Freitag, 22. September 2023

Zehn Jahre später: Ein nostalgischer Rückblick ins Jahr 2013


 

Die Saison 2013: Verpennte Zeitenwende
 
Es ist in der Geschichte der Popmusik ja immer eine spannende Frage, zu welchen Zeitpunkten in selbiger bestimmte Trendwenden einsetzten und ob man Punkte festlegen kann, an denen sich diese Veränderung verdeutlichen lässt. Warum ist 1977 rückblickend universell als das prägende Jahr des Punkrock anerkannt? Warum veränderte die sogenannte Alternative Nation 1991 scheinbar die Welt der Rockmusik über Nacht? Warum gilt ausgerechnet 2001 als die letzte richtig fette Zeit der Plattenindustrie? Die Antworten darauf können mitunter simpel sein, manchmal muss man aber auch genauer hinsehen. Und letzteres ist wahrscheinlich auch der Fall, wenn ich hier an den Anfang meiner Abhandlung über Popmusik im Jahr 2013 die These stelle, dass genau in dieser Saison die entscheidende musikalische Zeitenwende der Zwotausendzehner stattfand. Denn ein definitives Ereignis oder eine Zahl habe ich nicht, um das zu untermauern. Und ein bisschen ist diese Empfindung vielleicht auch subjektiv. Dennoch möchte ich eingangs zwei Maßpunkte anführen, an denen sich vielleicht ein bisschen festmachen lässt, wieso 2013 einiges anders wurde. Einer ist dabei die Verbreitung von Streamingdiensten als wesentliches Medium zum Konsum von Musik und der andere der Durchbruch von Hiphop als wichtiger Trend-Motor im Mainstream. Wobei vor allem die Sache mit dem Streaming eine war, die ich damals auch mehr oder weniger live mitbekam. Schon 2012, als ich mich erstmals auf Spotify anmeldete (was man ja damals schon so mit Facebook verbinden konnte, das man sah, was die eigene Bekanntschaft so hörte), waren eine handvoll entfernte Freund*innen dort angemeldet. Witzigerweise war es aber gerade dieses Feature, das mich mittelfristig wieder von Spotify weglockte (Teile meines Musikgeschmacks empfand ich damals als ziemliche Privatsache) und zu einem anderen Dienst umziehen ließ, bei dem ich bis heute den Großteil meines Musikkonsums vornehme. Insofern ist das Jahr 2013 auch für mich ganz persönlich mit der Annäherung ans Streaming verbunden. Über Punkt Nummer Zwei in meiner Argumentation kann man das leider nicht wirklich sagen, wobei hier letztlich auch das Attribut an dieser Liste zu finden ist, das mich immer noch ein bisschen ärgert: Als Rock- und Indie-sozialisierter weißer Typ aus Südsachsen war Hiphop - vor allem von der anderen Seite des Atlantik - für mich 2013 noch immer ziemliches Neuland. Sicher hatte ich über Peter Fox, Marteria und Casper schon in den Vorjahren irgendwie einen Einstieg in das Genre geschafft und 2012 auch schon mal ein Album von Aesop Rock cool gefunden, insgesamt kratzte ich damit aber viel zu sehr an der Oberfläche, um die weitreichenden Umwälzungen zu verstehen, die vor allem in der USA plötzlich stattfanden. Um eine LP wie Trap Lord von A$ap Ferg richtig einzuordnen, die ich damals tatsächlich auch besprach, fehlte mir ganz einfach der umfassende Eindruck einer Szene, die gerade drauf und dran war, den Mainstream zu erobern. Und entsprechend unqualifiziert waren auch meine ersten Eindrücke von Platten wie Yeezus, Doris oder dem ersten Run the Jewels-Album, über die am Ende des Jahres alle redeten. Ganz zu schweigen von Sachen wie Acid Rap von Chance the Rapper oder Nothing Was the Same von Drake, die ich gar nicht erst hörte. Folgende Liste ist ein bisschen also auch der Versuch, dorthin nochmal zurückzukehren und einige dieser Projekte im Licht der nachfolgenden Entwicklungen zu sehen. Nicht nur kulturell, sondern auch für mich persönlich. Es bedeutet aber auch, dass die hier behandelten Alben vordergründig welche aus verschiedenen Rock-Bereichen sein werden, die zu dieser Zeit eben die Sachen waren, die mich interessierten. 


Because the Internet: Das habe ich 2013 gehört

Wenn für die Entwicklung meines Musikgeschmacks eine Sache ganz entscheidend war, dann die neue Vielfalt der Quellen, aus denen ich meine Anregungen für neue Musik bekam. War das vorläufig am ehesten durch physische Magazine oder auch effektiv Empfehlungen von Freund*innen passiert, begann ab 2013 das Internet eine stärkere Rolle zu spielen. Zum einen eben durch Streamingportale, die schon damals rudimentäre Release-Radare und ähnliches hatten, zum anderen durch Youtube, wo sich langsam eine etwas lebhaftere Musiknerd-Szene zu entwickeln begann. Ausschlaggebend war dabei natürlich - wie sicherlich für alle Pop-Geeks meiner Generation - der Output von Anthony Fantano, der sich in den Jahren danach ja auch zu einer Art Kritikpabst entwickeln sollte, aber auch Seiten wie Pitchfork. Das trug auf jeden Fall zur Diversifizierung meines Musikgeschmacks bei, war aber sicherlich auch für die Ausprägung einer gewissen Subjektivität beim Hören nicht unwichtig. Und vor allem für eine Sache begann ich mich 2013 wirklich zu interessieren: Metal. Nicht dass ich nicht schon lange vorher meine ersten positiven Berührungspunkte mit Bands wie Rage Against the Machine, Machine Head, Metallica und sogar heftigeren Sachen wie Liturgy hatte, die mir irgendwie zeigten, dass ich diese Musik mögen könnte, erst 2013 kam aber wirklich der Punkt, an dem sich bei mir ein Verständnis dafür durchsetzte, wie diese Musik funktioniert. Immens wichtig waren dafür die Bands und Künstler*innen, die damals beim Label Deathwish unterwegs waren (allen voran natürlich Deafheaven), aber auch Gruppen wie Retox oder Kvelertak, die die Brücke zum Metal aus der Perspektive des Hardcorepunk schlugen, der mir zu dieser Zeit schon wesentlich vertrauter war. Abgesehen davon begann damals auch das erste Revival des Neunziger-Emorock um Labels wie Topshelf Records und Saddle Creek, das wurde für mich aber erst zum Ende der Saison (und ganz wesentlich ein Jahr später) wichtig. Insgesamt würde ich die wichtigste Phase meiner musikalischen Sozialisierung als Teenager hier auch als abgeschlossen bezeichnen, wobei es natürlich dort erst richtig interessant wird. Und vieles, was in den folgenden Texten steht, ist für mich immer noch ziemlich wichtige Musik.


1. Diese Liste ist zu 100 Prozent subjektiv und reflektiert nicht mehr und nicht weniger als meine eigene Auffassung. Wenn etwas hier nicht auftaucht, kenne ich es entweder nicht oder ich fand es nicht so nennenswert, dass es hier auftaucht

2. Diese Liste ist nicht endgültig. Es kann vorkommen, dass ich meine Meinung zu Einträgen hier ändere oder hinterfrage.








Arcade Fire - ReflektorARCADE FIRE
Reflektor
Merge

Es wirkt aus heutiger Zeit schon ein bisschen seltsam, sich zu erinnern, was für eine Riesensache Arcade Fire mal waren und dass es eine Zeit gab, in denen ein neues Album von ihnen als eines der größten Release-Events einer ganzen Saison gehandelt wurde. Wobei wahrscheinlich keine Platte diese Wahrnehmung so effektiv unterstreicht wie Reflektor, deren Existenz zwischen der überkandidelten Selbstgeilheit ihrer Promotion und der Tatsache, dass sie mittelfristig für die Ermüdung vieler Fans mit dieser Band verantwortlich war, noch immer eine Art ulkige Parabel im Werdegang der Kanadier ist. Dabei war das 2013 schon einigermaßen logisch: 2011 hatten Arcade Fire für ihre letzte LP the Suburbs den Grammy für das beste Album bekommen, was ihnen ein komplett neues Publikum im Mainstream zugänglich machte und dafür sorgte, dass ihre Plattenfirmen zwei Jahre später zu großen Zugeständnissen bereit waren, was Vorlauf und PR anging. Und so wurden demnach auch alle Register gezogen: Eine Schnitzeljagd mit Guerilla-Street Art, eine Vorab-EP zum Record Store Day unter falschem Namen, Produktion von James Murphy, ein Gastauftritt von David Bowie und zum Releasetag ein Fernsehspecial mit haufenweise prominenten Cameos. Nicht zu vergessen die Tatsache, dass Reflektor das erste Doppelalbum der Kanadier war. Die Sensation von the Suburbs wiederholte es mit alledem nicht, sondern wurde nach seinem Release viel eher schnell vergessen und fühlt sich heute als das erste Album dieser Band an, das trotz all seiner Größe und Opulenz musikalisch nicht mehr essenziell ist. In meinen Augen steht es damit sogar sinnbildlich für den besagten Umschwung um 2013 herum, der die große Indie-Welle der frühen Zwotausendzehner langsam aber sicher abbranden ließ und Platz machte für die simpleren Entwürfe von Popmusik, die EDM und Hiphop zu bieten hatten. In vielerlei Hinsicht ist Reflektor also das, was Queen oder Yes in einem Jahr wie 1977 waren und das künstlerisch vielleicht nicht schlecht war, mit seiner trägen Opulenz aber zwischen flotteren, jüngeren Acts unterging. Und das am Ende sicherlich auch irgendwie verdient.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫⚫⚫ 07/11
 
 
 
 
 
