Donnerstag, 30. Januar 2020

Jetzt nicht mehr

[ klangvoll | verspielt | gewöhnlich ]

In der formelverhafteten und kitschigen Welt des instrumentalen Rock waren Caspian noch nie eine der Gruppen, die sich kreativ gern zurückhielten. Schon seit Beginn ihrer Karriere gehören sie zu denjenigen, die sich ungern im limitierten Bereich eines typischen Band-Setups aufhalten sondern sich klanglich lieber etwas verbiegen. Wo viele Kolleg*innen sich erst im Laufe der Zeit an szeneübliche Grenzgebiete wie Synthesizer, elektronische Beats oder - Gott bewahre - Gesang heranwagten, war das Sextett aus Massachussets schon von Anfang an sehr viel toleranter Unterwegs. Zwar lagen sie kompositorisch nie weit entfernt von Zeitgenossen wie Maybeshewill, Explosions in the Sky oder den Russian Circles, doch scheuten sie sich dabei nie, dieses Konzept klanglich auszudehnen und dadurch auch gerne leichter und poppiger zu klingen. Gerade an ihrem bis heute wahrscheinlich schönsten Album Waking Season von 2012 ist es noch immer schwierig, den Begriff "Postrock" so richtig festzumachen, da Rock hier eigentlich überhaupt kein Thema mehr ist. Ihre offene Ausrichtung bewahrte sie in den Verfallsjahren der Szene auch lange davor, langweilig oder irrelevant zu werden, da ihre Alben zwar stilistisch an bewährten Mustern festhielten, diese aber so kreativ ausarbeiteten, dass man doch immer wieder überrascht war. Mit Dust & Disquiet und Hymn for the Greatest Generation machten Caspian im vergangenen Jahrzehnt nochmal zwei richtig gute Platten und zeigten Durchhaltevermögen, als um sie herum allen die Ideen ausgingen. 2020 sind sie damit für mich in einer spannenden Position, in der sie Musik machen können wie 2008, aber trotzdem nicht uninteressant geworden sind und ich noch immer Bock auf ihr neues Album hatte. On Circles ist das erste der Band seit inzwischen fünf Jahren, was daran liegen könnte, dass ihnen eine Weile der Drummer fehlte und man sich personell ein wenig neu strukturieren musste. Was hier passiert, ist nun also theoretisch ein Comeback, auch wenn es nicht unbedingt so klingt. Denn im Prinzip machen Caspian hier einfach weiterhin das, was sie schon immer sehr gut konnten: Wunderschöne Postrock-Popsongs schreiben. Mit Tracks wie Wildblood, Onsra, Division Blues und Flowers of Light bekommen sie das auch hier wieder ziemlich gut hin und es wirkt fast so, als wäre die lange Pause nach Dust & Disquiet gar nicht passiert. Auf der einen Seite ist das natürlich gut, denn es heißt, dass ihre Stabilität auch mit neuem Lineup und nach umfangreicher Schonzeit nicht zur Debatte steht. Zum anderen ist es aber auch eine Stagnation, die diese Band eigentlich nicht nötig hat. Man sollte meinen, dass nach einer halben Dekade ohne neue Musik der kreative Saft bei Caspian mächtig gestockt hat und man sich klanglich neu orientieren wollte, um diesen wieder in Fluss zu bringen. Und in Ansätzen passiert das hier auch: In zwei Tracks wird gesungen, das Instrumentarium hier ist größer als jemals zuvor und in regelmäßigen Abständen werden Bezüge aus Folk, Synthop und Jazz aufgegriffen. Stellenweise entwickelt die Band hier auch eine Lautstärke und Brutalität, die man von ihnen seit Tertia nicht mehr gehört hat. Mehr als Ansätze sind das aber nicht und gesamtklanglich sprechen wir hier nur von Details, die einem musikalischen Körper angehängt werden, der für Caspian-Verhältnisse fast schon konservativ ist. Vieles hier ist nicht schlechter als früher, nur eben strukturell genau das gleiche und das ist beim dritten Mal leider nicht mehr so spannend wie beim ersten. Außerdem heißt es, dass diese Jungs zwar gute Musik machen, aber daran nicht weiter wachsen, sondern die gleichen Tricks nur noch wiederholen. Sowas wird mich nicht davon abhalten, On Circles trotzdem zu mögen, ich weiß aber ganz genau, dass ein besseres Album hier drin gewesen wäre. Trotz oder gerade nach fünf Jahren Pause und einem neuen Bandmitglied.



Klingt ein bisschen wie
Explosions in the Sky
the Wildnerness

Brontide
Artery

Persönliche Höhepunkte
Wildblood | Flowers of Light | Division Blues | Onsra | Collapser

Nicht mein Fall
 Circles on Circles

Mittwoch, 29. Januar 2020

Der Rest meines Lebens

[ gefällig | gereift | selbstironisch | unpolitisch ]

Als die Antilopen Gang groß wurde, in der Zeit vor Aversion, die man heute als ihre kreative Hochphase bezeichnen könnte, waren sie in meiner Wahrnehmung eine vordergründig politische Band. Sie gehörten in der ersten Generation Zeckenrap zu Acts wie Sookee, Waving the Guns, Neonschwarz und Zugezogen Maskulin, die eine mehr oder weniger neue Nische im deutschsprachigen Hiphop ausdefinierten, die gerade erst anfing, spannend zu werden. In besagter Nische nahmen sie dann zwar sehr schnell die Rolle der ironischen Spaßband ein, die sogar schon zu den Zeiten Hits hatte, in denen Feine Sahne Fischfilet noch AJZs betourten, ihre Haltung war in der Musik jedoch allgegenwärtig. In ihrer Frühphase gab es neben den blödelnden Enkeltricks und Fick die Unis, die die Aufmerksamkeit der Masse erreichten, jede Menge lyrische Pöbelfinger, eindeutige Parolen und Ton Steine Scherben-Punchlines, die klar machten, wo die Band politisch stand. Und weil man das damals mitbekam, weiß man das heute auch noch. So sehr, dass man gar nicht gemerkt hat, wie sehr sich die Antilopen seitdem von diesem Narrativ entfernt haben. Schon ihr zweites Album Anarchie & Alltag von 2017 verkleinerte ideologische Gesten zugunsten einer umfassenderen Nabelschau, in der die drei Rapper sich auf innere Dämonen fokussierten und mit ihrer dritten LP führen sie diesen Trend nun zu einer konsequenten Vollendung. Wäre Abbruch Abbruch die erste Platte, die ich von dieser Band hören würde, ich hätte ein komplett anderes Bild von ihrer künstlerischen Ausrichtung und dem, was sie repräsentieren. Denn politisches Messaging gibt es hier nur noch als unterschwelligen Vibe. Statt diesem beschäftigen die Antilopen sich hier vordergründig wieder mit sich selbst, in diesem Fall insbesondere mit der eigenen Vergangenheit. Mit 2013 wird das Album von einer Art antinostalgischen Retrospektive eröffnet, die in die Zeit vor dem Debüt zurückblickt und vor allem den Tod des einst vierten Bandmitglieds NMZS aka Jakob Wich verarbeitet. Das ist ernster und erwachsener als so ziemlich alles, was ich von den Antilopen bisher gehört habe und geht durchaus an die Substanz. Auch mit Songs wie Bang Bang (einem Titel über das Verlieren der Jungfräulichkeit), Wie wir leben oder dem Lied gegen Kiffer üben die drei sich in Vergangenheitsbewältigung, wobei hier stellenweise aber wieder der gruppentypische Humor durchschimmert. Im Gegensatz zum Vorgänger stößt das hier aber nicht auf, da sie spaßige und weniger spaßige Themen diesmal viel besser ausbalancieren. Und einen völlig albernen Track wie Pizza oder Enkeltrick gibt es auf Abbruch Abbruch erstmals nicht. Man kann also durchweg sagen, dass die Antilopen ingesamt reifer geworden sind. Nicht nur inhaltlich, sondern ganz klar auch musikalisch. Von allen bisherigen Platten der Ruhrpott-Band ist das hier diejenige, die sich am wenigsten scheut, offensiv unrebellisch zu sein. Die Hooks hier sind wesentlich Pop-orientierter und in vielen Momenten scheinen sie sich eine Scheibe bei Danger Dans Feature-Kumpel Sebastian Krumbiegel abgeschnitten zu haben. Zusammen mit den selbstironischen Verweisen an die eigenen Whackness entsteht hier eine Art souveräne Spießigkeit, die man von den letzten Sido-Alben kennt. Zwar ist der Sound dadurch insgesamt runder und spannender als auf ihrem unsäglichen Vorgänger und Andreas Bourani hat hier noch keinen Gastauftritt, doch mit dieser Marschrichtung gehen sie auch schnurstracks den Weg in Richtung Wise Guys des Deutschrap. Es ist erstaunlich, dass sie das hinkriegen und hier gleichzeitig die wohl ernsthafteste und finsterste Platte ihrer Karriere machen. Und so sehr ich die Ästhetik der Antilopen auch komisch finde, ist das was hier passiert doch ein eindeutiger Fortschritt im Vergleich zu Anarchie & Alltag. Hier wirkt vieles etwas gefällig, aber ist wenigstens ehrlich gemeint und geht mir irgendwie nahe. Vielleicht ist es ja auch einfach so, dass die Antilopen Gang am Ende des Tages schon immer diese Band waren und das radikale Image nur eine Phase. Wenn das so wäre ist das gut für sie, allerdings stirbt damit dann auch die letzte Eigenschaft, die diese Jungs für mich wirklich sympathisch machte.



