-Muskulatur zu trainieren und ein durchweg simples
Stück Musik zu machen. Weil Motorpsycho aber nicht aus ihrer Haut können und
ich inzwischen die nächsten paar Schritte in ihrer Diskografie kenne, muss ich
die LP aus heutiger Sicht anders bewerten. Als eine nämlich, aus der ziemlich
viele Fäden in die Vergangenheit und Zukunft der Norweger führen und die bei
alledem eigentlich kein bisschen simpel ist. So ist zum Beispiel das eröffnende
Hell Pt. 1-3 nicht nur fast zehn Minuten lang, es beginnt auch noch
einen mehrteiligen Opus an Tracks, der sich in der Folgesaison noch auf ihrem
Nachfolger Behind the Sun fortsetzen sollte. Mit Ratcatcher hat
das Trio hier außerdem einen ziemlich ambitionierten Viertelstünder von
Longtrack am Start und mit the Afterglow einen Closer, der inhaltlich
sogar ein bisschen auf Motive vom 1994er-Album Timothy’s Monster
zurückgreifen könnte. Dass Motorpsycho hier einfach nur die müden
Jamrock-Knochen aufwärmen, kann man also keinesfalls behaupten und viel eher
ist Still Life das ziemlich gute nächste Album, das nach Unicorn
nicht lange auf sich warten lässt. Und obwohl es irgendwie logisch ist, dass es
für die meisten Fans im Schatten auf ewig seines Vorgängers stehen wird, lohnt es sich,
an dieser Stelle noch mal eine besonderere Aufmerksamkeit darauf zu richten.
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫⚫ 08/11
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Ich
war sicher nicht der Einzige, der es für einen schlechten Scherz hielt, als
Kevin Shields im Frühjahr 2013 die kontroverse Ankündigung tätigte, dass es nun
nur mehr eine Woche sein würde, bis das neue Album der legendären My Bloody
Valentine zum Download verfügbar wäre. Und selbst die Woche bis zum anberaumten
Release zweifelte ich noch in jedem Moment, ob das nicht alles doch ein fieser
linker Haken war. Das Album, an dem die Band angeblich noch vor ihrer Auflösung
1993 gearbeitet hatte, das selbige erst so richtig ausgelöst hatte und das der
Nachfolger zum mythisch verehrten Shoegaze-Standardwerk Loveless von
1991 sein sollte? Es war zu schön um wahr zu sein. Doch die Platte kam wie
angekündigt und machte das Comeback der IrInnen im ersten Moment ein bisschen
vollkommen. Kein Scherz, keine Finte. Und ziemlich zufriedenstellend war das
Ding obendrein. Zwar fiel es mir schon damals irgendwie schwer, das Ergebnis
nach so viel Mythos drumherum effektiv mit meinen Erwartungen abzugleichen,
doch machten My Bloody Valentine immerhin das, was sie schon in den Achtzigern
gut konnten: Fluffigen, fedrigen Shoegaze mit genau der richtigen Menge
Psychedelik, um nicht ins Easy Listening abzudriften. In einem meiner ersten
Monatsrückblicke wurde M B V zur Platte des Monats gewählt und landete
am Ende der Saison sogar unter meinen 30 Lieblingsplatten des Jahres. So weit
so gut. Sieht man sich jedoch die Langzeitauswertung der Platte an, bröckelt
das stimmige Bild des gelungenen Comebacks doch ziemlich. Denn aus heutiger Sicht
steht die LP in der Diskografie der IrInnen doch ziemlich einsam da und wirkt
auch musikalisch zunehmend awkward. Dem großen Vermächtnis der Band aus den
Achtzigern und Neunzigern fügt es mit zwanzig Jahren Pause jenes verhuschte und
unspezifische Anhängsel hinzu, das vielleicht nicht zwingend eine Blamage ist,
aber eben auch alles andere als ein Statement. Wofür es für mich ein bisschen
den Beginn eines bis heute anhaltenden Trends bezeichnet, bei dem alte Bands
ihre eigentlich gut abgeschlossenen Kataloge in den Zwotausendzehnern nochmal
um völlig unnötige Nachfolger erweitern, die eigentlich niemand braucht. Beispiele wie
Pink Floyd, Soundgarden oder the Pop Group sprechen in dieser Hinsicht für sich. Wobei das witzige
daran ist, dass ich M B V insgeheim immer noch besser finde als Loveless
und ich in den letzten zehn Jahren einfach ein bisschen gelernt habe, die
Ehrfurcht vor My Bloody Valentine zu verlieren. Das hat ein bisschen geholfen,
komisch finde ich es aber immer noch.