Arctic Monkeys - AMARCTIC MONKEYS
AM
Domino
 
Wenn man mich persönlich fragt (und vielen anderen geht es da anscheinend ähnlich), dann ist AM von den Arctic Monkeys wahrscheinlich das letzte große Ereignisalbum des Rock'n'Roll. Also zumindest im Sinne eines Albums, das in der öffentlichen Wahrnehmung wirklich groß war und eine spürbare kulturelle Prägung besaß. Es stieg in diversen Ländern auf Platz eins der Charts ein, heimste etliche Preise ein, sorgte für nachhaltige Hits und war vor allem im Internet ein hartnäckiges Phänomen, das auch abseits der Musik ein gewisses Eigenleben entwickelte. Ich kann mich gut an meine damalige Zeit auf Tumblr erinnern, in der zeitweise alles voll war von schmalzlockigen Alex Turner-GIFs, schwarzweißen Sinuswellen und emotionsgeladenen Postings der Lyrics von Do I Wanna Know oder Why'd You Only Call Me When You're High. Womit AM an einem seltsamen Moment der Karriere der Arctic Monkeys doch noch die Platte war, die sie in den Mainstream brachte. Und wären es die Neunziger gewesen, wäre es sicherlich auch diejenige gewesen, mit der von allen Seiten die Vorwürfe des Sellouts auf die Briten eingedonnert wären. Denn obwohl weniges an AM effektiv anbiedernd ist und viele Songs auch ein bisschen anachronistisch klingen, wird das Songwriting und vor allem die Textarbeit der letzten beiden Platten Humbug und Suck It and See hier doch entscheidend vereinfacht und aufpoliert, was es im Ergebnis durchaus ein bisschen abgestumpft wirken lässt. Und zwar gibt es mit Songs wie Arabella, R U Mine oder dem besagten Do I Wanna Know durchaus noch ein paar echte Banger, für mich persönlich ist es aber auch das erste Album dieser Band, zu dem ich schon damals ein schwieriges Verhältnis hatte. Und leider würde ich dabei inzwischen auch sagen, dass es eher ihr erstes mittelmäßiges als ihr letztes gutes ist. Dafür ist es am Ende doch zu schlecht gealtert.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫⚫⚫ 06/11
 
 
 
 
 
ARMAND HAMMER
Race Music
Backwoodz
 
Armand Hammer - Race MusicArmand Hammer sind mittlerweile eine meiner absoluten Lieblingsbands im Bereich des experimentellen Hiphop geworden und mit fast jeder ihrer Platten unter meinen Jahresavoriten vertreten. Was es umso schöner macht, dass sich das nicht erst sukzessive entwickelt hat, sondern von Anfang an ein Vertrauensverhältnis war. Billy Woods kannte und mochte ich ja schon von History Will Absolve Me aus dem Vorjahr, bei einem gemeinsamen Unterfangen mit ihm und einem so großen Talent wie Elucid wollte ich also von Beginn an dabei sein. Und mit diesem Debüt lohnt sich das auch vollumfänglich, da ihr großartiger lyrischer und musikalischer Stil hier nicht nur sehr früh durchdefiniert wird, sondern auch bis heute einige seiner größten Highlights hat. Schön zu sehen also, dass sich das bei mir auch in zehn Jahren nicht geändert hat.
 
 🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫ 09/11
 
 
 
 
Beyoncé - BEYONCÉBEYONCÉ
BEYONCÉ
Columbia
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Das erste Mal hörte ich Beyoncés selbstbetiteltes Album auf einer nächtlichen Autofahrt von Berlin nach Hause auf einem schlechten MP3-Player und schon damals hatte ich eine Ahnung, dass das hier eine neue Liga für die Sängerin war. Denn auch wenn die ganze Sache mit dem visuellen LP-Konzept und dem unangekündigten Anti-PR-Release des ganzen mich schon seinerzeit nicht ganz so juckte wie anscheinend viele andere, ging damit doch auch ein musikalisches Umdenken bei Beyoncé einher, das für einen kurzen Moment softere Sounds und diffusere Kanten zeichnete, die ihre Musik in Richtung eines leicht experimentellen R'n'B-Ansatzes driften ließ. Natürlich nicht ohne Queen Bey immer noch Queen Bey sein zu lassen. Und ich für meinen Teil hätte mir gewünscht, dass sie mittelfristig mehr aus dieser Platte gemacht hätte. Wäre Beyoncé am diesem songwriterischen Konzept drangeblieben, hätte sie vielleicht die Künstlerin sein können, die heute Kelela oder ihre Schwester Solange sind. Stattdessen kam mit Lemonade drei Jahre später wieder eine gewollt soulröhrige Stiernacken-LP, die in meinen Augen oft die falschen Schlüsse aus seinem Vorgänger zog. Wobei weder Beyoncé selbst noch ihre Fans sich groß darüber zu beschweren scheinen.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫ 09/11
 
 
 
Black Sabbath - 13
BLACK SABBATH
13
Vertigo
 
 
 
 
 
 
 
 
13 wird - soviel kann man inzwischen mit einiger Sicherheit sagen - wahrscheinlich das letzte Album bleiben, das Black Sabbath jemals gemacht haben und wenn man sich den fragilen Zustand der meisten Mitglieder der Band ansieht, möchte man ihnen das irgendwie auch wünschen. Zumal diese LP als Schwanengesang der Metal-Pioniere auch super funktionieren würde und eben nicht den gleichen Fehler macht wie Frontmann Ozzy und so manchandere Genre-Legende, nach dem perfekten Schlussakkord unbedingt noch drei mittelmäßige Platten nachlegen zu müssen. Also zumindest bis jetzt. Für ihre letzte gemeinsame Reise gehen Sabbath hier zu den Ursprüngen ihres Sounds zurück und machen ein sehr nostalgisches Album, das sich diesen verklärten Blick aber auch irgendwie verdient hat und trotz altersbedingten Abzügen und einigen Schrulligkeiten an vielen Stellen das beste daraus macht. Eines der wirklich wenigen vorbildhaften Spätwerke des Metal, das mir mittlerweile sogar noch ein bisschen besser gefällt als vor zehn Jahren.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣08/11
 
 
 
 
Bosnian Rainbows - Bosnian RainbowsBOSNIAN RAINBOWS
Bosnian RainBows
Sargent House
 
Tereza Suárez und Omar Rodriguez-López waren für mich im Herbst 2012 kurze Zeit ein bisschen so etwas wie das Traumpaar des Untergrund-Rock. So wie John Lennon und Yoko Ono oder Brangelina, wenn beide nur obsessiven Indie-Nerds mit einer Vorliebe für lateinamerikanischen Prog und Punk bekannt gewesen wären. Sie, die miltant-feministische Frontfrau der Riot-Grrrl-Hoffnungsträger*innen Le Butcherettes und er, der weithin erfahrene Gitarrenvirtuose, gerade frisch getrennt von seinem letzten großen Langzeitprojekt Mars Volta und BFF Cedric Bixler-Zavala. Und für eine ganze Weile sah es zu dieser Zeit so aus, als würden die Bosnian Rainbows, die gemeinsame Band des Pärchens mit ein paar weiteren renommierten Studiomusikern, Rodriguez' nächste große Unternehmung werden. Das selbstbetitelte Debütalbum entstand in den Clouds Hill Studios bei Hamburg und war auch klanglich ein bewusster Schritt weg vom ADHS-Prog, den er in den Zwotausendern für sich kultiviert hatte. Bosnian Rainbows waren psychedelischer Indie-Postpunk, nicht unähnlich den frühen Sachen der Yeah YeahYeahs oder Bat for Lashes, mit deutlich weniger Fokus auf Technik und Mystizismus. Doch obwohl die neue Poppigkeit im Fall des resultierenden Albums nicht zwangsweise in die spannendsten Songs von Rodriguez mündete, bleibt diese LP doch eine, für dich ich mir immer noch ein bisschen einen Nachfolger wünsche. Ganz einfach weil die Chemie in dieser Band eine ziemlich tolle war und vor allem Suárez als Sängerin hier wesentlich besser funktionierte als bei den Butcherettes. War aber auch irgendwie klar, dass der Weg von Rodriguez letztendlich eben doch wieder zu seinem eigentlichen Seelenverwandten Zavala und damit zu Antemasque und den Reunions von At the Drive-In und the Mars Volta zurückführen würde, was grundsätzlich ja auch eine gute Sache ist. Dass diese Band als Kollateralschaden nicht fortgeführt würde, finde ich trotzdem schade.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫⚫⚫ 07/11
 
 
 
 
Danny Brown - Old
DANNY BROWN
old
Fool's Gold
 
 
 
 
 
 
 
Die Sache mit dem Album in zwei Teilen und den sehr unterschiedlichen Stimmungen und Narrativen hatte Danny Brown ja schon auf XXX zwei Jahre zuvor gut angefangen, Old ist in meinen Augen (und womöglich ist das ein bisschen ein Hot Take) aber die Platte, auf der er dieses Konzept perfektioniert. Einfach dadurch, dass er hier nochmal die deutlich besseren Songs schreibt und davon immerhin auch gleich 19 Stück, von denen nur ganz wenige nicht super sind. Und wo auf XXX teilweise noch nicht immer herausgefunden wurde, welche Produktion am besten zu einer exzentrischen Performance wie der von Danny passt, sind viele der Instrumentals hier wesentlich souveräner unterwegs und unterstützen die Ästhetik des Rappers optimal. Zwar könnte man im gleichen Atemzug auch sagen, dass Atrocity Exhibition in dieser Hinsicht nochmal einen Zahn zulegte, da war Brown dann aber performativ nicht mehr ganz so auf der Höhe wie hier. Stand jetzt ist das hier für mich also sein bestes Album und wird es vermutlich auch noch eine Weile bleiben.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫ 09/11
 
 
 
 
Casper - Hinterland Casper
Hinterland
Four
 
 
 