Klingt ein bisschen wie:
Sido
VI

Die Prinzen
Küssen verboten

Persönliche Höhepunkte
2013 | Trenn dich | Wünsch dir nix | Bang Bang | Keine Party

Nicht mein Fall
Roboter | Zentrum des Bösen

Montag, 27. Januar 2020

Von Ewigkeit zu Ewigkeit

[ geduldig | verrucht | atmosphärisch ]

Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, Patchouli Blue wäre nicht die Platte, auf die ich mich in diesem Jungen Jahr bisher am meisten gefreut habe. Spätestens vor zwei Wochen merkte ich das sehr deutlich, als die eigentlich für den zehnten Januar geplante Veröffentlichung um fast einen halben Monat verschoben wurde und ich das erst mitbekam, als ich gerade zum ersten Mal reinhören wollte. Und nachdem es nun inzwischen sechs Jahre keine neue Musik mehr von Bohren & der Club of Gore gegeben hatte, können auch diese 14 Tage schon mal extra weh tun. Seis drum, inzwischen sind die ja auch ausgesessen und die letzten Tage konnte ich mir nun endlich ausgiebig Zeit nehmen, das neue Produkt aus Mülheim an der Ruhr zu studieren. Ich hatte mir bis zum Release die Maßgabe gesetzt, keinen der zuvor erschienenen Teasertracks anzuhören, um das Album in seiner Ganzheit zum ersten Mal zu hören, (was nach der Terminschiebe-Frustration nicht mehr so gut klappte), dennoch gab es eigentlich wenig zu spoilern. Wie die Musik dieser Gruppe klingt, könnte man inzwischen ebenso gut wissen wie dass diese sich in den letzten 20 Jahren nicht wesentlich verändert hat. Bohren spielen düsteren, langsamen und nokturnalen Cool Jazz in Trio-Besetzung, für den irgendjemand sehr cleveres mal den Namen Darkjazz erfunden hat, der ihnen seitdem anhängt und dem sie alle Ehre machen. Federführendes Instrument ist dabei wie immer das rauchige Saxofon von Christoph Clöser, wobei auch Vibraphon, Orgel, Gitarre, Piano und sogar digitale Drones und Drumcomputer zum Einsatz kommen. Das alles vermengt sich bei den Mülheimern traditionell zu einer sehr schwerfälligen, aber auch extrem atmosphärischen Soundkulisse, die nach zwielichtigen Bars, Winternächten in der Großstadt und verlorenen Seelen klingt. Bohren waren darin schon immer unglaublich gut, zuletzt 2014 auf dem ganz besonders ambienten Piano Nights, das eine meiner Lieblingsplatten der vergangenen Dekade ist. Die Gefahr daran, so langfristig und solide seinen Stiefel zu spielen ist natürlich, dass man sich irgendwann zwangsläufig wiederholt und neue Ideen nicht immer Platz haben. Bohren umschiffen dieses Falle bereits seit ihren ersten Platten sehr gekonnt, teilweise durch ein sehr überschaubares Release-Muster, teils durch Kleinigkeiten, die sie an ihrem Sound verändern. Um die unterschiedlichen Charaktere ihrer Alben auszumachen, muss man dennoch sehr genau suchen, denn oberflächlich sind sie bereits seit Anfang der Nullerjahre auf einem sehr geradlinigen Klangkonzept unterwegs. Und meine erste Reaktion auf Patchouli Blue war auch dementsprechend: Es ist halt ein Bohren-Album. Ja gut. Davon gibt es inzwischen ja schon ein paar mehr. Was macht dieses hier nach sechs Jahren so besonders? Und meine Antwort darauf ist bis jetzt eigentlich: Nichts. Die Band ist hier nach wie vor sehr in ihrer Komfortzone, spielt ihr übliches, äußerst träges Kammerflimmern und überzeugt durch geduldiges musikalisches Worldbuilding. Die vielen Details, die das hier speziell machen, findet man erst nach mehrmaligem Hören und mit den entsprechenden Kopfhörern. Da gibt es wunderschöne Vibraphon-Passagen, herrlich flirrende Drones im Hintergrund, ein paar geniale Gitarrenparts und Piano-Einlagen, die hier ein subtiles Knistern einbringen. Dass Bohren in manchen Songs das sonst omnipräsente Saxofon weglassen, wirkt sich ebenfalls positiv auf die Vielseitigkeit der Platte aus. Und wenn man diesen Mikrokosmos einmal erforscht hat, haben Stücke wie Sag mir wie lang, Tief gesunken oder der Titeltrack sogar so etwas wie Wiedererkennungswert. Natürlich muss man das aber auch wollen. Ich kann absolut jede*n verstehen, der*die den Mülheimern auf diesem Album Monotonie und Wiederholung vorwirft, denn das ist hier ein wesentlicher Faktor, der durchaus nerven kann. Und ich würde definitiv sagen, dass Patchouli Blue nicht an ein Sunset Mission oder Mitleid Lady herankommt. Die technisch und kompositorisch cleveren Kniffe, die so viel Wirkung erzeugen, sind notwendige Veränderungen, ohne die diese LP praktisch deckungsgleich mit solchen Platten wäre. Klar wäre es auch falsch zu sagen, dass Bohren hier langweilig klingen, denn ihre Musik ist nach wie vor extrem stimmungsvoll und gut gemacht, nur wird das ganze langsam zur Masche. Und darüber kann auch nicht die Tatsache hinwegtäuschen, dass sie ein halbes Jahrzehnt nichts gemacht haben. Hier spielen sie das übliche Muster nochmal richtig gut, aber die Monotonie kann gerade eine Band wie sie nicht ewig mit Kleinigkeiten abschütteln. Und ich bin gespannt, ob und wie sie das hinkriegen wollen. Also in frühestens fünf Jahren dann.



Klingt ein bisschen wie
Oiseaux-Tempête
Ütopiya?

John Coltrane & Milt Jackson
Bags Meets Wes

Persönliche Höhepunkte
Total Falsch | Patchouli Blue | Deine Kusine | Vergessen & Vorbei | Sollen es doch alle wissen | Tief gesunken | Zwei Herzen aus Gold | Sag mir wie lang | Meine Welt ist schön

Nicht mein Fall
Verwirrung am Strand

Samstag, 25. Januar 2020

Saloppe Katatonie

[ originell | progressiv | folkloristisch ]

Es ist ehrlich gesagt keine einfache Aufgabe, die Musik von Thy Catafalque auf eine Art griffig zu beschreiben, die schnell und simpel erklärt, was einen bei diesem Projekt erwartet. Man könnte es natürlich ausführlich machen und sagen, dass dieses Einmannprojekt eines gewissen Kátai Tamás ein extrem schwammiges Amalgam aus Progrock, New Wave, osteuropäischem Folk, Jazz, Funk, Metal und Synthpop spielt, bei dem auf ungarisch gesungen wird und damit alle noch zusätzlich verwirren. Oder man macht es wie die clevere Person, von der ich einst diese Band empfohlen bekam und sagt einfach den magischen Satz "Glaub mir, sowas hast du noch nie gehört". Denn sollte man nicht tatsächlich durch Zufall schon mal auf die Musik von Thy Catafalque gestoßen sein, ist es sehr gut möglich, dass diese Person damit auch Recht hat. In der ansonsten sehr übersättigten und kreativen Welt der modernen Popmusik ist mir tatsächlich bisher nichts untergekommen, was dem seltsamen Brainchild des Multiinstumentalisten aus Makó (mittlerweile Edinburgh) gleicht. Und obwohl das nicht automatisch heißt, dass ich seine Musik auch gut finde, ist es doch immer wieder unglaublich spannend, neue Platten von ihm zu hören. Wo dabei seine ersten Projekte noch stark im Black- und Progmetal verwurzelt sind, löste sich Tamás 2016 mit Meta langsam davon und stellte mit seiner letzten LP Geometria von 2018 einige Songs vor, die eher in Richtung Synthpop und New Wave abdrifteten und klanglich wesentlich offener waren. Die schiere Vielfalt an neuen Ideen, die dadurch ausgelöst wurde, machte vieles daran stellenweise anstrengend und was dem Projekt eindeutig fehlte, war eine eindeutige kompositorische Richtung, die die vielen Stile irgendwie zusammenzurrte. Eine Sache, die Tamás in der Zwischenzeit anscheinend auch selber gemerkt hat, denn seine neue Platte Naiv bekommt das wesentlich besser in den Griff. Zwar klingen Thy Catafalque hier zum Teil noch wesentlich vielschichtiger als auf dem Vorgänger und können sich in so gut wie keinem Song auf eine klare Ästhetik festlegen, doch schaffen sie es diesmal dafür, dass ganze mehr nach einem ganzheitlichen Plan klingen zu lassen. Was jetzt nach einem Widerspruch klingt, ist in Wirklichkeit ein cleverer kompositorischer Trick. Dadurch, dass viele Stücke hier etwas länger brauchen als zuletzt und häufig über zwei oder drei sehr locker ineinander übergehende Hauptmotive verfügen, verschachtelt sich alles wesentlich besser. Wenn man das Album durchhört, hört man zumeist keine Songs, sondern eine Art sinfonisches Gesamtwerk, das immer wieder in neue Extreme springt. Da gibt es paganeske A Capella-Passagen, urtümliches Black Metal-Riffing, gniedelige Bass-Pluckerei wie bei Les Claypool, außerirdische Synth-Passagen, epische Neo-Prog-Hooks und im Closer Szélvész sogar eine Reggae-Break. Ein erwähnenswerter Fun Fact ist außerdem die Tatsache, dass ein Drumbeat im Mittelteil von Kék Madár (Négy Kép) sehr nach They Don't Care About Us von Michael Jackson klingt. Naiv ist ein Album voller Details, bei dem in jedem Moment ziemlich viele Dinge passieren, im Gegensatz zum Vorgänger schafft es die Band hier aber auch, das alles auf Linie zu bringen und erzeugt damit einen wesentlich besseren Gesamtklang als zuletzt. Abgesehen davon braucht es eigentlich nicht mehr für ein gutes Thy Catafalque-Album. Klanglich haut alles soweit hin, performativ sind die Ungarn sogar manchmal etwas übereifrig und dass sie nicht kreativ genug wären, kann man ihnen nun weiß Gott nicht vorwerfen. Die "bescheidenen" acht Punkte stehen hier am Ende lediglich drunter, weil das hier in manchen Momenten eben nerdige Prog-Scheiße ist, die nicht ganz so meiner persönlichen Preferenz entspricht, technisch gesehen ist das aber kein Nachteil. Bedeutet: Das was ich hier nicht mag ist persönlicher Geschmack und ich könnte es sehr gut nachvollziehen, dass jemand mit einem anderen Geschmack hier vielleicht das Album des Jahres findet. Meine Empfehlung für diese Platte gilt also trotz allem ganz ausdrücklich, und das schon allein aufgrund der Tatsache, dass ich euch garantiere, dass ihr sowas wie das hier noch nie gehört habt.