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The National
Trouble Will Find Me
4AD2013
erschien Trouble Will Find Me als Nachfolger des Fan- und Kritiklieblings High
Violet, das the National im Mainstream erst so richtig bekannt machte und
für viele – inklusive mir – der Einstieg in ihre Diskografie war.
Erwartungsmäßig waren die New Yorker zu dieser Zeit also auf jeden Fall am
Höhepunkt ihrer Karriere angekommen. Und obwohl ich die LP ihrerzeit als
ziemlich fantastisch befand und in ihr sogar nochmal eine Verbesserung zu High
Violet sah, nahm sie in den Folgejahren doch eine andere Rolle ein: Den
Anfang jener sehr verhaltenen und drögen Phase von the National, die während
der Zwotausendzehner mittelfristig auch für Schnarchorgien wie Sleep Well
Beast oder I Am Easy to Find resultierte. Weshalb ich seltsamerweise
dachte, Trouble Will Find Me wäre deshalb automatisch auch Mist. Ein
erneuter Hördurchgang reichte aber, um mich vom Gegenteil zu überzeugen
und das hier wieder als eines der definitiven Highlights des National-Katalogs
zu verstehen.
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Daran, dass Eros|Anteros
eine Platte sein würde, die ich auch zehn Jahre nach meiner eigentlichen
Entdeckung toll finden würde, hatte ich in keinem Moment ernsthafte
Zweifel. Bis heute ist sie definitiv die beste Gesamtleistung der Band, ein
brachiales und monströses Brett zwischen Black Metal und Hardcore und vor allem
gesanglich ein echter Hingucker aus der Feder der BelgierInnen. Was Oathbreaker
mit dieser LP aber überdies schafften war, meine persönliche Einstiegsdroge in
die mystische und tiefschwarze Welt des Church of Ra-Kollektivs zu sein, durch
das ich in den Folgejahren noch die ein oder andere neue Lieblingsband
kennenlernte. Ob das nun die Black Metal-Urgewalt Wiegedood ist, mit denen
Oathbreaker sich immerhin einige Mitglieder teilen und die zwischen 2015 und
2019 eine der großartigsten Albumtrilogien der letzten 20 Jahre vorlegten oder
die Szeneväter Amenra, deren Backkatalog ich erst vor Kurzem wirklich zu
entdecken begann. Für mich persönlich war das hier der Andockpunkt. Und wäre Eros|Anteros
nicht so eine fantastische Platte gewesen, wäre der Rest vielleicht nie
passiert.
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Das
Debüt von Oiseaux-Tempête war eines der Alben, dass im Dezember 2013 noch
unglücklich in den Jahresend-Wust hereingeriet und deshalb erst im Frühjahr des
nächsten Jahres von mir wirklich die verdiente Aufmerksamkeit bekam. Es reichte
aber schon damals, um mich nachhaltig für diese Band zu begeistern und hätte
ich mir die Zeit nicht genommen, wäre mir wahrscheinlich eine echte
Lieblingsband der kommenden Jahre durch die Lappen gegangen. Und obwohl es nicht das letzte Album
der Franzosen bleiben sollte, das ich bis heute sehr schätze, empfinde ich es
rückblickend doch immer noch als das beste. Die apokalyptischen
Postrock-Flächen der Formation aus Paris haben hier nicht nur die größte Dichte
und Tiefe, sie genügen sich selbst auch dort, wo später viel mit Gastauftritten
und Zwischensequenzen gearbeitet wurde. Abgesehen davon ist es auch das bis
heute actionreichste Gesamtwerk der Oiseaux-Tempête.