Dass Hinterland am Ende des Jahres 2013 zu meinen Lieblingsplatten der Saison gehörte, hielt ich lange für eine Entscheidung, den ich damals verkürzt fällte und die nur daraus resultierte, dass es eben der Nachfolger eines so wichtigen Albums wie XOXO war. Ich war also tatsächlich überrascht, als ich die Platte dann vor ein paar Monaten zum ersten Mal seit Jahren wieder hörte und immer noch in vielen Punkten klasse fand. Sicher, ein bisschen will die Platte zu viel auf einmal, ein paar weniger spektakuläre Songs gibt es durchaus und thematisch behandeln ein paar zu viele Momente Caspers Durchbruch und den darauf folgenden Hype, doch ist vieles davon auch irgendwie berechtigt. Vor allem der Anspruch, hier eine große Pop-Platte zu machen und aus allen Kanonen zu schießen, kann ich nach XOXO durchaus verstehen und gerade musikalisch resultiert daraus mit der üppigen Instrumentierung und der opulenten Produktion von Konstantin Gropper auch ein echter Hingucker. Wobei Casper selbst das neue Andlitz des Pop-Zampano mindestens genausogut steht wie das des aufgekratzen Emorap-Maskottchens und Hinterland somit schon Mal besser gealtert ist als das unstete Lang lebe der Tod von 2017.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣08/11
 
 
 
Candelilla
Heart mutter
ZickZack
 
Candelilla - Heart MutterEin spannendes (zumindest zum Teil) deutschsprachiges Postpunk-Juwel, dessen Existenz auch ich gerne Mal vergesse und das ein weiterer Beweis dafür ist, dass die Riot-Grrrl Klangästhetik von Sleater-Kinney für mich funktionieren kann, wenn sie von einer anderen Band als Sleater-Kinney gemacht wird. Die Musik der vier Münchnerinnen auf dieser LP ist maximal kantig und minimalistisch, die zwischen deutsch und englisch changierenden Lyrics ziemlich avantgardistisch und dabei trotzdem irgendwie aussagekräftig und rebellisch. Empfehlung für alle, die es schade finden, dass es sowas wie Le Tigre nicht auch aus der eigenen Homezone gibt.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣08/11
 
 
 
Chelsea Light Moving - Chelsea Light MovingCHELSEA Light Moving
CHeLsea Light Moving
Matador 
  
 
 
 
 
 
 
 
In die Musik von Sonic Youth hatte ich mich 2012 blöderweise kurz nach deren offizieller Auflösung verliebt und war folglich zu spät dran, um ihrem nächsten Release entgegenzufiebern. Spannend war das aber auch, weil es von da ab eine ganze Reihe neuer Bands, Projekte und Soloplatten gab, mit denen sich die ja schon immer notorisch umtriebigen Ex-Mitglieder nun beschäftigten. Und Chelsea Light Moving, die damals neue Gruppe von Gitarrist Thurston Moore, war darunter das erste echte Ausrufezeichen. Zwar gibt es bis heute nur dieses eine Album des Quartetts und Moore verlagerte die Weiterentwicklung des hier erdachten Sounds (der seiner alten Band zugegebenermaßen nicht unähnlich ist) im Wesentlichen auf seine Soloarbeiten, trotzdem ist die LP für mich nach wie vor das konkurrenzlos beste Post-Sonic Youth-Konservenprodukt irgendeines ehemaligen Mitglieds. Und dafür leider immer noch sträflich unterschätzt.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣i0/11
 
 
 
 
Childish Gambino - Because the InternetCHIDISH Gambino
Because the internet
Glassnote
 

Als einer der wahrscheinlich sehr wenigen, deren Zugang zum Output von Donald Glover nicht seine Vergangenheit als Schauspieler war, sondern sein heutzutage verdrängtes bis belächeltes Solodebüt Camp von 2011, war Because the Internet zwei Jahre später eine Platte, für die ich zumindest potenziell einige Erwartungen hatte. Potenziell deshalb, weil es mit seinem Release Mitte Dezember und einer recht wirren Promophase gar nicht beizeiten zu mir hervordrang. Und als ich es schlussendlich noch hörte (und es immerhin zu meiner damaligen LP des Monats machte), war ich ob der Kombi aus Drehbuch-Tie-In, Glovers Entwicklung als Musiker und meinem nach wie vor recht awkwarden Verhältnis zu Hiphop doch ziemlich überfordert. Und noch lange danach verblieb das Album in meiner Erinnerung als eines, von dem ich nicht so recht wusste, wie ich es einordnen sollte. Erst wenn man irgendwann in dieses Frühjahr vorspult, als ich die Platte für diesen Post noch einmal ausführlicher hörte, kann man eine wirklich sattelfeste Reaktion ausmachen. Und diese fällt überraschenderweise so aus, dass Because the Internet für mich inzwischen das eine echte Meisterwerk der musikalischen Laufbahn von Childish Gambino ist. Ein bisschen hat das auch damit zu tun, dass sein weißes Album von 2020 langfristig nicht der Rede wert und Awaken, My Love, sein eigentlich bekanntestes Projekt, schlechter als erwartet gealtert ist, aber nicht nur. Um ihrer selbst willen ist Glovers zweite LP noch immer ein extrem kompetent gemachtes Hiphop-Werkstück, das die richtige Balance aus Bangern und Ruhemomenten findet, narrativ vieles gut einbindet, super produziert klingt, Gambino als starken Performer mit Persönlichkeit manifestiert und durch den ganzen erzählerischen Überbau eben noch ein aufregendes Extra mitbringt, dass es zu mehr als nur einem starken Rap-Musikstück macht. Auf der Welle an Einflüssen, die 2013 über den Mainstream hereinbrach, ist es für mich damit eines der Alben, die nach wie vor am hellsten Strahlen und die im Bild der Szene vielleicht ein bisschen aus der Reihe fallen, aber gerade dadurch umso mehr in Erinnerung bleiben.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣i0/11
 
 
 
 
 
CHVRCHES - The Bones of What You BelieveCHVRCHES
The Bones of What You Believe
Virgin
 
Es war rückblickend eine ziemlich kuriose Sache, als Chvrches Anfang der Zwotausendzehner das Licht der Welt erblickten, denn bekanntestes Gesicht der Band war damals noch nicht Sängerin Lauren Mayberry, sondern Hauptsongwriter Iain Cook, den man bis dahin eigentlich eher aus leisetreterischen Postrock-Projekten wie Aereogramme oder the Unwinding Hours kannte. Ihn hier nun mit flashigem Elektro-Synth-Indiepop zu hören, war also schon eine Überraschung. Nicht zuletzt deshalb, weil dieser ohne jeden Hehl auch eine gewisse Kommerzialität im Visier hatte. Als jedoch 2012 die ersten Singles und EPs erschienen (die Leadsingle the Mother We Share wurde vor allem durch ihre Verwendung in einer Fernsehwerbung bekannt) und kurze Zeit später auch vorliegendes Debüt, war die Szenepolizei sehr schnell wieder still, da die präsentierten Ergebnisse bei aller Kommerzialität wirklich Hand und Fuß hatten. Cooks eingängige Synth-Arbeit war nicht nur catchy, sondern auch klanglich extrem hochwertig, das Songwriting auf der Platte durchweg stark und mit Lauren Mayberry hatten Chvrches eine der stärksten Pop-Sängerinnen der gesamten Zwotausendzehner aufgetan, die auch lyrisch was auf dem Kasten hatte. Und the Bones of What You Believe war bei alledem auch alles andere als eine einmalige Sache: Zehn Jahre später warte ich persönlich immer noch auf ein Album der SchottInnen, das nicht großartig ist und während der gesamten letzten Dekade hat diese Band einen der sicherlich stärksten Kataloge abgeliefert, die ich überhaupt je von irgendwem gehört habe. The Bones of What You Believe bleibt dabei aber wahrscheinlich trotzdem ihre beste Platte.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣i0/11
 
 
 
 
 
Daft Punk - Random Access MemoriesDAFT Punk
Random Access Memories
Columbia
 
Ich kann rückblickend nicht so richtig sagen, was ich eigentlich von Random Access Memories erwartete, als es im Frühjahr 2013 erschien. Denn obwohl ich mich durchaus erinnern kann, dass Get Lucky nicht lange brauchte, um einer meiner Lieblingssongs des damaligen Jahres zu werden und ich schon wusste, was ein neues Album vom Daft Punk für ein historisches Ereignis war, fehlte mir zum Zeitpunkt der Veröffentlich ganz einfach ein ausreichendes Wissen um ihren Katalog, um wirklich einzuschätzen, welchen Weg die Franzosen mit dieser LP gingen. Weshalb ich auch nicht so richtig weiß, weshalb ich vom Endergebnis am Anfang so bitter enttäuscht war. In den zehn Jahren seit dem Release habe ich Random Access Memories vielleicht ein oder zweimal ernsthaft gehört und es jetzt quasi nochmal komplett neu zu entdecken, hat diese Frage nochmal eindeutig aufgeworfen. Denn obwohl ich noch immer kein Riesenfan dieser Platte bin, sie an manchen Stellen etwas zahnlos finde und gerade die längeren Tracks nicht immer ihre Spielzeit rechtfertigen, ist das hier inzwischen doch ziemlich sicher ein Stück Musik, dem ich ohne Zögern das Attribut "gutes Album" zuschreiben kann. Vor allem dadurch, wie fantastisch es ein sehr vielschichtiges Raster an Gästen einbezieht, Stilistiken miteinander verbindet und dabei einwandfrei als große Einheit funktioniert. Weshalb ich es aus heutiger Sicht zwar nicht als absolutes Meisterwerk sehen würde, aber durchaus als eines der stärkeren Projekte von Daft Punk. Und im Sinne einer Liebeserklärung ans Musikmachen auch als den perfekten Schwanengesang ihrer Karriere. 
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣08/11
 
 
Deafheaven - SunbatherDEAfheaven
Sunbather
Deathwish Inc.

Zu diesem Album gibt es von mir schon eine ausführliche Besprechung, die hier zu finden ist.
 