Klingt ein bisschen wie
Myrkur
M
Dark Suns
Orange

Persönliche Höhepunkte
Embersólyom (Kaláka) | A Valóság Kazamatái | Kék Madár (Négy Kép) | Napút | Vető

Nicht mein Fall
Szélvész

Freitag, 24. Januar 2020

Sag niemals Nie

[ synthetisch | euphorisch | spaßig ]

Of Montreal gehören in meiner gesamten Tätigkeit auf diesem Format sicherlich zu den wichtigsten Bands, von denen ich bisher immer Abstand gehalten habe. Als eines der prägendsten Mitglieder des Elephant 6-Kollektivs (zu dem unter anderen auch Neutral Milk Hotel und the Olivia Tremor Control gehörten) und eines der produktivsten Indiepop-Projekte der Zwotausender haben sie sich in über 20 Jahren einen Namen als Institution der Generation Pitchfork gemacht und mehr als einen viralen Klassiker veröffentlicht. Mit inzwischen 13 Alben und diversen EPs in ihrem Release-Katalog sind sie Output-technisch jedoch auch ein ganz schönes Häppchen und wenn man sich die Palette an Stilen ansieht, die sich darauf beackern, bekommt man nicht nur jede Menge Respekt, sondern auch wenig Lust, sich damit auseinanderzusetzen. Weshalb ich bisher genau davor auch immer zurückgeschreckt habe und mich galant aus der Äffare zog. Was bis jetzt vor allem auch dadaurch vereinfacht wurde, dass ich keine der Platten, die sie seit 2013 veröffentlicht hatten, so wirklich mochte. Somit konnte ich sagen, dass ich Of Montreal doof fand und auch die rückwärtige Erforschung ihrer Diskografie sparen. Es war simpel und schön so und ich wollte eigentlich auch nicht, dass sich das ändert. Aber früher oder später kommt es ja bekanntlich immer anders, womit wir uns wieder im Hier und Jetzt befinden. Dem Zeitpunkt, an dem ich zum ersten Mal ein Album der Band aus Georgia gut finde. Und das führt mich natürlich zu einem Problem, denn ohne jegliches Vorwissen ist es nicht einfach, einen Post über das vierzehnte Album einer jahrzehntelang etablierten Gruppe zu schreiben. Dinge die ich hier nicht tun kann beinhalten also die stilistische Einordnung von Ur Fun in den kontextuellen Rahmen der Of Montreal-Diskografie, Vergleiche zu alten Platten und die Einschätzung, was Fans zu dieser LP sagen werden. Was ich aber tun kann, ist euch zu sagen, warum ich das hier plötzlich besser finde als die Sachen, die unmittelbar vorher kamen. Und da ist vor allem ihr letztes Album von einiger Wichtigkeit. White is Relic/Irrealis Mood von 2018 war ein Projekt, in dem die Band ihren Sound verstärkt auf synthetische Instrumente konzentrierte und damit einen kleinen Stilbruch einleitete. Die Tracks auf dieser Platte waren sehr retrofuturistisch im Stil der Achtziger angesiedelt und fast gänzlich digital komponiert, was vor allem im Songwriting Schwächen aufzeigte und auch die sonst sehr bunte Ästhetik von Of Montreal etwas dämpfte. Ur Fun ist zweieinhalb Jahre später nun die Platte, die dieses klangliche fortführt, die beiden Kernprobleme seines Vorgängers aber lösen kann. Kurzum: Das hier ist das letzte Album, nur in besser. Von den zehn Songs hier gibt es nicht einen, der nicht sofort ins Ohr geht und dadurch, dass hier auch wieder ein breiteres Instrumentarium aufgestellt wird, gewinnt die Band wieder an Vielseitigkeit. Und in meinen Augen tut sie das sogar mehr als auf allen Platten, die ich von ihnen bisher gehört habe. Zwar waren Of Montreal schon immer eine Gruppe mit großer Freak-Energie, doch dreht diese hier mehr oder weniger völlig frei. Die musikalischen Anstoßpunkte hier gehen von Ty Segall und Julian Casablancas über Roxy Music und the Sweet bishin zu Umberto Tozzi oder Hansi Hinterseer, und was Hauptsongwriter Kevin Barnes hier lyrisch aus dem Hut zaubert, sind zum Teil einfach kleine Wunderwerke ("If you're dead inside, you don't really age"). Und obwohl jeder Song seine Hyperaktivität irgendwie anders abreagiert und völlig unterschiedlich klingt, fügt sich alles durch den Fokus auf synthetische Musik doch sehr zusammen. Wenn man unbedingt will, spinnt sich aus den meisten Tracks auch eine Art erzählerisches Motiv über Schönheit im Angesicht der Apokalypse oder so, das ebenfalls ziemlich cool ist. Konzeptuelle Verstrickungen und ulkige Sounds gab es bei dieser Band aber schon immer, was ich hingegen das erste Mal erlebe ist, dass es mir unglaublichen Spaß macht, dem zuzuhören. Und wenn man wie ich ohne jeden Kontext hier einsteigt, ist das letztendlich auch das entscheidende. Ich mag Of Montreal hier nicht, weil sie cleverer oder klanglich ausgefuchster sind als vorher, sondern weil sie Hits schreiben, die mich fesseln und die ich fühlen kann. Das ist der simple und doch frustrierend komplizierte Grund, warum ich das hier plötzlich geil finde. Und vielleicht auch der, warum ich mir irgendwann doch noch mal ihre alten Sachen anhöre.



Klingt ein bisschen wie
the Voidz
Virtue

the Sweet
Sweet Fanny Adams

Persönliche Höhepunkte
Peace to All Freaks | Gypsy That Remains | You've Had Me Everywhere | Carmillas of Love | Don't Let | St. Sebastian | Deliberare Self-Harm Ha Ha | 20th Century Schizofriendic Revengoid-Man

Nicht mein Fall
-

Donnerstag, 23. Januar 2020

Kommen Sie ruhig näher

[ persönlich | therapeuthisch | distanzlos ]