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Das
Rerelease ihres Debüts Ballads of A Burden hatte mich im Sommer 2012
nachträglich noch zum Fan von Okta Logue gemacht, die mit ihrer
kitschtriefenden Mischung aus Pink Floyd-Retroprog und Indie-Leichtigkeit eine
fluffig-hippieske Note in die deutsche Pop-Landschaft brachten und mich damit
zutiefst faszinierten. Dass es mit Tales of Transit City direkt in
Frühjahr 2013 einen Nachfolger gab, war also nicht nur marketingtechnisch
clever, sondern für mich als Neurekrutierten auch mit vielen Erwartungen
erfüllt. Wobei Tales of Transit City schon zum Zeitpunkt seiner
Veröffentlichung eine Platte war, an der ich Dinge auszusetzen hatte. Von der
weitläufigen Dynamik des Vorgängers war hier nicht mehr wirklich viel zu spüren
und an den meisten Stellen begnügten sich die Darmstädter trotz kleineren
Mätzchen wie den bedrohlichen Achtziger-Synths in Transit oder
Streicherparts in Chase the Day mit eher unspektakulären
Popsong-Formaten. Über die Zeit habe ich gelernt, ein paar von denen ganz gerne
zu mögen, trotzdem haben sich seit 2013 vor allem meine Zweifel über Okta Logue
bestätigt. Rückblickend ist Tales of Transit City das letzte Album aus
ihrer Feder, das ich als einigermaßen interessant bezeichnen würde und auch
meine Wahrnehmung ihrer früheren Sachen ist seitdem zunehmend nüchterner
geworden. Viel mehr als persönliche Nostalgie ist hier also nicht übrig und
diese letztlich auch der einzige Grund, warum ich nochmal darüber schreiben
wollte. Denn eine Zeit lang war diese Band für mich tatsächlich immens wichtig.
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Als
...Like Clockwork im Mai 2013 erschien, sah ich es wie viele andere erstmal als gelungenes
Comeback der Queens of the Stone Age, das quasi nahtlos an ihre einzigartige
Erfolgssträhne während der Zwotausender anknüpfte und vieles richtig machte, was diese Band eh schon immer richtig macht. Und in vielerlei Hinsicht
empfinde ich zehn Jahre später auch immer noch so. Songs wie My God is the
Sun, If I Had A Tail oder Keep Your Eyes Peeled gehören zu
den besten Sachen, die die Formation in ihrer gesamten Karriere gemacht hat und der leichte Hang zum schmalzig-melodischen, den man hier erstmals bei ihnen hört, steht dem Gesamtklang gut zu Gesicht.
Wenn man allerdings aus einer Perspektive zurückschaut, wo inzwischen etwas
beliebige Sachen wie Villains oder das diesjährige In Times New Roman
passiert sind, ist ...Like Clockwork irgendwie auch die erste LP, auf der sich die
dort existierenden Schwächen zeigen. Einerseits in Tracks wie Kalopsia
oder Smooth Sailing, die einfach eine etwas schwächere Version des
typischen QOTSA-Songwritings zeigen, aber auch in käsigen Balladen wie the
Vampyre of Time and Memory, die Josh Homme von diesem Punkt an öfter
schreiben würde. Die Anfänge von der Beliebigkeit dieser Band sind hier also
schon spürbar, auch wenn ich es insgesamt trotzdem als ihre letzte ziemlich
starke Platte bezeichnen würde.