 
 
 
 
 
Death Grips - Government PlatesDEATH GRIPS
GOvernMent Plates
Third Worlds | Harvest
 
 
 
 
 
 
 
 
Nachdem die Death Grips in der Saison zuvor mit gleich zwei gigantischen Alben die Szene aufgewühlt hatten und im Internet von sich reden machten, sollte die Veröffentlichung von Government Plates im Sommer 2013 für viele die nächste Sensation werden und den unglaublichen Lauf der Kalifornier, die bis dahin quasi unfehlbar schienen, weiter fortsetzen. Rückblickend indes gilt es als das erste eher okaye Übergangsalbum der Band, das bei vielen Fans nach wie vor einiges an Skepsis hervorruft. Effektiv schlecht ist es dabei nicht, nach drei sehr innovativen und/oder stilprägenden Platten ist es aber das erste, das ein bisschen ideenlos und sich selbst wiederholend wirkt. Und das ist bedauerlicherweise auch noch zehn Jahre später der Fall. Die Hits wie You Might Think He Loves You for Your Money oder Anne Bonny ballern immer noch, abgesehen davon erlebt der Sound von Death Grips hier aber einen Abfall des Aha-Effektes, der sich erst mit Jenny Death von 2015 wirklich erholen sollte.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣08/11
 
 
 
Earl Sweatshirt - DorisEArl Sweatshirt
DORis
Tan Cressida | Columbia


Schon seit dem Anbeginn seiner Karriere ist Earl Sweatshirt ein Künstler, über dessen Erfolg im Musikbusiness irgendwie ein böses Omen zu liegen scheint. Eines, das ihn nicht nur vom einstigen Rap-Wunderkind zum schrägen Außenseiter machte, der er heute ist, sondern bei dem auch sein kommerzielles Debütalbum Doris letztlich eine Schlüsselrolle spielt. Denn eigentlich war ursprünglich er derjenige, dem man in seinem Dunstkreis bei Odd Future die Zukunft vorraussagte, die später seinem Kollegen Tyler, the Creator vergönnt war. Mit seinem ersten Mixtape Earl erzielte er um 2010 herum die ersten Achtungserfolge für das Label, wurde aber kurze Zeit später erstmal von seiner Mutter – er selbst war damals noch minderjährig – in ein Erziehungscamp für aufmüpfige Jugendliche gesteckt. Das behinderte seine Avancen als Rapper zwar zunächst deutlich, dank des Erfolgs von Odd Future durch Tyler und später auch Frank Ocean in den Jahren danach, die in Abwesenheit immer wieder seinen Namen pushten (das Label fuhr eine Weile lang eine Online-Kampagne namens #FreeEarl, die ziemlichen Buzz erzeugte) hatte er im Moment seiner Entlassung ordentlich Hype hinter seinem Namen. Als Doris dann aber endlich erschien, stieß es viele Fans des Kollektivs dann doch vor den Kopf. Noch mehr als Tyler, the Creator war Earl ein unbequemer und düsterer Rapper, der sich auf dieser LP mit allerhand gruseligen Schummerbeats umgibt und in seinen Lyrics nicht zum letzten Mal deprimiert und fast schon nihilistisch wirkt. Als fulminanter Karriereanfang war die Platte also ein ziemlicher Downer und ergab damals erstmal nicht viel Sinn. Erst im Verlauf seiner weiteren Karriere und Platten wie I Don’t Like Shit oder Some Rap Songs, in denen er offener über seinen mentalen Zustand sprach, fügte sich nachträglich das Bild von Dorisals das Werk eines hoffnungsvollen Newcomers, der eigentlich nicht wirklich viel Hoffnung in sich trug und keinen Bock darauf hatte, ein Popstar zu sein. Wobei das spannende ist, dass er auf diesem Album trotzdem mal kurz so klingt, als wäre er einer. Bei seinen jüngeren Projekten hatte ich irgendwie immer das Problem, dass sie zwar lyrisch profund waren, in Sachen Produktion und Aufmachung aber irgendwie halbfertig klangen. Hier hingegen trifft Earls Null-Bock-Attitüde und zornige Lethargie auf den Produktionswert eines Major-Releases, der vielen Songs dann eben doch einen gewissen Mehrwert entlockt, den man heute nicht mehr bei ihm findet. Wo diese Platte für ihren Schöpfer rückblickend also eine ziemliche Tortur gewesen sein muss, sehe ich sie nach wie vor als das beste Stück Musik des Kaliforniers, das er wahrscheinlich auch so schnell nicht erreicht.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫ 09/11
 
 
 
Eminem - The Marshall Mathers LP 2EMinem
the Marshall Mathers Lp 2
Shady | Aftermath
 
Die Zwotausendzehner waren – angefangen beim grauslig-anbiedernden Recovery von 2010 bishin zum misslungenen Horrorcore-Revival von Music to Be MurderedBy zehn Jahre später – keine von großem Ruhm gesegnete Phase für Eminem und ein Großteil des Sympathieverlustes für den Rapper auch definitiv selbstverschuldet. Was das Sequel zu seiner vielleicht wichtigsten Platte the Marshall Mathers LP von 2013 vielleicht zum einzigen echten Lichtblick während dieser Periode macht, mit der er zumindest an einem Zeitpunkt Reste seiner Credibility retten konnte, als diese noch nicht komplett vor die Hunde gegangen war. Oberflächlich wirkt die Berufung auf den Klassiker während einer schwierigen Karrierephase dabei zwar irgendwie verzweifelt und zu ihrer Veröffentlichung fand ich MMLP2 auch erstmal richtig doof, gerade im Angesicht seines neueren Outputs habe ich jedoch mehr und mehr ihre Qualitäten zu schätzen gelernt. Zum einen ist es das letzte Mal, dass Eminems grob angespitzer Edgelord-Humor, mit dem er später auch oft den falschen Ton traf, nochmal richtig gut funktioniert, zum anderen hat er hier das letzte Mal wirklich effektive Hit-Momente in Form von Songs wie Berzerk, Bad Guy oder dem memetisch-legendären Rap God. Auch schwächelt MMLP2 nicht an seiner fehlenden musikalischen Kohärenz, weil Eminem das ganze narrativ ganz gut zusammenschnürt und als Erzähler nochmal richtig stark auftritt. Weshalb es für mich im Nachhinein umso erstaunlicher ist, wo er all diese Talente auf seinen folgenden Alben gelassen hat.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣08/11
 
 
 
Foxygen
We Are the 21st century ambassodors of peace and magic
Jagjaguwar
 
 
 
 
 
 
 
 
Mittlerweile hört man ja nicht mehr so viel spannendes von Jonathan Rado und Sam France, was vielleicht daran liegt, dass sie älter und zahmer geworden sind. 201e sah das aber noch anders aus und das Duo aus Los Angeles war unter Kenner*innen psychedelischen Indiepops einigermaßen berüchtigt für seine rockstarhaften Eskapaden und seine flamboyante Arroganz. Wie die besten solcher Bands hatten aber auch Foxygen damals jenes Gallagher-Gen, das einem viel von jeglichem Unsinn verzeihen ließ, weil die Musik bei alledem so fantastisch war. Wobei kein anderes Album diesen Claim in meinen Augen so wirkungsvoll unterstreicht wie Peace & Magic, das ich noch heute als ihr einziges wirkliches Meisterwerk sehe. Zwischen softem Garagenpunk und schonungslos kitschiger Sunshine Pop-Pastiche finden die Kalifornier hier einen Sweet Spot ihres Sounds, den sie so nie wieder erreichen würden und dem ich seitdem auch ein bisschen hinterher weine. Wobei meine persönliche Sahnehaube auf dieser durchweg sehr gelungenen Hochzeitstorte von einem Album das fast schon obszön zuckrige San Francisco bleibt, mit dem Foxygen einmal in ihrem Leben den perfekten Popsong geschrieben haben.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫ 09/11
 
 
 
Ghostface Killah & Adrian Younge - Twelve Reasons to DieGhostface killah & Adrian Younge
twelve reasons to die
Soul Temple
 
Es ist nachvollziehbar, warum Twelve Reasons to Die im Frühjahr 2013 eines der ersten Alben eines klassischen Amirap-Künstlers war, für die ich wirklich eine ernsthafte Leidenschaft aufbauen konnte, denn vieles an diesem Album ist verhältnismäßig einstiegsfreundlich für Leute wie mich, die bis dahin mit Hiphop von der anderen Seite des Atlantiks noch immer ein bisschen fremdelten. Zum einen weil es hier mit Adrian Younge einen Produzenten gibt (wobei „Komponist“ sicherlich der treffendere Begriff wäre), der die gesamten Instrumentals der LP beisteuert und als versierter Soundtrackmusiker den Geist des retrofisierten Spaghettiwestern-Revivals anzapft, das damals ein bisschen grassierte. Zum anderen, weil Hauptakteur Ghostface Killah in seinen Lyrics tatsächlich ein sehr akribisches Storytelling betreibt, das über das gesamte Album hinweg als kohärente Erzählung gedacht ist und einen düsteren Revenge Ark unter zwei Gangsterbossen beschreibt, zu dem gleichzeitig auch ein Comicbuch erschien. Das alles war irgendwie zugänglich für jemanden wie mich, der Ennio Morricone und die ersten zwei Der Pate-Teile zumindest periphär wahrgenommen hatte, blieb aber auch tief genug in den Traditionen des amerikanischen Ostküsten-Rap verwurzelt, um nicht anbiedernd zu sein. Und allein deshalb war dieses Album für mich schon irgendwie wichtig. Nehme ich es allerdings aus dieser Rolle heraus und schaue darauf aus der Perspektive eines Typen, der mittlerweile Künstler*innen wie Ka oder Billy Woods für sich entdeckt hat, wirkt Twelve Reasons doch ein kleines bisschen campy und zahm. Damit meine ich nicht, dass es effektiv schlecht wäre und vor allem im Vergleich zu der handvoll Platten, mit denen Ghostface in den Jahren danach versuchte, ein ähnliches Konzept weiterzudenken steht es immer noch gut da. Für eine der coolsten Hiphop-Platten der letzten Dekade halte ich es aber ganz sicher nicht mehr.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣08/11
 