Bereits seitdem Halsey in der öffentlichen Pop-Diskussion ein Thema wurde, hat sie ständig versucht, spannender zu sein, als sie eigentlich ist. Ihr Durchbruchsalbum Badlands von 2015 bekam von vielen Leuten außerhalb der Laufkundschaft vor allem deshalb Aufmerksamkeit, weil es den reichlich schwammigen Begriff "New Americana" für sich beanspruchte (obwohl darauf im wesentlichen billiger Radiopop zu hören war), und als das nicht funktionierte, probierte die Sängerin zwei Jahre später, für mehr oder weniger die gleiche Musikrichtung den Anspruch einer Indie-Edge zu proklamieren. Das alles lief zugegeben ein bisschen unglücklich, weil sie als stinknormales Pop-Sternchen eigentlich gar nicht mal sooo furchtbar klang und ihre Unbeliebtheit in meinen Augen eher daher rührte, dass sie unbedingt etwas anderes sein wollte, als sie war. Beziehungsweise, weil sie eben trotz großer Begriffsansprüche nicht die Ambitionen besaß, tatsächlich die Komortzone des Streamingfreundlichen Schalala zu verlassen. Und dass letzteres noch passiert, damit hätte ich ehrlich gesagt nicht gerechnet. Halsey war in ihrer bisherigen Art und Weise einfach nicht die Art Künstlerin, die es schafft, musikalisch so aus der Haut zu fahren wie eine Kesha oder eine Beyoncé in den letzten Jahren und die am Ende lieber ihre Spotify-Kohle einfährt, als kreative Risiken einzugehen. Womit ich, wie wir hier sehen, ziemlich falsch lag. Denn was die Sängerin mit diesem dritten Album anstellt, ist im wesentlichen genau das, was sie uns bereits seit ihrem Debüt zu verkaufen versucht. Manic ist in seiner Struktur zwar nach wie vor ein Pop-Album, doch ist es eines von denen, die inhaltlich wirklich Tiefgang haben und durch einen kommerziellen Sound nicht die künstlerischen Absichten ihrer Schöpferin kaschieren. In vielerlei Hinsicht kennt man diese Art und Weise schon von ihren Kolleg*innen: Platten wie Thank U, Next von Ariana Grande, Melodrama von Lorde oder Rainbow von Kesha zeigten in den letzten Jahren viele Übergänge von Mainstream-Protagonistinnen in persönlichere und komplexere Territorien, die nicht selten auch schmerzhaft waren und musikalisch neue Türen aufschoben. Manic ist in diesem Sinne ein ziemlich ähnliches Projekt, in dem Halsey ihre persönlichen Dämonen konfrontiert, sich inhaltlich öffnet und dabei auch in Kauf nimmt, keine Hits zu schreiben. Im Prinzip folgt sie damit zwar immer noch einem gewissen Trend, allerdings scheint das hier nicht die wesentliche Motivation zu sein, sondern der Anspruch, ein intimeres und in gewisser Weise sogar therapeuthisches Album zu schreiben. Und im großen und ganzen hat sie damit hier auch Erfolg. Viele Songs fühlen sich an wie seelische Entschlackung und die Befreiung von bösen Geistern, die schon lange überfällig waren. So ist You Should Be Sad eine gepfefferte Ansage an einen ungesunden Exfreund, Still Learning handelt von der Schwierigkeit der Selbstliebe, 3AM von inneren Hilferufen und Finally // Beautiful Stranger ist ein vorsichtig-intensiver Lovesong über das Neuerlernen von Vertrauen. Bei alldem hat man nicht selten das Gefühl, Halsey wirklich ungefiltert zu hören, was an manchen Stellen sogar ein bisschen zu viel Information ist, aber auch immer wirklich stark. Es ist ein völliger Gegensatz zu ihren bisherigen Platten, auf denen sie wirkte wie ein charakterloser Bot, den Streamingdienste entwickelt hatten, um Features für Chainsmokers-Platten zu generieren. Auf Manic entwickelt sie nicht nur plötzlich Charakter, sondern auch eine Art Distanzlosigkeit, die ich ihr im Leben nicht zugetraut hatte. Was außerdem erstaunlich ist, weil sie hier plötzlich richtig gute Songs schreibt. Vor allem die Texte sind von einer Emotionalität und Tiefe, die ich bei ihr noch nie zuvor gehört habe und zeigen sie als immens talentierte Songwriterin. Die Tatsache, dass die Platte auch musikalisch diese Bewegung mitmacht und mehr auf eine narrative Komposition setzt, macht das noch besser und geht in manchen Titeln tatsächlich in Richtung Americana und Country. Und dass es mit 3AM oder Without Me trotzdem noch veritable Hits gibt, ist ein schöner Nebeneffekt. Vor allem schätze ich aber, dass sich Manic anfühlt wie eine Platte von Halsey, und nicht von einem Produktionsteam (obwohl es das bestimmt trotzdem gab). Die Sängerin nimmt mit ihrer Persönlichkeit und ihrem Talent hier endlich den Platz ein, den sie schon lange hätte haben können und ist der eindeutige Souverän auf diesem Album. Weshalb auch alles, was davon abgeht, irgendwie komisch wirkt. So gibt es zum Beispiel einige Skits, in denen Sprachsamples abgespielt werden, die absolut nichts zum Gesamtkontext beitragen und auch die wenigen Features fühlen sich auf der Platte irgendwie deplatziert an. Solche Dinge nehmen den Fokus von der Protagonistin der Songs weg und reißen mich mitunter ziemlich unwirsch aus der Ästhetik des ganzen. Letztendlich sind das aber nur oberflächliche Kratzer in einem sonst sehr kohärenten Erlebnis, das Halsey hier bietet und das mich ganz klar positiv überrascht hat. Von allen Künstler*innen, von denen ich so ein Album für möglich gehalten hätte, war sie garantiert eine der unwahrscheinlichsten und doch macht sie nicht nur ein gutes, sondern eines der besten Projekte dieser Art und Weise in den letzten Jahren. Und vor allem eines, mit dem sie gezeigt hat, dass sie eben doch mehr sein kann als ein Popstar.



Klingt ein bisschen wie
Lorde
Melodrama

Kacey Musgraves
Golden Hour

Persönliche Highlights
Ashley | Graveyard | Forever... (Is A Long Time) | Dominic's Interlude | 3AM | Without Me | Finally // Beautiful Stranger | Still Learning | 929

Nicht mein Fall
Alanis' Interlude | Suga's Interlude

Mittwoch, 22. Januar 2020

Trial & Error

[ jugendlich | elektronisch | vielseitig ]

Als Alex Crossan aka Mura Masa vor circa viereinhelb Jahren das erste Mal in die Debatte über die großen Electronica-Künstler*innen der näheren Zukunft aufgenommen wurde, war ziemlich klar, dass man das auch durchaus in kommerzieller Hinsicht meinte. Der junge Brite schrieb direkt mit seinen ersten Gehversuchen veritable Hits, brauchte nur eine sehr kurze Inkubationszeit auf den Tanzflächen seiner Heimat und holte sich für seine erste große Single nach dem lukrativen Polydor-Deal (mit gerade Mal 17 Jahren!) eben mal A$ap Rocky auf die Gästeliste. Dass er mal einer der ganz großen werden könnte, war also absolut im Bereich des möglichen und auf seinem Debüt von 2017 reihte sich folglich ziemlich viel internationale Prominenz ein, um mit ihm zusammen zu arbeiten. Wobei Crossan auch hier zeigte, dass er tatsächlich das Talent hatte, die immensen Erwartungen zu erfüllen und den ganzen Hype zu rechtfertigen. Allerdings wurde damals ebenfalls schnell klar, dass er keinen Bock hatte, die neuen Disclosure zu werden. Denn obwohl er sich seine Kollaborationspartner*innen nach belieben aussuchen konnte und damit locker im Radio hätte landen können, setzte er schon auf seinem Debüt eher darauf Spannung zu erzeugen als Clout. Ein Star wollte Mura Masa also definitiv nicht werden, und wer auf dem Debüt daran noch zweifelte, den sollte spätestens R.Y.C. davon überzeugen. Denn so ziemlich alles, was er hier tut, spricht für das komplette Gegenteil. Zunächst mal ist da die Tatsache, dass diese LP sein erstes richtiges Projekt seit besagtem Debüt ist, womit er das Zeitfenster der viralen Relevanzverteidigung um mindestens zwei Jahre verpennt hat. Und dann ist das, was er auf diesem Album macht, auch nicht unbedingt ein Versuch, mit einem möglichst großen Knall zurückzukehren. Tatsächlich fühlt sich vieles an diesen elf Songs nicht mal an, als hätte er hier einen vollwertigen neuen Longplayer machen wollen, sondern eher etwas lockeres für Zwischendurch. In vielerlei Hinsicht hat R.Y.C. den Charakter eines Mixtapes, ähnlich dem von Flume im letzten Jahr, auf dem der Brite ein paar überlagerte Songs veröffentlicht, mit neuen Strukturen spielt und experimentelle Ideen ausprobiert, die auf ein richtiges Album nicht passen würden. Und in gewisser Weise ist das natrürlich erstmal enttäuschend. Nach drei Jahren ohne neues Material wäre ein etwas ausgeschmückteres Gesamtwerk im Stil des Debüts schon cool gewesen. Andererseits bietet R.Y.C. durch seinen lockeren Charakter auch Eindrücke, die so eine Platte eben nicht hätte. So zeigt sich Mura Masa hier bisweilen als sehr experimentierfreudiger Künstler, der eine umfassende Palette an Stilen anbietet. Da gibt die klassische Quotenhitnummer Live Like We're Dancing mit Georgia, den Funk-orientierten UK-Rap-Jam Deal Wiv It, dessen Slowthai-Feature an the Streets erinnert oder No Hope Generation, das sogar fast als Emorock-Titel durchgeht. Wobei wir da noch von den gefälligeren Stücken reden. Ein ganzes Stück spannender wird es nochmal, wenn Mura Masa die gängigen Songstrukturen verlässt und in Tracks wie Nocturne for Strings and A Conversation oder A Meeting at an Oak Tree in ambiente Gitarrenakustik oder Spoken Word-Texte übergeht. Erstaunlich ist ebenfalls, welch großen Fokus der Brite diesmal auf Gitarrenmotive legt und das hier teilweise fast zu einem Indierock-Projekt macht. Und auch wenn die Basis des Songwriting noch immer elektronische Versatzstücke bilden, ein reines Electronica-Projekt ist R.Y.C. definitiv nicht. Viel eher probiert Crossan in jedem Song neue Dinge aus, hakenschlägt sich von Genre zu Genre und riskiert dabei durchaus mal, seinen eigenen klanglichen Charakter aufzugeben. Und prinzipiell ist diese Kreativität auch geil, nur leidet der Gesamteindruck hin und wieder darunter. Zum einen, weil diese Art von stilistischer Ungebundenheit das Gesamtwerk wie einen Flickenteppich wirken lässt, der nicht als ganzes geplant wurde, sondern lediglich ein Medium ist, um den großen Haufen neuer Ideen zu veröffentlichen. Zum anderen, weil die Qualität am Ende doch ziemlich durchwachsen ist. Es gibt hier großartige Hits wie Deal Wiv It oder Live Like We're Dancing, einige Tracks sind aber auch klassische B-Ware, die zu den schlechteren Momenten von Mura Masa gehört. Alles in allem kommt hierbei zwar doch noch ein ziemlich überzeugendes Resteverwertungs-Album raus, das ich vor allem für seine Kreativität bewundere, als Nachfolger des Debüts akzeptiere ich das hier aber noch nicht wirklich. Es wird bis zur nächsten größeren Veröffentlichung wahrscheinlich noch dauern und Alex Crossan scheint nicht der Typ zu sein, der auf durchgestylte LP-Projekte steht, aber ein bisschen mehr als das hier kann man denke ich schon erwarten. Am Talent des Briten scheitert es auf jeden Fall nicht.