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Stand
2023 ist ein Kollektiv wie Run the Jewels aus dem kollektiven Gedächtnis des
Zwotausendzehner-Hiphop nicht mehr wegzudenken und ihr Output in Form von vier durchweg ziemlich
stabilen Longplayern dürfte zu den wichtigsten Impulsen zählen, die die Szene
während dieser Zeit erlebt hat. 2013 war die Existenz des Duos aus
El-P und Killer Mike aber erstmal nicht mehr als der verheißungsvolle
Zusammenschluss zweier Untergrund-Veteranen, von der man damals auch dachte,
sie würde eine einmalige Sache bleiben. Dass dem aber nicht so war und es nur
kurze Zeit dauerte, bis die Marke Run the Jewels die Soloarbeiten beider
beteiligter MCs komplett überschattete, hat sicherlich auch damit zu tun, was
für ein Brett dieses gemeinsame Debüt war. Schon als ich die Platte im Winter
2013 hörte, empfand ich sie als großartigen Einstand, was umso erstaunlicher
ist, da ich damals noch nicht viel Rapmusik hörte. Zehn Jahre später hält sie
dieses Niveau aber nicht nur, sie ist in meinen Augen sogar noch besser
geworden. Gerade mit der Perspektive, hier drei ziemlich tolle Nachfolgeplatten
als direkten Vergleich zu haben, ist Teil Eins der Saga noch immer mit Abstand
das stärkste Statement der Band und ein absolutes Fest des großartig
gemachten Hiphop, das von vorne bis hinten aus Bangern besteht, keinen Fetzen
zu viel Fett an sich hat und die Energie dieser beiden Musiker optimal
repräsentiert. Was in mir natürlich umso mehr die Frage aufkommen lässt, ob sie
so ein Ding irgendwann nochmal hinbekommen.
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Ty Segall
Sleeper
Drag CitySchon
2012 war Ty Segall vor allem durch seine immense Produktivität (er
veröffentlichte in jener Saison insgesamt drei Alben) ein Typ, auf den ich
zwangsläufig aufmerksam wurde, es brauchte aber erst diese Platte im Herbst des
Folgejahres, um mich auch qualitativ endgültig von ihm zu überzeugen. Sleeper
ist definitiv eine seiner stilleren LPs, auf der er zum ersten Mal in
meiner Wahrnehmung sein Faible für psychedelischen Folk und akustischen
Slackerrock vertiefte. Syd Barrett ist dabei sicherlich der offensichtlichste
Bezugspunkt, aber an vielen Stellen auch die weniger rockigen Elemente aus dem
Frühsiebziger-Katalog von T.Rex und David Bowie. Auf jeden Fall ist Sleeper
aber eine Platte, die ich trotz ihrer sehr höhenlastigen Produktion (gerade bei den
Gesangspartien) und ihrer instrumentalen Einseitigkeit noch immer gerne höre.
Und es auch ein bisschen schade finde, dass Segall diese stilleren Momente
später nur noch selten gesucht hat.
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Zu diesem Album gibt es von mir schon eine ausführliche Besprechung, die hier zu finden ist.
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Es ist
schon relativ einfach, das Jahr 2013 und Comedown Machine rückblickend
als den künstlerischen Tiefpunkt der Strokes zu sehen, denn vieles wirkte
irgendwie komisch rund um dieses Album. Die Band selbst machte gar keinen Hehl
mehr daraus, wie wenig Bock sie auf die eigene Musik hatte, eine Tour zum Album
wurde von vornherein ausgeschlossen und sehr wahrscheinlich existiert
vorliegende LP auch nur deshalb, um die New Yorker aus ihrem alten
Vier-Alben-Vertrag mit RCA auszulösen, den sie noch vor Is This It?
unterzeichnet hatten. Ein Narrativ, das zusätzlich dadurch angefacht werden
kann, wie belebt sie sieben Jahre später auf ihrem Comeback beim eigenen Label
waren. Dass Comedown Machine deshalb ein schwaches Album ist, würde ich
aber trotzdem nicht sagen. Wie schon sein Vorgänger Angles, der kreativ
gesehen ja aus ähnlichen Motiven entstand, ist er ein bisschen synthetischer
und poppiger, bringt die Strokes aber gerade dadurch auch voran. Und obwohl in
Sachen Songwriting nicht soviel rumkommt wie auf besagtem Vorgänger, ist es
doch definitiv kein schlechtes Album. Nicht schlechter zumindest als ein First
Impressions of Earth und in meinen Augen sogar ein bisschen stärker als
besagtes Comeback 2020.