 
 
grim104 - Grim104Grim104
Grim104
Buback
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
2023 ist Grim104 aus meinem persönlichen Kanon der absoluten Lieblingsrapper*innen nicht mehr wegzudenken und untermauert diesen Status auch alle paar Jahre zuverlässig, entweder mit einem gewohnt starken Zugezogen Maskulin-Projekt oder einer seiner stilistisch stets erfrischenden Soloplatten. Seine selbstbetitelte EP von 2013 (die ähnlich wie Das Grauen, das Grauen von 2019 nur formell eine solche ist und für mich eher wie ein Album klingt) ist davon noch einige entscheidende Schritte entfernt. Denn obwohl der Berliner bereits vier Jahre zuvor einige großartige Freetracks veröffentlichte und ZM mit Kauft nicht bei Zugezogenen 2012 ein souveränes erstes Zeichen auf Albumlänge setzten, steht die künstlerische Identität des Moritz Wilken hier noch ein wenig auf tönernen Füßen. In Ansätzen starke Songs wie Frosch, Sternstunden der Bedeutungslosigkeit und vor allem Ich töte Anders Breivik gibt es durchaus, diese wirken aber noch äußerst unfrisiert und lassen an manchen Stellen (besonders in den Hooks) durchaus den Wunsch nach sorgfältigerer Produktion und ein paar mehr Takes in der Gesangskabine aufkommen. Ganz zu schweigen von Sachen wie Am 2. Mai oder Dreck, Scheiße, Pisse, die aus heutiger Sicht einfach wie Füllmaterial wirken. 2013 machte das diese EP vor allem zu einem Material, das der Welt diesen aufregenden neuen Rapper vorstellte, den ich ja auch irgendwie interessant fand, erst mit dem zweiten ZM-Album war die Metamorphose aber vollständig.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣08/11
 
 
 
The Joy Formidable - Wolf's LawThe Joy Formidable
Wolf's Law
Canvasback
 
Immer wieder hatte ich in vergangenen zehn Jahren gedacht, dass Wolf’s Law eines dieser Rockalben wäre, über die ich mittlerweile lange hinweg bin und das ich rückblickend wohl ziemlich basic finden würde. Doch immer wieder haben mich the Joy Formidable hier eines Besseren belehrt und faszinieren mich nach wie vor mit einer Platte, die die besten Eigenschaften ihres Sounds und ihres Songwritings optimal aufarbeitet. Oftmals bedeutet das hier sehr energische und offenherzige Indierockmusik mit leichtem Shoegaze-Einschlag, die ich durchaus als stadionhaft bezeichnen würde, wäre sie nicht so wunderbar entrückt und krachig. Der Opener This Ladder is Ours mit seinem epochalen Orchesterintro und dem kaskadischen Mega-Riff ist mittlerweile definitiv ein Lieblingssong von mir, ähnlich verhält es sich bei feingeistigen Nackenbrechern wie dem furiosen Maw Maw Song oder dem rustikal groovenden Forest Serenade. Dass den Songs dabei viel Raum gegeben wird – klanglich ebenso wie in Sachen Spieldauer – ist dabei in meinen Augen die wichtigste Tugend dieser Platte, die Band auf späteren Alben leider wieder ein bisschen vernachlässigte. Dass diese hier existiert, erinnert mich aber immer mal wieder daran, was the Joy Formidable für eine besondere Rockgruppe sein können, wenn sie selbst das auch wollen.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣08/11
 
 
 
Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi - Expedition ins O Käptn PENG & DIE TENTAKEL Von Delphi
Expedition ins o
Kreismusik

Um das peinlichste direkt vorwegzunehmen: Dieses Album war tatsächlich mal sehr wichtig für mich und umfasste für eine unangenehm lange Zeit mehr oder weniger meine Idee davon, was intelligente deutsche Rapmusik sein konnte und war. Denn bevor ich als weißer Mittelstands-Jugendlicher des höheren Bildungswegs meine lange und beschwerliche Sozialisierung mit dem Medium Deutschrap auf mich nahm, gab es da Käptn Peng. Einen Rapper im weitesten Sinne des Begriffs, der eigentlich Filmschauspieler war, mit einer Backingband aus Fasstrommlern und Waldorfschul-Postpunkern durch die Weltgeschichte tingelte und dabei Musik machte, die genau den Sweet Spot intellektueller Auseinandersetzung traf, den man als 15-jähriger Dauerkiffer für angebracht hielt. Seine Pseudo-philosophischen Texte handelten von spiritueller und mentaler Entfesslungskunst und wirkten profund, ohne es letztendlich zu sein, vor allem waren sie aber auch irgendwie spaßig und selbstironisch, was im besten Fall zu dem lümmeligem Dada-Quatsch mit denkerischem Unterbau führte, der sein Debütalbum von 2010 streckenweise echt gut machte. 2013 sollte Expedition ins O mit Band im Rücken und größerem Produktionsaufwand das nochmal aufbauschen und wurde tatsächlich auch zum ersten Achtungserfolg der Berliner. Wo dem Vorgänger aber noch irgendwie ein experimenteller Charme innewohnte und Peng tatsächlich manchmal was zu sagen hatte, verkommt O vielerorts zur Pose dessen, was davon inhaltlich und stilistisch noch übrigblieb. Das instrumentale Backing ist dabei noch das beste, denn hier zeigt sich wirklich der Schritt nach vorne, den das Konglomerat kompositorisch gemacht hat. That said: Nach spätestens der Hälfte nervt das konstante Gekloppe und Geklapper des Sperrmüll-Instrumentariums schon ganz schön und ist nicht halb so actiongeladen, wie es sich gerne gibt. Und dann ist da der Hauptakteur des ganzen, der sich ebenfalls ein bisschen zu sehr abfeiert, um wirklich gut zu sein. Das fängt bei den grauenvollen Zweckreimen und dämlichen Plattitüden schon an, zeigt sich aber vor allem darin, dass Peng auf dem ganzen Album nie wirklich einen Punkt macht und tatsächlich eine Botschaft vermittelt. Selbst in Songs wie Sockosophie oder Liebes Leben, die beide auf ihre Art große Fragen verhandeln wollen, steigt man nie wirklich durch den wirren lyrischen Dschungel hindurch und bleibt am Ende bei diffusen "Alles hinterfragen!" und "benutze deinen Verstand"-Messages hängen, die aus heutiger Sicht auch etwas unangenehm esoterisch-querdenkerisches haben (nicht, dass ich Peng das tatsächlich vorwerfen würde). In dieser Hinsicht hat sich meine Auffassung dieser LP in den letzten zehn Jahren radikal geändert und nur manches davon hat damit zu tun, dass ich mich inzwischen besser mit der deutschen Rap-Landschaft auskenne. Nennen wir es stattdessen einfach geistige Reife.
 
🟣🟣🟣🟣⚫⚫⚫⚫ 04/11
 
 
 
Kings of Leon - Mechanical BullKings of leon
MEchenical Bull
RCA
 
2013 waren die Kings of Leon in ihrer bisher vielleicht größten Krisenphase, in der sie nach dem Megaerfolg der letzten zwei Platten Only By the Night und Come Around Sundown mit ihrem Status als Stadionrocker zunehmend überfordert waren und auch mehr und mehr haderten. Die anwachsende Zahl an Fans aus der Radio-Laufkundschaft, stressigen Tourterminen und hochprozentigen Backstage-Getränken machte das Familienunternehmen aus Kentucky in dieser Zeit zu einer wackeligen Angelegenheit, die den Bandmitgliedern bald selbst zu bunt wurde. Und wo Mechanical Bull passend dazu für mich lange das typische Krisenalbum war, auf dem die Kings of Leon uninspiriert und Fame-verkatert ihrem eigenen Mythos hinterherstolperten, muss ich meinen Eindruck jetzt insofern revidieren, dass diese LP vielleicht das einzige war, was bei dieser Band 2013 funktionierte. Klar ist es kein so packender Stadionrock mehr wie auf Only By the Night und die klangliche Entschlackung eines Walls ist hier auch noch nicht zu hören, den Umständen entsprechend halten sich die Kings hier aber wacker und veröffentlichen ein durchweg solides Album, das mit Supersoaker sogar die obligatorisch fetzige Leadsingle mitliefert. Aus meiner lange gefügten Behauptung, die Kings of Leon wären außer auf diesem Album nie scheiße gewesen, kann ich mit dieser Überzeugung also den nervigen Qualifier streichen: Die Kings of Leon sind nie scheiße gewesen. Punkt.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣08/11
 
 
 
Lorde - Pure Heroinelorde
Pure Heroine
Universal
 
 
 
 
 
 
 
 
Dass Lordes Durchbruchssingle Royals 2013 eine Schlüsselrolle in der Entwicklung von Popmusik der Zwotausendzehner einnimmt, kann man zehn Jahre später nicht mehr glaubhaft bestreiten und als das Album, auf dem besagter Track sich befindet (obwohl die Erstveröffentlichung streng genommen bereits ein Jahr vorher auf der Love Club-EP stattfand) ist Pure Heroine natürlich schon irgendwie bedeutsam. Trotzdem würde ich abgesehen davon nicht sagen, dass die Platte für das Verständnis von Lorde als Künstlerin essenziell ist. Wenn man Royals schon kennt, sind die restlichen zehn Songs ihres Debüts ahnbarer Beifang, der damals wie heute trotz seiner kurzen Spieldauer sehr schnell monoton und trocken wird. Einen eigenen Sound hat die Neuseeländerin dabei zwar schon irgendwie gefunden, besonders ansprechend ist der aber nur in den wenigsten Momenten. Gerade wenn man sich anschaut, wie vielseitig und spannend dieser auf den beiden Nachfolgern noch werden sollte

🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫⚫⚫ 07/11
 
 


Lycus - Tempestlycus
Tesmpest
20 Buck Spin

Es ist im Nachhinein betrachtet ein ziemlich großer Jackpot, dass ich es im Sommer 2013 – zu einer Zeit, als extremer Metal für mich noch immer ein bisschen Neuland war – über eine Platte wie Tempest stolperte und diese auch mit meinem Mindframe von damals korrekt als das einschätzte, was sie war und ist: Ein meisterhaftes Crossover-Werkstück zwischen Death- und Doom Metal, wie es in den vergangenen zehn Jahren nur äußerst selten vorkam. Sowas muss man als 15-jähriger Genre-Neuling ja auch erstmal zu schätzen wissen. Wie herrlich Lycus auf diesen drei ausgedehnten und tonnenschweren Songs die erhabene Trägheit und Epik des Funeral Doom mit der Brutalität und Kaltschnäuzigkeit des Death Metal verbinden, habe ich erst im Laufe der Zeit so richtig nachzuvollziehen gelernt und mit steigender Anzahl der mittelmäßigen Platten, die ähnliches versuchen und daran scheitern, ist diese mir zu einem echten Liebling geworden. Weshalb ich dem Vergangenheits-Ich in vielen Momenten immer noch für diesen verdammt guten Riecher danke.

🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣i0/11
 


Melt-Banana
Fetch
A-Zap

Melt-Banana - FetchEs war seinerzeit ebenfalls zehn Jahre her, dass Melt-Banana das großartige Cell-Scape veröffentlicht hatten, das ich damals gerade entdeckte und bis heute für ihr vielleicht bestes Album halte. Kurz darauf, am ersten Oktober 2013, kam dann ziemlich unverhofft ein neues Album der JapenerInnen, das ich natürlich ebenso beherzt in mich aufsog. Im ersten Moment stand das noch deutlich unter dem Zeichen des Erdbenens in ihrer Heimat zwei Jahre zuvor, das unter anderem das Studio der Band zerstört hatte, wobei diese zerstörerische Kraft dann auch einmal mehr Inspiration für Melt-Banana gewesen sein könnte, die hier zerfahren und krachig wie eh und je ihre hyperaktive Noise-Kakophonie auffahren. Zehn Jahre später mag das an sich nichts besonderes sein und im Katalog der Tokyoter klingt Fetch zugegebenermaßen wie die meisten anderen Alben auch, angesichts der Tatsache, dass es bish jetzt immer noch ihre aktuellste Platte ist, nimmt man aber auch ein bisschen, was man kriegt.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫ 09/11
 
 
 
Melt Yourself Down - Melt Yourself Down
Melt yourself down
Melt yourself down
the Leaf Label
 
Dass das selbstbetitelte Debütalbum der Londoner Jazzgruppe Melt Yourself Down im Juni 2013 – also in dem Monat, in dem unter anderem auch Sunbather von Deafheaven und Kveikur von Sigur Rós erschienen – zu meinem Album des Monats wurde, sagt einiges darüber aus, was für eine Offenbarung es damals für mich war. Und dass es mir musikalisch neue Welten eröffnete, konnte man definitiv sagen. Wo ich den Stilbereich des Jazz bis dahin eher wenig angetastet hatte und darunter vor allem altmodischen Bebop oder Modalen Jazz verstand, versetzen mir diese Briten mit ihrem eher bei afrikanischen Subrichtungen abgeguckten (und mit reichlich Dancepunk, Funk und auch ein bisschen Noise verwobenen) Songwriting einen Schock. Und vor allem der Opener Fix My Life mit seinen pushenden Bläsersätzen und seiner unentfliehbaren Tanzbarkeit machte nachhaltigen Eindruck auf mich. Mittelfristig könnte man auch sagen, dass es die Eindrücke dieser Band waren (die für mich damals in einem völligen musikalischen Vakuum stattfanden), deretwegen ich später auf Acts wie Shabaka & the Ancestors oder Kamasi Washington aufmerksam wurde. Leider auch mit der Feststellung, dass deren Output über die Zeit spannender wurde, während mich Melt Yourself Down auf lange Sicht immer weniger beeindruckten. Zum einen in der Hinsicht, dass keine der Nachfolgeplatten für mich das Mirakel des Debüts wiederholte, zum anderen in der, dass auch dieses selbst mich inzwischen nicht mehr ansatzweise so packt wie vor zehn Jahren. Als einen wichtigen Einfluss auf meine ganz persönliche Jazz-Sozialisation sehe ich es trotzdem nach wie vor.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣08/11
 
 
 
Messer - Die Unsichtbaren
Messer
die unsichtbaren
This Charming Man
 
Zu diesem Album gibt es von mir schon eine ausführliche Besprechung, die hier zu finden ist. 





Moonface - Julia With Blue Jeans OnMoonface
Julia with blue jeans on
Jagjaguwar

Zu diesem Album gibt es von mir schon eine ausführliche Besprechung, die hier zu finden ist. 






Motorpsycho - Still Life With Eggplant
Motorpsycho
Still life with eggplant
Stickman

Lange habe ich Still Life With Eggplant in der musikalischen Lore von Motorpsycho als reines Cardio-Album gesehen, das eigentlich nur dafür da war, nach dem hochkonzeptuellen und detailliert durcharrangierten Jazz-Prog-Rockoper-Monstrum the Death Defying Unicorn aus dem Vorjahr auch mal wieder die Rock-Muskulatur zu trainieren und ein durchweg simples Stück Musik zu machen. Weil Motorpsycho aber nicht aus ihrer Haut können und ich inzwischen die nächsten paar Schritte in ihrer Diskografie kenne, muss ich die LP aus heutiger Sicht anders bewerten. Als eine nämlich, aus der ziemlich viele Fäden in die Vergangenheit und Zukunft der Norweger führen und die bei alledem eigentlich kein bisschen simpel ist. So ist zum Beispiel das eröffnende Hell Pt. 1-3 nicht nur fast zehn Minuten lang, es beginnt auch noch einen mehrteiligen Opus an Tracks, der sich in der Folgesaison noch auf ihrem Nachfolger Behind the Sun fortsetzen sollte. Mit Ratcatcher hat das Trio hier außerdem einen ziemlich ambitionierten Viertelstünder von Longtrack am Start und mit the Afterglow einen Closer, der inhaltlich sogar ein bisschen auf Motive vom 1994er-Album Timothy’s Monster zurückgreifen könnte. Dass Motorpsycho hier einfach nur die müden Jamrock-Knochen aufwärmen, kann man also keinesfalls behaupten und viel eher ist Still Life das ziemlich gute nächste Album, das nach Unicorn nicht lange auf sich warten lässt. Und obwohl es irgendwie logisch ist, dass es für die meisten Fans im Schatten auf ewig seines Vorgängers stehen wird, lohnt es sich, an dieser Stelle noch mal eine besonderere Aufmerksamkeit darauf zu richten.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣08/11
 
 
 
My Bloody Valentine - m b v
My bloody Valentine
M b v
MBV
 
Ich war sicher nicht der Einzige, der es für einen schlechten Scherz hielt, als Kevin Shields im Frühjahr 2013 die kontroverse Ankündigung tätigte, dass es nun nur mehr eine Woche sein würde, bis das neue Album der legendären My Bloody Valentine zum Download verfügbar wäre. Und selbst die Woche bis zum anberaumten Release zweifelte ich noch in jedem Moment, ob das nicht alles doch ein fieser linker Haken war. Das Album, an dem die Band angeblich noch vor ihrer Auflösung 1993 gearbeitet hatte, das selbige erst so richtig ausgelöst hatte und das der Nachfolger zum mythisch verehrten Shoegaze-Standardwerk Loveless von 1991 sein sollte? Es war zu schön um wahr zu sein. Doch die Platte kam wie angekündigt und machte das Comeback der IrInnen im ersten Moment ein bisschen vollkommen. Kein Scherz, keine Finte. Und ziemlich zufriedenstellend war das Ding obendrein. Zwar fiel es mir schon damals irgendwie schwer, das Ergebnis nach so viel Mythos drumherum effektiv mit meinen Erwartungen abzugleichen, doch machten My Bloody Valentine immerhin das, was sie schon in den Achtzigern gut konnten: Fluffigen, fedrigen Shoegaze mit genau der richtigen Menge Psychedelik, um nicht ins Easy Listening abzudriften. In einem meiner ersten Monatsrückblicke wurde M B V zur Platte des Monats gewählt und landete am Ende der Saison sogar unter meinen 30 Lieblingsplatten des Jahres. So weit so gut. Sieht man sich jedoch die Langzeitauswertung der Platte an, bröckelt das stimmige Bild des gelungenen Comebacks doch ziemlich. Denn aus heutiger Sicht steht die LP in der Diskografie der IrInnen doch ziemlich einsam da und wirkt auch musikalisch zunehmend awkward. Dem großen Vermächtnis der Band aus den Achtzigern und Neunzigern fügt es mit zwanzig Jahren Pause jenes verhuschte und unspezifische Anhängsel hinzu, das vielleicht nicht zwingend eine Blamage ist, aber eben auch alles andere als ein Statement. Wofür es für mich ein bisschen den Beginn eines bis heute anhaltenden Trends bezeichnet, bei dem alte Bands ihre eigentlich gut abgeschlossenen Kataloge in den Zwotausendzehnern nochmal um völlig unnötige Nachfolger erweitern, die eigentlich niemand braucht. Beispiele wie Pink Floyd, Soundgarden oder the Pop Group sprechen in dieser Hinsicht für sich. Wobei das witzige daran ist, dass ich M B V insgeheim immer noch besser finde als Loveless und ich in den letzten zehn Jahren einfach ein bisschen gelernt habe, die Ehrfurcht vor My Bloody Valentine zu verlieren. Das hat ein bisschen geholfen, komisch finde ich es aber immer noch.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫⚫⚫ 07/11
 
 
 
 
The National
Trouble Will Find Me
4AD
 
The National - Trouble Will Find Me2013 erschien Trouble Will Find Me als Nachfolger des Fan- und Kritiklieblings High Violet, das the National im Mainstream erst so richtig bekannt machte und für viele – inklusive mir – der Einstieg in ihre Diskografie war. Erwartungsmäßig waren die New Yorker zu dieser Zeit also auf jeden Fall am Höhepunkt ihrer Karriere angekommen. Und obwohl ich die LP ihrerzeit als ziemlich fantastisch befand und in ihr sogar nochmal eine Verbesserung zu High Violet sah, nahm sie in den Folgejahren doch eine andere Rolle ein: Den Anfang jener sehr verhaltenen und drögen Phase von the National, die während der Zwotausendzehner mittelfristig auch für Schnarchorgien wie Sleep Well Beast oder I Am Easy to Find resultierte. Weshalb ich seltsamerweise dachte, Trouble Will Find Me wäre deshalb automatisch auch Mist. Ein erneuter Hördurchgang reichte aber, um mich vom Gegenteil zu überzeugen und das hier wieder als eines der definitiven Highlights des National-Katalogs zu verstehen.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫ 09/11
 
 
 
Oathbreaker - Eros|AnterosOathbreaker
eros | Anteros
Deathwish Inc.
 