Klingt ein bisschen wie
Metronomy
Metronomy Forever

Flume
Hi, This is Flume

Persönliche Highlights
Raw Youth Collage | A Meeting at an Oak Tree | Deal Wiv It | Today | Live Like We're Dancing | Nocturne for Strings and A Conversation

Nicht mein Fall
No Hope Generation

Montag, 20. Januar 2020

Das Grauen, das Grauen

[ aggressiv | technisch | umfangreich ]

Ich würde nicht sagen, dass ich jemals ein großer Fan von Eminem war oder irgendwann mal besondere Vorfreunde auf eines seiner Releases verspürte, doch seit einigen Jahren muss ich leider sagen, dass ich sogar so etwas wie das Gegenteil empfinde, wenn eine neue LP von ihm erscheint. Ein Album von Slim Shady bedeutet 2020 nämlich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit, dass es anstrengend wird. Sein kompletter Output in der letzten Dekade waren enervierende, mehr als einstündige Großprojekte, auf denen man sich einen verbitterten bösen Mann anhören konnte, der mit einer unfassbar nervtötenden Art zu performen auf schlechten Beats über irgendwelche Sachen schimpfte. Wenn es gut lief, hatte er dabei eine inhaltliche Agenda und äußerte nur kontroverse Meinungen, die niemand hören wollte, wenn es schlecht lief, versuchte er damit auch noch, Radiohits zu schreiben. So oder so war es aber schon lange eher aufwändige Pflichtarbeit, sich Eminem-Platten anzuhören als Neugier oder Spannung. Und mit seinem neuesten Coup Music to Be Murdered By verhielt sich das ganz ähnlich. Als die LP vor einigen Tagen ohne Vorankündigung im Netz veröffentlicht wurde, war meine erste Reaktion ehrlich gesagt die Frage, ob das jetzt wirklich sein muss. Erst 2017 hatte Slim Shady mit Revival sein letztes äußerst mittelmäßiges Riesenprojekt auf uns losgelassen, das er dann zu allem Überfluss auch noch mit dem (zugegeben etwas besseren) Mixtape Kamikaze nur wenige Monate später fortsetzte. Zwar fand ich die beiden Platten nicht ganz so furchtbar wie anscheinend der Rest der Welt, dennoch waren sie meistens nur technisch gut, mieften reaktionär nach Midlife-Crisis und waren viel zu viel Material in zu kurzer Zeit. Noch so einem 65-Minuten-Brocken gegenüber unvorbelastet aufgeschlossen zu sein, fiel da immens schwer. Aber ich versuchte, der Sache etwas positives abzugewinnen und war dabei sogar überraschend erfolgreich, denn mit der Leadsingle Darkness lieferte Eminem Raum zur Spekulation. Der Track ist eine Art fiktiver innerer Monolog des Todesschützen von Las Vegas 2017, in dem es um innere Dämonen, Alkohol und Hass geht und der zwar an sich auch ziemlich kitschig ist, aber in eine interessante Richtung deutete. Wenn Shady hier solche Themen behandelte und das Album den Titel Music to Be Murdered By trägt, könnte sich hier eine Rückkehr zu den Horrorcore-Wurzeln des Rappers andeuten, was auf jeden Fall eine spannende Wendung wäre. Und ein bisschen hatte ich mit dieser Vermutung schließlich auch Recht, wobei der Weg dahin etwas holprig ist. Denn zunächst klingt die Platte eher so, als würde Eminem hier sein Narrativ der letzten beiden Projekte weiterführen. Direkt in der ersten Zeile des Intros Premonition springt er wieder auf seine bisherige Tour auf, sich heulsusig über den negativen Backlash von Kamikaze aufzuregen und hört damit auch erstmal nicht auf. So gut wie alles in den drei eröffnenden Songs zeigt Eminem als cholerischen schlechten Verlierer, der es jetzt definitiv allen beweisen wird und zwecks dessen trotzig komplexe Doubletime-Parts rappt. An diesem Punkt war ich beim ersten hören schon wieder komplett bedient, die gute Nachricht ist aber, dass damit der schlimmste Teil dieser LP vorbei ist und Shady danach wirklich ein paar Horrorcore-Songs aufgenommen hat. Der Übergang dahin ist mit dem forcierten Alfred Hitchcock-Interlude zwar etwas awkward und es hilft der Glaubwürdigkeit auch nicht gerade, dass der erste Track des grausamen Mord- und Totschlag-Parts mit einer Hook von Ed Sheeran beginnt, aber hey, wenigstens kommen ab jetzt die Inhalte. Und hier schafft es Eminem dann doch, mich positiv zu überraschen. Denn statt in seinen Songs in die üblichen Horror-Klischerollen zu schlüpfen, subversiert der Rapper das ganze ein bisschen und liefert Täterperspektiven, die wesentlich weniger überzogen und eher menschlich sind. Die des Terroristen in Darkness ist eine davon, doch wesentlich häufiger findet er hier die des "stinknormalen" geschiedenen Mittvierzigers, der betrunken Frauen im Stripclub belästigt und in Internetforen über den Verlust der Männlichkeit in unserer Gesellschaft schreibt. Tote gibt es dabei nicht immer, viel eher geht es um die verdorbenen Innenleben der Protagonisten und den sehr alltäglichen Horror, den sie verbreiten. Das ist teilweise viel härterer Tobak als irgendwelche blutrünstigen Splattergeschichten und zeigt außerdem, dass Eminem nach wie vor lyrisch relevant sein kann. Die Bereiche des privaten Grauens hat der Musiker inzwischen schon Jahre beackert, aber nie machte er damit so sehr ein Statement wie hier. Und würde MTBMB nur aus Stücken wie diesen bestehen, wäre es das beste Shady-Album seit mindestens einem Jahrzehnt. Das Problem ist nur, dass das nicht der Fall ist. Um die übertriebene Spielzeit von 65 Minuten auf dieser LP zu füllen, versammelt er hier zusätzlich einen riesengroßen Haufen überflüssiges Füllmaterial, das die Tracklist andicken soll, aber in Wirklichkeit eher verwässert. Songs wie Yah Yah, Marsh und No Regrets sind einfach nur unnötig und noch dazu vollgepackt mit ziemlich charakterlosen Features. Die Gästeliste dieses Albums mit Leuten wie Skylar Grey oder Royce da 5' 9' liest sich, als hätte Eminem ein paar der Leute seit 2009 im Keller eingesperrt und dass Anderson .Paak und JuiceWRLD hier dabei sind, tut ihnen echt nicht gut. Und über Instrumentals haben wir an diesem Punkt ja noch gar nicht gesprochen. Denn die sind hier, wie auf jedem der letzten Shady-Projekte, nicht weniger als eine Katastrophe. Wo man vor zehn Jahren noch den Vorwurf gebrauchen konnte, seine Beats würden sich an die billigsten Mainstream-Trends ranschmeißen, muss man 2020 feststellen, dass diese sich klanglich kaum verändert haben und immer noch Ende der Zwotausender hängen geblieben sind. Klar gibt es hier und da mal ein paar Alibi-Trap-Beats und strategisch platzierte Features, aber auch die können nicht darüber hinwegtäuschen, dass MTBMB durchweg furchtbar oll klingt. Und das ist hier wie bei allen neueren Alben von Eminem das absolut größte Problem. Setzt man die extrem niedrigen Standards an, die man von den Vorgängern dieser LP gewohnt ist, ist das hier vielleicht kein ganz so schlechtes Album mit wenigstens ein paar inhaltlichen Spitzen. Ganz objektiv ist es trotzdem noch ein furchtbar dröges, nerviges und viel zu langes Monster von Rap-LP, das zwei Jahre nach Revival kein Mensch mehr braucht. Und ich kann Eminem deshalb nur anflehen, sich mit seinem nächsten Projekt ein paar Jahre mehr zu lassen. Denn besser wird es mit ihm in absehbarer Zeit bestimmt nicht mehr, aber jede Saison halte ich so ein Ding langsam nicht mehr aus.