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Sun
& Sail Club sind nie etwas anderes gewesen als eine Spaßband und wären an
sich allein durch den Fakt spannend, dass gleich zwei der drei Mitglieder von
ihnen auf den bürgerlichen Namen Scott Reeder hören (einer spielte früher mal bei Kyuss, der
andere bei Fu Manchu). Auch spaßig ist, dass sie für ihr erstes Album Mannequin
keinen richtigen Sänger fanden, weshalb Gitarrist Bob Balch die Vokalparts der
Platte erstmal platzhaltenderweise über einen Vocoder einsang, bis jemand
richtiges für den Job gefunden wurde. Rückblickend ein Geniestreich, den
glücklicherweise auch das Trio selbst früh genug mitbekam und hier eines der
sicherlich weirdesten Projekte der letzten 30 Jahre Stonerrock aufs Band
brachten. Wobei der Clou dabei ist, dass die fertige LP am Ende eben nicht nach
bloßem Jux klingt, sondern wie eine der coolsten Stonerrock-Platten der letzten
15 Jahre und dabei gleichzeitig künstlerisch durchdacht und unkompliziert
rockig. 2015 gab es noch eine zweite LP, da hatten Sun & Sail Club dann
aber einen Sänger und waren nicht mehr ansatzweise so originell. Was schade
ist, den aus diesem Konzept hätte man durchaus ein echtes Karrierestandbein machen
können.
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tyler, the creator
Wolf
Odd Future2013
war Wolf primär das Album, das zeigen sollte, ob und wie Tyler, the
Creator nach dem berühmt-berüchtigten Goblin von 2011 einen langfristigen
Karriereentwurf vorstellen konnte und ich erinnere mich noch, wie sich viele
(inklusive mir) auch nach dem Release fragten, ob er das nun tatsächlich
geschafft hatte. Schaut man aus der Perspektive von 2023 aus, kann man
inzwischen sagen, dass das definitiv der Fall war. Im Vergleich zum doch sehr
roughen und psychisch kaputten Vorgänger präsentiert Tyler hier nicht nur eine
Reihe ernsthafterer Themen (ohne dabei seine Marke als asozialer Pöbelrapper zu
vernachlässigen; das Album beginnt mit dem Wort "fuck"), er bezieht auch
erstmals Einflüsse aus R'n'B und Neo-Soul mit ein, die schon recht deutlich den
Weg in Richtung seiner heutigen Platten weisen. Dass Wolf dabei ein
Übergangsalbum ist, bleibt 2023 ebenso wie 2013 das Fazit, nur ist die Sachlage
mit dem heutigen Wissen um einiges interessanter.
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Fast
zehn Jahre lang habe ich auf dieser Plattform stets eisern den Hot Take
verteidigt, dass Modern Vampires of the City das erste richtig miese
Album von Vampire Weekend ist und sie hier endgültig die geniale Flamboyanz
ihrer Frühphase für einen reiferen, aber überwiegend auch lahmeren Sound
eintauschen. Wie mit so vielem bei dieser Band musste ich aber auch diese
Ansicht nach erneuter Beschäftigung mit dem Material revidieren und jetzt schon
ein bisschen zustimmen, dass die Platte so verkehrt gar nicht ist. Klar ist es
nicht so gut wie das Debüt und hat auch nicht mehr die fetzige Experimentalität
von Contra, im Gegensatz dazu schafft es aber ein konsistentes
Songwriting, in dem auch leisere Momente besser funktionieren. Und über das
stromlinige Father oft he Bride müssen wir an dieser Stelle gar nicht erst
reden. Wobei es am Ende Alben wie diese sind, deretwegen ich diese Posts hier
mache. Weil es manchmal eben dauert, bis sich eine Platte im Kontext einer
Diskografie wirklich offenbart. Und weil nicht jeder Hot Take ein Hügel sein
muss, auf dem man unbedingt sterben will.