 
 
 
 
 
 
 
Daran, dass Eros|Anteros eine Platte sein würde, die ich auch zehn Jahre nach meiner eigentlichen Entdeckung toll finden würde, hatte ich in keinem Moment ernsthafte Zweifel. Bis heute ist sie definitiv die beste Gesamtleistung der Band, ein brachiales und monströses Brett zwischen Black Metal und Hardcore und vor allem gesanglich ein echter Hingucker aus der Feder der BelgierInnen. Was Oathbreaker mit dieser LP aber überdies schafften war, meine persönliche Einstiegsdroge in die mystische und tiefschwarze Welt des Church of Ra-Kollektivs zu sein, durch das ich in den Folgejahren noch die ein oder andere neue Lieblingsband kennenlernte. Ob das nun die Black Metal-Urgewalt Wiegedood ist, mit denen Oathbreaker sich immerhin einige Mitglieder teilen und die zwischen 2015 und 2019 eine der großartigsten Albumtrilogien der letzten 20 Jahre vorlegten oder die Szeneväter Amenra, deren Backkatalog ich erst vor Kurzem wirklich zu entdecken begann. Für mich persönlich war das hier der Andockpunkt. Und wäre Eros|Anteros nicht so eine fantastische Platte gewesen, wäre der Rest vielleicht nie passiert.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫ 09/11
 
 
 
Oiseaux-Tempête - Oiseaux-TempêteOiseaux-Tempête
oiseaux-Tempête
Sub Rosa
 
 
 
 
 
 
 
Das Debüt von Oiseaux-Tempête war eines der Alben, dass im Dezember 2013 noch unglücklich in den Jahresend-Wust hereingeriet und deshalb erst im Frühjahr des nächsten Jahres von mir wirklich die verdiente Aufmerksamkeit bekam. Es reichte aber schon damals, um mich nachhaltig für diese Band zu begeistern und hätte ich mir die Zeit nicht genommen, wäre mir wahrscheinlich eine echte Lieblingsband der kommenden Jahre durch die Lappen gegangen. Und obwohl es nicht das letzte Album der Franzosen bleiben sollte, das ich bis heute sehr schätze, empfinde ich es rückblickend doch immer noch als das beste. Die apokalyptischen Postrock-Flächen der Formation aus Paris haben hier nicht nur die größte Dichte und Tiefe, sie genügen sich selbst auch dort, wo später viel mit Gastauftritten und Zwischensequenzen gearbeitet wurde. Abgesehen davon ist es auch das bis heute actionreichste Gesamtwerk der Oiseaux-Tempête.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫ 09/11
 
 
 
Okta Logue - Tales of Transit CityOkta logue
Tales of transit city
Columbia
 
Das Rerelease ihres Debüts Ballads of A Burden hatte mich im Sommer 2012 nachträglich noch zum Fan von Okta Logue gemacht, die mit ihrer kitschtriefenden Mischung aus Pink Floyd-Retroprog und Indie-Leichtigkeit eine fluffig-hippieske Note in die deutsche Pop-Landschaft brachten und mich damit zutiefst faszinierten. Dass es mit Tales of Transit City direkt in Frühjahr 2013 einen Nachfolger gab, war also nicht nur marketingtechnisch clever, sondern für mich als Neurekrutierten auch mit vielen Erwartungen erfüllt. Wobei Tales of Transit City schon zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung eine Platte war, an der ich Dinge auszusetzen hatte. Von der weitläufigen Dynamik des Vorgängers war hier nicht mehr wirklich viel zu spüren und an den meisten Stellen begnügten sich die Darmstädter trotz kleineren Mätzchen wie den bedrohlichen Achtziger-Synths in Transit oder Streicherparts in Chase the Day mit eher unspektakulären Popsong-Formaten. Über die Zeit habe ich gelernt, ein paar von denen ganz gerne zu mögen, trotzdem haben sich seit 2013 vor allem meine Zweifel über Okta Logue bestätigt. Rückblickend ist Tales of Transit City das letzte Album aus ihrer Feder, das ich als einigermaßen interessant bezeichnen würde und auch meine Wahrnehmung ihrer früheren Sachen ist seitdem zunehmend nüchterner geworden. Viel mehr als persönliche Nostalgie ist hier also nicht übrig und diese letztlich auch der einzige Grund, warum ich nochmal darüber schreiben wollte. Denn eine Zeit lang war diese Band für mich tatsächlich immens wichtig.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫⚫⚫ 07/11
 
 
 
 
Queens of the Stone Age - ...Like ClockworkQueens of the stone Age
...Like Clockwork
Matador
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Als ...Like Clockwork im Mai 2013 erschien, sah ich es wie viele andere erstmal als gelungenes Comeback der Queens of the Stone Age, das quasi nahtlos an ihre einzigartige Erfolgssträhne während der Zwotausender anknüpfte und vieles richtig machte, was diese Band eh schon immer richtig macht. Und in vielerlei Hinsicht empfinde ich zehn Jahre später auch immer noch so. Songs wie My God is the Sun, If I Had A Tail oder Keep Your Eyes Peeled gehören zu den besten Sachen, die die Formation in ihrer gesamten Karriere gemacht hat und der leichte Hang zum schmalzig-melodischen, den man hier erstmals bei ihnen hört, steht dem Gesamtklang gut zu Gesicht. Wenn man allerdings aus einer Perspektive zurückschaut, wo inzwischen etwas beliebige Sachen wie Villains oder das diesjährige In Times New Roman passiert sind, ist ...Like Clockwork irgendwie auch die erste LP, auf der sich die dort existierenden Schwächen zeigen. Einerseits in Tracks wie Kalopsia oder Smooth Sailing, die einfach eine etwas schwächere Version des typischen QOTSA-Songwritings zeigen, aber auch in käsigen Balladen wie the Vampyre of Time and Memory, die Josh Homme von diesem Punkt an öfter schreiben würde. Die Anfänge von der Beliebigkeit dieser Band sind hier also schon spürbar, auch wenn ich es insgesamt trotzdem als ihre letzte ziemlich starke Platte bezeichnen würde.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣08/11
 
 
 
Retox - YPLLRetox
YPLL
Epitaph
 
 
 
 
 
 
 
 
Ziemlich genau 21 Minuten geht das zweite und vorletzte Album von Retox, das ist weiß Gott nicht lang. In diesen 21 Minuten performt die Band aus San Diego allerdings auch eines der tightesten Hardcore-Sets, die ich in den letzten zehn Jahren die Freude hatte zu hören und ist mit jedem Ton voll bei der Sache. Der Sound ist unglaublich klar, sodass jede Nuance der 12 knackigen Zweiminüter (Na gut, zwei Songs gehen ein bisschen länger) heraussticht wie ein rostiger Stachel und die Komposition der Platte ist trotz ihres knappen Umfangs ziemlich experimentell und spannend, vor allem was Gitarrensounds angeht. Am Ende hat YPLL aber trotzdem alle Qualitäten eines klassischen Schreipunk-Albums und ist vor allem anderen laut und grantig. Nur eben mit etwas mehr Nachdruck und besserer Technik als die meisten ihrer Kolleg*innen.

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Run the Jewels - Run the JewelsRun the jewels
Run the Jewels
Fool's Gold

Stand 2023 ist ein Kollektiv wie Run the Jewels aus dem kollektiven Gedächtnis des Zwotausendzehner-Hiphop nicht mehr wegzudenken und ihr Output in Form von vier durchweg ziemlich stabilen Longplayern dürfte zu den wichtigsten Impulsen zählen, die die Szene während dieser Zeit erlebt hat. 2013 war die Existenz des Duos aus El-P und Killer Mike aber erstmal nicht mehr als der verheißungsvolle Zusammenschluss zweier Untergrund-Veteranen, von der man damals auch dachte, sie würde eine einmalige Sache bleiben. Dass dem aber nicht so war und es nur kurze Zeit dauerte, bis die Marke Run the Jewels die Soloarbeiten beider beteiligter MCs komplett überschattete, hat sicherlich auch damit zu tun, was für ein Brett dieses gemeinsame Debüt war. Schon als ich die Platte im Winter 2013 hörte, empfand ich sie als großartigen Einstand, was umso erstaunlicher ist, da ich damals noch nicht viel Rapmusik hörte. Zehn Jahre später hält sie dieses Niveau aber nicht nur, sie ist in meinen Augen sogar noch besser geworden. Gerade mit der Perspektive, hier drei ziemlich tolle Nachfolgeplatten als direkten Vergleich zu haben, ist Teil Eins der Saga noch immer mit Abstand das stärkste Statement der Band und ein absolutes Fest des großartig gemachten Hiphop, das von vorne bis hinten aus Bangern besteht, keinen Fetzen zu viel Fett an sich hat und die Energie dieser beiden Musiker optimal repräsentiert. Was in mir natürlich umso mehr die Frage aufkommen lässt, ob sie so ein Ding irgendwann nochmal hinbekommen.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣i0/11
 
 
 
Ty Segall
Sleeper
Drag City
 
Ty Segall - SleeperSchon 2012 war Ty Segall vor allem durch seine immense Produktivität (er veröffentlichte in jener Saison insgesamt drei Alben) ein Typ, auf den ich zwangsläufig aufmerksam wurde, es brauchte aber erst diese Platte im Herbst des Folgejahres, um mich auch qualitativ endgültig von ihm zu überzeugen. Sleeper ist definitiv eine seiner stilleren LPs, auf der er zum ersten Mal in meiner Wahrnehmung sein Faible für psychedelischen Folk und akustischen Slackerrock vertiefte. Syd Barrett ist dabei sicherlich der offensichtlichste Bezugspunkt, aber an vielen Stellen auch die weniger rockigen Elemente aus dem Frühsiebziger-Katalog von T.Rex und David Bowie. Auf jeden Fall ist Sleeper aber eine Platte, die ich trotz ihrer sehr höhenlastigen Produktion (gerade bei den Gesangspartien) und ihrer instrumentalen Einseitigkeit noch immer gerne höre. Und es auch ein bisschen schade finde, dass Segall diese stilleren Momente später nur noch selten gesucht hat.
 