Klingt ein bisschen wie:
Tech N9ne
Something Else

Grim104
Das Grauen, das Grauen

Persönliche Highlights:
Those Kinda Nights | In to Deep | Little Engine | Farewell

Nicht mein Fall:
Premonition (Intro) | Unacommodating | Alfred (Interlude) | Darkness | Yah Yah | Marsh | No Regrets

Sonntag, 19. Januar 2020

Wir waren nie Stars

[ eloquent | oldschool | verspielt ]

Die Comeback-Projekte von Dendemann, den Beginnern und Fünf Sterne Deluxe haben in den letzten Jahren den Trend schon deutlich abgezeichnet: Wenn man mit seinem alten Boombap-Rucksack-Projekt aus den Neunzigern nochmal richtig absahnen will, dann macht man das am besten jetzt. Die Nostalgie-Welle für Deutschrap aus dem "Golden Age" hält auch 2020 nach wie vor an, die Hiphop-Presse rollt ehrerbieterisch den roten Teppich für jeden verlorenen Sohn aus und durchgehaltene Acts wie Megaloh, Max Herre, Blumentopf, Afrob und Samy Deluxe (vor allem Samy Deluxe) profitieren gerade mächtig von den endlich wieder steigenden Bilanzen. Die Leute, die vor 25 Jahren Bong rauchend mit Baggies auf Parkplätzen chillten, bilden heute als werdende Sparkassenvorstände die kaufkräftige Kernkundschaft dieser Projekte und sind im Zweifelsfall die, die auch mal auf die physische Kopie zurückgreifen, statt zu streamen. Doch ist Deutschrap-Comeback dabei nicht gleich Deutschrap-Comeback. Was bei Dendemann, Trettmann und Max Herre den Nimbus von altehrwürdigen Veteranen hat, die mit Erfahrung zurückkehren und künstlerisch echt noch was beitragen können, miefte es bei Samy oder Fünf Sterne Deluxe eher nach der Motivation, nochmal ein paar Groschen aufzusammeln, solange die Nachfrage noch da ist. Und dann gibt es noch Gruppen wie Kinderzimmer Productions, wo man sich fragt, ob es hier überhaupt einen relevanten Nostalgie-Faktor gibt. Das Duo aus Ulm, bestehend aus den MCs Quasi Modo und Textor war von 1994 bis 2007 aktiv und brachte insgesamt sechs Longplayer auf den Markt. In dieser Zeit waren sie mit ihrem straighten Boombap-Sound und den eloquent-verschwurbelten Texten zwar Teil der klassischen Bewegung, doch waren damit selbst Nischen-Acts wie Eins Zwo oder Icke & Er bekannter geworden als sie. Für ihr neuerliches Comeback hat das sowohl Vorteile als auch Nachteile: Ein Minuspunkt ist, dass Todesverachtung To Go definitiv nicht die Aufmerksamkeit und vor allem nicht den Reibach einfahren wird, den ein Advanced Chemistry oder SamTV Unplugged abbekommt. Ein paar Fans von früher freuen sich sicherlich und vielleicht könnte eine ganz lukrative Tour dabei rausspringen, doch den großen Hype werden sie hier ganz bestimmt nicht generieren. Doch eben daraus entspringt auch der große Vorteil für dieses Album: Kinderzimmer Productions sind an relativ wenige Erwartungen gebunden und können ihr Projekt wesentlich lockerer angehen. Todesverachtung To Go ist somit tatsächlich das Ergebnis zweier alter Kumpels, die sich nach 12 Jahren mal wieder zum gemeinsamen jammen treffen. Und dieser Aspekt macht am Ende auch einen großen Teil der Qualität dieser Platte aus. Quasi und Textor klingen hier immer noch wie vor einem Vierteljahrhundert, ihre Performance ist die selbe trockene und wortgewandte Boombap-Klassik wie schon immer und man hat dadurch tatsächlich das Gefühl, dass sich seit 2007 nichts verändert hätte. Auch die Tatsache, dass in keiner Silbe auf diesem Album der Umstand des Comebacks erwähnt wird, sondern die beiden einfach fröhlich drauf los wortakrobatieren, nimmt viel unnötigen Überbau raus und macht stattdessen Platz für die noch immer sehr guten Songs des Kollektivs. Und natürlich sind Tracks wie Bäng, Es kommt in Wellen und Boogie Down dann nicht zeitgemäß und klingen etwas fantavieresk, aber man merkt dafür, was für einen Spaß Kinderzimmer Productions damit noch immer haben. Sowas kann und will ich ihnen einfach nicht übel nehmen. Das beste hieran ist ja gerade, dass sie durch die Art und Weise, wie sie einfach keinen Fick geben, selbst unfickbar werden. Todesverachtung To Go versucht weder, dem Konzept der beiden etwas völlig neues zu entlocken, noch den Nostalgie-Faktor künstlich zu erzwingen. Und klar wäre es ambitionierter, hier etwas neues zu probieren und sich künstlerisch weiterzuentwickeln, aber wenn der Hype eh nicht da ist, kann man auch einfach wie früher einfach nett Musik zusammen machen. Ich finde das sehr verteidigenswert. Kinderzimmer Productions schaffen damit zwar nicht unbedingt das beste Deutschrap-Comeback der letzten Jahre, aber das souveränste. Zumindest war mit dieser ganzen Nummer noch niemand so cool wie die beiden hier.



Klingt ein bisschen wie:
Eins Zwo
Gefährliches Halbwissen

Shaban & Käptn Peng
Die Zähmung der Hydra

Persönliche Höhepunkte:
Bäng | Attacke | Lecker bleiben | Boogie Down | Es kommt in Wellen | Todesverachtung to Go | Come On, Sign Up

Nicht mein Fall:
Oh Yeah

Samstag, 18. Januar 2020

Der Weisheit letzter Schluss

[ entschleunigt | meditativ | beruhight ]

Eine ziemlich doofe Sache, die sich wahrscheinlich nie ändern wird, ist die Art und Weise, wie nach dem Tod berühmter Künstler*innen deren verbliebenes Schaffen bis zum letzten Furz von ihren Labels vermarktet wird. Schon seit den Anfängen der Musikindustrie ist das posthume Veröffentlichen von teils minderwertigem Archivmaterial der verschiedenen Protagonisten äußerst gängige Praxis und gerade in den letzten Jahren, in denen es einige (mitunter sehr jung verstorbene) gefeierte Musiker*innen zu betrauern gab, haben wir einige besonders unschöne Plünderungen mitbekommen. Aus den zu Lebzeiten überschaubaren Diskografien und Lil Peep und XXXtentacion wurde zuletzt in Rekordtempo das letzte Quäntchen aufgenommener Tracks gemolken, mit Nipsey Hussle passiert es gerade noch und auch dem erst vor wenigen Wochen verstorbene JuiceWRLD wird es in den nächsten Monaten und Jahren sicherlich nicht anders ergehen. Jemand, der hingegen bisher ziemliches Glück mit der Verwertung seines Erbes hatte, ist Mac Miller. Seit seinem tragischen Ableben im Sommer 2018 wurde von seinem Archivmaterial so gut wie komplett Abstand genommen und sehr behutsam damit umgegangen. Tatsächlich ist das einzige, was seit der LP Swimming kurz vor seinem Lebensende erschien, ein Feature-Part auf dem Debüt der Free Nationals vor ein paar Wochen. Und dass jetzt, anderthalb Jahre später, erstmal die Platte erscheint, an der Miller bis zuletzt noch arbeitete, ist ebenfalls alles andere als invasiv. Mit Jon Brion stellte Circles sogar der Typ fertig, der wesentlich an den ersten Sessions mitwirkte und für den Rapper schon lange ein wichtiger Kreativpartner war. Na klar gibt es im Video zur Leadsingle Good News ein paar tränendrüsige Handyaufnahmen aus den letzten Tagen im Leben des Mac Miller, aber um festzustellen, dass dieses Album kein kalkulierter Cash Grab ist, muss man es sich eigentlich nur anhören. Denn unter allen Platten des Künstlers aus Philadelphia ist diese mit sicherlich die am wenigsten kommerzielle. "Glück" hat man mit diesem Rapper nachträglich ja insofern, dass er zum Ende seiner Karriere hin tatsächlich Songs schrieb, die eine gewisse Weisheit in sich trugen. Swimming war als sein kreativer Schlussstrich für mich vor allem deshalb so schmerzhaft, weil Miller darauf viel über mentale Gesundheit und psychische Klarheit spricht und man dabei tatsächlich das Gefühl hat, dass er auf dem Weg der Besserung war. Circles als geplantes Gegenstück dazu setzt diese Ideen an manchen Stellen nun fort und ist dabei noch selbstbewusster und in sich ruhender als der Vorgänger. Die Texte hier wirken mitunter wie die eines altersweisen Jedimeisters, der den Weg der Erleuchtung gefunden hat und an seine Schüler*innen weitergibt. Die Untertöne von Aufgekratztheit und Depression, die Swimming an vielen Stellen noch hatte, sind hier sehr reduziert und machen stattdessen Botschaften der Selbstliebe und der Gelassenheit Platz. Eine Trendwende, die sich auch musikalisch fortsetzt. Mehr noch als auf seinen letzten beiden Platten sucht Miller hier die Nähe zum R'n'B und singt fast mehr als er rappt. Einige der Aufnahmen sind dabei etwas vernuschelt, was höchstwahrscheinlich daran liegt, dass die meisten Songs zum Zeitpunkt seines Ablebens wenig mehr als Demos waren, doch trägt das mitunter viel zur Intimität des Albums bei. Auch sind die Instrumentals, in die Jon Brion die Gesangsspuren einbettet, maximal gediegen und untermalen die entschleunigten Texte nochmal besonders schön. Banger gibt es hier gar nicht, nur mal ein paar aufmüpfige Synth-Lines oder einen funkigen Bass-Lick. Der überwiegende Teil besteht aus sehr minimalistischen R'n'B- und Jazz-Flächen, die zum Teil fast ambient wirken. Es ist am Ende sicherlich ein bisschen Studiomagie dabei, aber was hier gesamtklanglich rüberkommt, ist ein sehr friedvoller und harmonischer Eindruck der letzten künstlerischen Ausflügen von Mac Miller. Und egal ob das nun so stimmt oder nicht, erinnerungskulturell ist das auf jeden Fall eine schöne Sache. Man merkt Circles sehr deutlich an, dass es eben nicht von den erbverwaltenden A&Rs bei Warner am Reißbrett entworfen wurde, sondern von Vertrauten und Freunden des Verstorbenen. Man glaubt, dass es sehr wahrscheinlich die künstlerische Idee weiterführt, die dieser zu Lebzeiten davon hatte und somit nicht nur als Verbeugung, sondern auch als Nachhall seiner eigenen Vision funktionert. Klar wird in den nächsten Jahren noch das unvermeidliche Album mit den Demos und unveröffentlichen Tracks kommen und klar wird Warner es sich nicht nehmen lassen, jeden Stein nach noch einem verschollenen Part von Miller umzudrehen. Mit Circles haben sie aber vorerst gezeigt, dass sowas auch taktvoll geht und die Erinnerung an einen verschiedenen Künstler nicht bedeutet, dass man den größtmöglichen Batzen abfangen muss, solange die Trauerphase noch andauert. Und das macht dieses Album am Ende nicht nur gut, sondern vorbildlich. Hoffentlich schneiden sich davon in Zukunft ein paar Labels eine Scheibe ab.