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Als
2013 die nerdige Welle des Midwest-Emo-Revivals anrollte, war ich zunächst noch
nicht wirklich bereit dafür und es brauchte erst einschlägige Releases in den
Folgejahren, um mich wirklich auf die Spur dieser Nischenbewegung zu bringen.
Mit zehn Jahren Abstand kann ich aber nicht nur feststellen, dass The World is
A Beautiful Place & I Am No Longer Afraid to Die mit Abstand die beste
Gruppe dieses Movements waren, mit Whenever, If Ever hatten sie auch
schon ganz am Anfang den richtigen Riecher. Gemeinsam mit dem 2014
veröffentlichten Between Bodies ist dieses Album für mich nach wie vor
der Beweis, dass diese Band musikalisch damals tatsächlich an etwas sehr
interessantem dran war und dass die ganze Revival-Schiene letztlich eben doch
mehr war als kopistische Götzenanbetung. Im Gegenteil, denn an vielen Stellen
machen sie hier auf eine gewisse Weise eine Vorstufe der Musik, für die aktuell
Bands wie Black Country, New Road frenetisch abgefeiert werden (und das in
meinen Augen sogar besser). Mit einer Reihe von mittelmäßigen bis okayenReleases aus den letzten Jahren können sich TWIABP heute keinen Blumentopf mehr
davon kaufen, doch stehe ich zu meiner Aussage von einst, dass die hier
wirklich eine besondere Rockband waren.
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2023
über Kanye West schreiben ist lästig. Vor allem dann, wenn man zur Abwechslung
mal etwas positives sagen kann (wenn auch nur über eine Platte von ihm, die
über zehn Jahre alt ist) und dabei jetzt natürlich den ganzen Mist damit
abwägen muss, den dieser Typ seitdem gesagt und getan hat. Zumal ein Album wie Yeezus
inhaltlich ja nicht frei ist von den lyrischen Shenanigans, mit denen Kanye
West irgendwann diverse rote Linien übertreten sollte und man damals - musikalisch wie, äh...nun ja, ideologisch - einen gewissen Vibe spüren konnte. Natürlich noch nicht so
krass wie auf späteren Werken, doch sollte man hier definitiv den Anfängen
währen. Nach My Beautiful Dark Twisted Fantasy von 2010 ist das hier die
zweite LP, auf der Kanye als provozierender und bewusst schwieriger Künstler
auftritt, der sich in Songs mit Gott vergleicht, seine toxischen Beziehungen in
der Öffentlichkeit ausweidet und definitiv der nervigste Gast in jedem Restaurant
ist. Und wo das aus damaliger Sicht eine Mischung aus cleverem Kunstgriff, peinlichem
Celebrity-Quatsch und freiwillig komischer Überdrehtheit war, ist es aus heutiger
Sicht der Anfang einer eher nicht so spaßigen Entwicklung. Wie bei so vielendieser Momente von Kanye geht es aber leider auch auf Yeezus mit einem
der besten Produkte einher, die ich von ihm kenne. Sowohl lyrisch als auch
musikalisch gehört das hier zu den stärksten Alben seiner gesamten Karriere und
vor allem in letzterem Punkt macht es viel richtig. Zwar kritisierte ich damals
wiederholt, dass große Teile des Sounds und der Kompositorik hier von den DeathGrips geklaut sind und prinzipiell finde ich das noch immer, doch habe ich damit heute
weniger ein Problem und kann Kanyes kreativen Spin darauf mehr genießen. Auch
ist Yeezus im direkten Vergleich zu seinen meisten anderen Platten eine,
die ziemlich kohärent ist und so gut wie keine langweiligen Deep Cuts oder
Füllertracks hat. Obwohl es also vielleicht nicht das erste Album ist, das ich
Kanye-Anfänger*innen empfehlen würde, wäre es doch definitiv eine meiner
heißeren Tipps. Zumindest dann, wenn man davon ausgeht, dass ich heutzutage
noch jemandem ein Kanye West-Album empfehlen würde.
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