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫ 09/11
 
 
 
Sigur Rós - KveikurSigur Rós
Kveikur
XL
 
Zu diesem Album gibt es von mir schon eine ausführliche Besprechung, die hier zu finden ist.
 
 
 
 
 
The Strokes - Comedown Machinethe Strokes
Comedown Machine
RCA
  
Es ist schon relativ einfach, das Jahr 2013 und Comedown Machine rückblickend als den künstlerischen Tiefpunkt der Strokes zu sehen, denn vieles wirkte irgendwie komisch rund um dieses Album. Die Band selbst machte gar keinen Hehl mehr daraus, wie wenig Bock sie auf die eigene Musik hatte, eine Tour zum Album wurde von vornherein ausgeschlossen und sehr wahrscheinlich existiert vorliegende LP auch nur deshalb, um die New Yorker aus ihrem alten Vier-Alben-Vertrag mit RCA auszulösen, den sie noch vor Is This It? unterzeichnet hatten. Ein Narrativ, das zusätzlich dadurch angefacht werden kann, wie belebt sie sieben Jahre später auf ihrem Comeback beim eigenen Label waren. Dass Comedown Machine deshalb ein schwaches Album ist, würde ich aber trotzdem nicht sagen. Wie schon sein Vorgänger Angles, der kreativ gesehen ja aus ähnlichen Motiven entstand, ist er ein bisschen synthetischer und poppiger, bringt die Strokes aber gerade dadurch auch voran. Und obwohl in Sachen Songwriting nicht soviel rumkommt wie auf besagtem Vorgänger, ist es doch definitiv kein schlechtes Album. Nicht schlechter zumindest als ein First Impressions of Earth und in meinen Augen sogar ein bisschen stärker als besagtes Comeback 2020
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫⚫⚫ 07/11
 
 
 
 
Sun & Sail Club - Mannequin Sun & sail club
Mannequin
Satin

 
 
 
 
 
 
 
Sun & Sail Club sind nie etwas anderes gewesen als eine Spaßband und wären an sich allein durch den Fakt spannend, dass gleich zwei der drei Mitglieder von ihnen auf den bürgerlichen Namen Scott Reeder hören (einer spielte früher mal bei Kyuss, der andere bei Fu Manchu). Auch spaßig ist, dass sie für ihr erstes Album Mannequin keinen richtigen Sänger fanden, weshalb Gitarrist Bob Balch die Vokalparts der Platte erstmal platzhaltenderweise über einen Vocoder einsang, bis jemand richtiges für den Job gefunden wurde. Rückblickend ein Geniestreich, den glücklicherweise auch das Trio selbst früh genug mitbekam und hier eines der sicherlich weirdesten Projekte der letzten 30 Jahre Stonerrock aufs Band brachten. Wobei der Clou dabei ist, dass die fertige LP am Ende eben nicht nach bloßem Jux klingt, sondern wie eine der coolsten Stonerrock-Platten der letzten 15 Jahre und dabei gleichzeitig künstlerisch durchdacht und unkompliziert rockig. 2015 gab es noch eine zweite LP, da hatten Sun & Sail Club dann aber einen Sänger und waren nicht mehr ansatzweise so originell. Was schade ist, den aus diesem Konzept hätte man durchaus ein echtes Karrierestandbein machen können.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫ 09/11
 
 
 
tyler, the creator
Wolf
Odd Future
 
Tyler, the Creator - Wolf2013 war Wolf primär das Album, das zeigen sollte, ob und wie Tyler, the Creator nach dem berühmt-berüchtigten Goblin von 2011 einen langfristigen Karriereentwurf vorstellen konnte und ich erinnere mich noch, wie sich viele (inklusive mir) auch nach dem Release fragten, ob er das nun tatsächlich geschafft hatte. Schaut man aus der Perspektive von 2023 aus, kann man inzwischen sagen, dass das definitiv der Fall war. Im Vergleich zum doch sehr roughen und psychisch kaputten Vorgänger präsentiert Tyler hier nicht nur eine Reihe ernsthafterer Themen (ohne dabei seine Marke als asozialer Pöbelrapper zu vernachlässigen; das Album beginnt mit dem Wort "fuck"), er bezieht auch erstmals Einflüsse aus R'n'B und Neo-Soul mit ein, die schon recht deutlich den Weg in Richtung seiner heutigen Platten weisen. Dass Wolf dabei ein Übergangsalbum ist, bleibt 2023 ebenso wie 2013 das Fazit, nur ist die Sachlage mit dem heutigen Wissen um einiges interessanter.
 
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫ 09/11
 
 
 
Vampire Weekend - Modern Vampires of the CityVampire Weekend
Modern Vampires of the City
XL
 
 
 
 
 
 
 
 
Fast zehn Jahre lang habe ich auf dieser Plattform stets eisern den Hot Take verteidigt, dass Modern Vampires of the City das erste richtig miese Album von Vampire Weekend ist und sie hier endgültig die geniale Flamboyanz ihrer Frühphase für einen reiferen, aber überwiegend auch lahmeren Sound eintauschen. Wie mit so vielem bei dieser Band musste ich aber auch diese Ansicht nach erneuter Beschäftigung mit dem Material revidieren und jetzt schon ein bisschen zustimmen, dass die Platte so verkehrt gar nicht ist. Klar ist es nicht so gut wie das Debüt und hat auch nicht mehr die fetzige Experimentalität von Contra, im Gegensatz dazu schafft es aber ein konsistentes Songwriting, in dem auch leisere Momente besser funktionieren. Und über das stromlinige Father oft he Bride müssen wir an dieser Stelle gar nicht erst reden. Wobei es am Ende Alben wie diese sind, deretwegen ich diese Posts hier mache. Weil es manchmal eben dauert, bis sich eine Platte im Kontext einer Diskografie wirklich offenbart. Und weil nicht jeder Hot Take ein Hügel sein muss, auf dem man unbedingt sterben will.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣08/11
 
 
 
The World Is a Beautiful Place & I Am No Longer Afraid to Die - Whenever, If Everthe World is A Beautiful Place & I Am No Longer Afraid To Die
Whenever, If Ever
Topshelf
 
Als 2013 die nerdige Welle des Midwest-Emo-Revivals anrollte, war ich zunächst noch nicht wirklich bereit dafür und es brauchte erst einschlägige Releases in den Folgejahren, um mich wirklich auf die Spur dieser Nischenbewegung zu bringen. Mit zehn Jahren Abstand kann ich aber nicht nur feststellen, dass The World is A Beautiful Place & I Am No Longer Afraid to Die mit Abstand die beste Gruppe dieses Movements waren, mit Whenever, If Ever hatten sie auch schon ganz am Anfang den richtigen Riecher. Gemeinsam mit dem 2014 veröffentlichten Between Bodies ist dieses Album für mich nach wie vor der Beweis, dass diese Band musikalisch damals tatsächlich an etwas sehr interessantem dran war und dass die ganze Revival-Schiene letztlich eben doch mehr war als kopistische Götzenanbetung. Im Gegenteil, denn an vielen Stellen machen sie hier auf eine gewisse Weise eine Vorstufe der Musik, für die aktuell Bands wie Black Country, New Road frenetisch abgefeiert werden (und das in meinen Augen sogar besser). Mit einer Reihe von mittelmäßigen bis okayenReleases aus den letzten Jahren können sich TWIABP heute keinen Blumentopf mehr davon kaufen, doch stehe ich zu meiner Aussage von einst, dass die hier wirklich eine besondere Rockband waren.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣⚫⚫ 09/11
 
 
 
Kanye West - YeezusKanye Westz
YEezus
Def Jam
 
2023 über Kanye West schreiben ist lästig. Vor allem dann, wenn man zur Abwechslung mal etwas positives sagen kann (wenn auch nur über eine Platte von ihm, die über zehn Jahre alt ist) und dabei jetzt natürlich den ganzen Mist damit abwägen muss, den dieser Typ seitdem gesagt und getan hat. Zumal ein Album wie Yeezus inhaltlich ja nicht frei ist von den lyrischen Shenanigans, mit denen Kanye West irgendwann diverse rote Linien übertreten sollte und man damals - musikalisch wie, äh...nun ja, ideologisch -  einen gewissen Vibe spüren konnte. Natürlich noch nicht so krass wie auf späteren Werken, doch sollte man hier definitiv den Anfängen währen. Nach My Beautiful Dark Twisted Fantasy von 2010 ist das hier die zweite LP, auf der Kanye als provozierender und bewusst schwieriger Künstler auftritt, der sich in Songs mit Gott vergleicht, seine toxischen Beziehungen in der Öffentlichkeit ausweidet und definitiv der nervigste Gast in jedem Restaurant ist. Und wo das aus damaliger Sicht eine Mischung aus cleverem Kunstgriff, peinlichem Celebrity-Quatsch und freiwillig komischer Überdrehtheit war, ist es aus heutiger Sicht der Anfang einer eher nicht so spaßigen Entwicklung. Wie bei so vielendieser Momente von Kanye geht es aber leider auch auf Yeezus mit einem der besten Produkte einher, die ich von ihm kenne. Sowohl lyrisch als auch musikalisch gehört das hier zu den stärksten Alben seiner gesamten Karriere und vor allem in letzterem Punkt macht es viel richtig. Zwar kritisierte ich damals wiederholt, dass große Teile des Sounds und der Kompositorik hier von den DeathGrips geklaut sind und prinzipiell finde ich das noch immer, doch habe ich damit heute weniger ein Problem und kann Kanyes kreativen Spin darauf mehr genießen. Auch ist Yeezus im direkten Vergleich zu seinen meisten anderen Platten eine, die ziemlich kohärent ist und so gut wie keine langweiligen Deep Cuts oder Füllertracks hat. Obwohl es also vielleicht nicht das erste Album ist, das ich Kanye-Anfänger*innen empfehlen würde, wäre es doch definitiv eine meiner heißeren Tipps. Zumindest dann, wenn man davon ausgeht, dass ich heutzutage noch jemandem ein Kanye West-Album empfehlen würde.
 
🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣🟣08/11
 
 
 
 
 
 
 

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