Klingt ein bisschen wie:
Milo
A Toothpaste Suburb

Tirzah
Devotion

Persönliche Highlights:
Circles | Good News | I Can See | Everybody | Woods | Hand Me Downs | Hands | Surf | Once A Day

Nicht mein Fall:
That's On Me

Mittwoch, 15. Januar 2020

Freiheit für Poppy

[ creepy | niedlich | dynamisch ]


Die Künstlerin Moriah Rose Pereira, der Welt bekannter unter dem Pseudonym Poppy, ist ein Phänomen, das 2020 schon lange kein Nischendasein mehr führt. Seit inzwischen sieben Jahren ist die Kalifornierin in diversen Bereichen der kreativen Produktion aktiv und hat dabei vor allem mit ihrer schrägen Ästhetik und ihrem performativen öffentlichen Auftreten einen Namen für sich geschaffen. Seit 2015 tut sie das auch hauptsächlich als Musikerin, die inzwischen regelmäßig tourt und mit I Disagree ihren bereits dritten Longplayer veröffentlicht. Die letzten Monate des Jahres 2019 waren für Poppy allerdings nochmal von spezieller Bedeutung, da hier erstmals sehr deutlich die Hintergründe ihrer Kunstfigur klar wurden und sich zeigte, wie wenig funktional vieles darin ablief. Eng verbunden mit diesen Hintergründen ist der Produzent und Regisseur Titanic Sinclair, der seit 2014 sehr wesentlich am Projekt mitarbeitete und je nach Quelle Schöpfer, Kreativpartner oder Nutznieser der Kollaboration war. Nachdem über das letzte Jahr hinweg viele unschöne Dinge über ihn und seine Rolle in Bezug auf Mars Argo, Grimes und Poppy ans Licht kamen (genaueres bitte selbst googeln), gab Pereira Ende Dezember schlussendlich bekannt, ihre Zusammenarbeit mit Sinclair zu beenden. Die Nachricht war bis dato der Schlussstrich einer sehr umfangreichen Schlammschlacht der beiden PartnerInnen, bei der es viel um persönliche Verfehlungen geht, vor allem aber auch um Rechte und kreative Anteile. Was die Frage aufwirft: Wo steht I Disagree an dieser Stelle? Angekündigt wurde die Platte schließlich bereits im September, als das Verhältnis der beiden noch sehr gefestigt war, ihr Weggang vom eigenen Label, der neue Deal bei Sumerian und die Tatsache, dass die LP weiterhin zum ursprünglichen Release-Termin erscheint (es also wahrscheinlich keine Änderungen in den Credits gegeben hat), sprechen dafür, dass das hier Poppys erstes von Titanic Sinclair unabhängiges Projekt ist. Das ist nicht nur deshalb gut, weil sich die Künstlerin damit aus einer anscheinend sehr toxischen Geschäftsbeziehung befreit, man hört es dem Album auch an. Von allen Platten, die ich von der Kalifornierin bisher gehört habe, ist I Disagree die erste, in der ich wirklich eine kreative Identität höre, die zu mehr taugt als zu einem bloßen Produkt und etwas sehr energisches und lebendiges hat. Zwar waren auch schon ihre letzten Projekte wie die Choke-EP oder ihre Kollaborationen mit Grimes und Fever 333 eher experimenteller Natur und bezogen großzügig Einflüsse aus Groove Metal und Industrial mit ein, doch hatte man dabei noch immer das Gefühl, das ganze wäre bloß ein provokatives Gimmick, das die Gesamtmarke Poppy verkaufen sollte. Klar waren die Songs der letzten zwei Jahre schon besser als ihre ganz frühen Sachen auf Bubblebath oder Poppy Computer, doch war Pereira für mich noch immer primär das gruselige Mädchen mit den Performance-Skits auf Youtube. Es brauchte erst dieses Album, um Poppy auch als Musikerin glaubhaft zu machen. Auf I Disagree habe ich das erste mal das Gefühl, eine wirklich ambitionierte und hungrige Künstlerin zu hören, die das was sie tut auch aus künstlerischem Interesse macht und nicht, weil es wahrscheinlich Klicks generiert. Viele Songs hier sind so viel mehr als das stupide Aneinanderklatschen von Bubblegum-Pop und Groove Metal, sondern besitzen echte kompositorsiche Tiefe. Die Riffs sind nicht nur fett, sondern dienen auch dem Gesamtsong, die Hooks sind unendlich viel schöner, Poppys Stimme klang noch nie so gut (im Sinne von so normal) wie hier und die Produktion spiegelt den Tonus des Albums wieder: Abenteuerlich aber nicht zu ausgeflippt. Wo man vorher immer ein bisschen den Eindruck hatte, die Grundidee ihrer Tracks wäre einfach billig bei Babymetal abgekupfert, findet man hier ein so viel größeres Spektrum, das auch geniale Gitarrensoli, orchestrale Drops, gefühlsechte Balladen und Elektropop-Momente einarbeitet. Erkennbare Einflüsse kommen hier von Queen, Marilyn Manson, Billie Eilish, den Nine Inch Nails oder Lingua Ignota, sind also viel weitläufiger als bisher. Trotzdem findet das ganze in den meisten Momenten stimmig zusammen und man hat hier den Eindruck, eine aufgefrischte Version des etablierten Poppy-Konzepts zu hören. Auch dass sich die Platte zum Ende hin etwas zurücknimmt und melodisch klarer wird, ist keine schlechte Idee. Sicher, nicht alles haut hier auf Anhieb perfekt hin. So sind die letzten beiden Stücke der Platte doch ein bisschen dröge, im Opener Concrete überstürzen sich die Motive etwas zu sehr und die Spielzeit von 35 Minuten reicht dem kreativen Geist dieser LP nicht wirklich aus, mehr als Schönheitsfehler sind das aber nicht. Viel präsenter ist nämlich der umfangreiche Kern aus genialen Songs und Ideen, die hier zusammenfinden und nicht nur äußerst kreativ sind, sondern vor allem auch Spaß machen. Und die mir zeigen, was diese Poppy auch als Musikerin für ein großartiges Talent hat. Wenn das hier tatsächlich das Album ist, mit dem sie sich aus dem künstlerischen Schraubstock ihrer bisherigen Zusammenarbeit mit Titanic Sinclair befreit hat und jetzt endlich ihr Ding macht, kann ich gar nicht erwarten, wie sich die kommenden Monate und Jahre bei ihr anhören. Denn obwohl diese LP schon irre gut ist, wird von hier nur noch viel mehr möglich im Kosmos Poppy.



Klingt ein bisschen wie:
Babymetal
Babymetal

Billie Eilish
When We All Fall Asleep, Where Do We Go?

Persönliche Highlights:
Concrete | I Disagree | Bloodmoney | Anything Like Me | Fill the Crown | Nothing I Need

Nicht mein Fall:
Sick of the Sun | Don't Go Outside

Montag, 13. Januar 2020

Zehn Jahre später: the Future is Bulletproof

[ konzeptuell | knallig | laut ]

Schon in den letzten Artikeln erwähnte ich immer wieder mal, dass der Anfang der letzten Dekade für mich persönlich eine Zeit mit vielen prägenden musikalischen Erfahrungen war, in der ich haufenweise neue Sachen entdeckte und mehr oder weniger zu dem Pop-Nerd wurde, der ich heute bin. Eine Zeit, in der ich zum ersten Mal sowas wie einen Musikgeschmack entwickelte, der über Sachen aus dem Radio oder von MTV (ja, ich hatte sehr lange noch kein Internet) hinaus ging und in dem ich meine ersten richtigen Lieblingsplatten hatte. Und angesichts der schockierenden Anzahl an Jahren, die seitdem verstrichen sind und den immensen Veränderungen, die auch mein Geschmack seitdem gemacht hat, möchte ich in den kommenden Monaten auf einige Platten zurückblicken, die mir damals sehr wichtig waren und mir ansehen, wie sie sich für mich verändert haben. Wobei das natürlich nur für eine bestimmte Sorte von Alben funktionert. So gibt es Sachen wie Plastic Beach von Gorillaz oder Tame Impalas Innerspeaker, die ich seitdem kontinuierlich gehört habe und zu denen ich keinen neuen Zugang brauche, weil ich sie zu vielen Zeitpunkten kenne. Hier soll es um die Musik gehen, die ich seitdem vergessen habe, die irgendwo in meinem Regal verstaubt und um die, die mir inzwischen vielleicht ein bisschen peinlich ist. Und welche Band könnte für so ein Experiment gerade besser passen als My Chemical Romance? Das Quintett aus New Jersey konnte man in den letzten zehn Jahren vor allem deshalb so gut ignorieren, weil es sie in dieser Zeit quasi überhaupt nicht gab. Mit dem hier vorliegenden Danger Days erschien 2010 das bis dato letzte richtige Album von ihnen, bevor sie 2013 ihre Trennung bekanntgaben. Zwar erschienen in der Zwischenzeit einige B-Seiten-Kompilationen und eine Greatest Hits-LP, doch waren MCR als aktive Band ziemlich lange passé und interessierten eigentlich auch niemanden. Zumindest bis im Oktober des vergangenen Jahres eine Reunion bekanntgegeben wurde und plötzlich alle wieder Fans waren. Dazu kommt erschwerend hinzu, dass sich im Zuge der jüngsten Emotrap-Welle viele Leute in meiner Altersgruppe wieder auf deren legendäre Emorock-Oper the Black Parade von 2006 berufen, die anscheinend für viele Künstler*innen ein wesentlicher Einfluss war und nicht zuletzt auch der Soundtrack so mancher Jugend. Ich für meinen Teil war zu diesem Zeitpunkt noch zu jung, um mich für sowas zu interessieren und auch später nie Emokind genug, um das aufarbeiten zu wollen, aber mit ihrem dritten Album kriegten mich My Chemical Romance dann trotzdem noch. Was mich an Danger Days damals vor allem neugierig machte, war die comichafte, schrille Ästhetik der Band (ich war damals schon großer Fan von Jamie Hewlett) und das Monster von Leadsingle, das auf den Namen Na Na Na (Na Na Na Na Na Na Na Na Na) hörte. Für die mir damals bekannten Verhältnisse im Rock waren MCR furchtbar unkonventionell und abenteuerlich. Noch dazu sollte das hier ein dystopisches Konzeptalbum werden und die Musikvideos, die dazu auf Viva liefen, sahen echt heiß aus. Was ich nicht wusste war, dass die Gruppe selbst das an diesem Punkt alles schonmal durch hatte. Besagter Vorgänger the Black Parade war ja bereits ein äußerst ambitioniertes Konzeptalbum und inhaltlich auch eines der besseren der Zwotausenderjahre, weshalb einige Fans bei Danger Days erstmal ächzten. Die neue, knallbunte und fetzige Marke von My Chemical Romance stand in krassem Kontrast zum timburtonesken Mallgoth-Klischee, das die Band bis dahin an den Tag legte und dass hier plötzlich Synthpop, J-Rock, Punk und Rock'n'Roll mit einbezogen wurden, schmeckte vielen gar nicht. Dabei ist das hier rein strukturell nicht anders als the Black Parade. Schon da gab es Einflüsse als Zirkusmusik und Vaudeville, die den paradigen Charakter des Albums unterstrichen und ein auf den Inhalt abgestimmtes Äußeres. Nur war die Zielsetzung hier eine völlig andere. Weil ich aber sowieso nie viel mit Emorock am Hut hatte, interessierte mich das damals nicht und ich war von Danger Days ziemlich begeistert. Für mich war es wie American Idiot, nur mit Laserkanonen und Zombies. Ziemlich bald nach Release kaufte ich mir die LP von meinem Taschengeld und hörte sie auch einigermaßen exzessiv. Tatsächlich muss ich aber sagen, dass ich damals eher das ganze Drumherum feierte als die tatsächlichen Songs und mir deshalb vieles von der Musik weniger gut in Erinnerung geblieben ist als Beispielsweise die Videos, die Outfits und die in den Clips erzählte Story. Und meinem jetzigen Geschmack nach zu urteilen, hätte es daher auch sehr gut sein können, dass ich Danger Days inzwischen scheiße finde. Zumindest die Sache mit der dystopischen SciFi-Rockoper war für mich bei der Wiederaufnahme eine ziemlich rote Fahne und dass MCR Pop-Punk für Teenager machen, ist immer noch so ein bisschen mein Eindruck. Entsprechend überracht war ich also, als sich herausstellte, wie gut diese LP nach wie vor für mich klingt. Zwar kann man nicht sagen, dass sie klanglich gut gealtert wäre, dazu klingen die Songs hier doch zu sehr nach den Zwotausendern und gefälligem Post-Green Day-Punkrock. Abgesehen davon muss man aber sagen, dass die Gruppe hier beeindruckende Arbeit leistet. Gerade was den erzählerischen Rahmen angeht, schaffen My Chemical Romance hier eine großartige Basis, indem sie das Album in den Kontext eines fiktionalen Piratensenders einbauen, der die einzelnen Tracks als Teil einer Sendung spielt und hin und wieder Handlungspunkte einstreut. Das wirkt kein bisschen zurechtgebogen, gibt dem Album trotz seiner vielschichtigen Musik einen gewissen roten Faden und hat mit dem kultigen Moderator "Dr. Death" auch noch einen sehr charismatischen Erzähler. Wie die Story hier dargestellt wird, ist nochmal ein ganzes Stück besser als auf the Black Parade und zeigt eindeutig, dass MCR das mit den Handlungssträngen drauf haben. Mir fallen wenige Konzeptalben ein, deren Ambitionen, eine Geschichte zu erzählen, der Musik so wenig im Weg stehen, wie das hier der Fall ist. Und wo wir schonmal bei der Musik sind: Auch die ist ziemlich Spitze. Danger Days ist ein sehr vielseitiges Rockalbum, das mit sehr verspränkelten Motiven und Einflüssen arbeitet. Es gibt Passagen, die nach Hardrock, Rock'n'Roll und Synthpop klingen und klangliche Anspielungen von At the Drive-In über Bruce Springsteen und U2 bishin zu den Pet Shop Boys. In Goodnight, Dr. Death gibt es sogar einen ausführlichen Auszug aus der US-amerikanischen Nationalhymne zu hören. Das ist jede Menge ausufernde Kreativität, die schnell in einem chaotischen oder zerfahrenen Projekt hätte enden können. My Chemical Romance schaffen es jedoch hervorragend, diese Auswüchse über ein gutes Songwriting und mithilfe der Story zu bündeln. Immer wieder gibt es Überraschungen und die Platte wird die langweilig, doch hat man auch nicht das Gefühl, von einem extrem ins andere geschubst zu werden. Schuld daran ist vor allem ein Kern aus ziemlich gut gemachten Popsongs wie Sing (weiß heute auch niemand mehr, was das damals für ein Hit war), Save Yourself, I'll Hold Them Back und the Only Hope for Me is You. In bester Green Day-Manier paaren sie diese dann mit ein paar saftigen Punkrock-Peitschen wie Vampire Money, Party Poison oder dem großartigen Na Na Na, das nach zehn Jahren kein Quäntchen Energie verloren hat und schaffen sich so ein stabiles Grundgerüst, auf das sie nachher jene kreativen Sperenzchen schrauben, die das Gesamtergebnis so besonders machen. Dass das alles so reibungslos funktioniert, ist einigermaßen erstaunlich, denn wie gesagt, die Grundidee der LP ist keine einfache. Und dass ausgerechnet diese Band das hinbekommt, woran so viele andere Gruppen vor und nach ihr gescheitert sind, ist definitiv nicht selbstverständlich. Und mal ganz nebenbei fallen mir nicht viele Story-Konzeptalben ein (geschweige denn mit dystopischen SciFi-Motiven), die so unverkrampft und cool klingen wie Danger Days. Was am Ende vielleicht sogar bedeutet, dass ich die Platte jetzt ein kleines bisschen mehr mag als vor zehn Jahren. Verändert haben sich dabei lediglich die Gründe, warum ich das denke. Wo ich mit 13 vor allem auf die wilde und futuristische Ästhetik des Albums stand, bin ich jetzt gefesselt von seiner kompositorischen Klasse und dem genial ausgearbeiteten Konzept. Und sollten My Chemical Romance nach der gerade vollzogenen Reunion tatsächlich wieder zusammen ins Studio gehen, werde ich jetzt garantiert nicht mehr den Fehler machen, ein kommendes neues Projekt zu unterschätzen. Und im übrigen: Auch nach zehn Jahren Pause ist es nicht unmöglich, dass wir von ihnen noch das versprochene zweite Danger Days-Album kriegen.



Klingt ein bisschen wie
Twenty One Pilots
Trench

Green Day
American Idiot

Persönliche Highlights
Na Na Na (Na Na Na Na Na Na Na Na Na) | Bulletproof Heart | Sing | the Only Hope for Me is You | Party Poison | Save Yourself, I'll Hold Them Back | S/C/A/R/E/C/R/O/W | Destroya | Good Night, Dr. Death | Vampire Money

Nicht mein Fall:
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